OÖ Heimatblätter 2010 Heft 3/4

231 eisigen Einsamkeit und Verlassenheit des Beobachters interpretiert werden, aus dessen letztlich a-personaler Perspektive sie geschildert wird. – Einzig die mühsame Lektüre von Augustinus’ „Bekenntnissen“ holt den Bauern allmählich aus seiner inneren Erstarrung heraus. Die Fokussierung der „Oberfläche“ erinnert an die Verfahrensweisen des französischen Nouveau roman der 1950er- und 1960er-Jahre, an Alain Robbe-Grillet oder Michel Butor, nämlich: die Dinge für sich genau zu beschreiben, ohne darüber hinausweisende Sinngebung. – Der Bibliothekar Franz Rieger mag mit dieser Strömung in Berührung gekommen sein, die damals in der österreichischen Literatur in einem Nachholverfahren variiert wurde: Man denke an Gert F. Jonkes „Geometrischen Heimatroman“ (1969) oder an Peter Handkes frühen Roman „Die Hornissen“ (1966). Vielleicht hat auch der innovative Linzer Schriftsteller konkreter Poesie und Herausgeber der Zeitschrift „neue texte“ (ab 1968, später – ab 1976 – „edition neue texte“) Heimrad Bäcker eine Rolle gespielt: Dafür würde z. B. Waltraud Seidlhofers experimenteller Prosatext „Geometrie einer Landschaft“ in „edition neue texte“, Linz, 1986, sprechen. Die NS-Zeit überzog und verwüstete das Land mit ihren Gräueln. Neben dem Konzentrationslager Mauthausen und seinen Nebenlagern war das Schloss Hartheim als Tötungsanstalt sog. „lebensunwerten Lebens“ ein Ort des Massenmordes. Mit „Schattenschweigen oder Hartheim“ (1985) errichtete Franz Rieger ein literarisches Mahnmal – das Buch ist m e h r als ein Roman, alles andere als Punkt dieser Scheitellinie aus sind alle Seiten einzusehen, die sich Fuchs, der das Feld ganz genau kannte, von jedem andern Punkt aus, den Tatsachen entsprechend vorstellen konnte. Er kannte den Verlauf der Feldseite im Westen, die der Waldrand begrenzt, der, von der Ostseite aus, über die Scheitellinie, nur mit den Baumwipfeln sichtbar ist, während von der Südseite aus, die an die Gründe eines Nachbarn grenzt, dessen Hof unweit in einer Mulde steht, von den Mostbirnbäumen, die die Nordseite begrenzen, mehr als die halben Bäume zu sehen sind. Die Wölbung des Feldes von Süden nach Norden ist nicht so stark wie die vonOsten nachWesten, oder, da sich das Feld von Süden nach Norden länger erstreckt, verläuft die Wölbung allmählicher und jenseits der Mostbirnbäume fällt das Gelände stark in die Mulde ab, in der der Hof von Fuchs steht.“ Für Stifter spricht die detailgetreue Akribie, mit der Rieger die Landschaft optisch sichtbar macht, gegen Stifter aber spricht die Reduktion des Atmosphärischen (vgl. Anhang) und die Frage nach der „Bedeutung“ des Gesehenen und Beschriebenen. Allerdings sind Parallelen zu Stifters gegenständlichem Spätstil (v. a. in „Witiko“) bei Rieger unverkennbar. Eine These zu Rieger könnte lauten: „Das Schweigen der Landschaft“. Das in der Romantik nochmals betonte „Natura loquitur“ (Eichendorff) scheint hier außer Kraft gesetzt. Es fällt auf: Diese Landschaft ist völlig abstrakt dargestellt – rein geometrisch strukturiert und ohne erkennbare Bedeutung. Das scheinbar völlig Autonome und Indifferente des Landschaftsbildes – es handelt sich durchgehend um eine Winterlandschaft – könnte allenfalls als Spiegel der

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