OÖ. Heimatblätter 1948, 2. Jahrgang, Heft 1

Oberösterreichische Heimatblätter Bedeutet die eine Spirale die Sonnenbahn an einer jahreszeitlichen Wende, so schließt die Bezeichnung „Sommer und Winter“ für die Doppelspirale14) die Beziehung zum gesamten Jahreslauf ein, der mit seiner auf- und absteigenden Sonnenbahn die Vorstellung von einer großen Himmelsleiter auslöst. Wird nun zur selben Zeit, am selben Ort, unter demselben Namen und im gleichen Brauchtum neben dieser Doppelspirale als Gebildbrot auch die oben er¬ wähnte naturalistisch geformte Leiter hergestellt, so ist die Gleichsetzung der Be¬ deutung beider Gebäcksformen unabweislich. Wir dürfen sie gleich der Doppel¬ spirale als Kalendersinnbild betrachten und können uns dabei auf ihr Vorkommen zur Bezeichnung jahreszeitlicher Wendepunkte in Kalendern stützen. So findet sich die Leiter z. B. auf einem englischen Kalenderstab (Abb. Germanien 1940, S. 115), wo das Sinnbild am 13. Dezember, „dem kürzesten Tag vor der gregorianischen Reform, an welchem die Sonne zutiefst herab gestiegen war" 15), eingetragen ist, oder auf einzelnen skandinavischen Holzkalendern, wo es am 20. bzw. 22. Juli, also in der Nähe der Sommersonnenwende, erscheint, und endlich in den heutigen „Manderlkalendern“ (St. Lambrechtener Kalender) zur Bezeichnung des 15. Juli16). Auf eine ähnliche Jahressymbolik deutet möglicherweise auch die Verbindung der Leiter mit dem Sinnbild des viersprossigen Rades (Sonne), bzw. der beiden Kreise auf dem Felsbilderkompler an den Scale di Cimbergo, den wir eingangs erwähnten. Als Gebildbrot erscheint die Leiter außer in Oberösterreich nur noch in Ost¬ preußen, wo sie zu Neujahr als eine der Glücksfiguren für das Orakelbrauchtum hergestellt wird 17), und im südlichen Großrußland. Dort wird am 40. Tag nach einem Todesfall die „lesenka“, d. h. kleine Leiter, gebacken, eine „Art ländlichen (Leiterbaum), der gleich dem beim Hochzeitsbrauch im Innviertel üblichen „Kuchltanz" durch alle Räume des Hauses hindurchführt und dabei ähnliche Formen entwickelt wie der uralte, in Schneckentanzform übergehende „Schleunige“, der im Salzkammergut noch bei verschiedenen Fest¬ lichkeiten üblich ist. 12) K. Th. Weigel, Germanisches Glaubensgut usw., S. 16 und ders., Bayrische Sinnbilder, S. 12: „Es ist wichtig, daß im Sauerland noch in einer Reihe von Dörfern ein zu Neujahr an die Jugend verteilter Kuchen dieser Form (Doppelspirale) den Namen „Nijörken" oder auch „Sommer und Winter“ trägt.“ — E. Krause, a. a. O., S. 245: „Ganz entsprechende Stein¬ bilder befinden sich zu beiden Seiten des Wiener Tores zu Heimburg (recte Hainburg), welche das Volk jetzt als Sommer und Winter bezeichnet. 15) N. Schindler, Zwei vorchristliche Jahresteilungen im deutschen Bauernkalender, Ger nianien 1940 S. 414. 16) Abb. Germanien 1940 S. 413. Im Lambrechtener Kalender wie in den skandina¬ vischen findet sich als Substitut der Leiter das Sinnbild der Stiege, dem wir übrigens auch auf dem bekannten Wappen der Scaliger (Scala — Leiter, Stiege, Treppe: A. Walde, Lateinisches Etymologisches Wörterbuch, S. 682) von Verona begegnen. Zum eigenartigen Zusammentreffen der Wappensinnbilder der Stiege mit dem des Hundes vgl. O. Höfler, „Cangrande von Verona und das Hundesymbol der Langobarden“ in „Brauch und Sinnbild, Festschrift für E. Fehrle (1940) S. 101 ff. Auf deren Hintergründe wie auf die Verbindung Leiter — Bock als Wappen¬ tier (siehe Wappen derer von Bock), der wie der Hund im Verwandlungskult der deutschen Früh¬ geschichte und in den mittwinterlichen Maskenaufzügen der Gegenwart bedeutsam hervortritt, kann hier nicht näher eingegangen werden. 1) K. Th. Weigel, Ritzzeichnungen in Dreschtennen des Schwarzwaldes, S. 32.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2