OÖ. Heimatblätter 1947, 1. Jahrgang, Heft 2

Oberösterreichische Heimatblätter Unterscheidung der Grenztypen gerungen23). Ohne auf die dort mit großer Gründ¬ lichkeit gegebene Terminologie näher einzugehen, zumal Siegers Einteilung nicht unangefochten blieb 24), darf doch gesagt sein, daß nach obigen Ausführungen die niederösterreichische Ennsgrenze als „Naturgrenze“, d. h. Hindernis¬ grenze, Verkehrsschranke gelten müßte25). Indessen äußert sich diese Eigenschaft doch recht lokal, d. h. auf enge, lokale Bedürfnisse beschränkt, und bei der Stadt Enns findet der Verkehr kaum mehr ein nennenswertes Hindernis außer dem Fluß selbst. Zwischen den Städten Enns und Steyr sind es die Ter¬ rassenlehnen und ihre Ungleichheit, die das Hindernis bilden; der Fluß kann bei normalem Wasserstande leicht überquert werden. So wäre die Ennsgrenze nach Siegers Terminologie bloß eine „naturentlehnte“ Grenze, indem der Stromstrich als die in der Natur gegebene, zum Zwecke der Grenzziehung entlehnte Linie verwendet wurde. Die Grenzlinie ist eine späte Errungenschaft des Menschen 26), die Enns als Grenze geht aber auf Zeiten zurück, die in der Epoche der Dämmerung zwischen vorgeschichtlichem Dunkel und geschichtlichem Lichte liegen. P. Reinecke hat die Ausbreitung der Sevaken bis an die untere Enns wahrscheinlich gemacht27). In römischer Zeit, besonders durch die Reichsreform Diokletians, wird die Ennsgrenze mit besonderer Schärfe betont 28), was später noch in der Rolle des hl. Florian als dem Schutzheiligen der Ennsgrenze29) zum Ausdrucke kommt. Von besonderem Interesse ist hier das Problem der bairischen Stammesgrenze. Nach der langen Zeit strittigster, Erklärungsversuche 30) wurde schließlich die Abstammung der Baiern allgemein auf die Markomannen zurück¬ geführt 31), eine Auffassung, die im wesentlichen auf K. Zeuß zurückgeht32), wenn auch einzelne Hinweise auf die Möglichkeit ostgermanischer Abstammung nie ver¬ schwanden 33). Demnach wären die Baiern aus Böhmen in ihre heutigen Wohn¬ sitze eingewandert, die im Alpenvorlande östlich bis zur Enns reichten34). An neuere Forschungen anknüpfend35), ist der Zweifel, ob die Baiern nicht ostgerma¬ nischen Stammes sind, wieder rege geworden. Gründliche Quellenstudien machen 23) N. Sieger, Natürliche und politische Grenze. Zur politisch-geographischen Terminologie 2. Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde, Berlin 1917/18, S. 62f und 503 f. 24) W. Vogel, Politische Geographie, Leipzig-Berlin, S. 116. 25) ebenda, S. 116. 20) O. Maull, Anthropogeographie, Berlin-Leipzig 1932, S. 110. 2) P. Reinecke, Die örtliche Bestimmung der antiken geographischen Namen für das rechts¬ rheinische Bayern. Der Bayerische Geschichtsfreund 1926, S. 24 ff. 28) J. Zibermayr, a. a. O., S. 6 ff. 20) ebenda, S. 329 ff. 30) Wilser, Herkunft der Bayern, 1905. 31) H. Widemann, Herkunft der Bayern. Forschungen zur Geschichte Bayerns 1916. 32) K. Zeuß, Die Herkunft der Bayern von den Markomannen. 1839. 33) Muth, Die Abstammung der Bajuwaren. Programm St. Pölten 1900. 2*) Prinzinger, Die Markomannen - Baiern-Wanderung. Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft, Wien 1914. 35) Br. Krusch, Der Bayername, Neues Archiv 47, 1928, S. 50 ff. 104

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