OÖ. Heimatblätter 1947, 1. Jahrgang, Heft 2

Oberösterreichische Heimatblätter Herausgegeben vom Institut für Landeskunde am o.-ö. Landesmuseum in Linz durch Dr. Franz Pfeffer April-Juni 1947 Jahrgang 1 Heft 2 Inhalt Seite Dr. Alois Moser: Die untere Enns als Hindernis und Grenze. Ein Beitrag zur Landschaftskunde Dr. Hans Oberleitner: Unbekannte Ansichten der Schaunburg Dr. Eduard Straßmayr: Schicksale oberösterreichischer Klosterbibliotheken Dr. Franz Berger: Zwei Bruderschaftsbücher der Stadt Ried Dr. Hans Anschober: Neue Funde und Fortschritte in der Lindemayr-Forschung. Bausteine zur Heimatkunde Ludwig Kaff: Die Cornu-Fragmente von Ovilabis 145 Heinrich Wurm: St. Georgen bei Grieskirchen. Beispiel einer Dorfentwicklung im Hausruck Johann Ratzesberger: Die Ruine Peilstein bei Falkenstein an der Ranna Richard Kastner: Ein Kirchtag in Markt Klam im 17. Jahrhundert Richard Kastner: Die Orgel zu Hofkirchen bei Saxen G. Grüll, Karl Karning: Zur Geschichte der Kartoffel in Oberösterreich 169 Dr. J. Obernhumer: Ulrich und Hans. Ein Beitrag zur Geschichte der Vornamen Dr. Hans Commenda: Paukenverse Hermann Mathie: Ein mechanisches Theater in Haslach Dr. Hans Gallistl: Volkstümliche Pflanzennamen des Eferdinger Beckens und des an¬ grenzenden Mühlviertels Dr. Heinrich Blume: Der Schauplatz von Adalbert Stifters Erzählung „Der fromme 171 Spruch" Heimatpflege Dr. Heinrich Seidl: Die Aufgaben des Naturschutzes in Oberösterreich Fl. Gmainer: Aus der Werkstatt der Heimatforschung Berichte 185 Schrifttum Verzeichnis der oberösterreichischen Neuerscheinungen Dr. Eduard Straßmayr: Heimatkundliches Schrifttum über Oberösterreich 1945 —1946 Jährlich 4 Heste Zuschriften für die Schriftleitung (Beiträge, Besprechungsstücke) an Dr. Franz Pfeffer, Linz a. D., Museumstraße 14 Zuschriften für die Verwaltung (Bezug) an die Buchdruckerei des Amtes der o.-ö. Landes¬ regierung, Linz a. D., Klosterstraße 7 Verlegt auf Grund der Genehmigung Nr. 192 des ISB Verleger und Eigentümer: Verlag des Amtes der o.-ö. Landesregierung, Linz a. D., Klosterstr. 7 Herausgeber und Schriftleiter: Dr. Franz Pfeffer, Linz a. D., Museumstraße 14 Druck: Buchdruckerei des Amtes der o.-ö. Landesregierung, Linz a. D., Klosterstraße 7

Oberösterreichische Heimatolaate Ipril = Juni 1947 Jahrgang1- Heft 2 2 Die untere Enns als Hindernis und Grenze Ein Beitrag zur Landschaftskunde Von Dr. Alois Moser (Linz) Knapp vor dem Ende des zweiten Weltkrieges ist ein bedeutendes historisches Werk erschienen *), in dem wiederholt die Enns als Grenzfluß zur Sprache kommt. Wenig später, im Mai 1945, endete hier der Krieg mit der Erreichung der Enns¬ linie durch das Vordringen der Russen von Osten, der Amerikaner von Westen her. Aus dem offiziellen Bericht2) geht die Planmäßigkeit der Begegnung der Okkupationsarmeen an der Ennslinie hervor. Im Zuge der Kampfhandlungen war die Enns bis tief in das Gebirge hinein „Zonengrenze“ geworden. Ende Juli 1945 wurde durch Rückzug, bzw. Vorrücken der Truppen die ursprünglich vorgesehene Zonenabgrenzung hergestellt. Der Unterlauf der Enns blieb Grenze. Die landläufige Unterscheidung des Ober-, Mittel- und Unter laufes eines Flusses stützt sich wissenschaftlich auf das Kriterium vorherr¬ schender Eintiefung (Erosion) oder Aufschüttung (Akkumulation). Zeitlicher und örtlicher Wandel solcher Flußbautätigkeit bedingt an sich, daß feste Grenzpunkte zwischen Ober=, Mittel- und Unterlauf nicht festlegbar sind. Viele Flüsse lassen sich überhaupt nicht nach diesem Schema einteilen; das gilt auch für die Enns. Aber selbst oberflächliche Betrachtung wird bei dem Gebirgsflußcharakter des längsten Teiles der Enns, vom Ursprung bis Steyr, dem letzten Stück des Flu߬ laufes einen geänderten Wesenszug zuerkennen. Zwei Bahnstationen oberhalb Steyrs, bei der Haltestelle Sand, beginnen die wohlausgebildeten diluvialen Schotterterrassen das Bild zu beherrschen; in Steyr bestimmen sie in Grund- und Aufriß die Physiognomie der Stadt 3). Von hier an bleibt das Gebirge mit seinen letzten Anhöhen zurück; steile Terrassenlehnen, glatte Terrassenfluren geben dem *) J. Zibermayr, Noricum, Baiern und Österreich. München-Berlin 1944. 2) Biennial Report of The Chief of Staff of The U. S. Army Gen. George Marshall (July 1, 1943 to June 30, 1945) To the Secretary of War, Washington, October 10, 1945 (Extra Number) p. 28 f., 91. 3) A. Moser, Zur Geographie der österreichischen Stadt. Eine Eigentümlichkeit des Stadt¬ bildes der Stadt Steyr. Jahrbuch des o. ö. Musealvereines Bd 92 (1947), S. 339 f.

Oberösterreichische Heimatblätter Gelände das Gepräge. Der letzte Nebenfluß der Enns nach der Einmündung der Steyr ist der Namingbach, nahe unterhalb der geschlossen verbauten Stadt, noch im Stadtbereich mündend. Von dort an ist die Enns Grenzfluß zwischen Ober¬ und Niederösterreich, bis zu ihrem Einströmen in die Donau, nahe der Stadt Enns. Von dieser Grenzstrecke der Enns ist im folgenden die Rede. Das Hindernis In seiner Anlage entspricht das Ennstal von Steyr abwärts der konsequenten Richtung zur Donau mit einem Gefälle von 280—240 m auf rund 25 km. Im zeitlichen Wechsel von Aufschüttung und Eintiefung entstand im Diluvium jenes System von Schotterterrassen, das hier seine klassische Aus¬ bildung zeigt*). Vier große Einheiten liegen vor: Der Deckenschotter, gegliedert in älteren und jüngeren, und der Terrassenschotter i. e S., gegliedert in Hochterrassen- und Niederterrassenschotter5) Die jüngere Ablagerung liegt stets in der Talung der nächst älteren. „Die Ein¬ tiefung drang immer wieder bis zum tertiären Untergrund vor, so daß Hoch- und Niederterrassenschotter auf diesem angelagert wurden; nur an den Talhängen tritt noch Tertiär aus. Die Schotter der Niederterrasse sind heute meist noch nicht durchschnitten, während starke Unterwaschung breite Talböden schuf. Diese sind oft Steinfelder 6).“ Das scheinbar einfache Bild des Schemas erfährt in Wahr¬ heit zwei Modifikationen, die die Sachlage komplizieren. Einerseits sind die großen Terrasseneinheiten zum Teil selbst wieder in Subterrassen gegliedert, die z. B. bei der Ramingbachmündung und bei Haidershofen im Bereich der Niederterrasse in schöner Regelmäßigkeit auftreten. Dadurch erhöht sich stellen¬ weise die Zahl der Stufen auf fünf, sechs, ja sieben. Anderseits setzen je nach der Lage des Flusses die Terrassen und Subterrassen bald an diesem, bald an jenem Ufer aus, so daß ihre Parallelisierung schon dadurch recht schwierig wird. Sym¬ metrische Profile sind so gut wie nie vorhanden. Ganz besondere Extreme von Asymmetrie liegen im Bereich der Lauber-, Pfaffenmayr und Loderleiten vor. (Vgl. beigegebene Skizze.) 7) *) A. Penck u. E. Brückner, Die Alpen im Eiszeitalter, Leipzig 1909, Bd 1, S. 115. Nach diesen Grundlagen die späteren Darstellungen: E. Hager, Die geographischen Verhältnisse des österreichischen Alpenvorlandes mit besonderer Rücksicht auf den oberösterreichischen Anteil. Progr Kollegium Petrinum, Linz 1901; A. König, Geologische Beobachtungen. Jahresbericht des Museum Francisco-Carolinum, Linz, 1910 ff.; A. König, Geologische Übersichtskarte von Ober¬ österreich, Braunau; K. Troll, Die jungglazialen Schotterfluren im Umkreis der Deutschen Alpen. Forschungen zur Deutschen Landes- und Volkskunde Bd 24, Stuttgart 1926; J. Schnabl, Die Exkursion des geographischen Instituts der Wiener Universität nach Enns usw. Geographischer Jahresbericht aus Österreich Bd 8, 1910. 5) Profile: E. Kayser, Abriß der allgemeinen und stratigraphischen Geologie, 3. Aufl., Stutt¬ gart 1922, S. 476 (schematisch); N. Krebs, Die Ostalpen und das heutige Österreich, 2. Aufl., Stuttgart 1928, Bd 1, S. 60 (Profil Kremsmünster-Steyr). 6) Diwald-Baumann, Österreich, Länderkundliche Darstellung, Wien 1936, S. 13. 7) Vgl. besonders die Profile bei N. Krebs, siehe oben Anm. 5.

Moser: Die untere Enns als Hindernis und Grenze Dazu kommt, daß das Gefälle der Terrassenfluren für die einzelnen Terrassen nicht gleich ist 8). Dadurch versagen die Höhenangaben der Karte als Kriterium für die Parallelisierung speziell isolierter Terrassenkörper ?). Im allgemeinen gilt PÜHRING . C DECKEN=U. TERASSENSCHOTTER ELOSS DES DECKENSCHOTTERS. SCHLIER Profil der Loderleiten bei Ernsthofen. 1: 50.000. 7½fach überhöht. Entwurf Putz überdies auch hier, daß die Zahl der Terrassen talaufwärts abnimmt, „weil nicht alle Flußauen (Talböden) sich stromaufwärts weit genug entwickelt haben, bevor die Neubelebung der Tiefenerosion einsetzte“ 10). Die obgenannten Stellen be¬ sonders schöner Ausbildung sogar der Subterrassen verdanken ihre Existenz be¬ sonders günstigen lokalen Umständen (Stauung des Nebenflusses vor der Mündung, u. a.) Petrographische Zusammensetzung, Bearbeitungsgrad, Ver witterungsgrad und Verfestigungsgrad müssen bei der Durchverfolgung der ein¬ zelnen Terrassenhorizonte sorgfältig geprüft werden 11). Leider liegen m. W. diesbezüglich für das in Frage kommende Gebiet keine Untersuchungsergebnisse vor. Eingehendere Beachtung dürfte überdies dem Zement der Konglomerate zu widmen sein. Jahrelange Beobachtungen lassen vermuten, daß jeder Terrassen¬ körper dem Akkumulationsstand des letzten „Spitzenhochwassers“ entspricht. So konnte der Verfasser wahrnehmen, daß die Schotterkörper des jüngsten Ennsbettes zwischen Steyr und Namingbachmündung bestimmt waren durch die Hochwässer von 1899, 1903 uff.; die dazwischen liegenden Hochwässer haben zwar die kleinen Prall- und Gleithänge beeinflußt, aber die Schotterkörper nicht verlagert. So ist die Rekonstruktion der alten Ennsläufe, wenn überhaupt, so noch lange nicht möglich und bedarf unermüdlicher Kleinarbeit in petrographischer, geologischer und morphologischer Hinsicht. Indessen kann die vorliegende Betrachtung, die auf die Kennzeichnung des Ennsunterlaufes als Hindernis und Grenze hinzielt, auf die genetische Parallelisierung der Terrassenhorizonte verzichten, weil es ihr allein auf den Vergleich der Ufer ankommt, nicht im Dienste der Morphologie, sondern aus zum Teil verkehrsgeographischem Interesse. 8) N. Lichtenecker, Österreich, in F. Klutes Handbuch der geographischen Wissenschaft, Bd Mitteleuropa, Abschnitt 3, S. 108. Vgl. daselbst (S. 107) das Bild der Terrassen und Subterrassen bei Haidershofen. *) O. Maull, Geomorphologie, Enzyklopädie der Erdkunde, Leipzig und Wien 1938, S. 153. 10) ebenda, S. 154. 11) ebenda, S. 153. 99

Oberösterreichische Heimatblätter In verkehrsgeographischer Hinsicht sind zwei Richtungen maßgebend: a) die N-S Richtung, im wesentlichen dem Flusse entlang, b) die O-W Richtung, die sich aus der Eigenschaft des sich vom Inn ostwärts rasch verschmälernden österreichischen Alpenvorlands ergibt. Ohne Bezugnahme auf historische Gesichtspunkteist die Enns, wie ihre Schwestern Salzach, Traun uff. ein Eingangstal aus dem Alpenvor¬ land in die Alpen. Die Terrassenfluren sind aus zwei Gründen besonders geeignet, längs dem Flusse den Verkehr in das Gebirge zu leiten. Erstens führen sie bei sehr gleichmäßiger und allmählicher Steigungund in genügender Höhe über dem Fluß tief in das Gebirge hinein. Zweitens sind die Terrassenkörper aus gezeichnete Unterlagen für Straßen- und Bahnanlagen. Bei bedeutender Mächtig¬ keit und Wasserdurchlässigkeit scheinen sie diesbezüglich kaum etwas zu wünschen übrig zu lassen. Da treten zwei Umstände auf, die das Idealbild stören. Der eine besteht in der schon angedeuteten Tatsache 12), daß die einzelnen Terrassen nicht durchlaufend vorhanden sind. Die Straße von Enns nach Steyr muß von der zweiten Stufe der Niederterrasse über steile Lehnen bis auf den jüngeren Deckenschotter steigen. „Weinberg“ und „Heuberg“ hatten bis ins Zeitalter des Autos einen bösen Ruf. An sich scheinen die Höhendifferenzen zwischen den Fluren keine nennenswerten Probleme für die Anlegung von Straßen und Bahnen13). Diese Stufen können entweder in allmählicher Steigung entlang der Terrassenlehne, oder in direktem Anstieg, bei künstlicher Verminderung der Steigung überwunden werden. In beiden Fällen ist die Beschaffenheit des Terrassenkörpers von ausschlaggebender Bedeutung. Vom festgebackenen Konglomeratfels bis zur immer wieder rutschen¬ den „Sandgstöttn“ sind alle Übergänge der Festigkeit vorhanden. Innerhalb der „Gstöttn", wie die Stufen im Volksmunde heißen, zeigen natürliche und künstliche Aufschlüsse einen regen Wechsel von derbem Konglomerat über mehr oder minder verfestigte Kieslager zu sandigen Lagern, tonigen Linsen, bald in weiter Er streckung gleichmäßig fortlaufend, bald auskeilend. Und wo die Unterlage der Schotterterrassen, der Schlier 14), angeschnitten ist, da ergeben sich plötzlich ganz neue Verhältnisse. Die Bahn von St. Valentin nach Steyr fällt von der Station Ernsthofen (N.-S.) am rechten Ennsufer zum unmittelbaren Flußufer ab und gerät im Schlier am Fuße der hohen, steilen Loderleite auf eine lange Strecke in eine gefährliche Rutschungszone, um erst nach der Station „Dorf an der Enns wieder den festen Boden einer Terrassenflur zu gewinnen. So erscheint auch das Idealbild günstiger Verkehrsbedingungen längs dem Ennsunterlauf arg gestört, und der Hauptverkehr von Linz bzw. Prag führt durch das Kremstal zum Pyhrnpaß, nicht über Steyr. 12) Vgl. oben Anm. 10. 13) Maximum beim Fehlen aller Niveaus zwischen Flußbett und jüngerem Deckenschotter im Bereich der Loderleite (südlich Ernsthofen) 85 m. 14) G. Götzinger, Neueste Erfahrungen über den oberösterr. Schlier. Montan. Rundschau 1926. 100

Moser: Die untere Enns als Hindernis und Grenze Hauptverkehrsrichtung ist aber doch die von O nach W, bzw. W nach O. In alter Zeit sind Donau und Alpenrand die Leitlinien, an die sich Wanderungen und Heerfahrten hielten 15). Die Verschmälerung des Vorlandes gegen O führt dazu, daß sich die Verkehrswege zu einem Bündel zusammen¬ schnüren. Südwärts ist bis zur nördlichen Talflucht der Ostalpen kein durch¬ laufender O-W-Weg mehr möglich. Daher ist der vom Alpenvorland gewiesene Weg wichtiger als die einzelnen N-S-Wege entlang den Tälern. Die Flüsse, welche den O-W-Weg des Alpenvorlandes queren, sind daher entschiedene Hindernisse; vom Ennsunterlaufe gilt dies in besonderem Maße. Denn kaum an einer Stelle liegen korrespondierende Ter¬ rassen unmittelbar als Ufer gegenüber. Es sind folgende Gesichts¬ punkte zu berücksichtigen: 1. An welchen Stellen des Ennsunterlaufes das Bedürfnis der Flußüber¬ schreitung am größten ist; 2. wie die Ufer beschaffen sind, und zwar: a) in bezug auf die Höhenlage der Terrassen, b) in bezug auf die Beschaffenheit der betreffenden Terrassenkörper. Den obgenannten historischen Leitlinien des O-W-Verkehrs entsprechen an den entscheidenden Ennsübergängen die alten Ennsfestungen Enns und Steyr. Der neuzeitliche Verkehr hat dem Weg an der Stadt Enns vorbei den Vorzug gegeben. Die Lage von Linz als Landeshauptstadt, die Nähe der Donau, die Möglichkeit, bei Ebelsberg ohne Steigung im Niveau der Niederterrasse zwischen den Stromauen und dem Hügelland von St. Florian durchschlüpfen zu können, hat Reichsstraße und Westbahn bei der Stadt Enns vorbeigeführt, wiewohl ohne deren Kleinstadtcharakter zu stören 16). Dann führt bis Steyr keine Straße oder Bahn mit einer Brücke über die Enns 17). Rein lokalen Bedürfnissen entsprechen Fähren, wie bei Kronstorf und Haidershofen. Aber auch die Ennsüberbrückung in Steyr hat bloß sekundäre Bedeutung. Sie liegt in erster Linie im Dienste eines Uferwechsels der S-N-Straße aus dem Ennstal (Eisenstraße), die, bis Steyr auf dem rechten Ennsufer laufend, hier auf das linke, oberösterreichisch bleibende Ufer übersetzt; auf dem rechten Ufer weiterführend geriete sie auf niederöster¬ reichisches Gebiet. Das scheint nebensächlich zu sein, wird aber als Ursache des Uferwechsels der Straße historisch begreiflich, wenn man sich erinnert, daß dieser Unterlauf in römischer Zeit Provinzgrenze, dann bairische Stammesgrenze war 18). Aus dem Steyrtal von W her lief und läuft ebenso ein Straßenzug, wie aus O, von Seitenstetten (Wachtberg) und von Haag in N.-H. (Plenklberg) her. Es sind 15) A. Moser, Steyr, die alte Eisenstadt. Zeitschrift für Geopolitik 1928, Heft 3. 16) N. Krebs, a. a. O., Bd 2 S. 370. 1) Die ehedem geplante Reichsautobahn hätte auch bei Enns den Fluß überqueren sollen; die neue Überschreitungsmöglichkeit bei Ernsthofen entstand mit der Errichtung des Kraftwerkes, nicht im Dienst eines den Fluß hier querenden Straßenzuges. 18) Vgl. unten Anm. 34, 36. 101

Oberösterreichische Heimatblätter dies eher nach Steyr hin, bzw. von Steyr weg führende Straßen, kaum Linien eines hier durchlaufenden Verkehrs. Natürlich ist die Stadt Steyr ein Brückenort geworden dank seiner Lage am Mündungssporn zwischen zwei größeren, zeitweise sehr ungestümen Flüssen. Allenfalls darf der Brückenortcharakter in bezug auf den Uferwechsel der S-N-Straße anerkannt werden, aber doch nicht in generellem Sinne, wie dies aus bloßer Lagebeurteilung ohne historische Prüfung geschehen kann 19 Die Brückenlosigkeit, das Fehlen eines durchlaufenden Straßenzuges von O nach W zwischen Enns und Steyr ist gewiß nicht allein gelände bedingt. Aber es ist von Interesse, darauf hinzuweisen, daß auch rein lokalem Bedarf die Enns ein recht empfindliches Hindernis bedeutet. Die Ennsufer, wie sie als Felsabstürze oder als Rutschungsstrecken ausgebildet sind, waren, sind und bleiben auch dem freiest beweglichen Verkehr soweit er bodengebunden ist — unüberwindlich. Die Loder-, Pfaffenmayr¬ Lauberleiten, kurze Uferstrecken bei Minichholz, Hausleiten, Stanning uff. gebieten streifenden Reiterhorden ebenso Halt, wie modernen, motorisierten Kolonnen; an Punkten besserer Übersetzungsmöglichkeit geben befestigte Orte oder geschichtliche Kunde über ehemals errichtete Schanzen 20) die historische Bestätigung für die aus morphologischen Beobachtungen gezogenen Schlüsse. Denn wo der Terrassen¬ körper festgebackener Konglomeritfels ist, da sind die Prallhänge leicht tatsächlich lotrechte Abstürze mit unterschiedlichem Trümmerwerk am Fuße, fast einem Block¬ strand gleich; wo es sich um mehr oder minder lose „Sandgstöttn“ oder gar um schmierige Schlierlehnen handelt, ist selbst die Anlegung eines schräg emporführen¬ den Fußsteiges unmöglich. Der Wetterseite zugekehrt21), wie die Loderleite, trieft der ganze Hang vor Nässe, am Fuße sammelt sich ein klebriger Brei, der solche Stellen unpassierbar macht. In solchem Gelände ist die Errichtung von Brücken ein außerordentlich schwieriges Problem. Zur Herstellung annähernder Niveau gleichheit müßten Abgrabungen gewaltigen Ausmaßes vorgenommen werden, wo¬ bei die Terrassenränder je nach der Festigkeit des Terrassenkörpers nicht immer für den Unterbau geeignet sind. Auf der Suche nach korrespondierenden Niveaus, die durch Brücken überspannt werden könnten, ergeben sich bedeu¬ tende Distanzen, unrentabel für lokale Überbrückungen. Im Profil von Kronstorf ergeben sich folgende Abstände der korrespondierenden Niveaus: 332 m (Rosenberg — Altenrath) ca. 5½ km 295 m (Kronstorfberg —Fischer im Gaisweg) 280 m (Kronstorf — Bahnterrasse) 1¼ Im Profil von „Dorf a. d. Enns" ergibt sich ein ähnliches Bild: 370 m (Heuberg —ndl. Pfaffenmayrleite) ca. 4 km - Gatterberg) 355 m (Dirnberg „ 3 280 m (Ufer — Mühltaler) ¾ „ 19) N. Krebs, a. a. O., Bd 1, G. 215. 20) Vgl. unten Anm. 46. 21) Th. Schwarz, Klimatographie von Oberösterreich. Wien 1919. 102

Moser: Die untere Enns als Hindernis und Grenze Das sind Beispiele für ausgeprägte, weit durchlaufende Terrassenfluren, die auf beiden Ufern in ausreichendem Maße vorhanden sind. Nicht überall ist solches der Fall. Südlich Ernsthofen fehlen am rechten Prallufer zwischen den Koten 270 m und 360 m alle Zwischenniveaus. So ergibt sich aus den bisherigen Betrachtungen das Bild eines Ver¬ kehrshindernisses, wie man dies aus der Betrachtung auch einer Spezial¬ karte nicht sofort schließen würde. Selbst eine einfache Begehung dieser Landschaft läßt diesen Umstand nicht mit aller Schärfe ins Auge springen. Denn die horizon¬ tale Linie beherrscht das Bild. Die Terrassenfluren erscheinen eben wie Tisch¬ platten; im Horizont herrscht ebenfalls die waagrechte Linie, die umso stärker empfunden wird, wenn in diesem echten Stück Alpenvorland vom hohen Terrassen¬ rand aus die unruhige Silhouette des nahen Alpenrandes sichtbar wird, im Ver¬ gleich zu der die Terrassenlehnen ein bloßes Nichts erscheinen. Und wo man sich entlang einem Terrassenrand selbst 15, 30, 60 m über dem Wasser, hart am fast senkrechten Absturz der Lehne fortbewegt, man geht „am Ufer“ der Enns und ver¬ gißt den Niveauunterschied hüben und drüben. Denn hüben und drüben ist ja doch gleiches Land. Dieselben ebenen, oder doch kaum merkbar geneigten Terrassen¬ fluren mit denselben steilen Lehnen; dieselben Gleit- und Prallhänge; dieselben Felder auf den höheren Fluren, dieselben Wälder auf der Niederterrasse, die kahlen oder staudenbewachsenen Lehnen; dieselben z. T. prachtvollen Vierkant¬ höfe, oft hart an den Terrassenrand gerückt; dieselben Menschen dort wie da. Steht man auf der Höhe des Deckenschotters des linken Ufers und blickt hinüber, wo der korrespondierende Terrassenrand auf dem rechten Ufer den Horizont bildet, so über¬ blickt man eine in jeder Hinsicht völlig einheitliche Landschaft und vergißt, wie schwer es ist, oder welchen Umweg man machen muß, um dort hinüber zu gelangen. Die Entstehung neuer Kraftwerke wirkt noch mehr im Sinne der Uferverbindung. Nur die Schulweisheit erinnert uns, daß hier am linken Ufer Oberösterreich, dort drüben am rechten Ufer Niederösterreich ist. Die Enns zwischen Steyr und Stadt Enns ist ein recht natürliches Verkehrshindernis, aber offenbar eine recht „unnatürliche“, rein verwaltungsmäßig begreiflich scheinende Grenze. Die Grenze Die Begriffe: natürliche, unnatürliche, künstliche Grenzen usw. sind in der geographischen Wissenschaft längst einer Prüfung unterzogen22), z. T. verworfen und durch andere Begriffe ersetzt worden. Besonders N. Sieger hat um präzise 22) Maßgebende Werke zur politischen Geographie: F. Natzel, Politische Geographie, 3. Aufl., Berlin 1925; E. Schöne, Politische Geographie, Leipzig 1911; A. Supan, Leitlinien der allgemeinen politischen Geographie, 2. Aufl., München 1922; R. Reinhardt, Weltwirtschaftliche und politische Erdkunde, 6. Aufl., Breslau 1929; A. Dix, Politische Geographie, München 1921, Breslau 1922; O. Maull, Politische Geographie, Berlin 1925; Politische Geographie und Geopolitik. Geographischer Anzeiger 1926; R. Hennig, Geopolitik, Leipzig-Berlin 1928 u. v. a. 103

Oberösterreichische Heimatblätter Unterscheidung der Grenztypen gerungen23). Ohne auf die dort mit großer Gründ¬ lichkeit gegebene Terminologie näher einzugehen, zumal Siegers Einteilung nicht unangefochten blieb 24), darf doch gesagt sein, daß nach obigen Ausführungen die niederösterreichische Ennsgrenze als „Naturgrenze“, d. h. Hindernis¬ grenze, Verkehrsschranke gelten müßte25). Indessen äußert sich diese Eigenschaft doch recht lokal, d. h. auf enge, lokale Bedürfnisse beschränkt, und bei der Stadt Enns findet der Verkehr kaum mehr ein nennenswertes Hindernis außer dem Fluß selbst. Zwischen den Städten Enns und Steyr sind es die Ter¬ rassenlehnen und ihre Ungleichheit, die das Hindernis bilden; der Fluß kann bei normalem Wasserstande leicht überquert werden. So wäre die Ennsgrenze nach Siegers Terminologie bloß eine „naturentlehnte“ Grenze, indem der Stromstrich als die in der Natur gegebene, zum Zwecke der Grenzziehung entlehnte Linie verwendet wurde. Die Grenzlinie ist eine späte Errungenschaft des Menschen 26), die Enns als Grenze geht aber auf Zeiten zurück, die in der Epoche der Dämmerung zwischen vorgeschichtlichem Dunkel und geschichtlichem Lichte liegen. P. Reinecke hat die Ausbreitung der Sevaken bis an die untere Enns wahrscheinlich gemacht27). In römischer Zeit, besonders durch die Reichsreform Diokletians, wird die Ennsgrenze mit besonderer Schärfe betont 28), was später noch in der Rolle des hl. Florian als dem Schutzheiligen der Ennsgrenze29) zum Ausdrucke kommt. Von besonderem Interesse ist hier das Problem der bairischen Stammesgrenze. Nach der langen Zeit strittigster, Erklärungsversuche 30) wurde schließlich die Abstammung der Baiern allgemein auf die Markomannen zurück¬ geführt 31), eine Auffassung, die im wesentlichen auf K. Zeuß zurückgeht32), wenn auch einzelne Hinweise auf die Möglichkeit ostgermanischer Abstammung nie ver¬ schwanden 33). Demnach wären die Baiern aus Böhmen in ihre heutigen Wohn¬ sitze eingewandert, die im Alpenvorlande östlich bis zur Enns reichten34). An neuere Forschungen anknüpfend35), ist der Zweifel, ob die Baiern nicht ostgerma¬ nischen Stammes sind, wieder rege geworden. Gründliche Quellenstudien machen 23) N. Sieger, Natürliche und politische Grenze. Zur politisch-geographischen Terminologie 2. Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde, Berlin 1917/18, S. 62f und 503 f. 24) W. Vogel, Politische Geographie, Leipzig-Berlin, S. 116. 25) ebenda, S. 116. 20) O. Maull, Anthropogeographie, Berlin-Leipzig 1932, S. 110. 2) P. Reinecke, Die örtliche Bestimmung der antiken geographischen Namen für das rechts¬ rheinische Bayern. Der Bayerische Geschichtsfreund 1926, S. 24 ff. 28) J. Zibermayr, a. a. O., S. 6 ff. 20) ebenda, S. 329 ff. 30) Wilser, Herkunft der Bayern, 1905. 31) H. Widemann, Herkunft der Bayern. Forschungen zur Geschichte Bayerns 1916. 32) K. Zeuß, Die Herkunft der Bayern von den Markomannen. 1839. 33) Muth, Die Abstammung der Bajuwaren. Programm St. Pölten 1900. 2*) Prinzinger, Die Markomannen - Baiern-Wanderung. Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft, Wien 1914. 35) Br. Krusch, Der Bayername, Neues Archiv 47, 1928, S. 50 ff. 104

Moser: Die untere Enns als Hindernis und Grenze die Einwanderung der Baiern aus Osten, längs der Donau wahrscheinlicher; das Gebiet „zwischen Wienerwald und Enns“ war das erste Ziel ihrer Landnahme 36, Die Frage muß doch noch weiterhin strittig bleiben, weil sich die historisch-geogra¬ phischen Schlüsse mit den sprachwissenschaftlichen Forschungsergebnissen bisher schlechterdings nicht vereinbaren ließen37). Maßgebend für die Beurteilung der Enns als Grenze ist indessen, daß beide Auffassungen über Herkommen und Einwanderung der Baiern auf eine Ennsgrenze hinweisen. Der Hindernischarakter des breiten Naumes zwischen den hohen Terrassen findet darin seinen historischen Ausdruck. Der alte deutsche Sprachschatz kennt eben nur Marken, also Grenzsäume, und das Wort Grenze, das ist Grenzlinie, ist, kennzeichnenderweise aus dem Osten kommend, slawischen Ursprungs38). Bei aller Hemmung, die Volkswanderung und Verkehr hier finden mochten, der bairischen Landnahme, ob sie vom Westen oder Osten her erfolgte, ward durch das untere Ennstal allerdings keine end¬ gültige Schranke gesetzt. Mit dem um 700 anzusetzenden Fall von Lorch 39) sahen sich die Baiern sogar an die Traun zurückgedrängt, die nun bis Karls des Großen Avarenkrieg Bayerns Grenzwehr bildete“°). Es wäre eine überaus lohnende Aufgabe, die weitere Entwicklung der Ennsgrenze zu verfolgen, eine Aufgabe, die den Rahmen der vorliegenden Betrachtung völlig sprengen würde so daß auf einschlägige anderweitige Literatur verwiesen sei*1). Der Geograph macht eine aus der Betrachtung des Geländes sich ergebende Wahrnehmung, die sich schon mit den wenigen angedeuteten historischen Tatsachen deckt. So sehr das Gelände ein Hindernis schafft, die übersteilen, zum Teil rutschenden Lehnen sind keine das ganze rechte oder linke Ufer durchlaufend vorhandene Er¬ scheinung. Im Zuge der Entwicklung der Grenzlinie aus dem Saum wurde das Bedürfnis einer einheitlichen, geschlossenen Linie immer stärker. Damit rückte die Grenze von den isolierten, am weitesten voneinander entfernten Terrassen¬ rändern des Deckenschotters und der Hochterrasse auf die näher liegenden, auf längere Strecken hin einheitlich ausgeprägten Nieder- und deren Subterrassen¬ ränder herab, um endlich am tatsächlichen Flußufer als der geschlossensten, bis zur Mündung naturgegebenen Linie zur Ruhe zu kommen. Seit rund 900 bliel sie dort fest42). 30) J. Zibermayr, a. a. O., G. 75. 37) W. Schultze, Die Vorgeschichte der Bayern uff. in B. Gebharts Handbuch der Deutschen Geschichte, 6. Aufl. v. A. Meister, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1923. Bd 1, S. 146 f. 38) O. Maull, Politische Grenzen. Weltpolitische Bücherei, hsg. v. A. Grabowsky. Bd 3. 1928, S. 5 ff. 39) J. Zibermayr, a. a. O., S. 105 ff. 0) ebenda, S. 107 ff. 2) A. Mahr, Die älteste Besiedlung des Ennser Bodens. Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft, Wien 1916; J. Strnadt, Die Geburt des Landes ob der Enns, Linz 1886; Das Gebiet zwischen der Traun und Enns. Archiv für oesterreichische Geschichte Bd 94, 1907; M. Vancsa, Geschichte Nieder- und Oberösterreichs, 2 Bände, Gotha-Stuttgart, 1905, 1927. 12) J. Zibermayr, a. a. O., S. 377 ff. 105

Oberösterreichische Heimatblätter Die als Hindernis von der Natur, vom Gelände gegebene Grenze war zur „naturentlehnten“ Grenzlinie geworden. Es lag dies im Zuge der historischen Entwicklung, die im Gelände eine besondere Förderung fand. Historische Entwick¬ lung ist nicht kontinuierlich. Rascher Fortschritt wechselt mit nachhaltigen Rück¬ schlägen, und die sich in römischer Zeit abzeichnende Kristallisation der Grenzlinie an der Enns wurde in viel späterern Zeiten wiederholt unterbrochen. Wir sahen die Grenze zurückweichen zur Traun, der große Karl trug sie weit ins Avarenland vor, um 900 befestigt man wieder die Ennslinie, in der Babenberger¬ zeit schiebt sie sich stetig wieder vor. Je weiter sich Österreichs Grenze nach Osten vorverlegt, desto mehr verflüchtigt sich der Grenzcharakter der unteren Enns zu einem Typus, den man als bloße „traditionelle Grenze“ kennzeichnen möchte. verlockend die Aufgabe wäre, diese Entwicklung der Ennsgrenze darzustellen, nicht weniger lohnend wäre der Versuch, die Rückschläge zusammenzustellen. Diese Rückschläge äußern sich vor allem als Wiederbelebung der unteren Ennslinie als „Front“. So oft sich hier feindliche Truppen gegenüberstanden, so oft man hier Schanzen aufwarf, so oft darf man von einer solchen Rückbildung zur „Natur¬ grenze“ sprechen. Man könnte das österreichische Staatsgebiet als den Schwin¬ gungsraum ansprechen, über dem die Ostgrenze Mitteleuropas hin und her pendelt. So versteht auch der Schweizer Historiker K. Meyer die Lage seit 191843). Inn, Traun, Enns, Traisen, Leitha, Raab, Ostkarpathen sind die markanten Haltelinien. Ohne auch nur auf eine annähernd erschöpfende Aufzählung einzugehen, sei auf einige für sich sprechende, historische Ereignisse verwiesen. Jedes eingehendere Werk zur österreichischen Geschichte gibt darüber Aufschluß. Besonders Darstel¬ lungen zur Lokalgeschichte, z. B. der Stadt Steyr44), bringen eine Fülle von Hin¬ weisen, wie oft die Bewohner der Städte Enns und Steyr zu Schanzarbeiten an der „Ennslinie“ aufgerufen wurden, wie oft ihnen das Überschreiten der Enns verwehrt war. Z. B. in den Streitigkeiten Przemysl Ottokars II. mit Bela IV. und wiederholt später tritt immer wieder die Frage auf, ob die zwischen den Städten Enns und Steyr recht stabile Grenze sich nicht auch oberhalb Steyrs an den Fluß halten sollte; die Zuteilung Weyers und Gaflenz' zu Ober- und Nieder¬ österreich war oft strittig45). Das Zeitalter der Religionskriege und der damit Hand in Hand gehenden politischen Wirren wirft wiederholt ähnliche Fragen auf. Im dreißigjährigen Krieg, unter der Schwedengefahr, wurde die Ennslinie von Enns bis Steyr in Abwehrzustand gesetzt, bei Ernsthofen, Haidershofen als typischen Stellen des Terrassengeländes entstanden berühmte Schanzen. 1 und 1683 sind die Jahre der größten Türkennot. Jenseits, das ist östlich der Enns, 23) K. Meyer, Wie der Historiker die Lage der Schweiz im Frühjahr 1936 sah. Nachschrift eines Vortrages, gehalten im März 1936 in der Berner Offiziersgesellschaft. Schweizer Annalen, Aarau 1944, Nr. 1, S. 40 ff, speziell S. 47 f. **) F. X. Pritz, Beschreibung der Geschichte der Stadt Steyr und ihrer nächsten Umgebungen, Linz 1837 u. a. m. 25) ebenda, S. 120. 106

Moser: Die untere Enns als Hindernis und Grenze streiften die türkischen „Senger und Brenner“. Nur weil das Hauptheer bei Wien gebunden war, kam es zu keiner Schlacht an der Enns. Im spanischen Erbfolge¬ krieg lag eine verkehrte Sachlage vor: Abwehr gegen Westen. „Zuerst wurden die Ufer der Enns genau untersucht und die 1683 errichteten Schanzen und Ver¬ teidigungsanstalten in Augenschein genommen“, berichtet der Chronist zur Jahres¬ wende 1703/04“6). Dieselbe Verkehrung der Lage, die Ennslinie als Abwehr gegen Westen kennzeichnet die Ereignisse im österreichischen Erbfolgekrieg. Die bayrischen Kräfte besetzten das Land bis zur Enns, östlich davon standen die Österreicher, bis ins Gebirge fielen die Ennsbrücken und Stege der Sperre zun Opfer. Ähnlich geschah es im zweiten Koalitionskriege, dessen Waffenstillstand zu Steyr geschlossen wurde. Westlich der Enns standen die Franzosen, die Öster reicher räumten das ganze Westufer (25. 12. 1800), eine Situation, die fast zwei Monate über den Frieden von Lunéville (9. 2. 1801) währte. Die Ereignisse des dritten Koalitionskrieges an der Enns haben in plastischer Form in Tolstois Roman „Krieg und Frieden“ ihren dichterischen Niederschlag gefunden: Die Kämpfe, besonders der Übergang der Pawlograder Husaren über die Enns unter dem Feuer der am Terrassenrand aufgefahrenen französischen Artillerie läßt deut¬ lich die Ausnützung des Geländes durch die Truppen erkennen. 1809 war der Hauptkampf dieses Raumes an der Traun, bei Ebelsberg, nach dem die öster¬ reichische Nachhut über die Enns weicht und bei Dorf a. d. Enns, Haidershofen und Steyr Stellung bezieht; ab 17. Mai wurde die Ennslinie gesperrt “7). Der jüngste Rückfall in den Zustand der Enns als wirksame, tatsächlich gesperrte Grenze am 4. Mai 1945 ist eingangs erwähnt worden; der Zustand dauert mit geringen Erleichterungen noch an. Die über einzelne Hinweise kaum hinausgehende, obige Abhandlung kann in Verdacht kommen, ein geopolitischer Aufsatz zu sein. Ein geopolitischer Einschlag soll auch nicht bestritten sein. Geopolitik als Grenzdisziplin zwischen Geographie und wissenschaftlicher Politik im Sinne Grabowskys4s) hat ihre wissenschaftliche Berechtigung. Sie hat daher auch heute ihre ernsten Vertreter, die in sachlichen Erwägungen Für und Wider erörtern“9). Der Generalfehler vieler geopolitischer Abhandlungen, dort Erkenntnisse und geographische Gesetze feststellen zu wollen wo bloß Wahrnehmungen und geographische Erscheinungen vorliegen, wurde in obigen Ausführungen zu vermeiden gesucht. Es ist abzulehnen, daß die untere Enns als Hindernis Grenze werden „mußte“. Letzten Endes hätte alles ebensogu anders werden können, und wo in grauer Vergangenheit die Natur den Menschen in seinem Tun und Lassen noch scharf am Zügel hält, hat sich im Laufe der Zeit 26) Manuskriptbericht des Martin Eitelberger, ebenda S. 320 f. 47) Pritz, a. a. O., S. 362 ff. ’8) A. Grabowsky, Politik, 1. Aufl. Berlin-Wien 1932. *) Harold A. Innis and Jan O. M. Broek, Geography and Nationalism: A. Discus¬ sion. Geographical Review, Published by The American Geographical Society of New York, April 1945, p. 301 ff. 107

Oberösterreichische Heimatblätter der Zwang gemildert. „Die Bande sind elastischer geworden, aber sie bestehen dennoch weiter“ 50). Das Terrassenland zu beiden Seiten des Ennsunterlaufes hat Eigenschaften, die sich unter gegebenen Umständen als starkes Hindernis, besonders für Bewegungen in der Ost-West-Richtung erweisen. Die das öster¬ reichische Alpenvorland querenden Flußtäler sind geopolitisch empfindlich reagie¬ rende Linien. Solange die Kräfte, die den durchlaufenden Verkehr bedingen, gleich stark sind, tritt der Hindernischarakter mehr und mehr zurück; von beiden Seiten her besteht die Tendenz der möglichst glatten Überwindung des Hindernisses. So¬ wie aber auf einer Seite ein Bewegungsüberschuß entsteht, bzw. auf der anderen Seite die Tendenz der Bewegungshemmung, treten die natürlichen Hindernisse in Wirksamkeit. Unter ihnen weist das untere Ennstal eine besondere Eignung auf. Soweit allenfalls die geopolitische Wahrnehmung. Sie ist aber nicht Zweck dieses Aufsatzes. Dieser steht vielmehr in landschaftskundlichem Dienste. Denn die landschaftskundliche Kennzeichnung des unteren Ennstales ist mit der Zu¬ sammenfassung des Bildes, wie sie oben versucht wurde, keineswegs erschöpft Bei aller Gedrängtheit trifft N. Krebs den Wesenskern weit besser als Diwald 51 „Nur der heutige Flußlauf hat die Niederterrassenschotter noch nicht durchsägt und bekommt deshalb von Steyr abwärts keinen oberirdischen Zufluß mehr. Steile Wände umsäumen das cannonartig gestaltete Tal. Bahnen und Straßen folgen den benachbarten Schotterterrassen, deren unterste infolge des steinigen Bodens noch bedeutende Reste des altberühmten Ennswaldes trägt“ 52). Dieser Enns¬ wald, z. B. der Herzograderwald zwischen St. Valentin und Ernsthofen, ist der alte Grenzwald. Das Landschaftsbild an der unteren Enns entbehrt besonderer, oder doch besonders in die Augen springender Reize. Auf den glatten Terrassenfluren ver¬ mag allenfalls das an Föhntagen greifbar nahe scheinende Gebirge den Blick zu fesseln. Über den stillen Wäldern liegt kaum ein Teil der Waldromantik selbst der sanften Flyschvorberge. Aber auf hohem Terrassenrande läßt sich's gut ins Tal hinunterträumen, um so besser, wenn das Wissen um geschichtliches Walten über bloße lyrische Stimmung hinausführt. Nicht bloß das Terrassengelände, sondern auch der geschichtliche Inhalt, wie beides in Grund- und Aufriß der Städte Enns und Steyr den schönen baulichen Ausdruck findet, gibt dieser Landschaft ihr individuelles Gepräge, auch dort, wo die geschichtlichen Spuren erloschen sind. H. Spethmann hat solches für eine ganz andere Landschaft - zu bestreiten gesucht 53). Man kann sich schwerlich solcher Auffassung anschließen und nähme auch einer Landschaft, wie oben gezeigt, einen integrierenden Teil ihres wesent¬ lichen Inhaltes. 50) N. Krebs, Die Verbreitung des Menschen auf der Erdoberfläche, Leipzig-Berlin 1921, Seite 13. 51) siehe oben Anm. 6. 52) N. Krebs, Ostalpen, Bd 2, S. 370. 53) H. Spethmann, Dynamische Länderkunde, Breslau 1928, S. 30 ff. 108

Oberösterreichische Heimatblätter der Zwang gemildert. „Die Bande sind elastischer geworden, aber sie bestehen dennoch weiter“50). Das Terrassenland zu beiden Seiten des Ennsunterlaufes hat Eigenschaften, die sich unter gegebenen Umständen als starkes Hindernis, besonders für Bewegungen in der Ost-West-Richtung erweisen. Die das öster¬ reichische Alpenvorland querenden Flußtäler sind geopolitisch empfindlich reagie¬ rende Linien. Solange die Kräfte, die den durchlaufenden Verkehr bedingen, gleich stark sind, tritt der Hindernischarakter mehr und mehr zurück; von beiden Seiten her besteht die Tendenz der möglichst glatten Überwindung des Hindernisses. So¬ wie aber auf einer Seite ein Bewegungsüberschuß entsteht, bzw. auf der anderen Seite die Tendenz der Bewegungshemmung, treten die natürlichen Hindernisse in Wirksamkeit. Unter ihnen weist das untere Ennstal eine besondere Eignung auf. Soweit allenfalls die geopolitische Wahrnehmung. Sie ist aber nicht Zweck dieses Aufsatzes. Dieser steht vielmehr in landschaftskundlichem Dienste. Denn die landschaftskundliche Kennzeichnung des unteren Ennstales ist mit der Zu¬ sammenfassung des Bildes, wie sie oben versucht wurde, keineswegs erschöpft. Bei aller Gedrängtheit trifft N. Krebs den Wesenskern weit besser als Diwald 51) „Nur der heutige Flußlauf hat die Niederterrassenschotter noch nicht durchsägt und bekommt deshalb von Steyr abwärts keinen oberirdischen Zufluß mehr. Steile Wände umsäumen das cannonartig gestaltete Tal. Bahnen und Straßen folgen den benachbarten Schotterterrassen, deren unterste infolge des steinigen Bodens noch bedeutende Reste des altberühmten Ennswaldes trägt“ 52). Dieser Enns¬ wald, z. B. der Herzograderwald zwischen St. Valentin und Ernsthofen, ist der alte Grenzwald. Das Landschaftsbild an der unteren Enns entbehrt besonderer, oder doch besonders in die Augen springender Reize. Auf den glatten Terrassenfluren ver¬ mag allenfalls das an Föhntagen greifbar nahe scheinende Gebirge den Blick zu fesseln. Über den stillen Wäldern liegt kaum ein Teil der Waldromantik selbst der sanften Flyschvorberge. Aber auf hohem Terrassenrande läßt sich's gut ins Tal hinunterträumen, um so besser, wenn das Wissen um geschichtliches Walten über bloße lyrische Stimmung hinausführt. Nicht bloß das Terrassengelände, sondern auch der geschichtliche Inhalt, wie beides in Grund- und Aufriß der Städte Enns und Steyr den schönen baulichen Ausdruck findet, gibt dieser Landschaft ihr individuelles Gepräge, auch dort, wo die geschichtlichen Spuren erloschen sind. H. Spethmann hat solches — für eine ganz andere Landschaft — zu bestreiten gesucht 53). Man kann sich schwerlich solcher Auffassung anschließen und nähme auch einer Landschaft, wie oben gezeigt, einen integrierenden Teil ihres wesent¬ lichen Inhaltes. 50) N. Krebs, Die Verbreitung des Menschen auf der Erdoberfläche, Leipzig-Berlin 1921, Seite 13. 51) siehe oben Anm. 6. 52) N. Krebs, Ostalpen, Bd 2, S. 370. 53) H. Spethmann, Dynamische Länderkunde, Breslau 1928, S. 30 ff. 108

Oberösterreichische Heimatblätter Banhae. Ansicht der Schaunburg aus der Topographie von Georg Matthäus Vische also ihre Besitzungen unmittelbar von den deutschen Kaisern zu Lehen und be¬ trachteten sich als vollkommen unabhängige Fürsten in ihrem Machtbereich. Sie gingen selbständig Bündnisse mit den Herzogen von Bayern ein, führten großen Hof und hielten Truchsessen und Schenken wie die Landesfürsten. Bei dieser Machtfülle ist es glaubhaft, daß einer von ihnen den stolzen Ausspruch geprägt haben soll, in seiner Person seien Papst, König, Bischof und Dechant vereinigt. Seitdem den Habsburgern die österreichischen Lande verliehen worden waren, erstrebten sie die Konsolidierung der Landeshoheit in ihrem Gebiet. In Verfolg dieser Politik kam es 1380 zu schwerer Fehde zwischen dem Schaunberger Hein¬ rich VIII. und dem österreichischen Herzog Albrecht III. mit dem Zopfe (1349 bis 1395). Im Verlaufe dieser Auseinandersetzung belagerte Albrecht 1381 die Schaunburg, konnte sie aber nicht bezwingen. Der Kampf endete mit dem Schieds¬ spruch von Nürnberg 1383 und der Abmachung von Linz aus dem gleichen Jahre zu Ungunsten der Schaunberger. Sie mußten verschiedene große Besitzungen ab¬ treten und sich vor allem dazu verstehen, die Oberlehenshoheit der österreichischen Herzoge anzuerkennen. Mit dem Grafen Wolfgang, der 1559 die Augen schloß, erlosch das einst so mächtige Dynastengeschlecht. Die ausgedehnten Besitzungen wurden geteilt. Die Schaunburg, Eferding, Mistelbach, Peuerbach und andere Güter kamen durch Anna von Schaunberg, die Schwester Wolfgangs und Gemahlin des Erasmus 110

Oberleitner: Unbekannte Ansichten der Schaunburg von Starhemberg an dieses Haus, Wolf von Liechtenstein erhielt als Oheim des letzten Schaunbergers die Burgen Aschach und Stauf Mit dem Anwachsen der äußeren Macht der Schaunberger und mit der Ver¬ vollkommnung der Angriffs- und Abwehrwaffen wurde von ihnen auch die Burg allmählich zu jener gewaltigen Anlage ausgebaut, die mit ihren Graben, Ring¬ mauern und planmäßig angelegten Vorwerken jenes große Verteidigungssystem umschloß, wie es uns in einem Ölbild um 1600 im Schloß Eferding erhalten ist und wie es uns Matthäus Merian in seiner „Topographia Provinciarum Austriacarum“ 1649 auf der Ansicht von Aschach skizzenhaft andeutet. Ein anschau¬ licheres Bild der gesamten großen Burganlage hat uns der österreichische Geist¬ liche Georg Matthäus Vischer in seiner „Topographia Austriae Superioris Modernae. Das ist Contrafee über die Abbildung aller Stätt. Clöster, Herr¬ schafften und Schlösser des Erz-Herzogthums Österreich, ob der Enns“ 1674 geschenkt. Zu diesen bisher bekannten Bildern der Schaunburg treten jetzt neue An¬ sichten dieser Feste. Im Besitze des Oberösterreichischen Landesarchivs befindet sich ein Stamm- und Schlösserbüchl, das Johann Seyfried Hager von Allensteig (1611— 1687) in den Jahren 1661—1670 angefertigt hat. Es enthält kolo¬ rierte Ansichten der oberösterreichischen Herrschaftssitze, die Wappen und teilweise die Unterschriften der zeitgenössischen Herrschaftsbesitzer. In diesem kostbaren Werkchen befindet sich auch ein Aquarellbild der Schaunburg. Die Wiedergaben der Objekte sind aber klein und ziemlich schematisch gehalten. Viel wichtiger und wertvoller ist für uns ein Fund, den Georg Grüll im Stiftsarchiv Lambach gemacht hat. Bei dessen Neuordnung fand sich eine Eingabe des Pflegers Hans Kaspar Köck aus Schloß Gstöttenau (an der Straße Aschach — Pupping — Eferding, 1884 abgetragen) mit Datum vom 26. April 1670 an den Abt von Lambach (Placidus Georg Hieber von Greifenstein, geb. 1616, gest. 1678, Abt seit 1640, als Vormund für den minderjährigen Grafen Maximilian Reichard Starhemberg, geb. 1655. Im letzten Teil dieses Schreibens ersucht Köck den Abt des Stiftes, er möge die von seinem verstorbenen Grafen angefangene Reparation des Schlosses Schaunberg „per Extra Ordinari Mittel nach und nach fortzusetzen, so dero zu unsterblichen Lob, und Ruhm gereichet, gl. belieben lassen, damit die Wohnung oder Schloß der Herrschafft und Underthanen gleichformig also alles und eines wie das andere in guaten wesen und Standt“. Der Pfleger begründet das Ansuchen damit, daß das von dem „Höchst Löbl. Erz Hauß Österreich zur Lehen rührendte Schloß Schaunberg“ das uralte Stamm¬ haus der Grafen von Schaunberg, daß dieses in Kriegszeiten ein sicherer Ort sei, wohin die Untertanen und die ganze Nachbarschaft samt den Ihrigen Zuflucht nehmen könnten und daß das Schloß zur Türkenzeit als solcher Zufluchtsort er¬ nannt wurde daß die Kreidenschuß (Alarmschüsse) darob sollen getan werden“ Gerade dieser zuletzt angeführte Grund war sehr zeitgemäß, da einige Jahre zuvor die Türkengefahr auch für Oberösterreich drohend gewesen war. Bereits 111

Oberösterreichische Heimatblätter 1660 hatten die Osmanen gegen Kaiser Leopold I. den Kampf eröffnet, Gro߬ wardein erobert und im weiteren Verlaufe mehrere Festungen in Ungarn an sich gebracht. Die Tataren waren sengend und brennend bis Preßburg, nach Mähren und Schlesien vorgestoßen. Die Nachrichten lauteten immer bedrohlicher, so daß die Stände am 18. August 1663 den Befehl erteilten, daß sich jeder dreißigste Mann des Traun- und Hausruckviertels an der Enns, des Mühl- und Mach¬ landviertels bei Königswiesen an der Grenze von Niederösterreich einzufinden hätte, um die alten Schanzen instand zu setzen und neue aufzurichten. Am 11. September erging das Aufgebot für jeden fünften Mann. Die drohende Gefahr wurde ge¬ bannt, da am 1. August 1664 Graf Montecuccoli seinen großen Sieg bei St. Gott¬ hard an der Raab gegen den gefürchteten Feind errang. Immerhin wurden die letzten aufgebotenen Männer erst im November 1664 nach Hause entlassen. Schließlich gibt der Antragsteller zu bedenken, daß die bereits durchgeführter Restaurierungsarbeiten umsonst gewesen wären, wenn diese nicht fortgesetzt würden Der Eingabe Köcks sind drei Tuschpinselzeichnungen beigeschlossen. Das erste Blatt zeigt die Gesamtansicht des Schlosses gegen Norden vom Beschauer aus gesehen, das zweite vom Süden aus und das dritte bringt eine Detailaufnahme der drei weit vorgeschobenen Türme der Vorburg. Die Blätter sind in mehrfacher Hinsicht äußerst interessant. Sie sind flott gezeichnet und verraten eine künstlerisch geschulte Hand. Verblüffend ist die moderne Auffassung des landschaftlichen Elements, die ruhig einem Künstler des 19. Jahr¬ hunderts zugewiesen werden könnte. Besonders die zweite Ansicht mit dem Blick auf Pupping und das dahinter liegende Land mutet gegenwartsnahe an. Leider enthält das Begleitschreiben des Pflegers gar keinen Anhaltspunkt, wer der Zeichner der Bilder ist. In Bezug auf den topographischen Wert gewinnt man bei ihrer Betrachtung unbedingt den Eindruck, daß sie eine absolut verläßliche, naturgetreue Wiedergabe der Burg und des Landschaftsbildes sind. Darin liegt nun für unsere Heimat¬ kunde der überragende Wert der drei Zeichnungen. Durch sie gewinnen wir jetzt ein ganz genaues Bild der einstmals größten Burganlage Oberösterreichs, ihres planvoll durchdachten Verteidigungssystems und ihrer eindrucksvollen architek tonischen Gesamtgestaltung. Erhöht wird der Wert der Ansichten noch dadurch, daß diesen eine genaue, numerierte Beschreibung der einzelnen Teile der Veste bei¬ gegeben ist: Bild 1: Erste Seitten gegen der Thonau. 1. Das Inner Schloß. 2. Thurn darinnen. 3. Capelle. 4. Prustwehr und gang zur Defension. 5. Merere Zimmer, darinnen die Fenster, Thüren etc. mangeln. 6. Altan, oder Lust Hauß. 7. reparirter Turn, und Zwinger. 8. Diefer Graben und pruckhen. 9. reparirte pasteimaur. 10. Thraydt Kasten. 11. wider ein graben und Prückhl. 12. reparirte pasteymaur. 13. Mer ein reparirte der¬ gleichen hoch: und starckhe Maur. 14. Das Haubtthor. 15. Pulverthurn. 16. repa¬ rirte Rinckhmaur. 17. auf zweyen Seiten allerdings eingefallener Eckthurn. 18. 112

Oberleitner: Unbekannte Ansichten der Schaunburg Hoche dickhe ganz ohne Dach steende sehr eingefallene Rinckhmaur, 19. Anderte Eckthurn, so vor unvordenckhlichen Jahren beschossen worden und mit Schließen zuversorgen. 20. ein starckher hocher Turn. 21. Hoftaferne. 22. Diener Heißl. 23. ein guatenteils eingefallene Maur. 24. ein diefer graben. Bild 2: Anderte Seiten deß Schloß. 1. Der auf zweyen Seiten allerdings eingefallene Eckhthurn. 2. ein hocher starkher Turn. 3. Eckhthurn so mit Schließen zuverwaren. 4. ohne Dachung steende Hoche dickhe sehr schadthafte Maur. 5. daß Thor. 6. ein diefer Graben. 7. ein faßt dergleichen Hoche uneingedeckhte schadthafte Maur. 8. Rinckhmaur. 9. Stallung. 10. Rinckhmaur. 11. diefer graben. 12. Maur in Innern Schloß darob ein Prustwör oder gang. 13. Schülder Heißel. 14. Absonderlicher Stockh im Innern Schloß die Canzley genannt. 15. Schülder Heißl. 16. ein von grundl aus hoche starckhe Maur in formb eines rundels bis zur Capelle, darob ein gang und Prustwöhr. 17. Closter Pupping. Bild 3. Gegen den Innern Schloß Inwendig herein. 1. Der eingefallene Turn. 2. ein starckher Hocher Turn. 3. Thurn so mit schließen zuverwahren. 4. uneingedeckhte Rinckhmaur. 5. daß Thor. Die erste Ansicht zeigt sehr instruktiv die Dreiteilung der Burganlage: Die Hoftaverne, die nur über eine Brücke zugänglich war und die zweite Brücke zur großen Vorburg schützen sollte. Durch zwei tiefe Graben getrennt, steigt die eigentliche Hauptburg mit dem gewaltigen Berchfrit empor, die mit der gotischen Burgkapelle ihren würdigen Abschluß findet. Nach einem Inventar des Pflegers Mathias Adam Namersdorfer aus dem Jahre 1661 besaß die den Aposteln Petrus und Paulus geweihte Kapelle damals noch folgende Einrichtung: Hoch¬ altar mit dem großen Altarbild „darrinnen der Prunnen der Seite Christi" mit den vier Evangelisten und etwas aus dem alten Testament gemalt ist; ein Kruzifi¬ ganz neu gemacht, zwei messingene Altarleuchter. Altar zur Rechten: zwei hölzerne, gelbgemalte Leuchter. Altar zur Linken: ein Altarstück, ein Kruzifix, neu gefaßt, zwei hölzerne Leuchter, fünf steinerne große Bilder, acht Kirchenstühle, die Para¬ mente und Altargeräte. Die Burgkapelle tritt über die Zingel hinaus. Gewiß nötigte dazu nicht der Naummangel, aber man wollte wie anderswo auch hier das Gotteshaus schon von weitem erkennbar gestalten. Um dieses zu erreichen, mußte der aus der Umfassungsmauer hinaustretende Chor aus großer Tiefe heraus¬ gebaut werden, da gerade hier der Berg steil absinkt. Die drei Zeichnungen sind aber auch noch von einem anderen Gesichtspunkt aus sehr beachtenswert. Sie fallen zeitlich mit der Ansicht zusammen, die uns Georg Matthäus Vischer in seiner Topographie hinterlassen hat. Vischer wurde 1628 in Wenns in Tirol geboren, war Kaplan in Andrichsfurt im Innkreis, 1666 bis 1669 Pfarrer in Leonstein und hierauf einige Jahre Geograph der niederöster¬ reichischen Stände. Ab 1684 betätigte er sich als Mathematicus und Lehrer der kaiserlichen Edelknaben. 1696 fand er Aufnahme im Stifte Kremsmünster. Hier wirkte er noch kurze Zeit als Lehrer der Geographie, Mathematik und Karto¬ 113

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