OÖ. Heimatblätter 1948, 2. Jahrgang, Heft 1

Oberösterreichische Heimatblätter Jänner-März 1948 Jahrgang 2 Heft 1 Inhalt Seite Ludwig Weinberger: 100 Jahre Eiszeitforschung in Oberösterreich Dr. Franz Pfeffer: Die Anfänge des ständigen Theaters in Linz. Zur Linzer Theater¬ . 24 geschichte des 18. Jahrhunderts.. Dr. Robert R. v. Srbik: Drei Lieder auf den Tod Kaiser Maximilians I. (1519) . . Dr. Ernst Burgstaller: Die Leiter als Sinnbild. Belege aus Oberösterreich . . . . 46 Bausteine zur Heimatkunde Dr. Gustav Brachmann: Der Bilwis Anton Rosenauer: Verschwundene Kleinkirchen im Bezirk Eferding . . . . . .. . 61 Karl Radler: Vom Grubenkraut ... Dr. A. Achleitner: Der Schelm von der Rabensteinmühle . .. . . . . . . . . 67 Lebensbilder Dr. O. Wutzel: Karl Graf Chorinsky ............... 68 Heimatpflege Dr. Adolf Mutter: Das Heimathaus der Stadt Steyr nach seiner Wiederherstellung .. 72 Hofrat Dipl.-Ing. Alfred Sighartner: Vom heimatlichen, bodenständigen, landschafts¬ . 79 gebundenen Bauen ...... Berichte Dr. Eduard Straßmayr: Die oberösterreichischen Bibliotheken im Kriege und in der Nachkriegszeit Im Zeichen Adalbert Stifters . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 90 Schrifttum.. Verzeichnis der oberösterreichischen Neuerscheinungen . . . . . . . . . . . . . . 95 Jährlich 4 Hefte Zuschriften für die Schriftleitung (Beiträge, Besprechungsstücke) an Dr. Franz Pfeffer, Linz a. D., Museumstraße 14 Zuschriften für die Verwaltung (Bezug) an die Buchdruckerei des Amtes der o.-ö. Landes¬ regierung, Linz a. D., Klosterstraße 7 Verleger und Eigentümer: Verlag des Amtes der o.-5. Landesregierung, Linz a. D., Klosterstr. 7 Herausgeber und Schriftleiter: Dr. Franz Pfeffer, Linz a. D., Museumstraße 14 Druckstöcke: Klischeeanstalt Franz Krammer, Linz a. D., Klammstraße 3 Druck: Buchdruckerei des Amtes der o.-5. Landesregierung, Linz a. D., Klosterstraße 7

Oberösterreichische Heimawlauer Jänner=März 1948 Jahrgang 2 Heft 100 Jahre Eiszeitforschung in Oberösterreich Von Ludwig Weinberger (Mettmach) Ach, ich muß sie alle erwähnen, unsere teuren Waffen¬ gefährten, in diesem Kampf voll Ehre. Ami Boué (Geologe, † 21. 11. 1881, Bad Vöslau) Ganz unbemerkt von der Öffentlichkeit verlief ein Gedenkjahr. Es sind näm¬ lich 100 Jahre verflossen, seit 1846/47 Simony mit der Erforschung der Eiszeit in Oberösterreich begann. Dieser Anlaß rechtfertigt einen kurzen Rückblick. Lange bevor die Eiszeitspuren Gegenstand der wissenschaftlichen Erforschung waren, hat sich das Volk mit ihnen beschäftigt. Große Steine, die umherlagen, regten die Phantasie an, wunderliche Bergformen gaben Stoff zu Sagen. Unsere herrlichen Seen, an deren Entstehung, wie wir heute wissen, die Eiszeitgletscher maßgeblich beteiligt waren, reizten zu Erklärungsversuchen. Das vorwissen¬ schaftliche Denken, bei dem ja das Vorstellungs- und Gefühlsleben das Erkenntnisvermögen überwuchert, drückt sich aus im magischen Denken, dem das Gesetz von Ursache und Wirkung sowie eine sachliche Naturbeobachtung noch fremd sind. Dies spiegelt sich gut in unseren heimischen Sagen 1). Aus der Fülle sei ein Beispiel wiedergegeben2): „Wo sich heute der Irrsee befindet, war einst das Schloß eines Zauberers. Weitum neckte er die Bewohner und suchte besonders den Ischler Salz- und Bergleuten Schaden zuzufügen. Eines Tages schickte er ihnen einen geschlossenen Topf mit Sole zur Prüfung. Die Ischler mi߬ trauten ihm aber und schickten den Topf uneröffnet zurück. Der Bote, der ihn brachte, rastete vor dem Schlosse, und öffnete aus Neugierde den Topf, brachte ihn aber nicht mehr zu. Immer mehr Wasser stürzte heraus, überschwemmte die ganze Gegend und auch das Schloß. So entstand der Irrsee. Noch ist hier von Naturbeobachtung nichts zu spüren. Aber es wird doch ein Erklärungsversuch unternommen, allerdings auf einer ganz anderen Ebene, die unserem kausalen Denken fremd ist. Und doch entwickelte sich aus diesen Vorformen *) A. Depiny, Oberösterreichisches Sagenbuch (Linz 1932); K. A. Gloning, Oberösterrei¬ chische Volkssagen (Linz 1912); J. Pöttinger, Sagen aus Oberösterreich (Linz 1932). 2) A. Depiny, a. a. O., S. 144 Nr 21.

Oberösterreichische Heimatblätter unsere heutige Denkwelt, sich langsam und mühsam durch das Dickicht der Irrungen durchschlagend. Gehen wir nun über zu den wissenschaftlichen Erklärungs¬ versuchen. Um den Einsatz der Eiszeitforschung in Oberösterreich würdigen zu können, müssen wir weiter zurückgreifen und ihren Anfängen in der Schweiz nach¬ gehen. Großes Kopfzerbrechen verursachten seit je die großen Blöcke, die ganz fremd im Gelände liegen. Volkssagen bringen sie meist mit dem Wirken des Teufels in Verbindung. Als die Wissenschaft sich mit ihnen befaßte, mußte die Sintflut her halten. Die Sintflut (lat. Diluvium = große Flut) habe diese sogenannten erratischen Blöcke (Irrblöcke, Findlinge) von den Gebirgen ins Vorland gespült und dabei die mächtigen Talschotter aufgeschüttet. Der Altmeister der Geologie, Leopold von Buch, der u. a. auch Oberösterreich erforschte und dem zu Ehren im Pechgraben bei Großraming ein Denkmal errichtet wurde3), trat 1811 sehr wirk sam für den Gedanken ein, daß auch in unseren Alpen die Flut das fremde Ge¬ steinsmaterial verschwemmte. Noch 1857 schrieb Schönnamsgruber eine Arbeit „Über die Diluvialfluthen des Salzachgebietes“, in der u. a. die heute als Moränen aufgefaßten Hügel als eine Anschwemmung großer Wasserfluten, die aus den Alpen kamen, erklärt werden. Er verwahrt sich ausdrücklich gegen eine Vergletscherung. Anhangsweise sei erwähnt, daß auch noch vor einigen Jahr¬ zehnten einige verspätete Nachläufer sich mit diesen überholten Gedanken abgaben. Heute kann man mit Sicherheit sagen, daß diese Ansichten eine große Irrlehre waren. Die Akten hierüber sind längst geschlossen. Inzwischen keimte in aller Stille eine neue Ansicht heran, zunächst in der Schweiz*). 1786 beschreibt der helvetische Minister Bernhard Friedrich Kuhn Moränen, verfolgt sie weit über das heutige Gletschergebiet hinaus und schließt daraus als erster auf eine frühere, ungewöhnlich große Ausdehnung der Gletscher Aber seine Ansichten waren so unerhört neu, daß sie völlig unbeachtet blieben. Die Zeit war eben noch nicht reif hiefür. Ebenso erging es auch dem schottischen Geo¬ logen Playfair. Er kam 1802 von Kuhn unabhängig ebenfalls zur Erkennt¬ nis, daß die Findlinge des Schweizer Jura von ehemaligen ungeheuren Gletschern dorthin gebracht worden seien. Auch er blieb ungehört. 3) Bericht vom 31. Juli 1858, Jahrbuch der geologischen Reichsanstalt, Verhandlungen Ig 9 (Wien 1858) S. 107; F. Schmid, Die bedeutendsten Naturdenkmäler Österreichs, Natur und Heimat Ig 1 (Linz 1947) S. 3. *) Schrifttum zur allgemeinen Geschichte der Eiszeitforschung: A. Böhm von Böhmersheim, Geschichte der Moränenkunde, Abhandlungen der geographischen Gesellschaft in Wien Bd 3 Nr 4 (Wien 1901); W. Flaig, Das Gletscherbuch (Leipzig 1938); W. Flaig, 100 Jahre Gletscherkunde, Der Naturforscher Ig 14 (Berlin 1937/38) S. 269; A. Heim, Handbuch der Gletscherkunde (Stutt¬ gart 1885); Hummel, Geschichte der Geologie, Sammlung Göschen 899 (Berlin 1925); O. Maull, Geomorphologie (Leipzig und Wien 1938); A. Penck, Die Vergletscherung der Deutschen Alpen ihre Ursachen, ihre periodische Wiederkehr und ihr Einfluß auf die Bodengestaltung (Leipzig 1882); A. Penck-E. Brückner, Die Alpen im Eiszeitalter Bd 1 (Leipzig 1909); A. v. Zittel, Geschichte der Geologie und Paläontologie bis Ende des 19. Jahrhunderts (München 1899).

Weinberger: 100 Jahre Eiszeitforschung in Oberösterreich Im Jahre 1815 erzählte der Walliser Bauer und Gemsjäger J. P. Per¬ raudin dem Bergdirektor des Kantons Waadt J. de Charpentier, einem Deutschen hugenottischer Herkunft, von Beobachtungen über Gletscherschliffe und Findlinge im heute eisfreien Gebiet und meinte, daß diese durch einstige Riesen¬ gletscher hergebracht worden seien. Doch Charpentier schenkte ihm keine rechte Be¬ uchtung. Ebenso erging es dem Bergführer Deville aus Chamonix, der gleich¬ falls ähnliche Beobachtungen machte. So gingen die ersten richtigen Beobachtungen von Menschen, deren Beruf sie viel mit der Natur zusammenführte, verloren. Erinnern wir uns nochmals der Irrlehre, nach der große Fluten Findlinge transportiert haben sollten. Man zog große Überschwemmungen, Katastrophen zur Erklärung heran. Wir wollen diese Ansicht als Katastrophentheorie be¬ zeichnen. Diese Ansicht wurde allmählich abgelöst durch die Erkenntnisse, daß die erdgeschichtlichen Vorgänge nicht einzelne Katastrophen als Ursache haben, sondern stetige Naturkräfte, die wir auch heute noch beobachten können. Es folgte der soge¬ nannte Aktualismus, begründet von K. v. Hoff und Ch. Lyell, auf dem auch noch die heutige Geologie basiert. Mit der Lehre Lyells tauchte eine neue Irrlehre auf, die zweite der Eiszeitforschung. Es ist dies die sogenannte Drifttheorie. Die großen Eisberge, die auf dem Atlantischen Ozean von Grönland her nach Süden schwimmen, gaben den Anlaß zu deren Aufstellung. Die Drifttheorie nahm an, daß auf dem Meere einst große Eisblöcke von Skandinavien aus ihre Reise nach Süden genommen hätten. Auf dem Rücken hätten sie Gebirgsschutt getragen, der dann nach Abschmelzung der Eisblöcke im Süden auf fremdem Boden liegen geblieben sei. So erklärte man die Findlinge in Deutschland. Da sich Darwin und andere Autoritäten der Drifttheorie anschlossen, galt sie als gesichert. Joseph Viktor v. Scheffel verherrlichte bekanntlich noch 1867 den erratischen Block in einem Liede. Erst 1882 konnte die Drifttheorie endgültig überwunden werden. So sehen wir in der Geschichte der Eiszeitforschung, wie zweimal Irrlehren den Fortschritt hemmten, der abseits der offiziellen Lehrmeinung mühsam oft durch Außenseiter erzielt wurde. Nehmen wir den Faden der wahren Eiszeitforschung wieder auf. Erinnern wir uns, wie Charpentier die Ansicht des schlichten Gemsjägers ablehnte. 14 Jahre später (1829) hörte Charpentier wiederum gleiche Ansichten, diesmal von seinem Freunde, dem Walliser Ing. J. Venetz, vorgetragen. Venetz meinte, daß die großen erratischen Blöcke nicht von Wasserfluten, sondern durch riesige Gletscher herbeigeschleppt worden seien. Er behauptete, daß die Felsschliffe und die Moränen Gletscherwerk seien. Venetz hatte auf der Versammlung der Schweizer naturfor¬ schenden Gesellschaft (SNG) auf dem St. Bernhard 1821 seine Idee schriftlich niedergelegt. Die Schrift wurde zwar preisgekrönt, blieb aber im übrigen unbe¬ achtet. Als nun Charpentier diese Anschauungen von Venetz vernahm, gedachte er den Freund im Interesse seines guten Rufes von seinen absonderlichen Vorstel¬ lungen abzubringen. Er suchte nun zwingende Gegenbeweise und studierte die Er¬ scheinungen im Felde. Und siehe da, aus dem Saulus wurde ein Paulus! Ange¬ sichts der Natur mußte er umlernen und er war ehrlich genug, sich trotz seiner frü¬

Oberösterreichische Heimatblätter heren Ansicht nun zur Anschauung seines Freundes zu bekennen. Er setzte sich nun sofort kräftig für die Eiszeitidee ein. Auf der Versammlung der Schweizer natur¬ forschenden Gesellschaft am 29. Juli 1834 in Luzern trug er sie eindringlich vor. Durch diesen Vortrag wurde der junge Neuenburger Geologieprofessor L. Agassiz auf die Sache aufmerksam. Er war als geschulter Geologe diesen neuen Ansichten gegenüber ablehnend und gedachte nun, diese Eiszeittheorie durch Beobachtung als unhaltbar zu überführen. Er besuchte Charpentier im Sommer 1836 im Rhonetal. Dieser zeigte ihm die hausgroßen Findlinge, die so scharfkantig aussahen, daß sie niemals vom Wasser gerollt sein konnten. Agassiz studierte das gegenwärtige Wirken der Gletscher, verglich sie mit den angeblichen Eiszeitspuren im Tale und - wurde ebenfalls von der Eiszeittheorie vollkommen überzeugt. Es ist dies ein merk¬ würdiger Parallelfall zum vorherigen! Nun durchwanderte er unermüdlich den Schweizer Jura, um auch dort Beweise für die Eiszeit zu finden. Erfreulicherweise fand er dabei Förderung durch seinen Landesherrn. Am 24. Juli 1837 war dann in Neuchatel die denkwürige Sitzung der Schweizer naturforschenden Gesellschaft, in der er den erstaunten Zuhörern das großartige Gemälde einer gewaltigen Ver¬ eisung der Alpen entwarf, ja noch mehr. Es ist ja immer so, daß eine neue Idee zuerst überspannt wird, daß man in Übersteigerung verfällt. Das wahre Mittel spielt sich erst allmählich ein. So auch hier. Agassiz verfocht gleich eine gänzliche Vereisung der ganzen nördlichen Erdhalbkugel. Zwar traf er auch auf Widerspruch, doch von nun an war der Gedanke der Eiszeit nicht mehr auszulöschen. Das Wort „Eiszeit“ selbst stammt vom Münchner Botaniker K. Schimper, einem ideenreichen, aber unsteten Kopfe, der 1837 eine Abhandlung „Über die Eis¬ zeit" schrieb, den Ausdruck aber schon vorher in seinen Vorlesungen gebrauchte, ja sogar in einer Ode verherrlichte. Wir können nicht im einzelnen die weiteren Allgemeinschicksale der Eiszeit¬ forschung verfolgen, so interessant dies auch wäre. Erwähnt sei hier nur, daß auch Goethe zu den ersten Verfechtern der Eiszeit zählt. Er schreibt nämlich 5) bei der Schilderung eines Bergfestes (auf dem Harz?): „Zuletzt wollten zwey oder drey stille Gäste sogar einen Zeitraum grimmiger Kälte zu Hülfe rufen und aus den höchsten Gebirgszügen, auf weit in's Land hingesenkten Gletschern, gleichsam Rutschwege für schwere Ursteinmassen bereitet, und diese auf glatter Bahn, fern und ferner hin¬ ausgeschoben im Geiste sehen. Sie sollten sich bei eintretender Epoche des Aufthauens, nieder¬ senken und für ewig in fremdem Boden liegen bleiben. Auch sollte sodann durch schwimmendes Treibeis der Transport ungeheurer Felsblöcke von Norden her möglich werden. Diese guten Leute konnten jedoch mit ihrer etwas kühlen Betrachtung nicht durchdringen." Überblicken wir nun zusammenfassend die diluvialgeologischen Ansichten vor 100 Jahren, so kommen wir zu folgenden Schlüssen. Einigen erleuchteten Köpfen mit scharfer Beobachtungsgabe, kritischem Verstand und selbstständigem Denken ver¬ danken wir seit Ende des 18. Jahrhunderts die Schaffung der Wissenschaft von der Eiszeit. Häufig treten dabei „Laien“ auf, vom Minister bis zum Bauer. Nur sehr 5) J. W. v. Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, Buch 2, Kapitel 9; vgl. dazu aber N. Philippson, Hat Goethe die Eiszeit entdeckt?, Jahrbuch der Goethegesellschaft Ig 13 (1927).

Weinberger: 100 Jahre Eiszeitforschung in Oberösterreich schwer vermag sich die neue Ansicht gegenüber der offiziellen Wissenschaft, die zuerst noch der Katastrophenthorie, dann der Drifttheorie huldigt, durchzusetzen. Offiziell siegte die Eiszeittheorie erst am 9. November 1875, als O. Torell auf einer Tagung der Deutschen geologischen Gesellschaft den Nachweis führte, daß die Schlifflächen auf den Rüdersdorfer Kalkbergen nur durch Gletscherwirkung entstanden sein können. Eine anschauliche Vorstellung vom Stande der amtlichen Auffassungen vor 80 bis 100 Jahren geben die damaligen geologischen Kartenwerke. Die schönen Karten Gümbels über Bayern aus dem Jahre 1858 scheiden die Eiszeitgebilde überhaupt nicht aus. Er kennt nur erratisches Diluvium (also Flutanschwem¬ mung), Löß und Gerölle. Das hervorragende Kartenwerk, das 1864 F. v. Hauer über die österreichisch-ungarische Monarchie zusammengestellt hatte und das 1867 bis 1871 herauskam, verzeichnet nur Löß und Quartärschotter. Die Eiszeitablage¬ rungen wurden von ihm zumeist dem Tertiär zugewiesen. War es angesichts dieser Lage nicht eine prometheische Tat, sich vor hundert Jahren zur Eiszeit zu bekennen und in ihrem Sinne zu arbeiten? I. Das Pionierzeitalter In diesem Zeitabschnitt wurden in mühevoller Arbeit die ersten Beobach¬ tungen gemacht, die noch vielfach im Dunkeln tappten. Noch immer ist die Fluten¬ theorie herrschend. Wie erwähnt, schrieb noch 1857 Schönnamsgrubers, seine Ansicht nieder, nach der das Salzachvorland von ungeheuren Überschwem¬ mungen zusammengespült worden sei. Nachdem man also in der Schweiz schon seit einiger Zeit mit dem Eiszeit¬ gedanken arbeitete, zündete auch in Oberösterreich dieser Funke. Unser erster Pio¬ nier, der zuerst mit der Fackel der Erkenntnis in das Dunkel der Diluvialvorzeit hineinleuchtete, trägt einen bekannten Namen. Es ist dies unser Friedrich Simony*). Die Simonyhútte, das „Hotel Simony", die Simonyscharte, die Simonywarte, die Simonyhöhle, das Simonykees, die Simonyspitze unweit des Großvenedigers, das Salzmineral Simonyit tragen seinen Namen. Es ist hier nicht der Ort, näher auf sein Leben einzugehen. Allbekannt ist der große Einfluß Simonys auf Adalbert Stifter. Stifters herrliche Naturschilderungen im „Berg¬ kristall“ gehen auf eine gemeinsame Besteigung des Dachsteins zurück. In seinem Bildungsroman „Der Nachsommer“ ist die tragende Person niemand anderer als Simony. Er ist es, der als Heinrich in die Alpen geht, um sie zu erforschen. Seiner wissenschaftlichen Vielseitigkeit als Zoologe, Botaniker, Seenforscher, Gletscherforscher, Meteorologe können wir hier nicht gerecht werden, ebenso wenig seiner Kunst als Landschaftszeichner. Auch sein großes Dachsteinwerk sei hier nicht 6) F. Schönnamsgruber, Die Diluvialfluthen des Salzachgebietes, Correspondenzblatt des zoologisch-mineralogischen Vereines zu Regensburg Ig 11 (Regensburg 1857) S. 135. *) A. Penck, Friedrich Simony, Leben und Wirken eines Alpenforschers, Geographische Ab¬ handlungen, herausgegeben von A. Penck Bd VI/3 (Wien 1898); A. Böhm von Böhmersheim, Zur Biographie Friedrich Simonys (Wien 1899); F. Morton, Friedrich Simony. Das Wirken eines großen Forschers im Salzkammergute, Heimatgaue Ig 6 (Linz 1925) S. 45.

Oberösterreichische Heimatblätter gewürdigt. Simony begründete die erste Professur für Geographie in Österreich, eine der ältesten der Erde. Bei seinen Forschungen, die bald Aufsehen erregten fand er gleich Agassiz tatkräftige Unterstützung durch das Kaiserhaus und durch den Fürsten Metternich. Der mächtige Reichskanzler war dem jungen Simony sehr gewogen und in seinem Salon hatte dieser trotz Lederhose und Janker jederzeit offenen Zutritts). „... Im Salzkammergute hat seit einigen Jahren Herr Fried¬ rich Simony mit jugendlicher Tatkraft das Studium der Oberfläche des Landes in mancherlei Beziehungen unternommen, erst mit schmalen Mitteln, später von hoch¬ gestellten Gönnern von Jahr zu Jahr in seinen Unternehmungen gefördert. Eine Sammlung von Petrefakten, die er bildete, und die nun Eigentum Seiner Durch¬ laucht des Fürsten Metternich ist, gab Veranlassung zu einer Arbeit über die Cephalopoden des Salzkammergutes von Hrn. F. Ritter v. Hauer, die nun auf Kosten des wissenschaftliebenden Besitzers der Sammlung unter der Presse ist ..."9 Simony war damals begeisterter Mitarbeiter der Freunde der Naturwissen¬ schaften in Wien, die 1846 Haidinger um sich gesammelt hatte. Seine Vorträge erschienen in Haidingers „Berichten“, der ersten größeren naturwissenschaftlichen Zeitschrift Österreichs. Von den vielen Arbeiten Simonys (Penck zählt deren 196 auf) können hier nur die eiszeitlichen gewürdigt werden. Simony ist zwar nicht der erste Eiszeit¬ forscher Österreichs überhaupt, wohl aber der erste in Oberösterreich. (Die Angabe Pencks, wonach Simony der erste Eiszeitforscher der Ostalpen sei, ist unrichtig). Es sind nun 100 Jahre verflossen, seit Simony seine ersten Eiszeit¬ beobachtungen veröffentlichte. 1846 -48 erschien seine Arbeit „Über die Spuren vorgeschichtlicher Eiszeit im Salzkammergute“10) in fünf Teilen. Eingangs schreibt er11): „Noch immer findet die Hypothese, daß einst Europa, oder doch ein großer Teil desselben, vorzüglich das Alpenland, unter großen Gletschermeeren begraben lag, trotz der mannigfaltigsten Tatsache, auf welche bereits die Geologen Charpentier, Venetz, Agassiz, Hugi, Forbes u. a. ihre Ansichten begründet haben, zahlreiche Widersacher. Die Untersuchungen über diesen Gegenstand sind auch noch keineswegs als abgeschlossen zu betrachten, das Sammeln neuer spezieller Tat¬ 8) C. v. Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthumes Österreich Teil 34 (Wien 1877) S. 322 —332. *) W. Haidinger, Über Herrn Friedrich Simonys naturwissenschaftliche Aufnahmen und Untersuchungen in den Alpen des Salzkammergutes, Wiener Zeitung vom 24. 4. 1846, danach Berichte über die Mittheilungen von Freunden der Naturwissenschaften in Wien, gesammelt und herausgegeben von Wilhelm Haidinger (im Folgenden abgekürzt: Haidingers Berichte) Bd 1 Nr 1-6 (Wien 1847) S. 209. 10) F. Simony, Über die Spuren der vorgeschichtlichen Eiszeit im Salzkammergute, I. Das todte Gebirge, Wiener Zeitung 3. 5. 1846; II. Die Abrundung der Gebirgstheile, ebenda 5. 5. 1846; III. Karrenfelder, ebenda 9. 5. 1846; IV. Erratische Trümmer, Moränen, ebenda 13. 5. 1846; V. Gletscherriffe, VI. Schluß, ebenda 17. 5. 1846. Darnach Haidingers Berichte Bd 1 Nr 1-6 (Wien 1847) S. 215; Berg- und Hüttenmännische Zeitung 7 (1848) Col. 92 - 96. 11) F. Simony, a. a. O., Wiener Zeitung 3. 5. 1846.

Weinberger: 100 Jahre Eiszeitforschung in Oberösterreich sachen, die darauf Bezug haben, und ihre naturtreue Darlegung durch Wort und Zeichnung, erscheinen noch immer unerläßlich, um die endliche Lösung einer Frage herbeizuführen, die gegenwärtig das Interesse des gesamten wissenschaftlichen Publikums in Anspruch nimmt. Bei meinen Wanderungen und vielseitigen Unter suchungen im Salzkammergute, habe ich auch in jener Beziehung manche Er¬ scheinungen beobachtet, die mir in ihrer Vereinzelung anfangs rätselhaft erschienen, nach ihrer Zusammenordnung und Vergleichung aber immer klarer wurden, und mich endlich ebenfalls zu der notwendigen Annahme einer einstigen, weitver¬ zweigten und mächtigen Ausdehnung der Gletscher in unseren Alpenländern hin¬ führten“. Simony schloß aus den „verschiedenen Abrundungen des Dachstein-, Priel-12) und Höllengebirges, die innerhalb ziemlich scharfer Grenzen des Terrains bis zu einem gewissen Höhenniveau aufwärts und bis zu einer bestimmten Er streckung abwärts verfolgt werden können, auf eine abschleifende Tätigkeit einstiger Gletscher“. Er erkennt mit scharfem Blick, „daß die Abrundung der Einzelgipfel nur bis zu einer gewissen Höhe über das sie umgrenzende Plateau des Gebirges, oder über das von ihnen eingeschlossene Tal hinaufreicht, und daß Gipfel, welche jenes Niveau übersteigen, sich sogleich durch scharfe Umrisse kennbar machen“. Somit arbeitete Simony schon damals die Erkenntnis der stets über die Gletscher der Eiszeit emporragenden Berggipfel heraus, welche wir heute nach grönländischem Vorbilde als Nunatakker bezeichnen. Weiter erachtet Simony das Vorkommen von Gletscherschliffen als „mit anderen Erscheinungen zugleich Beweise einstiger Gletscherausdehnung“. Aber auch hier zeigt er sich als kritischer Forscher. „Meine eigenen Erfahrungen haben mich gelehrt, auf das Vorkommen einzelner glatter oder gestreifter Flächen in den Kalkgebirgen als Beweismittel für einst vorhandene Gletscher keinen großen Wert zu legen. Nur die allgemeine Abglättung und Abrundung eines ganzen Terrains, wie dieselbe z. B. auf dem Dachsteingebirge innerhalb gewisser ziemlich scharf gezogener Grenzen sich beobachten läßt, kann mit Sicherheit als die Wirkung von Gletscherschliffen erkannt werden“. Er scheidet also alle Harnische und andere Pseudogletscherschliffe aus. Als dritten Beweis zieht er mit aller Vorsicht den Moränenschutt heran. „Die Verbreitung des Gebirgsschuttes und seine oft moränenähnlichen Gestal¬ tungen in den angrenzenden Haupttälern geben uns keine hinlänglichen Anhalts¬ punkte für die unteren Grenzen der einstigen Gletscher, da in den tieferen Niveaux den verschiedenen Diluvien ebenfalls eine große Rolle eingeräumt werden muß, und sich hier also die Wirkungen des wandernden Eises und der vorgeschichtlichen Überschwemmungs-Epochen begegnen“. Der letzte Satz ist interessant, da Simony einesteils den höheren Schutt den Gletschern, andernteils, dem üblichen Zeit¬ 12) Simony bezeichnet das Totengebirge als Prielgebirge. Die Bezeichnung „Totes Ge¬ birge“ wurde früher im allgemeinen Sinn für ein verkarstetes, lebensfeindliches Hochgebirge ge¬ braucht. Vgl. F. Pfeffer, Zur Erschließungsgeschichte des Dachsteingebietes, Oberösterreichische Heimatblätter Ig 1 (Linz 1947) S. 196.

Oberösterreichische Heimatblätter geiste folgend, den tieferen Schutt noch den großen Wasserfluten zuschreibt. Hier erblicken wir eine uns verständliche Unsicherheit in der Auffassung. Haidinger berichtet über einen Vortrag Simonys 13), „daß die genannten Gebirge sämmtlich von großen Gletschern überdeckt waren, welche sich mindestens bis in die an¬ grenzenden Hauptthäler erstreckt hatten“. Simony zögerte jedenfalls sehr, Eis¬ zeitgletscher über die Hochalpen hinaus anzunehmen. Später allerdings erkannte er ganz richtig, daß sich die erratischen Geschiebe bis an den Alpenrand erstrecken 14). Dies war eine hervorragende Leistung. Auf den amtlichen geologischen Karten von Lipold und Hauer werden die Eiszeitablagerungen als solche gar nicht aus¬ geschieden. Simony läßt es 1875 zwar auch noch offen, ob der Traun- und der Attersee von Eiszeitgletschern erfüllt gewesen seien 15). Als weiteren Beweis für die Eiszeit zieht er die Karren heran, hierin Agassiz folgend. Die Karren wurden von Simony für die Ostalpen entdeckt. Wenn er schreibt“6), „daß die Karren als das Resultat der Wirkung von Schmelzwässern einstmaliger weitausgedehnter Gletscher zu betrachten seien", so können wir ihm darin heute nicht mehr folgen. Vor allem durch Eckert (1895, 1902) und Lindner (1930) wissen wir jetzt, daß bei der Karrenbildung nicht die Gletscherschmelzwässer, sondern Gesteinsbeschaffenheit, biologisch-chemische Verwitterung und Lösungs¬ wirkung wirksam sind. In späteren Jahren ist auch Simony selbst der Wahrheit näher gekommen, indem er Karren auch teilweise Lösungsursachen zuschrieb 17) Schrieb Simony hier den Eiszeitgletschern zuviel zu, so war er in einem anderen Punkte sehr vorsichtig. 1862 zeigte Ramsay, daß die alten Gletschergebiete der Schweiz sich durch großen Seenreichtum auszeichnen und erklärte dies dadurch, daß die Seen durch Gletscherschurf entstanden seien. Obwohl Simony die aus¬ räumende Tätigkeit der Gletscher anerkannte, vermochte er doch nicht so weit zu gehen, unsere Seen der Eiszeit zuzuschreiben. Es darf aber nicht verschwiegen werden, daß man auch heute in der Frage der Randseenbildung noch nicht klar sieht. Während A. Penck und Brückner in den Seen glaziale Wannen erblickten, schreiben vor allem Schweizer (Heim, Gogarten u. a.) tektonischen Kräften bei der Seebeckenbildung eine große Rolle zu. Hier muß noch weitere Forschung ein¬ setzen 18). 13) Haidingers Berichte Bd 1 (Wien 1847) G. 4. 12) F. Simony, Bericht über die Arbeiten der Section V, Jahrbuch der geologischen Reichs¬ anstalt (im Folgenden abgekürzt: geol. RA.) Ig 1 (Wien 1850) S. 651. F. Simony, Verbreitung des erratischen Diluviums im Salzkammergute, Jahrbuch geol. RA. Ig 2 (Wien 1851) S. 153. 15) F. Simony, Die Eiszeit der Diluvialperiode und ihr Einfluß auf die organische Welt, Schriften des Vereines zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien Bd 15 (Wien 1875) S. 475. 16) F. Simony, Über die Spuren der vorgeschichtlichen Eiszeit im Salzkammergute, Hai¬ dingers Berichte (Wien 1847) S. 232. 17) F. Simony, Beiträge zur Physiognomie der Alpen, Zeitschrift für wissenschaftliche Geo¬ graphie Ig 5 (1885). 18) E. Seefeldner, Stand und Aufgaben der glazialmorphologischen Forschung in den deut¬ schen Alpen, Zeitschrift für Erdkunde 5 (1937) S. 713/14.

Weinberger: 100 Jahre Eiszeitforschung in Oberösterreich Simony ist noch eine Erkenntnis zu verdanken, die von großer Wichtigkeit für alle spätere Eiszeitforschung wurde. Er fand nämlich eine Methode, aus ge¬ wissen Eiszeitspuren, nämlich den Karen, die Höhe der eiszeitlichen Schneegrenze zu bestimmen. Sein Wert, den er anfangs fand (5500-6000 Fuß = 1700 - 1900 Meter), war zu hoch, dementsprechend war die Größe der diluvialen Schnee¬ grenzerniedrigung mit 2500 Fuß (rund 800 Meter) zu niedrig. Später fand er einen richtigeren Wert, als er erkannte, daß zur Lösung dieser Frage „vor allem die niedrigeren freistehenden Bergmassen in der Peripherie des Alpensystems das geeignete Terrain abgeben“ 19). An kleinen Eiszeitgletschern der Gruppe des Schobers und Drachensteins bestimmte er die Schneegrenze auf nicht über 3000 Fuß, am Laudachsee auf 2800 Fuß, Werte, die mit denen, die Lichtenecker neuerdings errechnete20), auf das beste übereinstimmen (1000 Meter, 1050 Meter, im Mittel 1100 Meter). Simony stellte auch schon das Ansteigen der eiszeitlichen Schneegrenze nach Osten fest. Simony stellt weiter alteiszeitliche Traunschotter fest, verfolgt als erster in den Ostalpen Flußlaufverlegungen21). Er schließt aus dem granatführenden Mühlwerkstein im Koppental auf eine aus dem Mitterndorfer Becken kommende Urtraun. Aus einem Brief und aus Sammlungen erratischer Geschiebe erfahren wir, daß sich Simony auch dem alten Salzachgletscher zuwandte, ebenso daß er auch im Enns- und Gosautal Findlinge fand. Seine Berichte über diese Forschungen sind aber recht spärlich. Schon 1846 entwirft er folgendes Gesamtbild 22): „Welche Physiognomie mochte nun wohl in jener Zeit das Salzkammergut gehabt haben? Wenn die Linie des permanenten Schnees in einer Höhe zwischen 6000 bis 5500’ (19001700 Meter; heute nimmt man 1300 —1100 Meter an. Der Verf.) lag, so mußten beinahe alle Kuppen mit Firn gekrönt gewesen sein, und dieser konnte in allen größeren Höhenterrains, wie auch in allen tieferen Gebirgskesseln, z. B. auf dem Höllengebirge, am Schafberg, auf der Schrott, an der Zimnitz usw. einzelne Gletschergruppen gebildet haben, so daß wohl der größte Theil der Gebirgsoberfläche, vielleicht auch der größere Theil der Thaltiefen von den wandernden Eislasten überdeckt war, und somit das Salzkammergut bei einem Klima, wie dem Dänemarks, etwa das Aussehen einer Hochgebirgslandschaft des äußersten Nordens hatte.“ (Bezüglich des Klimaver¬ gleiches irrt Simony. Nach Blüthgen23) hat Dänemark ein Jahresmittel von rund 7°. Für die Eiszeit müssen wir heute eine Temperaturdepression von 10° annehmen gegenüber dem heutigen Jahresmittel von 10° in Oberösterreich24), so daß wir auf ein eiszeitliches Jahresmittel von rund 0“ kommen. Das Klima Dänemarks wäre daher viel zu warm gewesen). 19) F. Simony, Gletscher und Flußschutt als Object wissenschaftlicher Detailforschung, Mit¬ theilungen der geographischen Gesellschaft in Wien 1872 Ig 15 (5) (Wien 1873) S. 328. 20) Lichtenecker, Die gegenwärtige und eiszeitliche Schneegrenze in den Ostalpen, Verhand¬ lungen der 3. Internationalen Quartärkonferenz (Wien 1938) S. 141/47. 21) F. Simony, Über Urgesteinsablagerungen im obersten Traunthale, Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften math.-naturw. Klasse Bd 59 Abtheilung 1 (Wien 1869) S. 722. 22) F. Simony, Über die Spuren der vorgeschichtlichen Eiszeit im Salzkammergute, Hai¬ dingers Berichte Bd 1 (Wien 1874) S. 244. 23) J. Blüthgen, Dänemark, Handbuch der geographischen Wissenschaften Europa II (Pots¬ dam 1938) S. 424. 22) Th. Schwarz, Klimatographie von Oberösterreich (Wien 1919).

Oberösterreichische Heimatblätter Überschauen wir das Werk Simonys, so steht er als der Mann vor uns, der neben anderen vielfältigen Forschungen auch die Eiszeitgeologie in Oberösterreich begründete. Seine Erkenntnisse wurden bedeutsam für die weitere Entwicklung der Eiszeitforschung. So bestehen z. B. einzelne Darlegungen morphologischer Fragen oder seine Schneegrenzenbestimmung noch immer zu Recht. Hier hat er Un¬ vergängliches geschaffen. Noch immer leuchtet uns das Bild des bescheidenen, still seinen Forschungen lebenden Gelehrten entgegen. Neben Simony begann eine Reihe anderer Forscher den Spuren der Eis¬ zeit zu folgen. 1849 wies Morlot 25) u. a. auf die oberösterreichischen Flu߬ terrassen hin. Im gleichen Jahre brachte der Linzer Museumskustos Carl Ehrlich Mitteilungen über Konglomerate, über Findlinge am Namlerberg bei Reichraming. Ehrlich bleibt noch im damaligen Rahmen. „Die gewaltigen Katastrophen der Gebirgserhebung waren die Veranlassung zum Bestande unserer heutigen größeren Seen", meint er26). Das darf uns aber nicht wundern. Noch 1873 bestritt T. G. Bonney27) auf das entschiedenste die Ausschürfung der Seebecken durch Gletscher. Bonney hält auch die Gletscherverzweigungen von Ischl -Wolfgangsee - Fuschlsee und Ischl- Schwarzensee - Attersee für unmög¬ lich. Die Moränen um Gmunden werden durch Fluten erklärt. Bonney be¬ deutet einen argen Rückschritt. Czizek findet 185228) Moränen bei Hinterstoder und Leonstein, erratische Blöcke an der Alm, Enns und Krummen Steyrling. Etwas später findet Simony im Toten Gebirge Eiszeitspuren29), wie er auch 1868 den kleinen Laudachgletscher entdeckt 3°). Hauenschild31) erkennt 1870/71 Grundmoränen im Alm- und Steyrlingtal, ebenso im Sengsengebirge, das bereits von Stur 1855 als alter Gletscherherd bezeichnet wurde32). Stur ver¬ 25) Haidingers Berichte Bd 5 (Wien 1849) G. 67. 26) C. Ehrlich, Geognostische Wanderungen im Gebiete der nordöstlichen Alpen 2. Ausgabe (Linz 1854) S. 130. 27) T. G. Bonney, Lakes of the North-eastern Alpes and their bearing on the Glaciererosiontheorie, Quart. Journal. Geol. Soc. London 1873 S. 382. 28) J. Czizek, 2. Bericht über die Arbeiten der Section II, Jahrbuch geol. RA. Ig 3 Heft 4 (Wien 1852) S. 70. 29) F. Simony, Charakterbilder aus den österreichischen Alpen (Gotha 1862), S. 10. 30) F. Simony, Notizen über seine Untersuchungen der Seen und des erratischen Phänomens im Traungebiete. Anzeiger der Akademie der Wissenschaften, math.-naturw. Klasse Ig 5 Nr XXI (Wien 1868) S. 189. 31) P. G. Hauenschild, Ueber einige Reste der Glacialperiode im Alm- und Steyerlingthal, Verhandlungen geol. RA. Ig 1870 (Wien 1870) S. 61; ders., Über hydraulische Magnesia-Kalke und deren Vorkommen und Anwendung in Österreich, Sitzungsberichte der Akademie der Wissen¬ schaften, math.-naturw. Klasse Bd 61 Abtheilung 2 (Wien 1870) S. 203; ders., Bemerkungen zu J. Schauers Prielgruppe und das Todte Gebirge vom Kasberg ausgesehen, Zeitschrift des Deut¬ schen Alpenvereines Bd 2 Jg 1870/71 (München 1871) S. 565; ders., Das Sensengebirge, Jahr¬ buch des österreichischen Alpenvereines Bd 7 (Wien 1871) S. 122. 32) D. Stur, Über die Ablagerungen des Neogen (Miocen und Pliocen), Diluvium und Alluvium im Gebiete der nordöstlichen Alpen und ihrer Umgebung, Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften, math.-naturw. Klasse Bd 16 (Wien 1855) S. 477. 10

Weinberger: 100 Jahre Eiszeitforschung in Oberösterreich folgte auch die Flußterrassen weiter. Im Trauntale machte der auch sonst hervor¬ ragende Geologe v. Mojsisovics staunenswerte Fortschritte 33). Er fand, daß sich die Eiszeitgletscher bis nördlich Gmunden ins Vorland hinausschoben. Er unterschied da erstmals zwischen Jung- und Altmoränen, er wies als erster auf eine Verbindung des Traun-Gletschers mit dem Salzach-Gletscher hin. Auch Desor34) erwähnt, daß zwischen Lambach und Salzburg alte Moränen vorkommen. Mojsisovics erkannte auch mit scharfem Blick, daß der alte Ennsgletscher nicht nur längs des Haupttales floß, sondern sogar über niedrige Quersättel der nördlichen Kalkalpen nach Norden Abzweigungen hatte35). Eiszeitgebilde des Ennstales waren schon früher bekannt durch Ehrlich, Czizek, Stur. Letzterer lieferte eine geologische Detailkarte, in der u. a. auch die Eiszeitablage¬ rungen ausgeschieden wurden. Gehen wir weiter nach Westen, so treffen wir auf den alten Salzachgletscher, der sich im oberen Innviertel ausbreitete. Er ist der letzte der von Westen herein¬ ziehenden großen Vorlandgletscher, während die weiter östlich gelegenen Gletscher (Traun-, Alm-, Krems-, Steyr-, Enns-Gletscher) immer mehr verkümmern. Ent¬ gegen dem salzburgischen Anteile, wo schon lange Eiszeitspuren festgestellt wurden (Leblanc36), Kürsinger37), blieb der oberösterreichische Anteil noch lange unbekannt, abgesehen von einigen allgemeinen Notizen von Boué3s) Lipolds9), Ehrlich 4o), Czizek“1). Rütimeyer läßt 1868 die Gletscherzunge bis Braunau reichen 412). Hier sehen wir wiederum das anfängliche Verfallen in Extreme. K. v. Zittel *2) hatte den Salzachgletscher nicht näher untersucht, zeichnete aber dessen Nordgrenze einfach der Karte Rütimeyers nach. F. Stark43) zieht den Endmoränenverlauf nach den Höhenlinien der 33) E. v. Mojsisovics, Bemerkungen über den alten Gletscher des Traunthales, Jahrbuch geol. RA. Bd 18 (Wien 1868) S. 303; E. v. Mojsisovics - U. Schloenbach, Das Verhalten der Flyschzone zum Nordrande der Kalkalpen zwischen dem Traun- und dem Laudach-See bei Gmun¬ den, Verhandlungen geol. RA. Ig 1868 (Wien 1868) S. 212. 3a) Desor: Le paysage morainique (1875), S. 16. 35) E. Mojsisovics, Die Dolomitenriffe von Südtirol und Venetien (Wien 1879) S. 136. 36) Leblanc, Memoire sur le relation qui existe entre les grandes hauteurnes usw. Bull. de la Soc. geol. de France 1842/43, S. 600/08. 32) J. v. Kürsingen und F. Spitaler, Der Groß-Venediger in der nordischen Central Alpen¬ kette (Innsbruck 1843), S. 129 — 151. 38) A. Boué, Terrain erratique de Salzbourg, Bull. soc. géol. 14 S. 605. 30) M. V. Lipold, Ueber das Vorkommen von Braunkohlen zu Wildshuth im Innkreise in Oberösterreich, Jahrbuch geol. RA. Ig 1 (Wien 1850) S. 602. 22) K. Ehrlich, Über die nordöstlichen Alpen (Linz 1850), S. 59. ") J. Czizek, Bericht über die Arbeiten der Section II, Jahrbuch geol. RA. Ig 3 Heft 4 (Wien 1852) S. 70. 4a) L. Rütimeyer, Pliozän und Eisperiode (1868). 22) K. v. Zittel, Physikalischer Atlas d. deutsch. Reiches. Herausgeg. v. Andree u. Peschel, 1878. 43) F. Stark, Ideale Übersichtskarte v. Südbayern zur Eiszeit, Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 1873, S. 67.

Oberösterreichische Heimatblätter Karte und hat damit so ziemlich den Verlauf der Jungmoräne erraten. Allerdings bleiben dabei die Altmoränen außerhalb der Grenzziehung. Ganz besonders zu erwähnen ist noch ein Mann, der vor 100 Jahren (3. Ok¬ tober 1847) geboren wurde; es ist dies Eduard Richter“4). Er war ein Schüler von Simony, der ihn für Geographie begeisterte, und von Sickel, der ihn historisch schulte. Richter war zuerst Gymnasialprofessor in Salzburg, ab 1886 Professor der Geographie in Graz, wo er als Forscher und Lehrer einen großen Ruf gewann und mit A. Penck zu den bedeutendsten Geographen Österreichs zählte. Er ver¬ faßte grundlegende Werke zur Gletscherkunde, Seenkunde und Geomorphologie des Hochgebirges. Richter ist der erste Nachweis von Moränen im alpenfernen Vor¬ lande zu verdanken. Gelegentlich der 54. Versammlung deutscher Naturforscher und Arzte in Salzburg 1881 hielt er im Anschluß an den Vortrag des bayrischen Forschers Gümbel („Erratische Erscheinungen in der bairischen Hochebene") einen Vortrag über „Moränenlandschaft im Innviertel“45). Da der Bericht darüber an schwer zugänglicher Stelle erschien, sei er wegen seiner Wichtigkeit wiedergegeben. „Auch auf dem rechten, österreichischen Salzachufer hat der Vortragende erratische Er¬ scheinungen von großer Ausdehnung, und zwar in der charakteristischen Gestalt der Moränenland¬ schaft beobachtet. Bei zufälliger genauerer Betrachtung des Blattes 13 VIII (Mattighofen) der österreichischen Spezialkarte glaubte er in den zahllosen kleinen isolierten Hügeln mit zwischen¬ liegenden kleinen Mooren, Seen und Teichen an der Nord- und Nordostseite des Obmer Moores und am Südrand des Weilhart-Forstes im oberösterreichischen Innviertel eine solche Moränen¬ landschaft zu erkennen, und ein Besuch der genannten Gegend bestätigte seine Vermutung voll¬ kommen. Die Hügel haben zahlreiche Anbrüche, da die Bewohner die größeren Moränenblöcke zu Bauzwecken verwenden und so ist der Moränencharakter allenthalben leicht zu constatieren. Die Gebäude selbst sind nicht selten nur aus erratischen Blöcken erbaut, und einzelne Quaderbauten, z. B. der Kirchturm von Dorfbeuern, weisen in buntem Gemisch die verschiedensten Gesteinsarten der Hohen Tauern und auch der Kalkalpen auf“. Forschungsmethodisch ist folgender Gang zu sehen: 1. Analyse der Karte nach morphologischen Gesichtspunkten, 2. Verifizierung der Hypothese im Gelände. Es ist dies ein oft recht fruchtbarer Weg. Nun folgen Arbeiten in rascher Folge, die aber hauptsächlich benachbarte Gebiete betreffen, wie die von S. Clessin46) und Frauscher“7). Die beiden Salzburger Professoren Fugger und Kastner4s) bringen zahlreiche Notizen über Moränenfunde, sprechen aber noch viel Eiszeitablagerungen als tertiäre Konglomerate an. *) G. Lukas, Eduard Richter, Österreichische Bergsteigerzeitung 25 1947 Nr 9 G. 1. 25) E. Richter, Moränenlandschaft im Innviertel, Tageblatt der 54. Versammlg. deutscher Naturforscher u. Arzte in Salzburg v. 18.—24. 9. 1881, S. 67. 46) S. Clessin, Die Moränenlandschaft der bairischen Hochebene, Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereines Bd 14 (Salzburg 1883) S. 193. ") K. F. Frauscher, Ergebnisse einiger Excursionen im Salzburger Vorlande, mit besonderer Berücksichtigung der Eocän- und Kreideablagerungen in der Umgebung von Mattsee, Verhand¬ lungen geol. RA. Ig 1885 (Wien 1885) S. 173. 48) E. Fugger und C. Kastner, Naturwiss. Studien u. Beobachtg. aus u. über Salzburg (Salzburg 1885), S. 33—36, 53 —61. 12

Weinberger: 100 Jahre Eiszeitforschung in Oberösterreich Inzwischen erschien das für die Eiszeitforschung bedeutsame Werk von A. Penck „Die Vergletscherung der deutschen Alpen“ (Leipzig 1882). Es bringt viele allgemein wichtige Ergebnisse, behandelt aber noch nicht unser Gebiet. Gehen wir nun zu den von den Schmelzwässern der Eiszeitgletscher abge¬ lagerten Schotterfluren des Alpenvorlandes über. Das voreiszeitliche Alter des Schärdinger Trichters wurde schon 1882 von A. Penck49) erkannt, von Bayberger5o) dagegen fälschlich als zwischeneiszeitlich angesehen. Letzterer konstruiert auch auf der Hochterrasse unterhalb Braunau einen großen See. Dieser Phantast wird uns später nochmals begegnen. Die Traun-Enns-Platte wird in ihrem Wesen gleichfalls von A. Penck51) als eine große früheiszeitliche Schotter¬ decke erkannt und als Deckenschotter ausgeschieden. Dieser wurde vorher stets für tertiär gehalten (F. v. Hauer 1850, Ehrlich 1850, 1854, Czizek 1852, Stur 1853, Fötterle 1860, Lorenz 1867, Hauer 1869, Noe 1890), obwohl schon 1832 Boué 52) ihn zu den Quartärschottern zählte. Später rechneten ihn Mojsisovics 53), H. Commenda 54) und E. Hager55) stets als eiszeitlich. Weitere Beobachtungen über den Traunschotter machte auch G. A. Koch56), der u. a. auch die Welser Gasbrunnen erforschte. Ganz abseits von der Erforschung der alpinen Eiszeit erfolgte die des Böhmerwaldes. 1868 äußerte Gümbel, der hervorragende Kenner des bayrisch-böhmischen Waldes: „Unser Waldgebiet läßt weder die Spuren einstiger Eisüberdeckungen mit Sicherheit erkennen, noch die Beweise für die Thätigkeit früherer vorhandener Gletscher finden. Man begegnet hier weder erratischen Blöcken, noch Moränen, noch Glacialschuttmassen oder Gletscherschliffen“ 57). Der große Geograph J. Partsch, der Erforscher der Eiszeit der deutschen Mittel¬ 20) A. Penck, Die Vergletscherung der deutschen Alpen, ihre Ursachen, ihre periodische Wiederkehr und ihr Einfluß auf die Bodengestaltung (Leipzig 1882), S. 149. 50) F. Bayberger, Der Inndurchbruch von Schärding bis Passau (Kempten 1886). 51) A. Penck, Das österreichische Alpenvorland, Schriften des Vereines zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien Bd 30 (Wien 1890) S. 393. 52) A. Boué, Descriptions de divers gisements interessants de fossiles dans les Alpes autrichiennes. Mem. geol. pal. I, 1832, S. 2, 31. Boué war trotz seines französischen Namens ein Deutscher, der einer Hugenottenfamilie entstammte. Er lebte von 1835 bis zu seinem Tode in Österreich. Er war einer der Begründer der Quartärgeologie. Vgl. Pfannenstiel, Wie trieb man vor 100 Jahren Geologie?, Mitt. Alpenländ. geol. Ver. 34 (1943) S. 81 - 126. 53) Verhandlungen geol. RA. Ig 1892 (Wien 1892) S. 4. 5) H. Commenda, Materialien zur Geognosie Oberösterreichs, Jahres-Bericht des Museums Francisco-Carolinum 58 (Linz 1900) S. 1. 55) E. Hager, Die geographischen Verhältnisse des österreichischen Alpenlandes, Jahres¬ bericht des bischöflichen Privatgymnasiums am Kollegium Petrinum in Urfahr 1901. 56) G. A. Koch, Die im Schlier der Stadt Wels erbohrten Gasquellen nebst einigen Bemerkungen über die obere Grenze des Schliers, Verhandlungen der geologischen Reichsanstalt Ig 1892 (Wien 1892) S. 183. 57) C. W. Gümbel, Geognostische Beschreibung des ostbayerischen Grenzgebirges oder des bayerischen und Oberpfälzer Waldgebirges (Gotha 1868), S. 816. 13

Oberösterreichische Heimatblätter gebirge, sieht schärfer und „empfindet unwillkürlichdie Neigung, auch beim Böhmerwald die so merkwürdig auf eine ziemlich schmale Höhenstufe (9201080 Meter) verteilte Reihe kleiner Hochseen in der Nachbarschaft der dominieren den Gipfel mit Glazialerscheinungen der Vorzeit in Beziehung zu bringen" 58) Auch A. Penck spricht sich 1882 und 1884 im selben Sinne aus. Man erfühlte sozusagen die Existenz der Böhmerwaldgletscher. 1886 erschien dann von Bayberger eine Arbeit59), in der er zu unmöglichen Ergebnissen kam. Dem¬ nach sollte dort eine ausgedehnte, zusammenhängende Flächenvergletscherung den gesamten Böhmerwald bis zu 700 Meter herunter bedeckt haben. Gletscherschliffe und Moränen sind in seiner Karte bis knapp um Passau eingezeichnet (eine ähn¬ liche Wiederholung werden wir später nochmals antreffen!). Doch wurden, um mit Partsch zu reden, diese „kühnen Vermutungen über riesige Talgletscher schnell ins Schattenreich verwiesen“, dank einer Überprüfung durch A. Penck, A. Böhm und Rodler6o). Doch damit gelangen wir schon zum nächsten Abschnitt der oberösterreichischen Eiszeitforschung, der klassischen Epoche. Überblicken wir nochmals das Wesentliche des Pionierzeitalters. Getragen von der zumeist aus der Schweiz gekommenen Idee der Eiszeit, die in einigen ihrer Zeit vorauseilenden Köpfen zündete, begann ein allmähliches Vortasten in unbekanntes Neuland. Bald hier, bald da fand man Spuren der Eiszeit, manch¬ mal zu weit vorschießend, manchmal, noch dem Alten verhaftet, zu weit zurück¬ bleibend, erst allmählich ins richtige Mittel einspielend. Einigen großen Männern es waren dies in erster Linie Simony, Mojsisovics und E. Richter, verdanken wir die großen Fortschritte, etliche andere (Bonney, Bayberger) verwirrten die Lage. Nur schwer konnte der Konservatismus der offiziellen Geologie überwunden werden, vertreten zuerst von der Schule der Katastrophentheorie, dann der Drifttheorie, bis sich allmählich siegreich die Eiszeitlehre durchrang. Einige verspätete Nachläufer, z. B. Schönnamsgruber, huldigten noch immer Anschauungen von gestern. So trat ein allmählicher Wandel der offiziellen Anschauungen ein: zuerst waren die Ver¬ treter der Eiszeit die Außenseiter, später die der Fluttheorie. Die ganze Periode kam über einen gewissen sporadischen Charakter ihrer Erkenntnisse nicht hinaus. Eine Gesamtschau glückte erst der nächsten, der klassischen Zeit. II. Das klassische Zeitalter Schon im vorigen Kapitel tauchten vereinzelt die Namen überragender Forscher auf, die später in ihren großen Werken einem neuen Zeitabschnitt den Stempel ihres Geistes aufdrückten und ein eindrucksvolles, geschlossenes Gesamt¬ bild der Eiszeit entwarfen. 53) J. Partsch, Die Gletscher der Vorzeit in den Karpathen und Mittelgebirgen Deutsch¬ lands (Breslau 1882). 50) F. Bayberger, Geogr.-geol. Studien aus dem Böhmerwalde, Petermanns Mitteilungen Erg. Heft Nr 81 (Gotha 1886). *) A. Penck, A. Böhm und A. Nodler, Bericht über eine gemeinsame Excursion in den Böhmerwald, Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft Bd 39 (Berlin 1887) S. 68. 14

Weinberger: 100 Jahre Eiszeitforschung in Oberösterreich Der erste Forscher, der den glanzvollen Reigen beginnt, ist August Böhm. Nach zweijährigen Feldbegehungen veröffentlichte er 1885 seine Arbeit über den Enns-Steyr-Gletscher“1). In dieser Monographie werden die Gletscher bis Alten¬ markt verfolgt, das Gletscherende bei Kleinreifling vermutet. Das Ennstal wird erklärt durch Erweiterung infolge Gletschererosion. Böhm stellt den selbständigen Ursprung des Steyrgletschers fest, verfolgt aber auch die Zuflüsse aus dem Enns¬ gletscher. Unter allgemeinen Gesichtspunkten bespricht er die Akkumulation und Erosion, die Kare und Seen usw. 1886 erschien die richtungweisende Arbeit Eduard Brückners über den Salzachgletscher“2). Brückner war ein Schüler A. Pencks und später sein Nach¬ folger an der Lehrkanzel für Geographie an der Universität Wien. Penck schreibt 63) „Ich sehe ihn noch vor mir, wie er als junger Student vor 44 Jahren zu mir kam, um bei dem jungen Privatdozenten Geographie zu hören. Ich schlug ihm vor, mich sogleich auf einer Exkursion nach der Höttinger Breccie zu begleiten . .. Brückner sah meine Art der Beobachtung und Schlußfolgerung. Beides war ihm kongenial, und aus dem Schüler wurde alsbald der Freund ... Als Thema der Dissertation empfahl ich Brückner die Bearbeitung des alten Salzach¬ gletschers, den ich in meiner Darstellung der Vergletscherung der deutschen Alpen nicht näher hatte einbeziehen können. Mit Begeisterung ging er an die Arbeit, für welche damals nicht so gute topographische Karten vorlagen wie heute. Um das glaziale Zungenbecken durch eine Höhen¬ schichtenkarte ersichtlich zu machen, mußte er auf bayerischem Gebiete Hunderte von barometrischen Höhenmessungen vornehmen ... Seine glazialgeologischen Untersuchungen führten zum gleichen Ergebnis über die Gliederung der Eiszeitbildungen und die glaziale Bodengestaltung, wie ich sie weiter westlich gewonnen hatte. Man hat deswegen gesprächsweise Brückner einen Vorwurf gemacht. Aber er konnte die Dinge doch nicht anders sehen, als sie liegen ... Brückners Promotion war die erste geographische in München. Ich konnte als Privatdozent prüfen; die Ordinarien hörten zu. Wir hatten uns beide gut vorbereitet, zuletzt auf einer gemeinsamen Exkursion; in Ebenhausen eingeschneit, studierten wir mitgenommene Bücher, aber keiner ließ den anderen wissen was. Die Dissertation über „Die letzte Vergletscherung des Salzachgebietes (München 1885) umfaßt einen Teil seiner Abhandlung über die Vergletscherung des Salzach¬ gebietes, die den Reigen der von mir herausgegebenen geographischen Abhandlungen eröffnete. Das Buch machte Brückner sofort in der wissenschaftlichen Welt bekannt; es knüpft zum Ver¬ ständnis glazialgeologischer Beobachtungen wiederholt an solche an heutigen Gletschern an und zeigt durch Beobachtungen über die Eiszeit in der Schweiz, daß sich die Glazialablagerungen dort ebenso gliedern wie die in Ober-Bayern. Dauernd war der Gewinn, den Brückner durch die Arbeit hatte. Sie hat ihn mit Feldbeobachtung vertraut gemacht, deren Beherrschung für den Geographen unerläßlich ist“. Der bekannte Gletscherforscher Sebastian Finsterwalder“4) schreibt im Nachruf für Brückner: „Überblicken wir Eduard Brückners wissenschaftliches Werk, wie es sich in den zahlreichen, an 200 Nummern umfassenden Veröffentlichungen darstellt, so fällt schon seine Doktordissertation über die Vergletscherung des Salzachgebietes durch ungewöhnliche Reife des Urteils in schwierigen “1) A. Böhm, Die alten Gletscher der Enns und Steyr, Jahrbuch der geologischen Reichs¬ anstalt Bd 35 (Wien 1885) S. 429. 62) E. Brückner, Die Vergletscherung des Salzachgebietes nebst Beobachtungen über die Eiszeit in der Schweiz, Geogr. Abh. 1/1 (Wien 1886). 63) A. Penck, Eduard Brückner, Geographische Zeitschrift 34 (1928) S. 65. 64) S. Finsterwalder, Eduard Brückner, Zeitschrift f. Gletscherkunde 16 (1928) S. 4/5. 15

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