OÖ. Heimatblätter 1950, 4. Jahrgang, Heft 2

Oberösterreichische Heimatblätter Herausgegeben vom Institut für Landeskunde am o.-ö. Landesmuseum in Linz durch Dr. Franz Pfeffer Jahrgang 4 Heft 2 April-Juni 1950 Inhalt Seite Walther Buchowiecki: Romanische Landkirchen in Oberösterreich.. Heinrich Wurm: Die Geumann auf Gallspach. Beiträge zu deren Geschichte und Genealogie 112 .. . . . . . .. Ernst Burgstaller: Die Traunkirchener Felsinschriften........ . . 125 Herbert Maurer: Zur Wertung der oberösterreichischen Grenzen unter besonderer Be¬ 135 rücksichtigung des Grenzverkehrs . . . .. . . * * Bausteine zur Heimatkunde 159 Herbert Jandaurek: Die Hochstraße ..*** Herbert Jandaurek: Das Totenhölzl bei Wimsbach. Leonhard Franz: Ein wikingischer Reitersporn aus Enns . . . * * * * . Franz Brosch: Die Linzer Martinskirche und das ufernorische Fußmaß der Quadrafluren Walter Luger: Ein Brief über Napoleons Rückzug 1812 . . . . . 176 Franz Stroh: Zur Gußform aus Kefermarkt Das Linzer Museum zwölf Jahre nach der Gründung......... . . 177 Lebensbilder 178 Wilhelm Freh: Ami Bouè. Ein Pionier der geologischen Forschung in Oberösterreich Wilhelm Jenny: Ein Bildnis Ami Bouès im oberösterreichischen Landesmuseum Eduard Kriechbaum: Theodor Berger. Zum 75. Geburtstag. 182 Schrifttum Buchbesprechungen 188 ... Von der wissenschaftlichen Arbeit unseres Nachwuchses . . . . . . ..... ... 191 Jährlich 4 Heste Zuschriften für die Schriftleitung (Beiträge, Besprechungsstücke) an Dr. Franz Pfeffer, Linz a. D., Museumstraße 14 Zuschriften für die Verwaltung (Bezug) an die Buchdruckerei des Amtes der o.-ö. Landes¬ regierung, Linz a. D., Klosterstraße 7 Verleger und Eigentümer: Verlag des Amtes der o.-ö. Landesregierung, Linz a. D., Klosterstr. 7 Herausgeber und Schriftleiter: Dr. Franz Pfeffer, Linz a. D., Museumstraße 14 Druckstöcke: Klischeeanstalt Franz Krammer, Linz a. D., Klammstraße 3 Druck: Buchdruckerei des Amtes der o.-5. Landesregierung, Linz a. D., Klosterstraße 7

berösterreichische Heimawlaate Jahrgang 4 - Heft 2 April-Juni 1950 Romanische Landkirchen in Oberösterreich Von Walther Buchowiecki (Wien) Wer sich aus dem bekannten Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler von Dehio-Ginhart *) eine Vorstellung davon verschaffen will, wie viele romanische Kirchen es in unserem Lande gibt, wird bald mit Befremden feststellen müssen, daß ihre Zahl verschwindend klein ist. Es fällt ihm vielleicht auch auf, daß im Lande unter der Enns bei scheinbar völlig gleichen Voraussetzungen die Ausbeute an romanischen Kirchenbauten wesentlich reicher ausfällt. Wie ist das zu erklären? Daß während der Pflegezeit des sogenannten romanischen Stils, also für unsere Gebiete etwa während des 11., 12. und halben 13. Jahrhunderts, Kirchen in unserem Bereich bestanden haben müssen und neu gebaut wurden, steht außer Zweifel. Ortsnamen, die bis in die genannten Jahrhunderte zurückverfolgt werden können und den Begriff „Kirche“ als Wortbestandteil führen, Urkunden, Tradi¬ tionsbücher und sonstige auf uns gekommene Aufzeichnungen dieser Zeit über¬ mitteln uns eine Kenntnis von jener erstaunlichen Fülle der Kultbauten, die es gegeben haben muß und wenn man diese Zeugnisse sorgfältig sammelt, kommt man auf die verhältnismäßig hohe Anzahl von 250 bis 300 Gotteshäusern, mit der wir zwischen 1000 und 1250 besonders deshalb rechnen dürfen, weil, wie Feri¬ humer nachgewiesen hat, damals der erste große Abschnitt im Aufbau des Pfarr netzes erreicht war2). Was ist mit all diesen Bauwerken geschehen? Wenn man auch zugeben muß, daß die Zeit der Gotik und besonders die des Barocks in unserem Lande überaus baufreudig war und Altes hinweggeräumt haben wird, kann das allein nicht den Ausschlag gegeben haben. In etlichen Fällen mag sich ja sogar die Möglichkeit bieten, bei genauer Untersuchung ihres Mauer bestandes an gotischen oder barocken Kirchen einen romanischen Kern nachweisen zu können; was in altem Gemäuer zu stecken vermag, hat erst jüngst die Heraus¬ lösung wesentlicher Bestandteile der vorromanischen St. Martinskirche zu Linz er¬ *) 2. Auflage (Wien 1941). 2) H. Ferihumer, Beiträge zur Geschichte der Entstehung und Entwicklung der Pfarrnetzes Österreichs ob der Enns (Maschinenschrift). Dissertation Universität Wien (1927). 97

Oberösterreichische Heimatblätter wiesen. Auch der Josephinismus traf eine beträchtliche Zahl gerade kleiner, alter¬ tümlicher Kirchen mit Schließung und Abbruch, da sie nicht mehr, wie vielleicht einst, Mittelpunkt jenes Glaubenslebens der Gemeinde waren, das sich inzwischen anderswohin verlagert hatte. Wir erkennen aber, daß die etwaigen Folgen der Blüte von Gotik und Barock, die Möglichkeit des Nachweises romanischen Bau¬ bestandes bei scheinbar jüngeren Kirchen und die Ergebnisse der josephinischen An¬ ordnungen mit vollem Recht gleicherweise auch für Niederösterreich vorausgesetzt werden müßten und somit nicht geeignet sind, das schon einmal berührte Mißver¬ hältnis im Bestand an romanischen Kirchenbauten der beiden so verwandt scheinen¬ den Länder auszugleichen. Die Gründe scheinen tiefer zu liegen und vor allem eng mit der Verwendung des Holzes als Baustoff zusammenzuhängen. Wenn über den kirchlichen Holzbau in Österreich gesprochen oder geschrieben wird, dann pflegt man meist den vielberufenen Satz aus der Lebensbeschreibung des seligen Bischofs Altmann von Passau (seit 1065, † 8. 8. 1091 in Zeiselmauer) heranzuziehen, der allerdings viel öfter aus dem Zusammenhang gerissen vorgelegt, als auf seine ganze, vom Ver¬ fasser beabsichtigte Sinngebung hin untersucht wird. Die Stelle lautet vollständig: „Vor seiner (Altmanns) Ankunft waren fast alle Kirchen jenes Bistums aus Holz und schmucklos, allerdings waren auch deren Priester, wenn ich so sagen darf, „hölzern', weil sie, in Ehen und weltliche Geschäfte verstrickt, des Gottesdienstes völlig unkundig waren. Statt des Kanons lasen sie „Miserere mei Deus', statt der Leidensgeschichte „Attendite’. Jetzt aber sind durch seinen (Altmanns) Eifer fast olle Kirchen im Bistum aus Stein, mit Büchern versehen und mit Bildern oder Zierat geschmückt und, was das Wichtigste ist, mit sittenstrengen und gebildeten Männern gut besetzt“ 3). Es fällt nun auf, daß nach dieser Textstelle nicht nur vor Altmann schon Steinkirchen bestanden („... fast alle waren aus Holz.,."), son¬ dern daß, trotz Altmanns Tätigkeit, Holzkirchen auch weiterhin vorhanden gewesen sein müssen („... fast alle sind aus Stein...“). Der Umbau dürfte demnach nur eine geringfügige, vielleicht bloß die wesentlichsten Kirchen betreffende Verschiebung mit sich gebracht haben. Dem Verfasser der Lebensgeschichte, vermutlich einem Mönch von Göttweig (um 1135), scheint der ganze Sachverhalt übrigens ja nur deshalb nahegegangen zu sein, weil er ihn zu einem Wortspiel auswerten und da¬ mit die verrotteten Sitten des zeitgenössischen Weltklerus geißeln konnte. Der symmetrische Bau der Stelle und ihre antithetische Zuspitzung für rhetorische Zwecke gemahnt fast an Predigtton, sodaß es fürs Erste sehr zweifelhaft ist, ob der Text¬ stelle überhaupt jene urkundliche Bedeutung gebührt, die ihr bisher stets einge¬ räumt wurde. Dazu kommt ein Zweites. Mehr als einmal mußte Altmann, der einer der glühendsten Verfechter jener von Cluny und Hirsau ausgegangenen kirchlichen Erneuerungsbestrebungen war, und im beginnenden Investiturstreit durch seine Stellungnahme für die päpstlichen Rechte in scharfen Gegensatz zur kaiserlichen 3) Mon. Germ. SS XII 234/17. 98

Buchowiecki: Romanische Landkirchen in Oberösterreich Gewalt kam, von seinem Bischofsitz flüchten; seit 1080 saß er überhaupt ständig in Niederösterreich, wogegen seinen Stuhl zu Passau, wo er ein „Zerstörer der passauischen Kirche“ geheißen wurde, die kaiserlichen Gegenbischöfe Hermann von Eppenstein (1085) und Thiemo (1087) besetzt hielten. Sollte also jene von jeder Schrift über die romanische Kirchenbaukunst in Österreich herangezogene Stelle der Lebensbeschreibung Altmanns wirklich jenen geschichtlichen Quellenwert besitzen, der vorhin ja stark in Frage gestellt wurde, dann müßte man ihn mindestens gebietsweise auf das Land unter der Enns beschränken, von dessen Verhältnissen der Göttweiger Mönch allerdings eingehendere Kenntnis gehabt haben könnte. Tatsächlich neigt Pühringer dazu, einen Teil der in dem gerade damals der Besiedlung erschlossenen niederösterreichischen Waldviertel zahlreicher auf uns ge kommenen romanischen Landkirchen der Einflußnahme Altmanns zuzuschreiben*). Schließlich bricht hier auch der scharfe Gegensatz zwischen der beharrlichen, am Althergebrachten haftenden Sinnesart des noch für lange Zeit zum bayerischen Stammesherzogtum gehörigen Landes ob der Enns und der mehr überlieferungs losen, stammesmäßig zusammengewürfelten und als Kolonialland Neuerungen ungleich mehr anfälligen Mark Österreich auf. In unserem Gebiet müssen wir daher mindestens noch für das 12. Jahrhundert — wenn nicht weiterreichend mit dem Holz als seit Geschlechtern vertrautem Rohstoff für den Kirchenbau rechnen. Dafür spricht nicht nur etwa die für 1110 gesicherte Holzkapelle in Lambrechten5), sondern auch die Notwendigkeit, bei den neugegründeten Klöstern Baumgartenberg (1141) und Wilhering (1144/45) bis zum Baubeginn ihrer ersten, dauerhaften Steinkirchen, d. i. in Baumgartenberg vor 1180 und in Wilhering 1195, also für die ersten fünfzig Jahre ihres Bestandes, Holzbauten voraussetzen zu müssen. Erst die Gotik, vor allem die späte des 15. Jahrhunderts, wird mit diesen schlichten, inzwischen wohl auch schon als unansehnlich empfundenen Bauwerken aufgeräumt haben, die vielleicht die Hälfte unseres Besitzes an „romanischen“ Kirchen ausgemacht haben werden. Daß es daneben bereits Kirchen aus Stein gegeben haben wird, braucht keineswegs bezweifelt werden. Schon die Baukunst vor 1000 kannte der Stein als Rohstoff in unseren Gegenden: das uns eben erst wiedergeschenkte St. Martin in Linz ist ein greifbarer Zeuge hiefür und ein Ortsname wie etwo der von Mauerkirchen („Murchiricha“), der 913 erscheint, bewahrt uns wenigstens die Erinnerung an einen steinernen Kirchenbau auf. Es ist ein sehr mühsames Verfahren, wenn man eine Vorstellung von der Gestaltung jener vorromanischen Kirchen gewinnen will; in Kärnten, im Vintschgau, in Graubünden, auf der Reichenau und im angrenzenden Bayern sind, um nur in der Nähe zu bleiben, Beispiele teils noch erhalten, teils ergraben oder annähernd rekonstruierbar. Auf sie ausführlich einzugehen, würde zwar aus dem gesteckten Nahmen fallen, doch *) R. Pühringer, Denkmäler der früh- und hochromanischen Baukunst in Österreich (Aka¬ demie der Wissenschaften Wien, Phil.-hist. Kl. Denkschr. 70/1) S. 77, 79 (Wien 1931). 5) F. Oberchristl, Glockenkunde der Diözese Linz (Linz 1941) S. 275.

Oberösterreichische Heimatblätter muß für den ländlichen Kirchenbau unseres Gebietes in der Zeit zwischen 1000 — 1250 wohl vielfach auch noch das Nachleben und die Weiterpflege vorromanischer Baugestalten vermutet werden. Es wird gleich notwendig sein, bei der Sammlung der für unsere Denkmäler verbindlichen Typen darauf zurückzukommen. Vorerst wollen wir aber zum Holzbau zurückkehren. Von den drei haupt¬ sächlichsten Werkarten, die das Holz zum Bauen verarbeiten, dem Stabbau, Fach¬ werkbau und Blockbau, wird aus mehreren Gründen nur der letztere für unsere Gebiete in Betracht kommen. Einmal gibt uns schon der noch heute übliche bäuerliche Haus- und Scheunenbau den entsprechenden Hinweis und dann vor allem der einstige Holzreichtum unseres Landes, denn der Blockverband ist die am meisten materialverschwendende Technik des Holzbaues, die man sich wohl nur deshalb gestatten durfte, weil, worauf die Ortsnamenforschung besonders hinzu¬ weisen vermag, gerade im 10. und 11. Jahrhundert die Rodungstätigkeit bei uns ganz besonders verstärkt worden war *). Der Blockverband baut mit liegenden Baumwalzen, was, da Stämme gleicher Holzsorte, wenn sie, wie erforderlich gleich dick sind, auch die gleiche Länge des verarbeitungsfähigen Teiles aufweisen, zur Bildung quadratischer Raumzellen führen muß. Reicht ein einziges Block¬ quadrat für den erstrebten Zweck nicht aus, dann kann dieses vorerst in einer Richtung beliebig vervielfacht werden. Wie wir uns derartige Bauten als Kirchen vorstellen müssen, kann wohl das, allerdings kaum vor 1658 entstandene, 1744 erneuerte, jedoch in altvertrauter Werkart errichtete Kolomanskirchlein auf dem gleichnamigen Berge westlich von Mondsee bezeugen; es steht an einer schon 1462 für den Kult des Heiligen verbürgten Stelle und wurde seit seiner Erwähnung bei Pillwein (1830) 7) bis 1941 8) vom kunstwissenschaftlichen Schrift¬ tum nicht beachtet. Bei diesem, meines Wissens einzigen alten Holzkirchlein Ober¬ österreichs handelt es sich nun um jene typische Quadratreihung (Länge: 16.05 Meter, Breite: 8.02 Meter), die aus starken, liegenden Bohlen gezimmert, außen mit Brettschindeln verschalt und innen getüncht ist. Die Fenster des flach gedeckten Raumes sind aus den Blockwänden einfach herausgeschnitten, die Tür in der westlichen, von einem schlichten Dachtürmchen überragten Schmalwand durch einen aufgebogenen Oberbalken ausgezeichnet. Aber die verfügbare Stammlänge konnte auch nach beiden Richtungen überschritten werden, was dann freilich im Innenraum zur Schwierigkeit der Deckenbildung führte, die auf einer gesonderten Stütze, oder, bei größerer Längserstreckung, auf einer Stützenreihe aufruhte. So kam nun zur Baugestalt des quadratischen Raumes oder dessen Verlängerung in einer Richtung noch die Lösung des quadratischen Einstützenraumes oder des längsgestreckten zweischiffigen Langhauses. Außer diesen Typen dürfen wir in Holz vielleicht noch weitere Baugestalten voraussetzen. Es wäre denkbar, durch *) K. Schiffmann, Das Land ob der Enns (München 1922) S. 92 ff. *) B. Pillwein, Geschichte, Geographie und Statistik des Erzherzogtums Österreich ob der Enns (Linz 1830) Bd 3 S. 313. 8) Dehio-Ginhart, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler in der Ostmark (Wien 1941) Bd 2 S. 83. 100

Buchowiecki: Romanische Landkirchen in Oberösterreich romanische „Versteinerungen“ in Bayern (Allerheiligenkapelle im Domkreuzgang zu Regensburg um 1150) und Böhmen auch naheliegend und durch den geheimen Hang zum Zentralbau, bezw. zur Kuppel in der bayerischen und böhmischen Gotik besonders gestützt, daß auch quadratische Räume mit achtseitiger Übereckkuppel als einst in unserem Gebiete heimisch gedacht werden dürften. Zu diesen Typen des Holzbaues treten nun solche des urtümlichen Steinbaues, der zum Großteil wohl noch immer auf den vorromanischen Kenntnissen und Gepflogenheiten beruhte und erst später, besonders unter dem Eindruck des Kampfes kirchlicher Behörden gegen das Holz als Baustoff Kulträume, dazu überging, die im Blockverband gefundenen Naumgestalten in Stein umzusetzen. Zu seinem Typenvorrat aus der Zeit vor 1000 zählte wohl der Langraum mit quadratischem oder querrechteckigem Chor, über dem bisweilen ein Ostturm sitzen konnte und an den eine halbkreisförmige oder hufeisenbogige Altar¬ nische gefügt sein mochte, weiters das vergrößerte Raumquadrat mit vier ein¬ gestellten Stützen, das in den Westwerken nordwestdeutscher Kirchen sein hohes Alter und die vermutlich vorchristliche Verwendung für den Kultbau zu erweisen scheint und das reine Rund, mit dem der urtümliche Steinbau die karolingischen Zentrallösungen aufgriff, um sie der spätesten romanischen Phase als Baugestalt für den Karner zu übermitteln. Als „Versteinerungen ursprünglicher Holzbau¬ gedanken kommen noch der Einsäulenraum, das zweischiffige Langhaus und im Hinblick auf die Allerheiligenkapelle zu Regensburg, St. Georg auf der Reichenau, St. Stephan in Werden, die Trikonchenkirchen in Köln sowie die von F. J. Lehner zusammengestellten Baugestalten der volkstümlich-romanischen Kunst in Böhmen 9) auch das von einer Achteckkuppel überragte, von vier Altarnischen verstrebte Raumquadrat in Frage. Im Zusammenhalt mit der kümmerlichen Zahl erhaltener Denkmäler mag dieses erschlossene Bild vom Gestaltenreichtum unserer Kirchen zur romanischen Zeit äußerst gewagt und verstiegen anmuten. Es sei deshalb, bevor wir auf die einzelnen Denkmäler selbst eingehen, noch einiges zur Stützung dieser Meinungen vorgebracht. Bestritten könnte vor allem das Auftreten der Zweischiffigkeit und des quadratischen Vierstützenraumes werden. Beide Baugestalten fanden aber in der späten Gotik Oberösterreichs eine geradezu hemmungslose Pflege, die tief verwurzelt gewesen sein muß und sich kaum so ohne weiteres hätte durchsetzen können, wenn man nicht schon mit derartigen Lösungen von früher vertraut gewesen wäre. Die älteste zweischiffige Kirche Österreichs, die Dominikanernonnen¬ kirche zu Imbach bei Krems (zwischen 1269 und vor 1282), die durch die Persön¬ lichkeit ihrer Stifterin, Gisela von Ort, auch mit Oberösterreich in Beziehung steht, verbürgt die alte Pflege dieser Baugestalt, das aus dem Ende des 15. Jahr¬ hunderts stammende Kirchlein zu Schlanitzen (B. H. Hermagor), dessen flache Decke einer mittleren Unterstützung durch einen Holzbalken bedarf, zeigt sie uns in noch urtümlicher Verbindung mit dem Holz als Baustoff und die zahlreichen *) Dějiny uměni národa českčho (1893). 101

Oberösterreichische Heimatblätter im Nordwesten Niederösterreichs während der späten Gotik zweischiffig gewölbten romanischen Langhäuser werden damit wohl nur eine Umsetzung ihrer früheren Unterteilung in Stein erfahren haben. Das Vierstützenquadrat, für welches etwa westlich unseres Gebietes mit St. Leonhard zu Regensburg ein Beleg aus der Zeit um 1150 erbracht werden kann, hatte auch östlich der Enns einen, wie es scheint, wichtigen und ehrwürdigen Vertreter: die älteste Klosterkirche zu Melk. Ihr quadratischer Vierstützenraum wurde zwar, wie der uns erhalten gebliebene vorbarocke Grundriß erkennen läßt, schon während der gotischen Zeit zur Erreichung eines Langchores abgeteilt, doch blieb er, nachdem die übrigen Schiffe des Stützenquadrats als Nebenkapellen irgendwie behelfsmäßig eingerichtet worden waren, bis zum Neubau unter Prandtauer erhalten. Wenn sich also die Zweischiffigkeit und das quadratische, durch vier Freipfeiler in neun Joche zerlegte Langhaus während der späten Gotik in Oberösterreich einer so ausschließlichen Beliebtheit erfreuten, darf wohl mit vollem Recht auf ihre romanische Pflege zurückgeschlossen werden. Wenn wir nun in die Besprechung unserer romanischen Kirchen eintreten, dann müßte das auf das alte Blockquadrat zurückgehende Raumquadrat der ehemaligen Pfarrhofkapelle in der Wim bei Wimsbach an die Spitze der Ausführungen gestellt werden, jedoch ist es nicht sicher, ob dieser von Johann Geistberger als romanisch angesprochene Bau 10) mit Recht in so frühe Zeit gerückt werden darf. So tritt uns erst eine ausgesprochene Quadratreihung mit der einstigen Nikolauskirche zu Oberperwend entgegen. Urkundlich wissen wir von ihr, daß sie in dem 1125 erstmalig genannten Ort durch Abt Alram II. von Kremsmünster (1165 —73) um 1167, wie Pillwein angibt 11) erbaut wurde, nachdem dieses Landgut 1160 durch eine Adelige namens Wilbirch seinem Stift geschenkt worden war 12). Die Kirche verfiel 1785, wie Gielge 13) und Pillwein andeuten, der josephinischen Profanierung, was F. X. Pritz zu dem Irrtum verleitet, daß sie in diesem Jahre abgebrochen worden wäre 14). Sie steht jedoch, wie Dorn mit Recht vertritt 15), noch heute mitten in dem kleinen Dorfe nördlich des Mayrgutes, zu dem es gehört, nur wurde ihr Langhaus später für Wohnzwecke umgestaltet, waagrecht und entlang der Mittelachse unterteilt und ihr Chorraum als Schuppen für landwirtschaftliches Gerät in Verwendung genommen. Der sockellose, vielfach verputzte Bau, vermutlich ein Feldsteingefüge, besteht aus einem 6.15 Meter breiten und 12.66 Meter langen Schiff, in dessen unveränderter 10) Frrtümliche Angaben über alte kirchliche Bauwerke, Christliche Kunstblätter Ig 55 (Linz 1914) S. 46. 11) Pillwein, Bd 3 S. 411. 12) Urkundenbuch für die Geschichte des Benediktinerstiftes Kremsmünster (Wien 1852) S. 376. 13) J. Gielge, Topographisch-historische Beschreibung aller Städte, Märkte, Schlösser... des Landes Österreich ob der Enns (Wels 1814) Bd 1 S. 72. 12) F. K. Pritz, Geschichte der ehemaligen Benediktiner-Klöster Garsten und Gleink im Lande ob der Enns und der dazugehörigen Pfarren (Linz 1841) S. 9. 15) Th. Dorn, Abriß der Baugeschichte Kremsmünsters (Linz 1931) S. 7. 102

Buchowiecki: Romanische Landkirchen in Oberösterreich Nordwand noch vermauerte Barockfenster erkennbar sind. Der (vielleicht nicht ursprüngliche) Chorraum ist ein kreuzgewölbtes Breitrechteck, 4.32 Meter lang und 5.67 Meter breit. Es wäre dringend zu wünschen, daß sich die Denkmalpflege dieses Bauwerks annähme und wenigstens die äußeren Putzschichten entfernen ließe, wodurch die urkundlich erschlossene Datierung ohne Zweifel einwandfrei er¬ wiesen und unserem Lande eine ihrer urtümlichsten Kirchen der romanischen Zeit wiedergegeben werden könnte. Eine allerdings nur mehr als niederer Mauerrest erhaltene Rundapsis, die 1909/10 auf Anregung von Prälat Josef Lohninger ausgegraben wurde, treffen wir im Altar- und Langraum der 1911 über die mittelalterlichen Mauerzüge erbauten Johanneskapelle am Fuße des Ahberges, 2.7 Kilometer süd¬ westlich von St. Georgen im Attergau. An die Reste eines Chorquadrats von 3 : 3.12 Meter Seitenlänge schließt sich eine Altarnische mit etwa einem Meter Halbmesser. Trotz der sonst phantastischen Gedankengänge Lohningers wird die Verlegung dieser Baureste in die romanische Zeit kaum zu bezweifeln sein. Außerst problematisch ist die Deutung der Nikolauskapelle und einstigen, 1785 gesperrten Pfarrkirche von Traunkirchen. Sie steht, östlich an das alte Hofrichterhaus anschließend, auf felsigem Grunde hoch über dem Ort und erhielt bei ihrer Profanierung (1811) eine Zwischendecke, wodurch ebenerdig Raum für eine Holzlage, im Obergeschoß ein Saal entstand. 1725 wurde die alte Anlage ausgebessert und vermutlich erhöht, mit neuen Rechteckfenstern in Stuckrahmung ausgestattet und innen an der Decke mit Fresken geziert. Am ursprünglichsten scheint die Apsis auf uns gekommen zu sein. Im Hufeisenbogen an den Langraum gefügt, besitzt sie außen zwischen breit aufsteigenden Wand¬ streifen je zwei Rundbogen, die sich friesartig um die Rundung ziehen, aber infolge der anzunehmenden Aufstockung zu tief sitzen. Ob ein alt überliefertes Baudatum von 1022 geschichtlich standhalten kann und auf den gegenwärtigen Bau bezogen werden darf, ist unsicher. Das wohl mächtige Mauerwerk enthält, soweit im Innern festgestellt werden kann, zwischen Feldsteinen auch in bodennaher Lage zahlreiche Ziegelstücke, die vielleicht von der erwähnten Wiederherstellung stammen könnten, aber auch einen weitgehenden Neubau möglich machen würden. Die Kapelle zur Gänze für eine Schöpfung des 17. Jahrhunderts zu halten 16), scheint mir abwegig. Die seit 1622 im Ort residierenden Jesuiten werden den Bau schon vorgefunden und vermutlich als Kongregationskapelle benützt haben. Wenn wir alles abwägen, was für und wider die Zugehörigkeit unseres Denkmals zum romanischen Stil vorgebracht werden könnte, dann würden die allen oberöster¬ reichischen Landkirchen dieser Zeit gemeinsamen geringen Ausmaße des Schiffes (zirka 9.7: 6.4 Meter), weiters die einstige Stellung dieses Baues als Pfarr¬ kirche und die Überlieferung eines hohen Alters die Zuweisung in die romanische Epoche glaubhaft machen, andererseits aber das Vorkommen von Ziegelbrocken 1e) Weißbacher und V. Hartenschneider, Das Decanat Altmünster ... Topographie des Erzherzogthums Österreich ... Bd 14 (Wien 1835) S. 75. 103

Oberösterreichische Heimatblätter im Wandgefüge und der ohne Entfernung des Verputzes in seinem Alter unbe¬ stimmbare, unserer Landkirchenarchitektur auch fremde Rundbogenfries zweifelhaft genug sein, um uns in der zeitlichen Ansetzung schwanken zu lassen. Die eigen¬ tümliche Apsisgestalt als Rest eines Karners deuten zu wollen, geht nicht an, weil das Untergeschoß für das Beingewölbe fehlen würde. Könnte die fragliche Jahres¬ zahl 1022 wirklich zurecht bestehen, dann wäre die altertümliche Nischenbildung noch einigermaßen verständlich. Ein wirklich gesichertes Denkmal tritt uns erst mit dem Langhause von Kößlwang entgegen. Der Ort scheint 1135 urkundlich erstmals auf, aus dieser Zeit könnte auch ganz gut das Kirchlein stammen. Es handelt sich hier um einen sockellosen, unverputzten Tuffquaderbau mit 7.53 Meter Frontbreite und 9.9 Meter Schifflänge, der leider während des Barocks gegen Süden verbreitert wurde und so seine rechte Längswand verlor. Immerhin ist die alte Westfront noch deutlich aus dem anderen Baustoff der barocken Verbreiterung — Feldstein und Ziegel — und besonders durch den ursprünglichen, sich aus der späteren Erhöhung deutlich abzeichnenden Dreiecksgiebel ablesbar. Die allerdings gleich¬ falls barock erhöhte Nordwand ist zur Gänze erhalten. Das Quaderwerk ist nicht ohne Geschick aufgeschichtet; Fenster sind nicht feststellbar. Ob den Dachsaum ein Bogenfries begleitete, ist wegen der Mauererhöhung nicht mehr zu entscheiden, doch im Hinblick auf die bisherigen Erkenntnisse eher zu verneinen. Der romanische Ostabschluß ist dürch einen mit Parallelrippennetz gewölbten Chor der späten Gotik ersetzt, der aber reichlich romanisches Steinmaterial mitverwendet zeigt. Weitaus günstiger steht es um den Erhaltungszustand einer eng verwandten, gleichfalls dem 12. Jahrhundert zugehörenden Kirche: St. Nikolaus in Aurachkirchen. Hier sind alle drei Mauern des Langhauses unverändert und die Quaderarbeit weitaus sauberer als in Kößlwang. Die Größenverhältnisse (9.63 Meter Breite, 12.28 Meter Länge) sind den Abmessungen der schon be¬ sprochenen Kirchen ähnlich. Der besonders an der Nordfront auffallende drei¬ fache Wechsel der Steinlagen (1.—7., 8.—30., 31.—33. Schicht) dürfte nicht auf verschiedene Bauabschnitte zurückzuführen sein; man wird doch die Kirche in einem Zuge zu Ende gebracht haben. Zwei Fenster, eines gegen Norden, ein vermauertes gegen Süden, sitzen auf der 24. Quaderlage auf, sind halbrund geschlossen und haben eine breite eingeschrägte Leibung, sodaß als innere Öffnung fast nur ein schmaler Schlitz zustande kommt. Das Innere ist, wie auch schon für den ursprünglichen Zustand vorausgesetzt werden muß, flach gedeckt, was erwünschte Rückschlüsse auf die Deckenlösung der schon behandelten Kirchen erlaubt. Angesichts der bis zum Dachansatz unverändert erhaltenen Längswände ist das Fehlen eines Rundbogenfrieses besonders zu betonen. Wie in Kößlwang wurde auch hier die romanische Chorlösung durch einen späteren Anbau vernichtet: ein etwas eingezogener, mit einer Dreiparallelrippenfigur gewölbter Chor der späten Gotik setzt an das um zehn Zentimeter mit Füllmauerwerk verlängerte Schiff an und verwendet, wie in Kößlwang, weitgehend romanische Quadern. Man kann 104

Buchowiecki: Romanische Landkirchen in Oberösterreich sich bei beiden so eng verwandten Bauten mit Recht fragen, ob hier nicht einst ein Ostturm vorhanden gewesen sein könnte, zumal, besonders in Aurachkirchen, die zahlreich im Mauerwerk des gotischen Chores steckenden romanischen Steine für mehr als eine Rundapsis ausgereicht haben würden. Mindestens ein Chor¬ quadrat nimmt schon Geistberger für Aurachkirchen in Anspruch 17). Dieser Umstand führt uns an die Frage nach den Türmen unserer romanischen Kirchen heran. Schlichte Bauten werden wohl mit einem hölzernen Dachreiter ihr Auslangen gefunden haben, reichere hingegen von einem Ostturm über dem Chorquadrat oder einem Westturm vor der Langhausfront überragt gewesen sein. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß beide Möglichkeiten schon in vorromanische Zeit zurückreichen. Der einzige im Kern noch erhaltene romanische Ostturm Oberösterreichs steckt in der, wie A. Klaar grundrißmäßig nachweisen konnte, aus romanischer Zeit, in der heutigen Gestalt jedoch aus der Mitte des 18. Jahrhunderts stammenden Bürgerspitalkirche zu Enns. Besser ist es um die Erhaltung der Westtürme bestellt. Der von St. Georgen im Attergau, mit der unge¬ sicherten Jahreszahl 1114 versehen, könnte im wesentlichen noch romanischen Ursprungs sein. Auch der Frontturm der Kirche in Schalchen wird romanisches Mauerwerk enthalten, weil im Innern des vorletzten Geschosses noch die ge¬ kuppelten Fenster sichtbar sind 18). Was sonst an Restén romanischer Landkirchen in unserem Gebiete verzeichnet werden müßte, ist unbedeutend. In Auerbach und Hartkirchen ist der romanische Grundbestand der Umfassungsmauern nur mehr zu vermuten 19, in Taufkirchen an der Pram konnte O. Oberwalder vor dem Einsturz des Westturmes (1922) Spuren der romanischen Anlage finden, „die auf einen be¬ scheidenen Bau schließen lassen“ 20). In Hörsching gelang P. Ortmayr der Nachweis romanischer Fenster im Dachboden 21) und ähnlich ist auch der Bau in Niederwaldkirchen (laut Mitteilung des dortigen Pfarrers) in seinen Grundzügen romanisch. Uns ist dieser Umstand nur deshalb von Wert, weil daraus zu erkennen ist, daß in zahlreichen Kirchen unseres Landes noch romanische Reste verborgen sein können. Groß ist die Zahl der verlorenen Denkmäler, von denen wir mit Sicherheit wissen. Romanische Kapitäle, die aus Braunau stammen sollen, finden sich auf Burg Kreuzenstein bei Wien, in den Sammlungen des Heimathauses zu Braunau steht wieder eine Säulenbasis, die vielleicht von der alten Kirche in 1) Siehe Anmerkung 10. 18) F. Martin, Die Kunstdenkmäler des politischen Bezirkes Braunau. Österreichische Kunst¬ topographie Bd 30 (Wien 1947) S. 348, 350. 19) Martin a. a. O. S. 48 ff. — E. Hainisch, Denkmale der bildenden Kunst, der Geschichte und der Kultur im politischen Bezirke Eferding (Linz 1933). 20) D. Frey, Die Denkmale des politischen Bezirkes Schärding. Österreichische Kunsttopo¬ graphie Bd 21 (Augsburg 1927) S. XIV. 21) Christl. Kunstblätter Ig 87 (Linz 1949) S. 29. 105

Oberösterreichische Heimatblätter Mattighofen oder Munderfing nach dem nahen Weinberg verschleppt und später von dort in das Museum verbracht wurde 22 Sehr unsicher ist die Zuweisung der drei Emporenkapitäle zu St. Georgen im Attergau für die romanische Zeit. Diese Säulenköpfe besitzen seltsam archaisierende Eckschnecken, die, so wie der übrige Kapitälkörper, von scharf aus¬ gezackten, stacheligen Blättern umhüllt werden und zwischen sich in der Kapitäl¬ mitte unter der Deckplatte einem Vier-, bezw. Zehnblatt auf besonderem Schildchen Raum geben. Auf einem Kapitäl rollt sich das vor der Eckschnecke liegende Blatt unter der Volute in entgegengesetztem Sinne zu dieser hin und die Säulenkopf¬ fläche zwischen den gerollten Eckblättern füllen übereinandergeschobene Schuppen oder eine Vase, aus welcher ein unbeholfener Baum mit mehreren Dreiblatten¬ digungen sprießt. All dies wäre für die Spätzeit der Nomanik durchaus denkbar; wieso aber greift diese primitive Zierweise auch auf die sich über den Kapitälen überschneidenden Archivolten der Orgelbühne aus der Zeit der späten Gotik über? Da jedoch auch in anderen Kirchen Stephan Wultingers, etwa in Schörfling, Vöck¬ lamarkt, Weißenkirchen oder Zell a. P., derart archaisierende Baubildnerei Ver¬ wendung fand, wäre es denkbar, daß dieser Meister eine in etwas altertümlicher Weise arbeitende Werkstatt herangezogen haben könnte, die vielleicht auch ältere Kapitäle als Vorlagen benützt haben würde 23). Baulich vielleicht von höherer Bedeutung, geschichtlich überdies einer der ehr¬ würdigsten Zeugen weit zurückreichender Kulturverknüpfung, war die 1785 ge sperrte, 1792 auf Abbruch versteigerte Kirche Unserer lieben Frauen auf dem Anger außer Enns24), deren ununterbrochene Nachfolge einer römischen Kirche schon Schmieder (1871) 25) und Lohninger (1917) 26) vermutet haben. Sie war, wie die Ausgrabungen 1936 erweisen konnten, tatsächlich der mittelalterliche Erweiterungsbau der frühchristlichen Basilika des Legionslagers Lauriacum und wird im Kleinen Stiftsbrief von St. Nikola in Passau (1067), dann wieder 1111 und 1220 als eine mit Pfarrechten — vermutlich für die Eigenleute der Pfalz Loraha begabte Kirche aufgeführt 27). Der romanische Bau, dessen Mauern, wie die Grabung ergab, genau gleichlaufend zu den Grund¬ linien der frühchristlichen Kirche verliefen, wird um 1100 anzusetzen sein und hatte eine ungefähre Frontbreite von 13 m. Die Länge muß 21 m übertroffen haben, denn der Ostabschluß konnte wegen Grundschwierigkeiten nicht aufgedeckt werden 22) Martin a. a. O. S. 100. 23) W. Buchowiecki, Stephan Wultinger und die gotischen Kirchenbauten im oberösterrei¬ chischen Attergau. Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 11 (1937) S. 46. 24) J. Schicker, Die Kirche Maria auf dem Anger außerhalb Enns, Jahrbuch des o. ö. Musealvereines Bd 87 (Linz 1937) S. 447 ff. 25) P. Schmieder, Lorch und Enns (XI. —XVI. Jahrhundert). Ein Beitrag zur obderennsi¬ schen Kulturgeschichte, 30. Bericht über das Museum Francisco-Carolinum (Linz 1871) S. 35—42. 26) J. Lohninger, Die Stadtpfarrkirche zu Lorch-Enns. Christliche Kunstblätter Ig 58 (Linz 1917), 59 (Linz 1918). 27) „ad luminaria ecclesie tradidi eis capellam sancte Marie in ciuitate Lauriacensi cum omne iure parochiali". 106

Buchowiecki: Romanische Landkirchen in Oberösterreich Die Mächtigkeit der Grundfesten (1.5 m) läßt einen hoch herausgeführten Bau voraussetzen. Gegen das Innere springen in Abständen von 4.4 m die Fundamente von Wandvorlagen ein, die einen Rückschluß auf die Raumgliederung erlauben könnten. Wie alten Bildern — dem großen Stadtgemälde von Enns 1626, der Stadtansicht von Vischer 1672 und einem gedruckten Ablaßzettel — wegen der Kleinheit der Darstellung allerdings nur ungefähr entnommen werden kann, war bloß der Chor gotisch vergrößert; dagegen wird das romanische Langhaus im Kern bis zur Abtragung bestanden haben. Zu den längst niedergerissenen romanischen Bauwerken Oberösterreichs gehört auch die 1170 dem heiligen Agidius geweihte Rundkapelle von Kremsmünster. Sie hatte 5.7 m Durchmesser und war zweigeschossig. Der als Gruftgewölbe gedachte Unterraum besaß, wie aus der Textstelle „begraben unter dem Altare, der über der Säule gelegen ist" 28) entnommen werden kann, eine freistehende Mittelsäule. Es handelte sich hier also um einen Karner, dessen Gestaltprägung aus noch erhaltenen Beispielen in Österreich bestens vertraut ist Leider ist auch eine größere Rundkirche der romanischen Zeit spurlos ver¬ schwunden: die anläßlich einer Lichtstiftung durch Philipp von Mauthausen 1342 erstmalig genannte „rundscheibige“ Marienkirche auf dem Stadtplatz zu Enns, die wahrscheinlich schon seit den Anfängen des Marktes bestand und r besseren Unterscheidung von Maria am Anger nach ihrer Baugestalt bezeichnet wurde. Wir müssen sie uns, da Abbildungen des Baues fehlen, einer in Scheib¬ lingkirchen (N.-S.) erhaltenen, um 1150 begonnenen und vor 1164 schon vor¬ handenen ähnlichen Schöpfung gleichgestaltet vorstellen 29). Dem großen Rundbau wird somit eine Halbkreisapsis angefügt gewesen sein und das Außere durch Wandstreifen oder Halbsäulen eine entsprechende Gliederung erfahren haben. Das Fehlen des Rundbogenfrieses in Scheiblingkirchen ist beachtenswert und auch für Enns anzunehmen. Daß mit dieser Grundrißlösung karolingisch-vorromanische Baugedanken weitergesponnen wurden, steht außer Zweifel. Das Gotteshaus war entweder Filiale von St. Laurenz in Lorch und als solche städtische Eigenkirche, oder, wie Schmieder vermutet 30), Taufkirche. Diesbezüglich scheint die Erwähnung der Anschaffung eines Taufsteins für die Scheiblingkirche, die in den Kirchen¬ rechnungen von St. Lorenz für das Jahr 1448 verzeichnet ist, einen beachtens werten Hinweis zu geben 31). Heinrich der Vol und seine Gattin Lucia bestifteten am 24 7. 1389 die Scheiblingkirche mit einem Heiligen Geist-Altar; 1412 —16 wurde sie durch Dechant Ulrich zu Enns um eine Dreikönigs- und Veitskapelle vergrößert, ohne deshalb ihre Rundgestalt eingebüßt zu haben, wie ihre 1415 als „ecclesia rotunda“ erfolgte Nennung bezeugt. Noch 1498 wird der Bau einer 28) Mon. Germ. SS. XXV. 671, 42. 29) E. v. Sacken, Die Rundbauten zu Scheiblingkirchen, Pulkau und Zellerndorf in Nieder¬ österreich. Mitteilungen der k. k. Zentralkommission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenk¬ male Bd 5 (Wien 1860) S. 337. 30) Schmieder a. a. O. S. 43 — 48. 31) „1 tawfstain in die Scheybling chyrichen am Marckcht 10 ß“. 107

Oberösterreichische Heimatblätter durchgreifenden Wiederherstellung unterzogen und vielleicht um die Sakristei („Sagrar") vergrößert. 1565 erbitten sich die inzwischen evangelisch gewordenen Ennser Bürger von Kaiser Maximilian II. die Erlaubnis, „die kleine, abge kommene, ganz baufällige, zerklobne und z. T. eingefallene“ Scheiblingkirche, die dem angefangenen Stadtturmbau hinderlich war und ohne merkliche Kosten nicht hätte wiederhergestellt werden können, abtragen und die von ihr gewonnenen Steine für den Aufbau des Stadtturms verwenden zu dürfen, was der Kaiser mit einem Schreiben vom 23. 12. genehmigte. 1618 verlor Enns neuerdings ein Zeugnis seiner ohne Zweifel hochstehen¬ den romanischen Baukultur: die Georgskapelle der Burg. Auch sie war geschichtlich von Bedeutung, hatte sie doch jener Bodenerhebung, auf welcher der Erbschaftsvertrag zwischen den Herzogen Leopold V. und Otakar IV. im August 1186 abgeschlossen wurde (Georgenberger Handfeste), ihren Namen gegeben! Diese Kapelle wird urkundlich am 15. 7. 1230 erwähnt 32), weil dort die päpst¬ lichen Gewaltträger, der Abt von Baumgartenberg und die Dekane von Sankt Florian und Lorch, die Exkommunikation über Albero von Arnstein und Euphemia von Peilstein wegen der dem Kloster Waldhausen hartnäckig entzogenen Zehnten aussprachen. Bloß die Enns nahegelegene, künstlerisch sicher mit dieser Stadt in Ver¬ bindung gestandene und 1159 erstmals genannte Burganlage von Spielberg enthält in ihren Ruinen eine später gotisierte Schloßkapelle („Maria Elend") von deren ursprünglich flach gedecktem Langraum in der Nordwand drei ver¬ mauerte romanische Fenster erhalten sind 33) Diesen eindeutig als romanisch erwiesenen Kirchen müßte wohl, wie eingangs dargetan, eine große Zahl längst abgetragener und vergessener Gotteshäuser an¬ gereiht werden. So ist es möglich, daß die einstige Laurenzkirche in Grünbach bei Gunskirchen noch der von uns betrachteten Zeitspanne angehörte. Dem gleichen Heiligen war in Zeitlham (Gemeinde Pucking) eine Kirche gewidmet, Zierberg (Gemeinde Kremsdorf bei Ansfelden) besaß eine Peterskirche: von allen dreien gelangten Römersteine in die Sammlungen des Landesmuseums zu Linz, die glaubhaft machen, daß es sich bei den genannten Kirchen um sehr alte, wohl romanische Bauten gehandelt haben muß. Einige dieser verschwundenen Kirchen hat A. Rosenauer für den Bezirk Eferding besonders zusammen¬ gestellt: St. Blasius in Axberg, St. Ulrich in Breitwiesen bei Wallern, St. Walter im Pächl bei Dachsberg, St. Jakob am Stein bei Unterfreindorf, sowie Kirchen in dem 1140 erstmalig urkundlich genannten Ort Oberrudling und Haitzing bei Aschach 34). Uns fehlt jedes Hilfsmittel, die Bauzeit dieser zerstörten Kirchen festzulegen, aber es liegt durchaus im Bereich der Möglichkeit, daß einige von ihnen noch der romanischen Zeit zugehört haben könnten. Wenn die umstrittenen 32) Oberösterreichisches Urkundenbuch Bd 2 S. 686. 33) O. Piper, Österreichische Burgen, Bd 4 (Wien 1905) S. 224. 34) A. Rosenauer, Verschwundene Kleinkirchen im Bezirk Eferding, Oberösterreichische Hei¬ matblätter Ig 2 (Linz 1948) S. 61 ff. 108

Buchowiecki: Romanische Landkirchen in Oberösterreich Bildwerkssteine von Edramsberg nach der Ansetzung von K. M. Swoboda tat¬ sächlich der Zeit um 1190 entstammen sollten, dann wäre wenigstens für die einst dort vorhandene Achazkapelle ihr Zurückreichen bis in die romanische Epoche belegt. Eine bestimmte Gruppe von romanischen Baudenkmälern unseres Landes ist, wie es scheint, ohne eine Verbindung zur Entwicklung der klösterlichen Kirchen¬ architektur nicht zu denken. Diese blieb freilich, weil sie in der Schaffung von Großkirchen gänzlich anderen Entwicklungsvoraussetzungen folgte und vielfach auch Verbindung mit ferner, vorwiegend im Westen und Norden liegenden Kunstkreisen aufnahm, außerhalb unserer Betrachtung. Einen abschließenden Blick auf die von diesen Denkmälern irgendwie beeindruckten nichtklösterlichen Kirchenschöpfungen unseres Bereiches müssen wir jedoch noch werfen. Meist war es der Umstand der Inkorporation, der diese Kirchen an die führenden Häuser knüpfte, erst später mögen nacheifernd die diesbezüglich ungebundenen Pfarren gefolgt sein. Eines der wichtigsten Denkmäler der ersten Art war einst wohl St. Lau¬ renz zu Lorch35). Wahrscheinlich auf einen römischen Tempel bezw. eine altchristliche (Bischofs-?) Kirche zurückgehend, stand dieser von Zibermayr als ehemalige Metropolitankirche von Ufernoricum und erste, allerdings unterge¬ gangene Mutterkirche Bayerns vor St. Peter in Regensburg angesprochene „Eck¬ pfeiler der bayerischen Kirchengeschichte" 36) mindestens seit den geltend gemachten Rechtsansprüchen Bischof Pilgrims von Passau (971 —91) im Vordergrund der Kirchenpolitik der Diözese und war das Mittelalter hindurch ein Archidiakonat von Passau, also mit der Kathedralkirche eng verbunden. Die hier errichtete romanische Pfeilerbasilika ging seit 1323 im gotischen Um- und Erweiterungsbau auf und es müßte erst durch eingehende Maueruntersuchung erhoben werden, was, von den romanischen Halbsäulen am unteren Teile des Turmes und den Rund¬ fenstern im Dachboden abgesehen, dem ersten Bau zugehört haben würde, bezw. wie er vorzustellen wäre. Von der Ostendigung abgesehen enthält das aus einem vierjochigen, von Pfeilern getragenen und einst wohl flach gedeckten Mittelschiff, einem westlich durch den einspringenden Turm um ein Joch verkürzten südlichen Seitenschiff und einer gegen Westen um ein Joch über das Mittelschiff hinaus verlängerten nördlichen Abseite bestehende Langhaus ohne Zweifel den romanischen Bau im Kern. Es wäre denkbar, daß der westliche Teil des Langhauses einst Westchor war und der asymmetrisch aufgestellte Südturm ein Gegenstück nördlich des zu vermutenden Westchors hätte bekommen sollen. Auch ein zweiter Kirchenbau ist durch seine wirtschaftliche Bindung an St. Nikola in Passau mit dem Sitz des Hochstifts in Zusammenhang: die Pfarr¬ kirche zu Aspach. In der gegenwärtigen gotischen Basilika sind, womit sich Puchner gründlich auseinander gesetzt hat 37), wesentliche Teile der romanischen Vorgängerin mitverwendet: an der Westfront stehen zwei strebepfeilerartige 35) Siehe Anmerkung 26. 36) J. Zibermayr, Noricum, Baiern und Österreich (München 1944) S. 358. 37) N. Puchner, Die Pfarrkirche in Aspach im Innkreise, O.-D., Christliche Kunstblätter Ig 80 (Linz 1939) S. 3 ff. 109

Oberösterreichische Heimatblätter Mauerreste, die weniger weit von einander abstehen als die Mittelschiffsbreite ausmacht und mit Recht als Reste eines Westturmes gedeutet werden, dessen Grundmauerspuren noch nachgewiesen werden können. Weiters kann eine wesent¬ liche Verdickung der Westwand festgestellt werden, welche die Frontbreite der romanischen Kirche verrät und schließlich ist anscheinend noch die nördliche Hoch schiffmauer mit ihrer regelmäßigen romanischen (?) Quaderfügung und Fenstern (?) erhalten. Die Längserstreckung dieser Kirche war, wenn in der Nordwestecke des Gruftraumes mit Recht die Fundamentbegrenzung der romanischen Anlage erkannt werden darf 38), nicht sehr bedeutend. Die Frontbreite, die Mauerreste im Licht¬ gaden und die für die gotische Zeit in unseren Gegenden ungewöhnliche Baugestalt der Basilika zwingen zu dem Schluß, daß die eigene Lichtzufuhr des Mittelschiffs vom romanischen Bau übernommen worden sein wird. Die von Puchner rekon¬ struierte Pfeilerteilung des Langhauses, Höhe des Westturmes und Ostendigung mit drei Apsiden 39) wird mehr oder weniger zurecht bestehen können, die An¬ nahme des „Gebundenen Systems“ ist aber mit einer Datierung auf die 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts “0) stilgeschichtlich unvereinbar. Dagegen dürfte die von Dehio-Ginhart “1) für das Ende des 13. Jahrhunderts vorgeschlagene Bauzeit wieder zu spät gesetzt sein. Wahrscheinlich liegt das Richtige in der Mitte un so wird auch die Basilika von Aspach, wie die meisten romanischen Kirchen unseres Gebietes, dem 12. Jahrhundert angehören. Ähnlich wird man sich den gleichfalls für das 12. Jahrhundert voraus¬ zusetzenden großen Neubau in Neukirchen a. d. Enknach denken dürfen 12 der vielleicht mit der 1125 erfolgten Schenkung der Kirche durch Herzog Heinrich von Bayern an das Stift Ranshofen in Zusammenhang stand. Ein Werk von größerem Umfange muß auch die wohl von Kremsmünster abhängige Stadtpfarrkirche zu Wels gewesen sein: sicher eine Basilika, wie die Baugestalt der bestehenden gotischen Kirche bezeugt, die wohl noch wesentliche Mauerreste der romanischen Anlage enthalten wird und gleichfalls aus der Mitte des 12. Jahrhunderts — Weihe 1171 ? —stammen dürfte. Die Formen des einzig davon erhaltenen Restes, des Portals in der Turmhalle, würden zwar für eine Ansetzung gegen das Ende des Jahrhunderts sprechen, allein Pühringer hält die motivisch mit Millstatt vollkommen analogen Ziergestalten, wie Stabmuster, Spiralen, abgefaste Pfeilerkehlen und die Bauplastik für spätromanische Über¬ arbeitungen 43). Die Kirche stellt er sich als Pfeilerbasilika ohne Querschiff mit drei Altarnischen an der Oststirn vor 44). Das eben für die Datierung heran¬ gezogene Portal ist ein Stufentor mit zwei Eintreppungen und eingestellten 39) Puchner, G. 4. 30) Puchner, S. 11 Abb. 6. 40) Puchner, S. 4, 6. *1) Dehio-Ginhart, S. 9. 22) Martin a. a. O. S. 277. 23) Pühringer a. a. O. S. 45. 44) Pühringer, S. 88. 110

Buchowiecki: Romanische Landkirchen in Oberösterreich Säulen. Der Halbkreisbogen des Portals ist seltsam gequetscht und entbehrt, da die Türöffnung bis zum Bogenscheitel reicht, eines Tympanons. Eine in gotischer Zeit oder noch später erfolgte Veränderung des ursprünglichen Zustandes steht außer Zweifel. Die Musterung der Gewändesäulen mit schraubiger Riefelung und zwei- bis dreistreifigem Bandgeflecht, sowie die Belebung der Pfostenkehlen mit aufgesetzten Schellen ist beachtenswert. Ihre Bekrönung erfahren die eingestellten Säulen durch Würfelkapitäle, soweit sie nicht, zusammen mit dem Kämpferstein, im Bereich des Tordurchlasses abgearbeitet wurden. Die spärliche, aber wichtige Bauplastik gehört nicht in den Rahmen unserer Betrachtungen. Zu diesen Denkmälern würde noch ein Bau des 13. Jahrhunderts treten, der gemeinhin als „romanisch“ angesprochen wird: der Karner St. Barbara in Mauthausen. Er ist vielleicht um 1250 errichtet worden und scheint, wofür seine Lage im Osten des Landes fast eine Art Beweis erbringen könnte, mit der von Donin oftmals untersuchten, vorwiegend in Niederösterreich tätigen soge nannten „donauländischen“ Hütte in Zusammenhang zu stehen. Werke dieser Bau¬ hütte stünden jedenfalls nicht fern von Mauthausen auf niederösterreichischem Boden. Dieser Werkverband bedient sich wohl noch romanischer Zierweise, besitzt aber bereits eine vorläufige Kenntnis der gotischen Bauweise und fällt somit nicht mehr in den Rahmen unserer Ausführungen. Möglich, daß von dieser Hütte auch die Stadtpfarrkirche zu Linz geschaffen wurde, die nach der durch den Aufschwung unter den letzten Babenbergern verursachten Ausdehnung des ursprünglich nur im Schatten des Schloßberges zusammengekauerten ersten Gemeinwesens gegen Osten innerhalb der hinausgerückten Stadtbefestigung errichtet und 1285 mit den Pfarrechten von St. Martin begabt wurde 45). Geringe Spuren dieses Baues sind in der Turmstiege nachweisbar. Ob der südlich des Chores stehende und mit gekuppelten Schallfenstern aus¬ gestattete Turm von Stadlkirchen der 1263 erstmals genannten Kapelle an¬ gehört, ist ungewiß. Die Bildung der Doppelfenster macht sogar einen früh¬ barocken Eindruck. Ebenso fraglich ist es, ob der ältere Turmunterbau der Kirche von St. Georgen bei Tollet der Zeit um 1250 entstammt. Sicher erst nachromanisch ist der sogar durch ein dreiteiliges Fenster im Glockengeschoß auf¬ gelockerte Turm der Kirche in Hallstatt. Man muß nämlich berücksichtigen, daß Turmbauten dieser Art in unseren Alpenländern noch bis ans Ende der gotischen Zeit hinaufreichen können. F. Martin hat diesbezüglich auf Beispiele in Salzburg aufmerksam gemacht (Alm 1509 ?, Dorfgastein, Oberalm 1519, Piesendorf, Radstadt, Rauris, St. Gilgen, Uttendorf) 46), doch läßt sich diese Erscheinung gleicherweise auch in Tirol (Kundl, St. Siegmund am Brenner, Zell am Ziller u. a.) und Kärnten (etwa Luggau 1530) verfolgen. Überblicken wir nochmals das auf den vorhergegangenen Seiten Dargelegte, so muß einbekannt werden, daß uns durch den Verlust der schlichten und urtüm¬ 45) E. Straßmayr, Das Linzer Stadtbild in seiner geschichtlichen Entwicklung, Heimatgaue Ig 3 (Linz 1922). 16) F. Martin, Kunstgeschichte von Salzburg (Wien 1925) S. 36. 111

Oberösterreichische Heimatblätter lichen Kirchenbauten des 11. und 12. Jahrhunderts eine wesentliche Handhabe zur besseren Erkenntnis unserer Baukunst entrissen wurde. Wir könnten, wenn wir über die Weise dieses Bauschaffens eingehender unterrichtet wären, sicher nicht nur die spätere gotische Entwicklung tiefer verstehen und wuchshaft in den Ablauf der bodenständigen Überlieferung einordnen, sondern auch den Nachweis einer, neben dem im Sinne der Kunstwissenschaft tatsächlich „romanischen“ Gro߬ kirchenbau der Klöster nur sogenannt „romanischen“, in Wahrheit aber weit¬ gehend eigenständigen und auf die Voraussetzungen des vorromanischen Holz- und Steinbaues zurückgehenden Baukultur erbringen. Die Geumann auf Gallspach Beiträge zu deren Geschichte und Genealogie Von Heinrich Wurm (St. Georgen bei Grieskirchen) In der Geschichte Oberösterreichs spielte Gallspach erst dann eine größere Nolle, als Eberhard V. von Wallsee (1301— 1371), der Landeshauptmann ob der Enns, daran ging, die landesfürstliche Politik auch im Trattnachtale voran¬ zutreiben. Ziel dieser Politik war es, die Grafen von Schaunberg daran zu hindern, daß sie aus ihrem Hauptbesitz und jenem im Attergau ein geschlossenes Territorium bilden könnten. Als trennende Linie erwies sich das Trattnachtal sehr geeignet, denn in der Feste Tratteneck, die zur Hälfte habsburgisches Lehen war*), war schon ein Ansatzpunkt gegeben, von wo aus der Schnitt geführt werden konnte. Dies geschah denn auch, als der Wallseer das Recht erhielt, in das neuerbaute Schloß Tollet eine Besatzung hineinzulegen2). Die Basis Tollet-Tratteneck wurde zum strategischen Dreieck erweitert, denn auch Gallspach gelangte in Eberhards Besitz 3). Damit wurde Gallspach aus dem Dornröschenschlaf erweckt und auf die Bahn einer reicheren Entwicklung geschoben, war doch der neue Herr ebenso ein¬ flußreich wie vermögend. Er bediente sich jenes Mittels, das im Mittelalter die wirt¬ schaftliche Entwicklung kleiner Orte so günstig beeinflußte: er erwirkte mit Urkunde vom 19. August 1343 der Bartholomäuskapelle in Gallspach pfarrliche Rechte *) *) F. Sekker, Burgen und Schlösser, Städte und Klöster Oberösterreichs (Linz 1925) G. 292. 2) Urkunden-Buch des Landes ob der Enns, Bd 6 (Wien 1872) S. 6, 4. April 1331. Dietmar von Lexbühel wollte die bescheidene Burgstelle Tollet zu einem „Hause“ umgestalten, wozu er beim Landesherrn, König Friedrich, um die nötige Erlaubnis nachsuchte. Der Bau wurde unter der Bedingung bewilligt, daß der Bauwerber Tollet aus dem Lehensbande der Herrschaft Ort (am Traunsee) lösen und sodann vom Hause Österreich zu Lehen nehmen sollte. Weil er das Lehen nicht in ein Eigen umwandeln konnte, drohte die landesfürstliche Konfiskation, aus der ihn der Revers befreite, mit dem Hause Tollet jedem obersten Landrichter stets dienstbar zu sein. Die Urkunde ist ein klassischer Beleg zur Feudalverfassung des Mittelalters. 3) Jahr und Tag der Erwerbung sind unbekannt. *) Urkunden-Buch, Bd 6 S. 452. 112

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