OÖ. Heimatblätter 1947, 1. Jahrgang, Heft 2

Moser: Die untere Enns als Hindernis und Grenze streiften die türkischen „Senger und Brenner“. Nur weil das Hauptheer bei Wien gebunden war, kam es zu keiner Schlacht an der Enns. Im spanischen Erbfolge¬ krieg lag eine verkehrte Sachlage vor: Abwehr gegen Westen. „Zuerst wurden die Ufer der Enns genau untersucht und die 1683 errichteten Schanzen und Ver¬ teidigungsanstalten in Augenschein genommen“, berichtet der Chronist zur Jahres¬ wende 1703/04“6). Dieselbe Verkehrung der Lage, die Ennslinie als Abwehr gegen Westen kennzeichnet die Ereignisse im österreichischen Erbfolgekrieg. Die bayrischen Kräfte besetzten das Land bis zur Enns, östlich davon standen die Österreicher, bis ins Gebirge fielen die Ennsbrücken und Stege der Sperre zun Opfer. Ähnlich geschah es im zweiten Koalitionskriege, dessen Waffenstillstand zu Steyr geschlossen wurde. Westlich der Enns standen die Franzosen, die Öster reicher räumten das ganze Westufer (25. 12. 1800), eine Situation, die fast zwei Monate über den Frieden von Lunéville (9. 2. 1801) währte. Die Ereignisse des dritten Koalitionskrieges an der Enns haben in plastischer Form in Tolstois Roman „Krieg und Frieden“ ihren dichterischen Niederschlag gefunden: Die Kämpfe, besonders der Übergang der Pawlograder Husaren über die Enns unter dem Feuer der am Terrassenrand aufgefahrenen französischen Artillerie läßt deut¬ lich die Ausnützung des Geländes durch die Truppen erkennen. 1809 war der Hauptkampf dieses Raumes an der Traun, bei Ebelsberg, nach dem die öster¬ reichische Nachhut über die Enns weicht und bei Dorf a. d. Enns, Haidershofen und Steyr Stellung bezieht; ab 17. Mai wurde die Ennslinie gesperrt “7). Der jüngste Rückfall in den Zustand der Enns als wirksame, tatsächlich gesperrte Grenze am 4. Mai 1945 ist eingangs erwähnt worden; der Zustand dauert mit geringen Erleichterungen noch an. Die über einzelne Hinweise kaum hinausgehende, obige Abhandlung kann in Verdacht kommen, ein geopolitischer Aufsatz zu sein. Ein geopolitischer Einschlag soll auch nicht bestritten sein. Geopolitik als Grenzdisziplin zwischen Geographie und wissenschaftlicher Politik im Sinne Grabowskys4s) hat ihre wissenschaftliche Berechtigung. Sie hat daher auch heute ihre ernsten Vertreter, die in sachlichen Erwägungen Für und Wider erörtern“9). Der Generalfehler vieler geopolitischer Abhandlungen, dort Erkenntnisse und geographische Gesetze feststellen zu wollen wo bloß Wahrnehmungen und geographische Erscheinungen vorliegen, wurde in obigen Ausführungen zu vermeiden gesucht. Es ist abzulehnen, daß die untere Enns als Hindernis Grenze werden „mußte“. Letzten Endes hätte alles ebensogu anders werden können, und wo in grauer Vergangenheit die Natur den Menschen in seinem Tun und Lassen noch scharf am Zügel hält, hat sich im Laufe der Zeit 26) Manuskriptbericht des Martin Eitelberger, ebenda S. 320 f. 47) Pritz, a. a. O., S. 362 ff. ’8) A. Grabowsky, Politik, 1. Aufl. Berlin-Wien 1932. *) Harold A. Innis and Jan O. M. Broek, Geography and Nationalism: A. Discus¬ sion. Geographical Review, Published by The American Geographical Society of New York, April 1945, p. 301 ff. 107

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