OÖ Heimatblätter 2010 Heft 3/4

228 Ransmayr erzählt in seinem Roman „Morbus Kitahara“ eine frei erfundene Geschichte von den Bewohnern einer Gebirgsregion, die nach der Kapitulation im2. Weltkrieg unter demDiktat der amerikanischen Besatzungsmacht dem völligen Ruin preisgegeben, im Elend dahinvegetieren müssen, als Strafe für die ungeheuerlichen Kriegsverbrechen. Der Autor simuliert eine Situation, wie sie potenziell Wirklichkeit hätte werden können, wenn die Siegermächte den sog. „Morgenthau-Plan“ in die Tat umgesetzt hätten: nämlich die völlige DeIndustrialisierung Deutschlands und die Reduktion des Landes auf einen Agrarstaat. Dieser möglicherweise vom Autor anvisierte historische Hintergrund eines solchen Plans wird im Roman allerdings nicht beim Namen genannt. Vielmehr wird ein Friede von Oranienburg angegeben, in dem eine solche politische Entscheidung getroffen wurde. Ransmayr verlegt den Schauplatz an einen Alpensee, dessen außerliterarisches Vorbild der Leser durch einige latente Hinweise in Lage und Namen als fiktionales Bild des Traunsees vermuten kann („Schlafende Griechin“ als Schiffsname, ein Steinbruch am dem Hauptort Moor gegenüberliegenden Ufer). Die weitgehend zerstörte und dem Verfall preisgegebene Stadt Moor wird als vor dem Krieg florierender Kurort mit noblen Hotels und Villen hingestellt, jetzt – in der Romangegenwart – herrschen Verfall und Chaos. Zitat: „Aus den Fenstern des Grand Hotels am See wuchsen Windhafer und Gras, und das eingestürzte Dach des Konzertpavillons bedeckte ein Chaos aus zerbrochenen Stühlen und SonnenLebensjahre wegfrißt und das Herz ertötet, sondern jeder weiht seine Tätigkeit nur dem Allerschönsten und sucht, soviel an ihm ist, das Reich der Vernunft auf Erden zu gründen. Wissenschaft und Kunst werden gepflegt, und jede rohe Leidenschaft, die sich äußert, hat Verbannung aus dem Tuskulum zur Folge. Kurz, ein wahres Götterleben beginnt in dieser großartigen Natur unter lauter großen, sanften Menschen.“ Als humanistisch Gebildetem war Stifter die Bedeutung des antiken Tusculum wohlbekannt. Der Landsitz Ciceros bei Frascati in den Albaner Bergen, wo er seinen illustren Freundeskreis um sich versammelt hatte und ihre Gespräche als „Tusculanae disputationes“ verfasste. Eine ähnliche Idee schwebte wohl dem Maler Albrecht vor. Schönheit, Wissen, Kunst und Freundschaft sollten eine ideale Lebensgemeinschaft von Gleichgesinnten verwirklichen helfen – hier wirkt auch noch deutlich der Freundschaftskult des 18. Jahrhunderts herein. Wir machen nun einen großen zeitlichen Sprung in die Gegenwartsliteratur: Wohl kaum ein anderes historisches Ereignis hat die österreichische Literatur so entscheidend verändert wie die Epoche des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges. Die Grauen des Krieges und die Gräueltaten der NSSchergen, und nicht nur dieser, sind vielfach historisch aufgezeichnet und literarisch eindringlich gestaltet worden. Ich nenne nur die Namen Franz Rieger, Elisabeth Reichart, Franz Kain, Heimrad Bäcker und Peter Paul Wiplinger stellvertretend für viele andere AutorInnen aus Oberösterreich. Als Beispiel: Christoph Ransmayrs Roman „Morbus Kitahara“ (1995).

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