OÖ. Heimatblätter 1947, 1. Jahrgang, Heft 2

Moser: Die untere Enns als Hindernis und Grenze Das sind Beispiele für ausgeprägte, weit durchlaufende Terrassenfluren, die auf beiden Ufern in ausreichendem Maße vorhanden sind. Nicht überall ist solches der Fall. Südlich Ernsthofen fehlen am rechten Prallufer zwischen den Koten 270 m und 360 m alle Zwischenniveaus. So ergibt sich aus den bisherigen Betrachtungen das Bild eines Ver¬ kehrshindernisses, wie man dies aus der Betrachtung auch einer Spezial¬ karte nicht sofort schließen würde. Selbst eine einfache Begehung dieser Landschaft läßt diesen Umstand nicht mit aller Schärfe ins Auge springen. Denn die horizon¬ tale Linie beherrscht das Bild. Die Terrassenfluren erscheinen eben wie Tisch¬ platten; im Horizont herrscht ebenfalls die waagrechte Linie, die umso stärker empfunden wird, wenn in diesem echten Stück Alpenvorland vom hohen Terrassen¬ rand aus die unruhige Silhouette des nahen Alpenrandes sichtbar wird, im Ver¬ gleich zu der die Terrassenlehnen ein bloßes Nichts erscheinen. Und wo man sich entlang einem Terrassenrand selbst 15, 30, 60 m über dem Wasser, hart am fast senkrechten Absturz der Lehne fortbewegt, man geht „am Ufer“ der Enns und ver¬ gißt den Niveauunterschied hüben und drüben. Denn hüben und drüben ist ja doch gleiches Land. Dieselben ebenen, oder doch kaum merkbar geneigten Terrassen¬ fluren mit denselben steilen Lehnen; dieselben Gleit- und Prallhänge; dieselben Felder auf den höheren Fluren, dieselben Wälder auf der Niederterrasse, die kahlen oder staudenbewachsenen Lehnen; dieselben z. T. prachtvollen Vierkant¬ höfe, oft hart an den Terrassenrand gerückt; dieselben Menschen dort wie da. Steht man auf der Höhe des Deckenschotters des linken Ufers und blickt hinüber, wo der korrespondierende Terrassenrand auf dem rechten Ufer den Horizont bildet, so über¬ blickt man eine in jeder Hinsicht völlig einheitliche Landschaft und vergißt, wie schwer es ist, oder welchen Umweg man machen muß, um dort hinüber zu gelangen. Die Entstehung neuer Kraftwerke wirkt noch mehr im Sinne der Uferverbindung. Nur die Schulweisheit erinnert uns, daß hier am linken Ufer Oberösterreich, dort drüben am rechten Ufer Niederösterreich ist. Die Enns zwischen Steyr und Stadt Enns ist ein recht natürliches Verkehrshindernis, aber offenbar eine recht „unnatürliche“, rein verwaltungsmäßig begreiflich scheinende Grenze. Die Grenze Die Begriffe: natürliche, unnatürliche, künstliche Grenzen usw. sind in der geographischen Wissenschaft längst einer Prüfung unterzogen22), z. T. verworfen und durch andere Begriffe ersetzt worden. Besonders N. Sieger hat um präzise 22) Maßgebende Werke zur politischen Geographie: F. Natzel, Politische Geographie, 3. Aufl., Berlin 1925; E. Schöne, Politische Geographie, Leipzig 1911; A. Supan, Leitlinien der allgemeinen politischen Geographie, 2. Aufl., München 1922; R. Reinhardt, Weltwirtschaftliche und politische Erdkunde, 6. Aufl., Breslau 1929; A. Dix, Politische Geographie, München 1921, Breslau 1922; O. Maull, Politische Geographie, Berlin 1925; Politische Geographie und Geopolitik. Geographischer Anzeiger 1926; R. Hennig, Geopolitik, Leipzig-Berlin 1928 u. v. a. 103

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2