OÖ Heimatblätter 2010 Heft 3/4

OÖ. HEIMATBLÄTTER 2010 HEFT 3/4 Beiträge zur Oö. Landeskunde | 64. Jahrgang | www.land-oberoesterreich.gv.at

105 64. Jahrgang 2010 Heft 3/4 Herausgegeben vom Amt der OÖ. Landesregierung, Direktion Kultur THEMEN AUS DER LANDESKUNDE Alexander Binsteiner: Der Neandertaler im Ennstal. Neue Funde im Donau-Enns- Paläolithikum erzählen eine andere Geschichte unserer Vorfahren 107 Jutta Leskovar: Alte Kelten – neue Druiden Archäologie, Neuheidentum und der Keltenbegriff 119 Michael Kurz: Hundert Jahre Stromenergie aus Gosau 132 Jörg Strohmann: Die Schifabrik „Dambachwerke“ in Rosenau am Hengstpass (1907–1921) 151 Norbert Loidol: Hundert Jahre Meister-Atelier für Stahlschnitt in Steyr 1910–2010 (Teil 1) 167 Gerhard Gaigg: „Wellen wider die braune Flut“. Der Linzer Radiosender in den Sturmjahren bis 1938 209 Johann Lachinger: „Dichters Lande“ im „Land der Dichtung“. Oberösterreichische AutorInnen und ihre Landschaften 224 Camillo Gamnitzer: Leben als Dienst an der Heimat. Prof. OMR Dr. Herbert Kneifel † 235 BUCHBESPRECHUNGEN 236

106 Mitarbeiter: Dipl. Geol. Univ. Alexander Binsteiner Vlcetin 43, CZ 39468 Zirovnice Mag. Dr. Jutta Leskovar Oö. Landesmuseen, Abteilung Ur- und Frühgeschichte Welserstraße 20, 4060 Leonding Dr. Michael Kurz Gschwandt 191, 4822 Bad Goisern Jörg Strohmann Dambach 103, 4580 Rosenau am Hengstpass Mag. Norbert Loidol Bachlweg 8, 4972 Alkoven Dr. Gerhard Gaigg Amt d. Oö. Landesregierung, Direktion Kultur Promenade 37, 4021 Linz HR Dr. Johann Lachinger Miniförgenweg 1, 4100 Ottensheim Medieninhaber: Land Oberösterreich Herausgeber: Amt der OÖ. Landesregierung, Direktion Kultur Zuschriften (Manuskripte, Besprechungsexemplare) und Bestellungen sind zu richten an den Schriftleiter der OÖ. Heimatblätter: Camillo Gamnitzer, Amt der OÖ. Landesregierung, Direktion Kultur, Promenade 37, 4021 Linz, Tel. 0 73 2 / 77 20-1 54 77 Jahresabonnement (2 Doppelnummern) e 12,– (inkl. 10 % MwSt.) Hersteller: TRAUNER DRUCK GmbH & Co KG, Köglstraße 14, 4020 Linz Grafische Gestaltung: Mag. art. Herwig Berger, Steingasse 23 a, 4020 Linz Für den Inhalt der einzelnen Beiträge zeichnet der jeweilige Verfasser verantwortlich Alle Rechte vorbehalten Für unverlangt eingesandte Manuskripte übernimmt die Schriftleitung keine Haftung ISBN 3-85393-010-7 Titelbild: Michael Blümelhuber (links) als umschwärmter Gastgeber im Meister-Atelier (Beitrag Loidol)

107 (homo neanderthalensis) vorliegen. Angeregt durch die Entdeckung und Analyse neuer Fundstellen in Ober- und Niederösterreich bekommen nun auch die Altfunde einen anderen Stellenwert. Viele unserer gängigen Vorstellungen müssen neu überdacht werden. Die Diskussion wird dementsprechend Prolog Seit Kurzem ist bekannt, dass wir doch zu einem geringen Prozentsatz den genetischen Code der Neandertaler in uns tragen. Nicht zuletzt dadurch treten verstärkt Regionen in den Blickpunkt des wissenschaftlichen Interesses, aus denen Artefakte der Cro-Magnon-Menschen (homo sapiens) wie auch des Neandertalers Der Neandertaler im Ennstal Neue Funde im Donau-Enns-Paläolithikum erzählen eine andere Geschichte unserer Vorfahren Von Alexander Binsteiner Abb. 1. Die Fundstellen des Donau-Enns-Paläolithikums in Ober- und Niederösterreich.

108 Das Ennstal und die Mündungsregion der Enns in die Donau bieten dafür aktuell neue Ansatzpunkte. Die Artefakte Den Stein ins Rollen brachte die Entdeckung einer neuen Freilandstation im Mühlviertler Bezirk Perg.2 Danach ging es Schlag auf Schlag. Es folgte die Aufnahme der Altfunde der Grabungen auf kontrovers geführt.1 Entscheidend ist die Frage, wann der Neandertaler aus dem Donaukorridor verschwand und der moderne Mensch die Bühne betrat. Die magische Zeitmarke liegt bei 40.000 Jahren vor heute. Es ist ungeklärt, ob sich beide Menschenarten im mittleren Abschnitt der Donau in diesem Zeitraum begegnet sind und ob es dabei zu einem kulturellen und technologischen Austausch gekommen ist. Dieser Frage nachzugehen, ist eines der spannendsten Kapitel der Altsteinzeitforschung. 1 Dazu: M. Soressi, Die Steintechnologie des Spätmoustérien. Ihre Bedeutung für die Entstehungsgeschwindigkeit modernen Verhaltens und die Beziehung zwischen modernem Verhalten und biologischer Modernität. Mitteilungen der Gesellschaft für Urgeschichte Blaubeuren 13, 2004, 9–28. 2 A. Binsteiner – E. M. Ruprechtsberger, Späte Altsteinzeit im Linzer Raum. Linzer Archäologische Forschungen, S. 43, Linz 2009, 1–126. Abb. 2. Levallois-Spitzen von der „Berglitzl“ bei Gusen, Gemeinde Langenstein, OÖ. 1 Hornstein; 2 Radiolarit.

109 Methode eine klar abgrenzbare Herstellungsweise von Steingeräten, die im Wesentlichen von aufwendig vorpräparierten und zentripedalen Kernen lebt. Dadurch entstehen sehr spezifische Abschlagsformen. Bestimmend sind präparierte Schlagflächenreste, dorsale Leitgrate und eine konvexe Krümmung bis gerade Ausrichtung der Ventralfläche. In Ernsthofen beispielsweise liegt der Anteil der Levallois-Technik bei den Präparationsabschlägen bei rund 60 Prozent. In der Gruppe der Kerne macht der Anteil mit eindeutigen Levallois-Merkmalen 24 Prozent aus. Levallois-Kerne weisen zudem in den meisten Fällen eine geringere Höhe auf. Bei den Schabern ist die Levallois-Technik mit 58 Prozent vertreten. Besondere Bedeutung kommt den Levallois-Spitzen zu. Die Rohstoffe sind wie bei den übrigen Artefakten gleichmäßig auf die Hauptgruppen der der „Berglitzl“ bei Gusen3 und der paläolithischen Artefakte vom Rebenstein in Laussa.4 Dann erreichte uns die Nachricht einer Fundstelle in Ernsthofen5 an der Enns im Bezirk Amstetten, Niederösterreich, die sich als wahrer Glücksfall entpuppte. Zuletzt konnten noch der Faustkeil von Großraming6 und die Funde der Ramesch-Knochenhöhle im Toten Gebirge7 in die Untersuchung einbezogen werden. Rohstoffe Allen Funden gemeinsam ist die sehr spezifische Verwendung einheimischer Rohstoffe. Die umfassenden Gesteinsanalysen ergaben einwandfrei, dass die Schotter der Fluss- und Gletscherablagerungen der letzten Eiszeiten für die Gewinnung verwertbarer Materialen genützt wurden. Mit der Ausnahme von Ernsthofen stand dabei die Gruppe der alpinen Hornsteine und Radiolarite im Vordergrund. So waren in Weinzierl rund 87,5 Prozent und auf der „Berglitzl“ 76 Prozent der Artefakte aus den typischen Silexgesteinen gefertigt worden. In Ernsthofen trat dieser Anteil deutlich zugunsten eines hochwertigen Quarzites zurück, dessen Anteil bei rund 75 Prozent lag. Als Primärvorkommen kommt der Werfener Quarzit als Teil einer Formation der Unteren Trias in Frage. Die ursprünglichen Lagerstätten der Hornsteine und Radiolarite liegen in den Kalkserien des alpinen Jura und der Trias. Die Levallois-Technik Der Großteil der Artefakte zeigt die Merkmale der Levallois-Technik. Aus technologischer Sicht ist die Levallois3 A. Binsteiner – E. M. Ruprechtsberger, Von der Alt- zur Jungsteinzeit. Die Berglitzl bei Gusen im Spannungsfeld der Forschung. Studien zur Kulturgeschichte Oberösterreichs, Linz 2010 (in Druckvorbereitung). 4 D. Mitterkalkgruber, Paläolithische Hornsteinartefakte vom Rebenstein in Laussa, Oberösterreich. Jahrbuch des OÖMV, Bd. 102, Linz 1957, 127–131. Die Artefakte vom nahegelegenen Nixloch haben ein jüngeres Alter. Dazu: K.G. Kunst et al., Erste Grabungsergebnisse vom Nixloch bei Losenstein-Ternberg. Jb. OÖ. Mus.-Ver., Bd. 134/I, Linz 1989, 210–211. 5 Dazu bereits im Druck: A. Binsteiner – E. M. Ruprechtsberger, Das Donau-Enns-Paläolithikum. Mit Forschungsüberblicken zuNieder- undOberösterreich. Linzer Archäologische Forschungen, S. 45 (Linz 2010). Dazu: H. Kohl, Paläolithische Funde in Oberösterreich aus geowissenschaftlicher Sicht. OÖ. Heimatbl. 50 (1996) 131, Abb. 12. 7 G. Rabeder, Die Grabungen des Oberösterreichischen Landesmuseums in der Rameschhöhle (Totes Gebirge, Warscheneck-Gruppe). Jb. OÖ. Mus.-Ver., Bd. 130, Linz 1985, 167, Texttab. 2., 169–172.

110 ist, ob die Neandertaler bereits diese „modernen“ Technologien beherrschten. Die Datierung Der hohe Anteil an Artefakten mit Levallois-Technik macht eine relative Datierung des Fundkomplexes in die mittelpaläolithische Epoche des Moustérien möglich. Zwei sehr grob zugerichtete, im weiteren Sinne als Faustkeile zu klassifizierende Geräte lassen möglicherweise eine ältere, nicht näher bestimmbare Phase innerhalb des Mittelpaläolithikums erkennen. Der kleinere Teil der Gerätschaften mit den Charakteristika vermeintlich moderner HerstellungsmeHornsteine, Radiolarite und Quarzite verteilt. Während bei den Längen- und Breitenwerten die Rohstoffe keine Rolle spielen, sind die Quarzitgeräte aber eindeutig etwas dicker. Das liegt an der höheren Körnigkeit der Quarzite. Demgegenüber stehen ab dem Jungpaläolithikum gebräuchliche, vermeintlich „moderne“ Methoden, Klingen und Abschläge von konischen Kernen direkt oder mit Zwischenstück (Punch) abzuspalten. Sonderformen wie Bohrer, Stichel und vor allem Kratzer wurden fast ausschließlich konventionell in der sogenannten volumetrischen Technik gefertigt. Das Gleiche gilt für die Klingen, die mit wenigen Ausnahmen volumetrisch hergestellt wurden. Die zentrale Frage Abb. 3. Levallois-Technik in der Freilandstation von Ernsthofen, Bezirk Amstetten, NÖ. 1 Kernpräparationsabschlag (Restkern) aus Quarzit mit dorsalemAbschlagnegativ, Länge: 6,20 cm. 2 Spitze aus Radiolarit, Länge: 4,70 cm.

111 genentwicklung der entsprechenden Gerätetypen. Diese Fragen sind derzeit noch nicht endgültig zu beantworten. An der unlängst bekannt gemachten Fundstelle von Perg-Weinzierl10 konnte neben jüngeren Begehungsphasen nach typologischen Gesichtspunkten ein relativchronologischer Datierungsansatz für das Aurignacien wahrscheinlich gemacht werden. An der vergleichbaren Freilandstation von Keilberg-Kirche in thoden weist zunächst in das Jungpaläolithikum. In neueren Studien,8 vor allem an Silexinventaren Südwestfrankreichs, werden hingegen moderne Techniken der Steingeräteproduktion als Bestandteil der Moustérien-Technologie und damit als dem Neandertaler zugehörig angesehen. Auch in den unteren Schichten der Sesselfelsgrotte9 fanden sich modern anmutende Geräte wie beispielsweise einige Kratzer und Stichel in den Technokomplexen der Neandertaler. Die Verwendung eines jungpaläolithischen Abbau-Schemas zur Herstellung von Grundformen durch die Neandertaler kann den Nachweis von Kontakten mit den Cro-Magnon-Menschen bedeuten. Natürlich besteht auch die Möglichkeit der unabhängigen Ei8 Dazu: M. Soressi, Anm. 2. 9 W. Weißmüller, Sesselfelsgrotte II. Die Silexartefakte der Unteren Schichten der Sesselfelsgrotte. Ein Beitrag zum Problem des Moustérien. Quartär-Bibliothek, Band 6, Saarbrücken 1995, 456– 554, Katalog Tafeln 1–50. 10 A. Binsteiner – E. M. Ruprechtsberger, Anm. 1, 83. Abb. 4. Schaber aus der Fundstelle von Ernsthofen, NÖ. 1 Quarzit, Levallois-Technik, Länge: 8,0 cm; 2 Hornstein, Levallois-Technik, Länge: 6,0 cm.

112 Stelle sind auch die wenigen Artefakte von der Laussa,14 die einen Übergangshorizont zum Aurignacien andeuten Regensburg wird ein frühes Aurignacien mit rund 38.000 Jahren vor heute angesetzt.11 Die Schicht 3 in Willendorf II liegt nach den letzten C14-Datierungen zwischen 39.000 und 38.000 vor heute.12 Damit wird im Donaukorridor die magische „40.000 vor heute“-Marke erreicht, an der es zu einem Zusammentreffen von Neandertaler und Cro-Magnon-Mensch gekommen sein kann. Auf der nahegelegenen „Berglitzl“ bei Gusen13 können die paläolithischen Schichten der Steinpflasterung nur grob zwischen der Eem-Warmzeit und dem Würm-Hochglazial, einer Zeitspanne von maximal etwa 126.000 bis 40.000 Jahren vor heute, angesetzt werden. Dagegen liegt die Datierung einer Moustérien-Spitze aus der Schichtenfolge der Ramesch-Höhle im Toten Gebirge bei rund 50.000 Jahren vor heute. An dieser 11 T. Uthmeier, Ein bemerkenswert frühes Inventar des Aurignacien von der Freilandfundstelle Keilberg-Kirche bei Regensburg. Arch. Korrbl. 26, 1996, 233–248. 12 Dazu auch: P. Nigst, The first modern humans in the Middle Danubian Area? New evidence from Willendorf II (Eastern Austria). Offprint from: N.J. Conard (ed.) When Neanterthas and Modern Humans met. Tübingen Publications in Prehistory, Tübingen 2006, 271–277. 13 A. Binsteiner – E. M. Ruprechtsberger, Von der Alt- zur Jungsteinzeit. Die „Berglitzl“ bei Gusen im Spannungsfeld der Forschung. Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich 2010 (im Druck). 14 D. Mitterkalkgruber, Paläolithische Hornsteinartefakte vom Rebenstein in Laussa, Oberösterreich. Jb. OÖ. Mus.-Ver., Bd. 102, Linz 1957, 127– 131. Die Artefakte vom nahegelegenen Nixloch haben dagegen ein jüngeres Alter. Dazu: K. G. Kunst et al., Erste Grabungsergebnisse vom Nixloch bei Losenstein-Ternberg. Jb. OÖ. Mus.-Ver., Bd. 134/I, Linz 1989, 210–211. Abb. 5. Kratzer aus paläolithischen Schichten. 1 Radiolarit von der „Berglitzl“, OÖ, Länge: 5,2 cm; 2 Hornstein aus Ernsthofen, NÖ, Länge: 4,5 cm.

113 Hundsteig,17 haben gezeigt, dass die Anfänge des Aurignacien in Europa komplexer waren als bisher gedacht. Heute ist man in der modernen Forschung weit vom klassischen Bild des modernen Menschen entfernt, der, aus dem Osten kommend, in kurzer Zeit Europa erobert und seinen Vorgänger, den Neandertaler, ausgelöscht hat. In den Inventaren des Donau-EnnsPaläolithikums steckt eine verborgene Information, die durch die umfangreikönnten, und ein mittelpaläolithisch eingestuftes Gerät aus Großraming15 zu nennen. In der Gudenus-Höhle im Tal der Kleinen Krems kann anhand der Artefaktfunde eine weitere mittelpaläolithische Begehungsphase16 nachgewiesen werden. Damit ist der zeitliche Rahmen des Neandertalers im Ennstal umrissen. Weitere Geländeuntersuchungen in den nächsten Jahren könnten zusätzliche Aufschlüsse und Informationen zur absolutchronologischen Datierung erbringen. Resümee Die aktuelle Materialaufnahme von der Donau-Enns-Mündungsregion bis in die Gebirgsformationen der Kalkalpen deckt den sensiblen Zeitabschnitt am Übergang vom Mittel- zum Jungpaläolithikum ab. Die Analyse frühjungpaläolithischer Steinartefaktinventare, u. a. auch in Willendorf II und KremsAbb. 6. Volumetrische Kerne aus der Freilandstation von Ernsthofen, NÖ. 1 Kern aus Quarzit, Höhe: 5,15 cm; 2 Kern aus Quarzit, Höhe: 3,9 cm. 15 Der Rohstoff eines faustkeilartigen Gerätes konnte aktuell als Kalkstein bestimmt werden. Dazu: H. Kohl, Paläolithische Funde in Oberösterreich aus geowissenschaftlicher Sicht. OÖ. Heimatbl. 50 (1996) 131, Abb. 12. 16 D. Döppes, Die jungpleistozäne Säugetierfauna der Gudenushöhle (Niederösterreich). Wiss. Mitt. Niederösterr. Landesmuseum, 10, Wien 1997, 19. 17 Dazu: N. Teyssandier, Neue Perspektiven zu den Anfängen des Aurignacien. Mitteilungen der Gesellschaft für Urgeschichte in Blaubeuren 14, 2005, 11–24.

114 Art nachzudenken. Das Nebeneinander von Levallois-Technik und konventioneller Abbaumethode von Artefakten eröffnet eine neue Betrachtungsweise der Silexbearbeitung des Neandertalers. Zum jetzigen Zeitpunkt der Forschung ohne ausreichende stratigrafische Befunde stehen mehrere Möglichkeiten im Raum: 1. Die „modern“ bzw. jungpaläolithisch geprägten Geräte in Ernsthofen und auf der „Berglitzl“, insbesondere Kratzer und Kerne, lagen jeweils ursprünglich in einer Schicht über den Funden des Levallois-Moustérien und wären demzufolge als „jünger“ in das Aurignacien einzuordnen. Diese Stücke treten bedingt durch die vielfältigen Umlagerungsprozesse des Würm-Hochglazials, aber auch durch die Beackerung und Baumaßnahmen der Neuzeit, heute chen Gesteinsanalysen zumindest teilweise sichtbar gemacht werden kann. Im Kern geht es um die Frage, ob und wie die Neandertaler vermeintlich moderne Techniken bei der Herstellung ihrer Geräte und Waffen aus Stein angewendet haben. Von der Lösung derartiger Fragen aus einem Teilbereich der materiellen Kultur erwartet man Rückschlüsse auf den Wissensstand und die technischen Fähigkeiten unserer Vorfahren. Auch will man der – bereits erwähnten – Frage näher kommen, ob sich Neandertaler und Cro-Magnon-Mensch begegnet sind und ob es dabei zu einem Technologietransfer gekommen ist. Besonders die eindeutig mittelpaläolithischen Inventare von der „Berglitzl“ an der Donau und Ernsthofen im niederösterreichischen Teil des Ennstales laden förmlich dazu ein, über Probleme dieser Abb. 7. Artefakte vom Rebenstein in Laussa, Bezirk Steyr, OÖ. 1 Kratzer aus Quarzit, Länge: 6,9 cm; 2 Levallois-Abschlag aus Quarzit, Länge: 5,0 cm.

115 3. Dazu gibt es mehrere denkbare Varianten: Die Geräte waren unabhängig vom Cro-Magnon eine Eigenentwicklung der Neandertaler. Vielleicht hatten sie diese Formen bereits vor ihrer Einwanderung in den Donaukorridor im Zusammenleben mit dem modernen Menschen im Nahen Osten in ihren Technokomplex adaptiert. Oder aber es kam tatsächlich in der DonauEnns-Region zum Kontakt mit Homo sapiens. Dann könnten die modernen Klingen und Kratzer beispielsweise im gemeinsam mit den Levallois-Geräten in einem Fundhorizont zu Tage. Dagegen spricht aber im Grunde genommen die niedrige Stückzahl dieser „modernen“ Artefakte (Anteil am Gesamtmaterial: unter 10 Prozent), die für den Nachweis eines Lagers des Cro-MagnonMenschen des Aurignacien zu gering erscheint. 2. Die „modernen“ Artefakte und die Levallois-Formen lagern in einer Schicht. Das könnte bedeuten, dass die Neandertaler bereits imstande waren, jungpaläolithische Schlagtechniken anzuwenden. Abb. 8. Großraming, OÖ. Faustkeilartiges Gerät aus Kalkstein, Länge: 9,55 cm.

116 tar von Perg-Weinzierl18 als auch mit einem Exemplar auf der „Berglitzl“.19 Damit können die ersten Fernbeziehungen im Donaukorridor bereits für das Aurignacien und das Moustérien nachgewiesen werden. Dass dabei der Wasserweg eine Rolle gespielt haben dürfte, liegt auf der Hand. In Ernsthofen, wie auch im übrigen Ennstal, fanden sich bislang keine importierten Stücke. Von Interesse erscheinen in diesem Zusammenhang auch die nordischen Feuersteine der glazialen MöränenTausch bei friedlichen Begegnungen beider Menschenarten ihren Besitzer gewechselt haben. Die Neandertaler könnten die Geräte aber auch an verlassenen Lagerplätzen des modernen Menschen gefunden haben. Es könnte durchaus auch feindliche Kontakte gegeben haben und die Geräte wären getöteten Gegnern abgenommen worden. Sicher gäbe es noch weitere Spielarten; aber spätestens an dieser Stelle ist festzustellen, dass die Interpretationsmöglichkeiten von Silexartefakten nun deutlich überschritten werden. Erste Fernbeziehungen Außergewöhnlich sind die Importe bayerischer Jurahornsteine aus der Donau-Altmühl-Region sowohl im Inven18 Dazu: A. Binsteiner – E. M. Ruprechtsberger, Anm. 1, 85–88, Taf. 1–2. 19 Dazu: A. Binsteiner – E. M. Ruprechtsberger, Anm. 10, (imDruck). Abb. 9. Moustérien-Spitze (Artefakt 1) der Ramesch-Knochenhöhle, Totes Gebirge OÖ, Länge: 6,5 cm (aus G. Rabeder 1985).

117 stratifizierten Fundzusammenhängen. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit ein nur auf typologischen Merkmalen aufgebauter Datierungsansatz mit absolutchronologischen Ergebnissen vereinbar sein wird. Auch werden die immer weiter verfeinerten und umfangreicheren Materialbestimmungen an Silexinventaren zu einem besseren Verständnis der Versorgungssysteme im Paläolithikum führen. gürtel Nordböhmens und Mährens, wie sie bereits für das Aurignacien und später dann für das Gravettien in Willendorf II20 in den Schichten 5, 8 und 9 festgestellt werden konnten, und die im Paläolithikum der Donau-Enns-Region gänzlich fehlen. Offenbar liegt unser Arbeitsgebiet hinsichtlich dieser Importe aus nordwestlichen Richtungen in einem anderen Einflussbereich. Viele Fragen aber müssen zum jetzigen Zeitpunkt noch unbeantwortet bleiben. Dennoch führen Vergleichsuntersuchungen dieser Art zu einem raschen Fortschritt in der Beurteilung von Geräteinventaren auch aus nicht 20 A. Binsteiner et al., Die Rohstoffanalyse der Silexartefakte von Willendorf II, Schicht 8 und 9. Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, Bd. 138, 2008, 63–78; A. Binsteiner – E. M. Ruprechtsberger, Anm. 1, 85–86. Abb. 10. Länge-Dicke Diagramm der Spitzen in Levallois-Technik aus Ernsthofen, NÖ, in den Rohstoffgruppen der Radiolarite, Hornsteine und Quarzite.

118 Abb. 11. Schema der relativchronologischen Datierungsansätze für das Mittelpaläolithikum (Moustérien) und Aurignacien imDonau-Enns-Paläolithikum in Ober- und Niederösterreich anhand ausgewählter Fundstellen.

119 ßerer Zahl gepflanzt, sind ein weiteres Beispiel für diese Mixtur aus Esoterik, Archäologie und viel Phantasie. Verwiesen sei unter anderem auf den „Kelten. Baum.Weg“ in St. Georgen im Attergau, der mit Mitteln der öffentlichen Hand aufwändig als Tourismusmagnet errichtet wurde; einzelne Stationen sind verschiedenen (archäologischen) Themen gewidmet, und auf durchaus reizvolle Weise wird Naturkundliches auch Kindern vermittelt. Die thematisch verbindende Spange ist und bleibt dabei der Begriff „Kelten“. Noch ein, lokales, Beispiel: Auf der Rückseite von Heft 3/2008 bewarb das „Eurojournal“ den „Keltischen Baumkalender“ in Form von 13 Gemälden, vierfarbig. Nicht zu vergessen die sprunghafte Flut von Publikationen über „Kultplätze“ und „Naturheiligtümer“ – Neuerscheinungen, die sich laufend auf vermeintlich „Keltisches“ bzw. real Archäologisches beziehen und nicht nur in Oberösterreichs Buchhandlungen zu finden sind. Wie steht die Prähistorische Archäologie nun zu derlei Vermischungen von (esoterischen) Glaubensvorstellungen und (archäologischen) Daten? Traditionellerweise beschäftigt sich die archäologische Forschung mit mehr oder minder „harten“ Fakten – Grabungsbefunde und Fundmaterial bilden die Basis für im Idealfall nachvollziehAlte Kelten – neue Druiden Archäologie, Neuheidentum und der Keltenbegriff Von Jutta Leskovar „(E)ine revidierte Betrachtungsweise des Keltentums in Britannien (hat) dazu geführt, dass wir den Druiden nicht nur als eine keltische Autoritätsfigur der klassischen Periode verstehen dürfen, sondern ebenso als Vertreter eines Gebäudes religiöser Glaubensüberzeugungen und Praktiken, die vielleicht schon von 7000 v. Chr. bis zum fünften Jahrhundert n. Chr. existiert haben, um dann gut ein Jahrtausend im „Untergrund“ zu verschwinden, um im sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert neu aufzutauchen. Im Licht dieses Wissens geht ein wachsender Kreis von Forschern heute davon aus, dass die Steinkreise von Vorläufern der Druiden erbaut wurden, eben von den so genannten Proto-Druiden.“1 Dieses Zitat macht es deutlich: neben dem wissenschaftlichen Keltenbegriff, der nicht so einheitlich ist, wie diese Formulierung glauben machen könnte, gibt es mindestens noch einen weiteren: „Die Kelten“ (bzw. „die Druiden“) werden von einer großen Anzahl von Personen als TrägerInnen einer prähistorischen Religion betrachtet, die wiederbelebt werden kann. Zwischen Esoterik, Sehnsucht und Phantastik Archäologische Hinterlassenschaften werden als Argumente für diese Meinung herangezogen, die nicht nur in Büchern und im Internet verbreitet wird. „Keltische Baumkreise“, neuerdings auch in Oberösterreich in immer grö- 1 Carr-Gomm 2004, S. 157 f.

120 aber „Objektives“ anbieten zu können. Natürlich wird dies in archäologischer (Fach-)Literatur dem lesenden Publikum nicht immer deutlich gemacht, wie noch zu zeigen sein wird. Häufig werden Vermutungen durchaus als Wahrheiten verkauft und eigene Lieblingsinterpretationen konjunktivfrei serviert. Bezeichnenderweise hält sich die archäologische Forschung weitgehend zurück, wenn es darum geht, prähistorische Religionen zu beschreiben – flächendeckend scheint es ein Bewusstsein für die schlechte Quellenlage zu geben, die es gar nicht erlaubt, sich hier einigermaßen gesichert zu äußern. Diese Zurückhaltung wird, wie dem obigen Zitat entnommen werden kann, bare und sachliche Interpretationsversuche zu prähistorischem Leben und Sterben. Inwieweit die dadurch erzielten Ergebnisse einer prähistorischen „Realität“ entsprechen, also tatsächlich eine prähistorische Wirklichkeit abbilden, muss zumeist dahingestellt bleiben, zumindest in jenen Bereichen, die über banale Beschreibungen (beispielsweise eines Grabinhalts) hinausgehen. Überall dort, wo es wirklich interessant wird, also bei Fragen zu Gesellschaftsstrukturen, religiösen Vorstellungen, Kontakten zwischen Kulturen, Wanderbewegungen von Menschengruppen und dergleichen, muss die Archäologie mit der Tatsache leben, sich selbst und der Öffentlichkeit nur Möglichkeiten, nie Blick auf den „Kelten.Baum.Weg“ imAttergau.

121 Vorstellungen beklagt. Diese Kritik war mir Anlass, die neuheidnische Literatur einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Bevor ich die Ergebnisse zusammenfassen möchte, scheint eine kurze Charakterisierung des Begriffs „Neuheidentum“ notwendig. Begriff und Spielarten des „Neuheidentums“ Der Begriff „Neuheidentum“ bezeichnet in der aktuellen Forschung die große Zahl der modernen Formen (vor allem westlichen) Heidentums (auf engnicht von allen Menschen geteilt. Ganz im Gegenteil gibt es eine immer größer werdende Gruppe sogenannter Neuheiden, die sehr wohl der Ansicht ist, etwas über prähistorische Religionen aussagen zu können. Diese Tatsache ist nicht zuletzt aufgrund des sprunghaft wachsenden Buchmarktes auf diesem Sektor seit langem bekannt und wurde im Laufe der letzten Jahre in der deutschsprachigen Archäologie in kürzeren Arbeiten mehrfach kommentiert.2 Dabei wurde regelhaft der Mangel an Quellenkritik (durch die AutorInnen der einschlägigen neuheidnischen Bücher) sowie die Vereinnahmung archäologischer Quellen zur Propagierung neuer (religiöser) Titelblatt des „Keltischen Baumkalenders“, herausgegeben vom „Verein Kultur Plus“, beworben und vertrieben durch die Redaktion des „Eurojournal“. 2 Siehe Fußnote 15; Leskovar 2009, S. 17.

122 oder sie angehören möchte. Wichtig ist NeuheidInnen auch die Freiheit beim konkreten Praktizieren: die Erläuterung von Ritualen ist meist mit dem Zusatz versehen, man möge sich seine eigenen, individuellen Formen schaffen, um nicht einfach nur ein starres Schema zu kopieren. Ebenfalls von großer Bedeutung ist die „freie Natur“. NeuheidInnen praktizieren häufig unter freiem Himmel, wobei das Bild von nackt im Wald Herumtanzenden nicht der gängigen Praxis zu entsprechen scheint. Mit diesem Bedürfnis nach Kontakt zur Natur geht meist ein – bewusst formuliertes – Bekenntnis zum Umweltschutz einher. NeuheidInnen haben das Bedürfnis, „im Einklang“ zu sein mit den Kräften der Natur. Dies scheint einer der wesentlichen Gründe für die Attraktivität prähistorischer Kulturgruppen zu sein: Man stellt sich die urgeschichtliche Vergangenheit gerne als eine heile Zeit vor, in der die Menschheit noch „naturverbunden“ war, nicht durch Technik der Umwelt entfremdet … Neuheidnische Gruppierungen beziehen sich jedoch keineswegs alle auf die gleichen Perioden der Vergangenheit. Wesentlich für die europäische Prähistorische Archäologie sind drei große Gruppen, die jeweils in zahlreiche Untergruppen aufgespaltet sind: Neodruidentum (Druidry5), Neue Hexen (Wicca6) und Neogermanentum. lisch Paganism oder Neopaganism).3 Neuheidentum wird dementsprechend von den meisten AutorInnen als ein Teil der modernen Esoterik verstanden. Wesentlich am Neuheidentum, und damit für die Archäologie, ist der ständige Rückbezug auf (prä-)historische Perioden. Das bedeutet, aus der Literatur geht zweifelsfrei die Überzeugung der NeuheidInnen hervor, ihre Religion sei nicht etwas vollständig im 19., 20. oder 21. Jahrhundert Geschaffenes, sondern etwas Wiederbelebtes bzw. Wiederzubelebendes, das teilweise im Untergrund ohnehin die Jahrhunderte der christlichen Unterdrückung überstanden hätte und/oder jetzt mithilfe der schriftlichen und archäologischen Quellen wiederbelebt werden könne. Es ist zu wiederholen, dass dies aus der neuheidnischen Literatur so hervorgeht. Es mag neuheidnisch agierende Personen geben, denen der problematische Quellenstand vollkommen bewusst ist, und die dementsprechend keinerlei Bezüge ihrer Religion zu irgendeiner weiter entfernten Vergangenheit herstellen. Doch die mir bekannte Literatur, und nur auf die beziehe ich mich in meiner Forschungsarbeit, macht deutlich, wie wichtig dieser Vergangenheitsbezug für das Neuheidentum ist, das sich nicht umsonst auch so nennt. Neuheidnische AutorInnen versuchen in ihren Büchern laufend sogenannte Traditionslinien herzustellen – einzelne Themen werden mit Quellen aus der Urgeschichte verknüpft, wodurch das hohe Alter einer bestimmten Vorstellung impliziert wird. NeuheidInnen praktizieren also etwas, das aus ihrer Sicht eine „alte Religion“ ist.4 Sehr häufig wird die Fahne der religiösen Toleranz hochgehalten – jeder und jede solle selbst frei entscheiden dürfen, welcher Religion er 3 Bischofberger 1996; Leskovar 2009, S. 12–16. 4 Leskovar 2009, S. 26 f. 5 Der Begriff „Druidry“ wird einerseits von Ronald Hutton in seinen Studien zur neuheidnischen Szene und ihrer historischen Entwicklung verwendet, andererseits von Teilen der neodruidischen Szene selbst (englischsprachig und andere). Druidry ist, soweit ich das überblicke, nicht unbedingt die allgemein gültige Selbstbezeichnung für jene, die sich der neodruidisch/neokeltischen Szene zuordnen.

123 die „alte Hexenreligion“ wieder aufleben zu lassen. In diese „konkreten Quellen“ gönnte er niemandem Einblick, aber er bezog sich ganz allgemein auf die Zeit der Hexenverbrennungen und auf die prähistorische Vergangenheit, wenn es darum ging, seiner (neuen) Religion Im deutschsprachigen Raum am besten untersucht, auch in Hinblick auf die Verbindung zur Archäologie, ist das Neogermanentum.7 Von den drei neuheidnischen Gruppen ist das Neogermanentum politisch und weltanschaulich am problematischsten – eine Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut ist dieser Szene nach den umfassenden Studien vor allem von Stefanie von Schnurbein nicht abzusprechen. Es gibt durchaus Gruppen vonNeogermanen, die sich bewusst und einigermaßen glaubwürdig von der nationalsozialistischen Vergangenheit und einschlägigen Symbolen, Themen und Meinungen abgrenzen. Ein Großteil riskiert jedoch regelmäßig, vom deutschen Verfassungsschutz überwacht zu werden – und das mit gutem Grund. Einige Gruppen halten vor allem Schriften wie jene von Jörg Lanz von Liebenfels oder Guido von List in Ehren, deren nationalsozialistische Gesinnung bestens belegt ist. Im Unterschied zu anderen neuheidnischen Gruppen zeigen sich hier auch Tendenzen zur Pflege eines traditionalistischen und nationalsozialistischen Frauenbildes. Was die konkreten Quellen zur (prä-)historischen Vergangenheit angeht, bedient sich das neogermanisch ausgerichtete Neuheidentum vor allem der Edda, ansonsten archäologischer Quellen. Völlig anders orientiert ist Wicca, die Religion der Neuen Hexen (siehe Fußnote 7). Hier steht „die Göttin“ und damit die Frau imMittelpunkt.8 Ronald Hutton (2001) konnte eindeutig die Entstehung von Wicca in den 40er- und 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts in Großbritannien belegen. Der charismatische Gründer Gerald Gardner wollte geheime Quellen erschlossen haben, die ihm erlaubten, 6 Die Begriffe „Neue Hexen“ und „Wicca“ werden von der Szene teilweise synonym, teilweise als Gegensatzpaar verwendet. Ich verwende sie hier synonym. „Wicca“ bezeichnet sowohl die Religion als auch die Praktizierenden. 7 Bischofberger 1996; von Schnurbein 1992a, 1992b, 1996a, 1996b, 1996c, 2001, 2004, 2006; Mölders/Hoppedietz 2007; Pöhlmann 2006. 8 Diese grundsätzliche Ausrichtung auf den weiblichen Aspekt, auch in Hinblick auf die Verehrung einer Göttin (die mit unterschiedlichsten Namen und in unterschiedlichsten Ausprägungen verehrt bzw. in die Rituale einbezogen wird), verhindert nicht die gleichberechtigte Aufnahme von Männern – ganz im Gegenteil ist für praktizierende Wicca der männliche Aspekt auch innerhalb von Ritualen bedeutsam. Die spezielle Form des „Dianic Wicca“ lässt jedoch nur Frauen zu. Ross Nichols, Gründer des heutigen international agierenden „Order of Bards, Ovates and Druids“ (Orden der Barden, Vaten und Druiden).

124 cher konkreten Quellen diese Argumentation (vermeintlich) gestützt wird. Es ging mir darum, zu erheben, in welchem Maß AutorInnen von Büchern, die neodruidisches Neuheidentum beschreiben (und damit verkaufen), archäologische Quellen für die Schaffung ihrer Traditionslinien benutzen. Dazu wurde eine qualitative Inhaltsanalyse12 an zehn ausgewählten Publikationen13 durchgekonkrete Form zu geben. Huttons Untersuchungen machen deutlich, dass Gardner nicht völlig aus dem Nichts etwas schuf, das es vorher nicht gegeben hatte. Ganz im Gegenteil baute er, wie auch die Gründer des keltisch ausgerichteten Neodruidentums, auf einem „esoterischen Geist“ auf, der sich spätestens seit dem 19. Jahrhundert und vor allem in Großbritannien entwickelt hatte.9 Heutige Wicca sehen sich häufig als ErbInnen jener Menschen, die von der Inquisition verfolgt wurden.10 Ihrer Ansicht nach reicht die Hexenreligion aber noch viel weiter zurück.11 Nachdem sie ihre eigene Religion in wesentlichen Teilen als schamanisch betrachten, ziehen sie ihre Traditionsstränge häufig bis ins Paläolithikum zurück, zu Höhlenmalereien und Statuetten, die auch von der Prähistorischen Archäologie durchaus als mögliche Belege für urgeschichtlichen Schamanismus gewertet werden (Leskovar 2009, 136). Der wesentliche Punkt für Wicca ist jedoch die (aus meiner Sicht eingebildete) Kontinuität einer konkreten (Hexen-)Religion von der Altsteinzeit bis zum Beginn des Christentums, die im Untergrund durch sämtliche christlichen Jahrhunderte bis heute wirkte. Auchdie historische Entwicklung der sogenannten Neodruiden (der dritten großen von mir untersuchten Gruppe) wurde von Ronald Hutton analysiert; für sie konnte ebenfalls zweifelsfrei eine Entstehung im 19. und 20. Jahrhundert nachgewiesen werden. Das hindert praktizierende Neodruiden, bzw. die AutorInnen der einschlägigen Literatur, nicht daran, in ihrer Religion die Fortsetzung der Glaubensvorstellungen von Druiden und Kelten zu sehen. Mich hat nun die Frage interessiert, anhand wel9 Hutton analysiert vor allem die einschlägige Literatur von James Frazer, Robert Ranke Graves, Margaret Murray, Aleister Crowley etc., die alle in der einen oder anderen Art ihren inhaltlichen Teil zum Gesamtgebäude „Neuheidentum“ beitrugen (Hutton 2001, S. 136 ff., S. 171 ff.). 10 Sie betrachten somit die Verurteilten rückwirkend als schuldig im Sinne der Anklage: nämlich als praktizierende Hexen. Selbst wenn sie dies naturgemäß positiv werten, weil sie sich selbst als Hexen sehen, halte ich diese Denkweise für höchst problematisch, gibt sie doch den Verfolgern im Nachhinein fast recht. 11 Coven Tanita Pan 2002. 12 Zur Methode siehe Mayring 2003. 13 Doris Benz, Ben Schreger, Kelten, Kulte, Anderswelten. Auf Spurensuche: Schwarzwald – Elsass – Schwäbische Alb – Oberschwaben. Unterweitersdorf 2002. Philipp Carr-Gomm, Die Weisheit der Druiden. Eine Einführung in die keltische Spiritualität. Stuttgart 2004. Tom Cowan, Die Schamanen von Avalon. Reisen in die Anderswelt der Kelten. Kreuzlingen, München 1998. John O´Donohue, Anam Ċara. Das Buch der keltischen Weisheit. München 61999. Momo Edel, Bertram Wallrath, Götter, Barden & Druiden. Die Kelten – Europas spirituelle Kindheit. München 2000. Holger Kalweit, Das Totenbuch der Kelten. Das Bündnis zwischen Anderswelt und Erde. Aarau 2002. Caitlín und John Matthews, Das große Handbuch der keltischen Weisheit. München 1999. Steve Rabey, Das Wissen der Kelten. Düsseldorf 2002. Francesca de Grandis, Die Macht der Göttin ist in dir. Selbstheilung, persönliches Wachstum und Sinnlichkeit durch keltische Feen-Magie. München 2000. Manfred Böckl, Die Botschaft der Druiden. Weisheit aus der Anderswelt. Saarbrücken 2004.

125 senzeitlichen Grab in Deutschland ein großer Kessel als Grabbeigabe aufgefunden wurde und in einer irischen Sage ein Kessel vorkommt, gilt die große Bedeutung von Kesseln für die „keltische“ Religion und damit für das eigene Neuheidentum als besser belegt, als wenn man nur die Schriftquelle zur Verfügung hätte.14 Neokeltisches Neuheidentum bezieht sich sehr stark auf die Eisenzeit (ca. 750 v. Chr. bis zur Zeitenwende). Dementsprechend werden britische Hillforts beschrieben, deutsche Viereckschanzen, führt. Dabei zeigte sich, dass nicht nur archäologische, sondern auch schriftliche Quellen ganz intensiv verwendet wurden – sowohl antike Schriften als auch irische Sagen und Rechtstexte werden genutzt, um neodruidische Religion zu beschreiben. Schriftquellen scheinen sogar bei Weitem besser dafür geeignet zu sein und werden weitaus häufiger genannt. Dennoch kommt (Prähistorische) Archäologie in fast allen analysierten neuheidnischen Büchern regelmäßig über den Text verteilt vor. Archäologischen Quellen wird sogar ein hoher „Beweiswert“ beigemessen, wie aus den konkreten Formulierungen hervorgeht. Wenn also beispielsweise in einem ei- 14 Leskovar 2009, S. 94. Der Kessel von Gundestrup – der in einem dänischenMoor gefundene Silberkessel ist durch seine detailreichen szenischen Darstellungen eine Fundgrube für esoterisch/neuheidnische Interpretationen zur prähistorischen Religion.

126 der Archäologie aber nicht „passen“, werden sie großzügig übergangen oder verfälscht. Nun könnte es der archäologischen Forschung gleichgültig sein, welche Thesen über prähistorische Religionen in der neuheidnischen Szene kursieren und in welcher Form archäologisch relevante Hinterlassenschaften genutzt werden. In der Tat hat sich die Forschung bisher auch nur sehr selten überhaupt mit dem Thema Neuheidentum/Esoterik auseinandergesetzt.15 Neben der Problematik, dass manchmal konkrete Fundstätten sowohl von der einen als auch von der anderen „Seite“ für sich beansprucht werden (Stonehenge ist hier sicherlich das prominenteste Beispiel; Holtorf 1993), bleibt aber meiner Ansicht nach vor allem folgender Faktor zu berücksichtigen: Die neuheidnische Literatur hat eine weitaus größere Verbreitung hallstattzeitliche Gräber aus ganz Europa, latènezeitliche Funde usw. Wie schon aus dem einleitenden Zitat hervorgeht, wird aber auch sehr häufig ein Bezug zu Stonehenge und anderen megalithischen Steindenkmälern hergestellt. Dieser Faktor ist interessant, wenn man berücksichtigt, dass es sich dabei um neolithische oder bronzezeitliche Denkmäler handelt, und nicht um eisenzeitliche. Die Schaffung einer Traditionslinie bis möglichst weit in die prähistorische Vergangenheit, also noch über die Eisenzeit hinaus, ist den AutorInnen der einschlägigen Literatur jedoch offenbar wichtig. Außerdem spielt die Frage nach der chronologischen Einordnung, die für die archäologische Forschung an Bedeutung fast nicht mehr zu überbieten ist, für das Neuheidentum manchmal nur eine untergeordnete Rolle. In manchen Textstellen wird zwar das Bedürfnis deutlich, archäologische Inhalte korrekt aus der Fachliteratur wiederzugeben; wenn die Ergebnisse 15 Ausnahmen: Obmann/Wirtz 1994, Osterwalder Maier 1991, Rahemipour 2002, Seidenspinner 1993. Schon 1905 wurden in Stonehenge Zeremonien verschiedenster „Druidenorden“ abgehalten.

127 fundiertes Wissen zu Archäologie und prähistorischer Vergangenheit zu verfügen. Die Analyse der Literaturverzeichnisse neuheidnischer Bücher ergab neben zahlreichen nur von einem Autor/ einer Autorin verwendeten Fachbüchern auch eine Handvoll einschlägiger archäologischer „Bestseller“, die als Quelle für mehr als ein neuheidnisches Buch dienten.16 Ich habe den Versuch unternommen, diese Fachbücher mit den Augen eines interessierten Laien, wie es die AutorInnen neuheidnischer Bücher auf der Suche nach Informationen zu „den Kelten“ sind, zu lesen. Im Zentrum meiner Untersuchung stand die Frage, was ArchäologInnen unter „den Kelten“ überhaupt verstehen, und wie sie diese ihre Meinung schriftlich festhalten und verständlich machen. Bevor das Ergebnis dieser Analyse dargestellt wird, ist ein eigener Standpunkt zum Keltenbegriff notwendig. Es ist nämlich keineswegs allgemeingültig definiert, was innerhalb der Forschung als die archäologische Fachliteratur. Angeblich allgemeingültige Aussagen wie „die Kelten waren naturverbunden“, „in der Urgeschichte gab es ein Matriarchat“ oder „die heidnische Religion überlebte das Christentum im Untergrund“ haben bereits begonnen, in die öffentliche Meinung einzusickern. Nicht zuletzt durch touristische Angebote ist dies deutlich zu merken – Keltenbaumkreise mehren sich auch in Oberösterreich Jahr für Jahr. Dazu muss die prähistorische Forschung sich äußern. Zumindest jenen, die wirklich interessiert sind, muss die Möglichkeit geboten werden, sich zu informieren, was von bestimmten Aussagen oder eben Baumkreisen wissenschaftlich gesehen zu halten ist. Neuheidnisch gesinnten Menschen soll damit nicht ihre Religion genommen werden – das ist nicht das Thema der archäologischen Forschung. ImWiderstreit der Definitionen – Der Keltenbegriff Sehr wohl Thema der Archäologie sind „die Kelten“. Immerhin beziehen die AutorInnen neuheidnischer Bücher ihr Wissen über die prähistorische Vergangenheit, wenn man ihren Literaturverzeichnissen glauben darf, (auch) aus Büchern wie „Kelten. Versuch einer Gesamtdarstellung ihrer Kultur“ von Helmut Birkhan (1997), oder „Die Kelten und ihre Geschichte“ von Barry Cunliffe (1980). Es scheint dem Neuheidentum doch häufig ein Anliegen zu sein, den Anspruch des hohen Alters der eigenen Glaubensvorstellungen durch gezielte Nutzung von Fachliteratur zu untermauern. Den AutorInnen dieser Fachliteratur wird somit zugebilligt, über fachlich 16 Kurt Bittel, Siegwalt Schiek, Dieter Müller, Die keltischen Viereckschanzen [Atlas archäologischer Geländedenkmäler in Baden-Württemberg 1, Stuttgart 1990.] Helmut Birkhan, Kelten. Versuch einer Gesamtdarstellung ihrer Kultur. Wien 1997. Barry Cunliffe, Die Kelten und ihre Geschichte. Bergisch Gladbach 1980. Hermann Dannheimer, Rupert Gebhard (Hrsg.), Das keltische Jahrtausend. Mainz 1993. Alexander Demandt, Die Kelten. München 1998. Venceslas Kruta, Miklós Szabó, Die Kelten. Entwicklung und Geschichte einer europäischen Kultur in Bildern von Erich Lessing. Freiburg i. Br. 1979. Bernhard Maier, Lexikon der keltischen Religion und Kultur. Stuttgart 1994. Ludwig Pauli, Keltischer Volksglaube. Amulette und Sonderbestattungen am Dürrnberg bei Hallein und im eisenzeitlichen Mitteleuropa. Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 28, 1975. Stuart Piggott, The Druids. London 1993. (First published 1968). Barry Raftery, Pagan Celtic Ireland. London 1994.

128 die Problematik des Keltenbegriffs (vor allem bei den älteren Publikationen), und selbst wenn in der Einleitung noch zugegeben wird, dass es verschiedene, teils widersprüchliche Definitionen gibt, wird die sprachliche Vorsicht in den Folgekapiteln bald aufgegeben. Von Laien ist das Erkennen dieses Widerspruchs nicht zu erwarten. Vielmehr ist es unter diesen Voraussetzungen kein Wunder, wenn NeuheidInnen sich in archäologischen Publikationen zu „den Kelten“ quasi bedienen können und von Irland bis Anatolien, von der Urnenfelderzeit bis ins irische Mittelalter viele Themen, Fundorte und Objekte zur Beschreibung ihrer (modernen) Religion heranziehen. Natürlich liegt die häufig deutlich esoterische Interpretation archäologischer Basisinformation in der Verantwortung der neuheidnischen AutorInnen. Doch der lockere Umgang mit dem Keltenbegriff innerhalb der Forschungswelt macht den Zugriff auf diese Basisinformationen leichter. Wo „Kelten“ draufsteht, erwartet der Laie zurecht, „Keltisches“ zu finden – und auch die archäologische Forschung mischt in ihren Büchern archäologische Objekte mit sprachwissenschaftlichen Quellen und antiken Nachrichten. Somit machen sich hier zwei Gruppen der Vermischung und Fehlinterpretation von Quellen „schuldig“ – obwohl (bezogen auf sämtliche Fächer) bzw. innerhalb der Archäologie unter „den Kelten“ verstanden wird. Vielmehr existieren eine Vielzahl von (impliziten und expliziten) Definitionen.17 Typische Beispiele sind folgende: „die Kelten“ sprachen alle die gleiche (keltische) Sprache; „die Kelten“ verwendeten Objekte, welche heutzutage als latènezeitlich (bzw. eisenzeitlich bzw. sogar eisenzeitlich und urnenfelderzeitlich) bezeichnet werden; „die Kelten“ sind jene, die von antiken Autoren so genannt wurden. Das bedeutet, unter Umständen verstehen zwei Archäologen, die beide den Begriff „Kelten“ mündlich oder schriftlich verwenden, jeweils etwas völlig anderes darunter. Unter diesen Voraussetzungen ist sinnvolle Forschungsarbeit eigentlich nicht möglich. Nur sinnvoll definierte Begriffe, deren Definitionen von einem Großteil der NutzerInnen akzeptiert und als solche erkannt sind, ermöglichen dies. Die Diskussion um den Keltenbegriff wird dementsprechend innerhalb der prähistorischen Archäologie auch mit einiger Vehemenz geführt.18 Ich schließe mich dem wesentlichen Ergebnis dieser Diskussion an: Der Keltenbegriff als Beschreibung für ein prähistorisches „Volk“ ist ungeeignet,19 und er muss bei Verwendung jeweils genau definiert werden. Meiner Ansicht nach müsste also jedes Fachbuch, das sich mit „den Kelten“ beschäftigt, zumindest in der Einleitung die Problematik dieses Begriffs dem lesenden Publikum nahebringen. Die Analyse der von neuheidnischen AutorInnen verwendeten Fachpublikationen war in dieser Hinsicht ernüchternd:20 Nicht in allen Fällen existieren intensive Diskussionen über 17 Leskovar 2009, S. 107–110. 18 Pauli 1980; Chapman 1992; James 1999; Collis 2003, Rieckhoff 2007, Karl 2004; Karl 2008. 19 Ich halte ihn auch sonst nicht für besonders geeignet zur Verwendung in der Prähistorischen Archäologie, da er schon zu stark von verschiedensten Inhalten besetzt ist. 20 Leskovar 2009, S. 134 f.

129 Hain als vielmehr an stinkende Verhüttungsöfen und massiven Holzverbrauch denken lassen. Esoterische/neuheidnische Vorstellungen zu „den Kelten“ passen nur in den seltensten Fällen zu den Ergebnissen archäologischer Forschungen. Zu wissen, welche Vorstellungen das sind, gibt der Archäologie aber die Möglichkeit, erklärend zu reagieren – zumindest jenen gegenüber, die bereit sind, zuzuhören. Literatur Harald Baer (Hrsg.), Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen. Orientierungen im religiösen Pluralismus. Freiburg i. Br. / Basel / Wien 2005. Otto Bischofberger, Vom alten zum neuen Heidentum – Eine religionsgeschichtliche Hinführung. In: Otto Bischofberger, Peter Hölzle, Stefanie von Schnurbein, Das neue Heidentum. Rückkehr zu den alten Göttern oder neue Heilsbotschaft? Freiburg (Schweiz) 1996. 11–41. Philip Carr-Gomm, Die Weisheit der Druiden. Eine Einführung in die keltische Spiritualität. Stuttgart 2004. Malcolm Chapman, The Celts. The Construction of a Myth. London & New York 1992. John Collis, The Celts. Origins, Myths, Inventions. Stroud 2003. Coven Tanita-Pan, Hexen des Alten Weges. Praktische Magie und die Mysterien von Transzendenz und Macht. München 2002. Cornelius Holtorf, Tatort Stonehenge – Ein archäologisches Denkmal als moderner Bedeutungsträger. In: S. Wolfram, U. Sommer (Hrsg.), Macht der Vergangenheit – Wer macht Vergangenheit? Archäologie und Politik. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 3, 1993, 53–65. Ronald Hutton, The Triumph of the Moon. A History of Modern Pagan Witchcraft. Oxford University Press 2001. RonaldHutton, TheNewDruidry. In: ders.,Witches, Druids and King Arthur. London 2003, 239–258. es die Archäologie an sich aber besser als die neuheidnische Szene wissen sollte. Eventuell trägt das Wissen um die Problematik zu einem veränderten Umgang mit dem Keltenbegriff innerhalb der Prähistorischen Archäologie bei. Die neuheidnische Szene wird sich aller Voraussicht nach dadurch nicht davon abbringen lassen, in ihrer Religion etwas wirklich „Altes und Echtes“ zu sehen. Ebenso wenig werden die bereits existierenden „Keltischen Baumkreise“ abgeholzt werden, auch wenn zweifelsfrei erwiesen ist, dass es sich beim „keltischen Baumhoroskop“, das die Grundlage für die Baumkreise bildet, um eine Erfindung aus den 1970er-Jahren handelt. Damals kreierte eine Journalistin der Frauenzeitschrift „Marie Claire“ den Baumkreis, um dem europäischen Publikum ein Pendant zu indianischen Baumhoroskopen zu bieten.21 Seither ist die Mär von der großen Bedeutung von Bäumen für „die Kelten“ Bestandteil fast aller esoterischen Bücher zu Druiden, Kelten und dergleichen. Der Reiz des Baumhoroskops und damit der Baumkreise hängt sicher auch mit der bereits angesprochenen ständig kolportierten Vorstellung von der großen Naturverbundenheit „der Kelten“ zusammen. Unsere Kultur scheint hier eine Sehnsucht nach etwas angeblich Verlorenem ungefiltert auf die Vergangenheit zu übertragen. Denn ob sich die Menschen der prähistorischen Vergangenheit der Natur besonders verbunden oder vielleicht eher besonders ausgeliefert empfanden, lässt sich rückwirkend nicht mehr bestimmen. Gerade in der Eisenzeit entwickelten sich, denkt man an die Eisenverarbeitung, regelrechte Industriezweige, die weniger an das Wandeln im Heiligen 21 „Horoskop Gaulois“; Winkler 2006, S. 91–94.

130 Neugermanisches Heidentum: Analyse und Kritik. Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Texte 184, 2006, 68–96. Patricia Rahemipour, Die Utopie von der Vergangenheit – Ein archäologischer Blick auf die moderne Keltenrezeption. In: Hans-Ulrich Cain, Sabine Rieckhoff (Hrsg.), Fromm-Fremd-Barbarisch. Die Religion der Kelten. Mainz am Rhein 2002, 123–126. Sabine Rieckhoff, Die Erfindung der Kelten. In: Raimund Karl/Jutta Leskovar (Hrsg.), Interpretierte Eisenzeiten. Fallstudien, Methoden, Theorie. Tagungsbeiträge der 2. Linzer Gespräche zur interpretativen Eisenzeitarchäologie. Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich, Folge 19, Linz 2007, 23–37. Stefanie v. Schnurbein, Göttertrost in Wendezeiten. Neugermanisches Heidentum zwischen New Age und Rechtsradikalismus. München 1993. Stefanie v. Schnurbein, Religion als Kulturkritik. Neugermanisches Heidentum im 20. Jahrhundert. Heidelberg 1992. Stefanie v. Schnurbein, Die Suche nach einer ‚arteigenen‘ Religion in ‚germanisch‘- und ‚deutschgläubigen‘ Gruppen. In: U. Puschner, W. Schmitz, J.H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen’ Bewegung“ 1871–1918. München 1996, 172–185. Stefanie v. Schnurbein, Weiblichkeitskonzeptionen im neugermanischen Heidentum und in der feministischen Spiritualität. In: Otto Bischofberger, Peter Hölzle, Stefanie von Schnurbein, Das neue Heidentum. Rückkehr zu den alten Göttern oder neue Heilsbotschaft? Freiburg (Schweiz) 1996. 42–71. Stefanie v. Schnurbein, Neuheidnische Religionsentwürfe von Frauen. In: Otto Bischofberger, Peter Hölzle, Stefanie von Schnurbein, Das neue Heidentum. Rückkehr zu den alten Göttern oder neue Heilsbotschaft? Freiburg (Schweiz) 1996. 72–103. Stefanie v. Schnurbein, Transformationen völkischer Religion seit 1945. In: St. v. Schnurbein, J.H. Ulbricht (Hrsg.), Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe ‚arteigener‘ Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende. Würzburg 2001, 409–429. Stefanie v. Schnurbein, Religion of Nature or Racist Cult? Contemporary Neogermanic Pagan Movements in Germany. In: H. Cancik, U. Puschner (Hrsg.), Antisemitismus, Paganismus, Völkische Religion. München 2004, 135–149. Stefanie v. Schnurbein, Neugermanisches Heidentum. Kontext – Ideologie – Weltanschauung. In: Ronald Hutton, The Druids. London 2007. Ronald Hutton, Blood andMistletoe. The History of The Druids in Britain. New Haven & London 2009. Simon James, The Atlantic Celts. Ancient People or Modern Invention? London 1999. Raimund Karl, Die Kelten gab es nie! Sinn und Unsinn des Kulturbegriffs in Archäologie und Keltologie. In: Raimund Karl (Hrsg.), Archäologische Theorie in Österreich – Eine Standortbestimmung. Wien 2004, 7–35. Raimund Karl, Feine Unterschiede. Zu „Keltengenese“ und ethnogenetischen Prozessen in der Keltiké. Mitt. d. Anthrop. Ges. Wien 138, 2008, 205–23. Jutta Leskovar, Uraltes Neuheidentum? Archäologische Argumente in der „esoterischen“ Literatur und ihre Herkunft. In: Christiana Eggl, Peter Trebsche, Ines Balzer, Janine Fries-Knoblach, Julia K. Koch, Hans Nortmann, Julian Wiethold (Hrsg.), Ritus und Religion der Eisenzeit. Beiträge zur Sitzung der AG Eisenzeit während der Jahrestagung des Mittel- und Süddeutschen Verbandes für Altertumsforschung e.V. in Halle an der Saale 2007. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 49, 2008, 19–27. Jutta Leskovar, Kämpfen um die Kelten. Archäologische Argumente in der neuheidnischen Literatur und der Keltenbegriff in der Fachliteratur. Unpubl. Diss. Univ. Bangor/UK. (Keltische Forschungen, Wien, in Vorb.) PhilippMayring, Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim 82003. Doreen Mölders, Ralf Hoppadietz, „Odin statt Jesus!“ Europäische Ur- und Frühgeschichte als Fundgrube für religiöse Mythen neugermanischen Heidentums? Rundbrief Theorie AG 6/1, 2007, 32–48. JürgenObmann, DerkWirtz, Orte der Kraft? Bodendenkmale im Spannungsfeld zwischen Archäologie und Esoterik. Kölner Jahrbuch 1994, 27, 565–594. Christin Osterwalder Maier, Die Rache der Unterlegenen: Keltische Siege im mystischen Nebel. Archäologie der Schweiz 14, 1991/1, 53–60. Ludwig Pauli, Die Herkunft der Kelten. Sinn und Unsinn einer alten Frage. In: Ludwig Pauli (Hrsg.), Die Kelten in Mitteleuropa. Kultur – Kunst – Wirtschaft. Salzburger Landesausstellung 1. Mai – 30. Sept. 1980 Keltenmuseum Hallein. Salzburg 1980, 16–24. Matthias Pöhlmann, Rückkehr zu Odin und Freyja? Neugermanisches Heidentum – ein evangelische Kritik. In: Matthias Pöhlmann (Hrsg.), Odins Erben.

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