OÖ. Heimatblätter 1947, 1. Jahrgang, Heft 2

Oberösterreichische Heimatblätter Die als Hindernis von der Natur, vom Gelände gegebene Grenze war zur „naturentlehnten“ Grenzlinie geworden. Es lag dies im Zuge der historischen Entwicklung, die im Gelände eine besondere Förderung fand. Historische Entwick¬ lung ist nicht kontinuierlich. Rascher Fortschritt wechselt mit nachhaltigen Rück¬ schlägen, und die sich in römischer Zeit abzeichnende Kristallisation der Grenzlinie an der Enns wurde in viel späterern Zeiten wiederholt unterbrochen. Wir sahen die Grenze zurückweichen zur Traun, der große Karl trug sie weit ins Avarenland vor, um 900 befestigt man wieder die Ennslinie, in der Babenberger¬ zeit schiebt sie sich stetig wieder vor. Je weiter sich Österreichs Grenze nach Osten vorverlegt, desto mehr verflüchtigt sich der Grenzcharakter der unteren Enns zu einem Typus, den man als bloße „traditionelle Grenze“ kennzeichnen möchte. verlockend die Aufgabe wäre, diese Entwicklung der Ennsgrenze darzustellen, nicht weniger lohnend wäre der Versuch, die Rückschläge zusammenzustellen. Diese Rückschläge äußern sich vor allem als Wiederbelebung der unteren Ennslinie als „Front“. So oft sich hier feindliche Truppen gegenüberstanden, so oft man hier Schanzen aufwarf, so oft darf man von einer solchen Rückbildung zur „Natur¬ grenze“ sprechen. Man könnte das österreichische Staatsgebiet als den Schwin¬ gungsraum ansprechen, über dem die Ostgrenze Mitteleuropas hin und her pendelt. So versteht auch der Schweizer Historiker K. Meyer die Lage seit 191843). Inn, Traun, Enns, Traisen, Leitha, Raab, Ostkarpathen sind die markanten Haltelinien. Ohne auch nur auf eine annähernd erschöpfende Aufzählung einzugehen, sei auf einige für sich sprechende, historische Ereignisse verwiesen. Jedes eingehendere Werk zur österreichischen Geschichte gibt darüber Aufschluß. Besonders Darstel¬ lungen zur Lokalgeschichte, z. B. der Stadt Steyr44), bringen eine Fülle von Hin¬ weisen, wie oft die Bewohner der Städte Enns und Steyr zu Schanzarbeiten an der „Ennslinie“ aufgerufen wurden, wie oft ihnen das Überschreiten der Enns verwehrt war. Z. B. in den Streitigkeiten Przemysl Ottokars II. mit Bela IV. und wiederholt später tritt immer wieder die Frage auf, ob die zwischen den Städten Enns und Steyr recht stabile Grenze sich nicht auch oberhalb Steyrs an den Fluß halten sollte; die Zuteilung Weyers und Gaflenz' zu Ober- und Nieder¬ österreich war oft strittig45). Das Zeitalter der Religionskriege und der damit Hand in Hand gehenden politischen Wirren wirft wiederholt ähnliche Fragen auf. Im dreißigjährigen Krieg, unter der Schwedengefahr, wurde die Ennslinie von Enns bis Steyr in Abwehrzustand gesetzt, bei Ernsthofen, Haidershofen als typischen Stellen des Terrassengeländes entstanden berühmte Schanzen. 1 und 1683 sind die Jahre der größten Türkennot. Jenseits, das ist östlich der Enns, 23) K. Meyer, Wie der Historiker die Lage der Schweiz im Frühjahr 1936 sah. Nachschrift eines Vortrages, gehalten im März 1936 in der Berner Offiziersgesellschaft. Schweizer Annalen, Aarau 1944, Nr. 1, S. 40 ff, speziell S. 47 f. **) F. X. Pritz, Beschreibung der Geschichte der Stadt Steyr und ihrer nächsten Umgebungen, Linz 1837 u. a. m. 25) ebenda, S. 120. 106

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