OÖ. Heimatblätter 1950, 4. Jahrgang, Heft 2

Oberösterreichische Heimatblätter erzogen, bekannte er sich doch auf Grund eigener Beobachtungen und Erkenntnisse von Anfang an zu den Plutonisten, ohne allerdings anfängliche Übertreibungen dieser Lehre zu billigen. Er gilt als der Begründer der Regional- und Kontakt¬ metamorphose, er erkannte frühzeitig die Bedeutung der Eiszeit als eines selbst¬ ständigen Abschnittes der Erd- und Menschheitsgeschichte, auf ihn geht unter an¬ derm noch zum Teil die Zeichengebung der heutigen geologischen Karten zurück. Im ganzen gesehen, kann er als einer der ersten großen Geologen mit gegenwarts¬ giltigen Auffassungen angesprochen werden. Seine aus Oberösterreichs Boden geschöpften Kenntnisse sind in der Fülle seiner wissenschaftlichen Arbeiten verstreut (Boué schrieb 11 größere selbständige Werke und mehr als 300 Abhandlungen in deutscher, französischer und englischer Sprache). Zu seinen wesentlichsten Beiträgen zur geologischen Erforschung Ober¬ österreichs zählen seine Studien über die zeitliche Stellung der Gosauschichten, die er als erster der Oberen Kreide zuordnete, ferner seine Erkenntnisse über das Alter und die Entstehung der eiszeitlichen Ablagerungen des Alpenvorlandes. Boué's Wirken ging aber über den Rahmen der Geologie im engeren Sinne weit hinaus. Drei große Reisen durch die Balkanländer vermittelten ihm ein Wissen, das ihn zum besten Kenner der bis dahin wissenschaftlich kaum unter¬ suchten Südostecke Europas machte; sein berühmtes Werk über die Länder der europäischen Türkei ist eine bis heute noch unübertroffene Monographie des Bal¬ kans überhaupt. Daß sich Boué bereits ernsthaft mit Problemen der Untertun¬ nelung des Armelkanals und mit dem Bau eines Nord-Ostseekanals befaßte, daß auf seine Balkanstudien die spätere Trassenführung der Eisenbahnen des Balkans zurückgeht, mag das Bild dieses Mannes im einzelnen noch ergänzen. Boué ver¬ kehrte mit den größten Gelehrten seiner Zeit und war Mitglied der bedeutendsten wissenschaftlichen Akademien und Gesellschaften Europas. Ami Boué starb hochbetagt am 21. November 1881 zu Bad Vöslau bei Wien. Ein würdiges Leben hatte einen würdigen Abschluß gefunden. Es wurde früher öfters die Frage aufgeworfen, ob Boué mehr als Franzose oder als Deutscher anzusehen sei. Uns scheint heute, der Mann, der einem alten französischen Geschlecht entstammte, in Hamburg geboren wurde, in der Schweiz seine ersten wissenschaftlichen Eindrücke empfing, in Edinburg, Paris, Berlin und Wien bei den ersten Lehrern jener Zeit studierte, mit einer Wienerin verheiratet war, ungeachtet seiner Wahlheimat Wien die Sprache und Kultur des Landes seiner Vorfahren zeitlebens in hohen Ehren hielt, durch sein profundes Wissen und seine umfassenden Sprachkenntnisse zu seiner Zeit der berufenste internationale Vermittler wissenschaftlicher Forschungen war, der sich selbst in seiner Dissertation als „rei publicae Hamburgensis civis" bezeichnete, zugleich aber seiner zwei Jahre vor seinem Tode fertiggestellten Selbstbiographie die Worte „mort comme Autri¬ chien à Vienne“ voransetzte, dieser Mann war — im besten Sinne des Wortes - ein Europäer. Wilhelm Freh (Linz) 180

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