Oberösterreich, 20. Jahrgang, Heft 1, 1970

OBERÖSTERREICH INTERNATIONAL Dr. Fritz Eckart Barth Hallstatt — Patenort einer Epoche Dr. Eberhard Marckhgott Lorch — ein Mythos Dr. Franz Fuhrmann „Weltkunst" in Oberösterreich Dr. Roman Moser Das zentrale Kargebirge. Eine geographische Skizze des Dachsteinmassivs Prof. Otto Stradal Schön ist die Welt... Dr. Hans Commenda Linzer Torte und Landler Dr. Annemarie Schmölzer Heilbädergeographie Oberösterreichs Dr. Erwin Wenzl Oberösterreich — Schnittpunkt wichtiger Europastraßen Dr. Franz Pisecky Die Großwasserstraße Donau und Oberösterreich Dr. Peter Kraft Adalbert Stifters Ausstrahlung auf die Weltliteratur Dr. Josef Laßt Anton Bruckner in seiner Heimat und in der Welt Dr. Harry Slapnicka Oberösterreich exportiert Ideen und Qualität Erich M. Meixner 20 Jahre VÖEST und Stickstoffwerke Schriftleitung: Dr. Otto Wutzel Das nächste Heft der Zeitschrift „Ober österreich" (Winterheft 1970, Erschei nungstermin November 1970) behandelt das Thema: Große Oberösterreidier. Umschlagbild:Impression aus denWerk hallen der VÖEST in Verbindung mit dem Tassilokelch (nach einer Idee von Erich Buchegger, mit Aufnahmen von Hans Wöhrl). Die Cellglaskaschierung des Umschlages stellte freundlicherweise die KlarglasFolien-Ges. m. b. H., Wien, unentgelt lich zur Verfügung. Kulturzeitschrift OBERÖSTERREICH Kunst, Geschichte, Landschaft, Wirtschaft, Fremdenverkehr. Halbjahreszeitschrift. Ersdieinimgstermine Mai und November. 20. Jahrgang, Heft 1, Sommerheft 1970. Eigentümer, Herausgeber und Verleger: Oberösterreichischer Landesverlag; verantwortlich für den Inhalt im Sinne des Pressegesetzes: Doktor Otto Wutzel, sämtliche Linz, Landstraße 41, Ruf 26721. — Druck: Oö. Landesverlag Linz.- Jahresabonnement (2 Hefte) S 60.—, inkl. Porto. Einzelverkaufspreis S 35.—.

9m P, .7-'' Stammbuchblatt aus Seide mit Widmung von Ludwig van Beethoven; in Besitz der Geschwister Marckhgott, Urfahr D ie Zeitschrift „Oberösterreich" ist heuer in ihr 20. Erscheinungsjahr seit der Neugründung 1950 getreten. Vorgänger waren vor 1938 „Oberösterreich" ntit vier Jahrgängen und 1941 bis 1943 „Oberdonau" mit drei Jahrgängen. Auch das Jahr 1950 gehört heute schon der Geschichte an. Die Erinnerung an diese Zeit, in der alte Wunden und neue Lebensfreude eine ganz eigenartige kulturelle Grundstimmung schufen, verblaßt zusehends. Man griff auf Traditionen zurück. Man war sich aber auch bewußt, ganz Neues hervorbringen zu müssen. Vor allem war der Begriff Österreich mit einem neuen und nun gesicherten Inhalt zu erfüllen. Die Zeitschrift „Oberösterreich" hat sich von Anfang in diesen geistigen Dienst gestellt. In Entsprechung ihres Unter titels: Kunst, Geschichte, Landschaft, Wirtschaft, Fremdenverkehr erschienen die Hefte der ersten 10 Jahrgänge jeweils mit einem sehr bunten Inhalt, gleichsam als Querschnitt des Landes. Ab dem 10. Jahrgang wurde die Auswahl von Rahmenthemen in den Vorder grund gestellt. Es sind bisher rund 520 Abhandlungen in unserer Zeitschrift erschienen, womit allein schon quantitativ ein bedeuten der Beitrag zur oberösterreichischen Landeskunde in allen ihren Sparten geleistet werden konnte. Zur Qualität dieser Publikationen ist anzuführen, daß viele davon Erstveröffentlichungen zu einem Thema oder Problem darstellen. Es wurde auch stets großer Wert auf eine geschmackvolle Aufmachung der Zeitschrift gelegt. Schon in der äußeren Form sollten Visitenkarten zustande kommen. Im Sinne dieser Bemühungen wird das Layout ab dem 20. Jahrgang abermals erneuert. Der Umbruch erfolgt nunmehr dreispaltig, in der Anordnung der Abbildungen wird eine strenge Einordnung in den Satzspiegel angestrebt. In einer Kulturzeitschrift soll eben niemals Ermüdung oder geistige Bequemlichkeit Platz greifen. Es sei an dieser Stelle auch betont, daß „Oberösterreich" in diesen 20 Erscheinungsjahren sich bisher aus eigener Finanzkraft erhalten hat. Der Oberösterreichische Landesverlag hat hierin ein kulturelle Tat von besonderem Gewicht gesetzt. Dem Schriftleiter war es vergönnt, vom Jahrgang 1 an diese Zeitschrift zu gestalten. Sie ist irgendwie zu einem Stück seines Lebens geworden. Herzlichen Dank sage ich heute allen Freunden und Mitarbeitern O. W.

Die Zeitschrift Oberösterreich ist immer bemüht, die Schönheit und Besonderheit des Landes darzustellen. Gerne wird wenig bekannteir Motiven nachgespürt. Oben; Stuckengel aus der Stiftskirche Wilhering (Foto: E. Widder). — Rechts: Filialkirche Oberrauhenödt als Wahrzeichen des Mühlviertels (Foto M. Eiersebner)

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Fritz Eckart Barth Hallstatt — Patenort einer Epoche Es gehört zu den Gepflogenheiten der Urgeschichtsforschung, Fundgruppen gleichen Gepräges unter der Bezeichnung „Kultur" zusammenzufassen und mit dem Namen eines bedeutenden Fundortes zu versehen. Die Formengemeinschaft, die uns ab etwa 800 vor Christi Geburt in weiten Teilen Mitteleuropas entgegentritt, wird seit dem Jahre 1874 mit gutem Grund „Hallstatt kultur" benannt. Im Jahre 1846 hatte näm lich der Bergmeister Johann Georg Ramsauer im Salzbergtale hoch über dem heutigen Markt Hallstatt ein Gräberfeld entdeckt und in den folgenden zwei Jahr zehnten fast zur Gänze ausgegraben. Zwar war man schon früher wiederholt auf prähistorische Objekte gestoßen — so be richtet die Salzberg-Chronika des Johann R. Riezinger für das Jahr 1710 den Fund eines Skelettes mit einer Lanzenspitze — J' wr^C -k Rfv • . ■ n-li P> M doch erst Ramsauer erkannte den Friedhof charakter und die historische Bedeutung. Er hat durch seine genaue Arbeitsweise und gewissenhafte Dokumentation, die damals durchaus noch nicht selbstverständlich war, unersetzliche Werte der Nachwelt erhalten. Sein treuer Helfer war Isidor Engel, der die Grabsituationen in prachtvollen Aquarellen festhielt (Abb. 1). Es ist das Verdienst dieser beiden Männer, daß fast hundert Jahre nach Beendigung der Gra bung eine moderne, den heutigen Anfor derungen der Wissenschaft gerechte Bear beitung durch K. Kromer möglich war. Die Funde kamen in das k. k. Münz- und Antikenkabinett und werden heute in der Prähistorischen Abteilung im Naturhistori schen Museum in Wien aufbewahrt. Als Ramsauer im Jahre 1863 die Grabun gen einstellte, hielt er das Gräberfeld für erschöpft. Dennoch versuchten zahlreiche Institutionen und Persönlichkeiten ihr Glück. Bergrat Stapf war recht erfolgreich und konnte für das Linzer Museum 175 Gräber bergen. In den Jahren 1884 bis 1899 grub der neugegründete Musealverein Hallstatt unter seinem ersten Kustos Isidor Engel mehrere Gräber aus und machte sich durch den Ankauf zahlreicher Funde aus älteren Raubgrabungen verdient. 1907 ließ die Großherzogin von Mecklenburg mit Erlaubnis des Kaisers eine große Grabung durchführen. Nennenswerte Erfolge blieben ihr jedoch versagt. Dann wird es ziemlich still um das große Gräberfeld. Erst im Jahre 1936 gelang wieder ein großer Wurf. Friedrich Morton, seit 1925 Kustos des Hallstätter Museums, entdeckte den abseits gelegenen, jüngsten Teil des Gräberfeldes und konnte eine Anzahl sehr bedeutender Funde bergen. Heute gilt das Gräberfeld von Hallstatt zum zweiten Male in der Geschichte seiner Erforschung als erschöpft. Bis auf den heutigen Tag ist es jedoch noch nicht gelungen, die Wohnstätten der prähistorischen Bergleute zu finden, obwohl anzunehmen ist, daß sich auch diese in dem engen Hochtale, dem Salzbergtale, befun den haben. Trotz des bedauerlichen Aspek tes ist diese Tatsache tröstlich. Auch kom mende Generationen von Archäologen haben die Chance, an diesem Brennpunkt der europäischen Geschichte der Frühzeit noch ein reiches Betätigungsfeld zu finden. Die Funde aus dem Gräberfeld Hallstatt erregten schon bald nach der Auffindung

- m iwmt Abb. 1 (linke Seite): Aquarell von Isidor Engel mit Darstellung der am 19. Oktober 1856 ge öffneten Gräber in Grund- und Aufriß Abb. 2 (oben): „Bronzefunde aus Hallstatt" von Hugo Chartemont, 1886. Aus: Die Öster reichisch-Ungarische Monarchie in Wort und Bild, Wien 1889 Abb. 3 (unten): Trinkszene, Detail der Situla von Kuffern weltweites Interesse. Kaiser Franz Joseph besichtigte persönlich die Ausgrabungen. Bei den Weltausstellungen 1873 in Wien und 1878 in Paris wurden Objekte aus dem Gräberfeld gezeigt. Die Beigaben, die den Toten zum Gebrauch im Jenseits mitgege ben wurden, sind aber auch wirklich ohne gleichen (Abb. 2). Sie stammen aus Flach gräbern, also aus Gräbern ohne oberirdi sche Kennzeichnung. Fast die Hälfte waren Brandgräber, bei denen der Verstorbene vor der Grablegung auf einem Scheiterhaufen verbrannt worden ist. Besonders vornehme Tote wurden auf einer ovalen Unterlage aus gebranntem Ton beigesetzt (siehe Abb. 1). Diese Art der Grabzurichtung ist spezifisch für Hallstatt und nur an diesem Fundort nachgewiesen. Sie tritt besonders häufig bei den sogenannten Kriegergräbern auf, also bei den Gräbern einer sozial ge hobenen Schicht. Diese Kriegergräber ent hielten auch die Masse der reichen Beiga ben. Schwerter aus Bronze oder Eisen mit einem glockenförmigen Knauf aus Bronze oder Elfenbein, breiter Klinge und dach förmiger Spitze wurden im 8. und 7. Jahr hundert vor Christi verwendet. Für das 6. Jahrhundert vor Christi sind kleine, zier liche Dolche in oft prunkvoller Ausführung charakteristisch. Zur weiteren Ausrüstung der Krieger gehören neben Lanzen, Beilen und verschiedenen Werkzeugen auch breite Ledergürtel, die mit verziertem Bronzeblech beschlagen sind. Als Symbol der Macht dienten kleine Stöcke mit beilförmigen Aufsätzen aus Bronze. Diese Zierbeile sind oft mit vollplastisch gearbeiteten Tier figuren verziert, in einem Fall sogar mit einem roh gearbeiteten Reiter. Die Aus stattung des vornehmen Mannes dieser Zeit vervollständigen sehr große konische Eimer aus Bronzeblech, die beim festlichen Um trunk der Krieger zum Anmischen be rauschender Getränke verwendet wurden, und kleine Schöpfgefäße mit Hebelgriff. Eines dieser vielleicht kultisch orientierten Trinkgelage ist auf einem Bronzegefäß, das in Kuffern in Niederösterreich gefunden wurde, dargestellt (Abb. 3). Ein vornehmer Mann sitzt in einem bequemen Stuhl und wird von mehreren Personen bedient. Rechts ist der Vorrat an gefüllten Eimern zu erkennen, der Diener links eilt, um Nachschub zu holen. Der eigentliche Mund schenk verwendet ein Schöpfgefäß von der Art, wie sie im Gräberfeld Hallstatt in vielen der reich ausgestatteten Gräber auf treten. Bei dem berühmt gewordenen „Schöpfgefäß mit Kuh und Kälbchen" ist der Griff in Form einer Kuh gestaltet, der ein Kälbchen folgt. Aber auch die waffenlosen Gräber haben beachtliche Beigaben enthalten. Zum Zu sammenhalten der Kleider wurden Fibeln, — Kleiderhaften von der Art der heutigen Broschen —, verwendet. Besonders beliebt waren aus Bronzedraht gebogene „Brillen fibeln" und „Halbmondfibeln" mit reichem Gehängeschmuck. Auch Bernstein und Gold wurden in den Gräbern gefunden. Aus einem reichen Frauengrab stammen eine Gürtelschließe und zwei Ohrringe aus dünnem Goldblech. Dieses Set wurde ver mutlich aus dem heutigen Süddeutschland * sT

importiert, wo in Fürstengräbern der gleichen Zeit ähnlicher Schmuck gefunden wurde. Wie weitgespannt die Handelsbe ziehungen der alten Hallstätter waren, zeigen die Glasgefäße. Es sind die ältesten nördlich der Alpen gefundenen Gefäße dieser Art und wurden aus dem Gebiet um die nördliche Adria eingeführt. Aus der gleichen Gegend stammt der berühmt ge wordene „Eimerdeckel von Hallstatt", der mit einer Reihe von Tieren und Fabelwesen in getriebener und punzierter Arbeit ge schmückt ist (Abb. 4). Diese figurale Kunst wird „Situlenstil" genannt und ist im Be reich der Ostalpen beheimatet. Aber auch der heimische Bronzeschmied beherrschte das Material und verstand es, Meisterwerke zu schaffen. Als Beispiel sei ein durchbrochener Untersatz genannt. An den senkrechten Bändern sind Reihen voll plastisch gegossener Wasservögel, wie sie für die Kunst der Hallstattkultur charakte ristisch sind, angebracht (Abb. 5). Beim Gräberfeld Hallstatt sind zwei Tat sachen besonders hervorzuheben. Zum ersten fällt der unerhörte Reichtum der Bevölkerung auf. Nicht nur die hervorra genden Einzelstücke sind hier zu nennen. Einzelne, besonders reich ausgestattete Gräber hervorragender Persönlichkeiten treten zu allen Zeiten in allen Gebieten auf. Der allgemein hohe Lebensstandard der Gemeinschaft, die ihre Toten im Gräberfeld Hallstatt bestattete, ist erstaun lich. Beigabenlose Gräber gehören zu den größten Seltenheiten. Zum zweiten ist die Lage des Friedhofes bemerkenswert: am Ausgang eines schwer zugänglichen Hoch tales ohne landwirtschaftlichen Rückhalt in der näheren Umgebung und ohne handels politische Notwendigkeit wie etwa an einem Paßübergang. Die Erklärung dafür gibt der Bergbau nach Salz, der damals, in der ersten Hälfte des letzten Jahrtausends vor Christi Geburt, eine erste Blüte er reichte. Spuren dieses frühen Bergbaues wurden durch den mittelalterlichen und modernen Bergbaubetrieb allenthalben an gefahren. O. Schauberger hat sich der Mühe unterzogen und all diese Punkte, die heute zum Großteil nicht mehr zugänglich sind, gesammelt und kartiert. Sie konzentrieren sich an drei Stellen zur Ost-, West- und Nordgruppe, die als zeitlich aufeinander folgende Abbaureviere angesprochen wer den. Das größte Revier umfaßt 72.000 mund erreicht eine Tiefe von 330 m unter der Erdoberfläche. Die Gesamtlänge aller prähistorischen Grubenbaue dürfte min destens 3700 m betragen haben. Die Funde aus dem Salzbergwerk bereichern ungemein das Bild, das wir uns von einer prähistori schen Kultur zu machen haben. Die über wiegende Mehrzahl ist aus organischer Substanz und gehört damit einer Fund gattung an, die nur in den seltensten Fällen erhalten geblieben ist. Sie ermöglichen eine wichtige Ergänzung und Erweiterung unserer Kenntnisse über die materielle Kul tur der Urzeit. Neben Werkzeugresten, - Stielen, Schaufeln, Schlegeln —, sind vor allem die Reste der Kleidung aus Fell und Gewebe zu nennen. Auch die Holzgefäß fragmente verdienen erwähnt zu werden. Die Einzigartigkeit dieser Funde erschwert natürlich eine genaue Datierung, weil es an vergleichbaren Stücken fehlt, doch geht man kaum fehl, wenn man das urzeitliche Bergwerk in Hallstatt mit dem Gräberfeld in Zusammenhang bringt und die Be nützungszeit gleichsetzt. Im Salzbergwerk Hallstatt wurde eine Reihe wichtiger Entdeckungen gemacht. Besonderes Glück hatte man im Jahre 1734, als die wohlkonservierte Leiche eines prähistorischen Bergmannes gefunden wurde. Leider ist der Fund nicht erhalten geblieben. Im Jahre 1932 wurde durch den Laugbetrieb im Stüger-Werk ein noch offener, urzeitlicher Hohlraum angeschnit ten. Deutlich sind an der Wand und an der Decke die Einschläge der Pickelspitzen, die sich zu herzförmigen Abbaufiguren grup pieren, zu erkennen. Diese Schrämspuren kamen folgendermaßen zustande: Der prähistorische Bergmann war mit dem Hauklein, den beim bloßen Zuschlagen ab springenden Salzsteinstücken von 1 bis 3cm^ Rauminhalt, nicht zufrieden. Er wollte große, handliche Brocken gewinnen, die er wahrscheinlich gleich in dieser Form in den Handel bringen konnte. Zu diesem Zweck schlug er zuerst eine senkrechte Furche in das Salzgestein. Diese hat er dann mit zwei weiteren Furchen herzförmig um fahren. Die zwischen diesen Schlitzen stehengebliebenen ovalen Teile schlug er nun mit wuchtigen Schlägen los und erhielt so die Steinsalzstücke der gewünschten Größe. Gleichzeitig wurde durch diese Vor gangsweise die Förderleistung wesentlich erhöht. Ähnliche Schrämspuren wie im Stüger-Werk wurden im Jahre 1968 im Katharina-von-Edlersberg-Werk entdeckt (Abb. 6). Auch über den weiteren Verlauf der bergmännischen Tätigkeit sind wir durch Funde informiert. Die Steinsalzbrokken wurden mit Holzschaufeln in Trag säcke geschaufelt und aus der Grube ge tragen. Diese Tragsäcke gehören zu den Abb. 4 (links oben): Im Situlenstil verzierter Eimerdeckel aus Grab 696 Abb. 5 (links): Schwimmende Wasservögel, Detail des durchbrochenen Untersatzes aus Grab 507 Abb. 6 (oben): Prähistorische Schrämspuren im Katharina-von-Edlersberg-Werk des Salz bergwerkes. (Die bisher zitierten Abb. wurden vom Verfasser aus dem Archiv der Prähistori schen Abteilung im Naturhistorischen Museum in Wien zur Verfügung gestellt.) Abb. 7 (rechte Seite); Rückansicht des Trag sackes aus Rindsfell und Rindsleder. — Foto: W. Fettinger

schönsten Funden aus dem Salzbergwerk (Abb. 7). Sie sind aus Rindsfell und Leder sorgfältig genäht und mit Holzleisten ver steift. Der Traggurt ist mit beiden Enden am unteren Teil des Sackes befestigt und führt über die linke Schulter. Über die rechte Schulter führte ein kurzer Holzknüp pel, der mit einem Riemen am oberen Teil des Sackes befestigt ist. Beim Tragen mußte dieser Knüppel festgehalten werden. Wollte der Bergmann die schwere Last, das Fas sungsvermögen der Tragsäcke beträgt ca. 45 kg Salzgestein, ausleeren, so brauchte er nur den Knüppel über die Schulter glei ten zu lassen, der Sack kippte nach hinten und entleerte sich. Mit einem Schwung wurde der leere Sack in die ursprüngliche Lage gebracht und der Bergmann konnte gleich wieder in die Grube hinabsteigen. Obwohl die Funde aus Hallstatt einer ganzen Kultur den Namen gegeben haben, können sie doch nicht als Spiegel einer für diese Kultur typischen Gemeinschaft an gesprochen werden. Als Handels- und Er zeugungszentrum des begehrten Salzes hatte das alte Hallstatt weitgespannte Han delsbeziehungen, die sich auch im Fundgut widerspiegeln. Daher ist es nicht verwun derlich, daß sich Wesenszüge vieler Pro vinzen der Hallstattkultur am namengeben den Fundort wiederfinden, der sich deshalb keiner dieser Provinzen zuordnen läßt. Man unterscheidet allgemein einen Westhall stattkreis mit Ostfrankreich und Süd deutschland und einen Osthallstattkreis, der bis Böhmen und Mähren und in das Karpatenbecken reicht und im Süden die nördlichen Teile der Balkanhalbinsel ein schließt. Hallstatt selbst liegt etwa an der Grenze dieser beiden Kreise. Den materiellen Inhalt der Hallstattkultur hat in den Jahren 1908 bis 1911 P. Reinecke umschrieben und in vier zeitliche Gruppen gegliedert (Hallstatt A—D). Heute werden die beiden ersten Stufen Reineckes der spätbronzezeitlichen Urnenfelderkultur zu gezählt. Die eigentliche Hallstattkultur der älteren Eisenzeit umfaßt nur mehr die Stufen C und D, absolutchronologisch die Zeit zwischen 800 und 500 vor Christi Geburt. In dieser Zeit schreitet die gesell schaftliche Differenzierung schnell fort und wird in sogenannten „Fürstengräbern" — großen Grabhügeln mit Holzkammer — und „Fürstensitzen" — befestigten Höhen siedlungen — archäologisch erfaßbar. Die Kontakte dieser Führungsschichte mit den klassischen Kulturen Südeuropas sind deut lich spürbar und führen schließlich im Be reich des Westhallstattkreises zur Heraus bildung der typisch keltischen Eigenart der La-Tene-Kultur. Diese breitet sich ab 500 V. Chr. immer rascher über fast ganz Europa aus und hat bald nach 400 die Hallstattkultur fast zur Gänze verdrängt. Damit beginnt der Niedergang des prä historischen Hallstatt. Neues Zentrum des Salzbergbaues ist das verkehrstechnisch wesentlich günstiger gelegene Hallein. Ausgewählte Literatur Moriz Hoernes: Die Hallstattperiode,Archiv für Anthro pologie, NF. III, Braunschweig 1905, S. 233 ff. Moriz Hoernes: Das Gräberfeld von Hallstatt, seine Zusammensetzung und Entwicklung, Mitt. d, Staats denkmalamtes II/III, 1920/21, Heft 1—3. Karl Krenn: Hallstatt, Geschichte der Ausgrabung und Erforschung des vorgeschichtlichen Gräberfeldes, Oberösterreichische Heimatblätter IV, 1950, S. 1 ff. Karl Kromer: Das Gräberfeld von Hallstatt, Text- und Tafelband, Florenz 1959. Karl Kromer: Hallstatt. Die Salzhandelsmetropole des ersten Jahrtausends vor Christus in den Alpen. Katalog zur Ausstellung, Wien 1963. Adolf Mahr: Das vorgeschichtliche Hallstatt, Veröffent lichungen d. Vereines der Freunde des Naturhist.- Museums, Heft 8—12, Wien 1925. Friedrich Morton: Zur Frage der Grubenarbeit im Hallstätter Salzbergwerk, Archaeologia Austriaca, 2, 1949, S. 68 ff. Friedrich Morton: Hallstatt und die Hallstattzeit. Viertausend Jahre Salzkultur. Hallstatt 1953. Richard Pittioni: Urgeschichte des österreichischen Raumes, Wien 1954. Paul Reinecke: Brandgräber vom Beginn der Hallstatt zeit aus den östlichen Alpenländern und die Chrono logie des Grabfeldes von Hallstatt. Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, XXX, 1900, S. 44 ff. Eduard Frh. v. Sacken: Das Grabfeld von Hallstatt in Oberösterreich und dessen Alterthümer, Wien 1868. Othmar Schauberger: Ein Rekonstruktionsversuch der prähistorischen Grubenbaue im Hallstätter Salzberg. Prähistorische Forschungen, Heft 5, Wien 1960.

..;■ :i:^^^$:S'S''4' ■S- ,- ^-r »•Jr^..i "UVCi*- ■ - Der Musealverein Hallstatt konnte im Jahre 1969 die wertvollen prähistorischen Bestän de seiner Sammlungen in einem eigenen PRÄHISTORISCHEN MUSEUM neu auf stellen. Der Erfolg bestätigt die Richtigkeit dieser Neugründung. Die Besucher des alten Salinenmarktes haben nun Gelegenheit, die Hallstattzeit in unmittelbarer Anschauung zu erleben. Die Aufstellung erfolgte nach modernen museumstechnischen Gesichts punkten, wurde fachmännisch gewissenhaft beraten und bietet in einem Vortragssaal die Möglichkeit, sich über die örtliche Situa tion hinausgehend zu informieren. Das alte Museumsgebäude wird ab 1970 renoviert und soll künftig zu einem Heimathaus der Marktgeschichte ausgestattet werden. In vernünftiger Zusammenarbeit werden somit in Hallstatt für die Landeskunde und den Fremdenverkehr wertvolle Dienste ge leistet. Das Museum ist vom 1. Mai bis 30. Okto ber täglich ab 13.30 Uhr geöffnet. In der Zwischenzeit können Führungen tele fonisch in Hallstatt (Telefon 0 61 34/235) angemeldet werden. Aufnahmen aus dem Prähistorischen Museum in Hallstätt: Brillenfibeln der älteren Eisenzeit, Detail des Dolches aus dem Grab 11 des Jah res 1889, Halskette aus Bernstein. — Fotos; W. Fettinger

Eberhard Marckhgott Lorch— ein Mythos Aufnahmen; E. Widder Wurde nun durch die erfolgreichen Be mühungen der Fachwissenschaft, geschicht liche Tatsachen und Zusammenhänge auf zuklären, der Lorcher Mythos zerstört? Mythen sind Projektionen der Seele, Strah lungen aus dem kollektiven Unbewußten in Raum und Zeit, ungreifbar wie der Wind,der „weht, wo er will". Ist nicht der Genius an der Spitze des Ennser Stadtturmes ein treffendes Bild dafür? Er hat keinen Namen, die einen sagen zu ihm Jupiter, die andern nennen ihn Merkur. Er sollte nicht sein, denn der kaiserlichen Kanzlei in Wien war er damals 1568 als heidnisches Zeichen ein schweres Ärgernis; „Ein Abgott sei an Stelle des Kreuzes an die Turmspitze gesetzt worden ...!'" Aber der Protest gegen diesen Mythos war erfolglos. Er eilt noch heute den ziehenden Wolken entgegen und läßt sich vom brausenden Sturm nach allen Winden dirigieren. Dieser Genius verkündet allen, die sich unserer Stadt Enns nähern, daß diese ihren Lvctttet aütttMtrfäitt Oben; Malachiasfenster aus den vier Prophe tenscheiben um 1320 Unten; Blick in den Altarraum und Ostchor, Altarblock mit antikem Steinsarg. Sa'kramentshäuschen aus 1480 und 1486 Man ist versucht, nach diesen drei Worten ein Fragezeichen zu setzen und sich damit in die Phalanx der Entmythologisierer ein zuordnen, die sich nicht nur aus Theologen formiert. Gibt es denn heute noch den Mythos Lorch? Daß er vor hundert Jahren bestanden hat, bezeugt der Lambacher Stiftsarchivar Pius Schmieder in einem Beitrag zur obderensischen Kulturgeschichte: „Das ehrwür digste Denkmal der Verkündigung der christlichen Lehre in unserem Vaterlande ist nebst der Grabstätte des glorreichen Blutzeugen Florianus die St. Laurenzkirche zu Lorch bei Enns. An diese Kirche knüpfte sich seit Jahrhunderten gestaltungsreich die Sage . . Inzwischen hat sich aber die kritische Ge schichtswissenschaft um diesen Mythos angenommen und versucht, seine Ur sprünge und Wege aufzuhellen. Durch eine Glanzleistung der Archäologie konnten der römisch-heidnische Stadttem pel von Lauriacum und die frühchristliche Basilika des vierten Jahrhunderts sowie eine karolingische Kirchenanlage unter der St.-Laurenz-Kirche zu Lorch aufgedeckt werden^. Das Martyrium des pensionierten Amtsvorstandes Florianus und seiner Ge fährten in Lauriacum im Jahre 304 ist historisch kritisch erwiesen'^ und Severins Wirken in der Gemeinde von Lauriacum und seine Begegnung mit dem „pontifex huius loci" Constantius um 478 gilt als feststehende Tatsache''. Auch die These von Lorch als erster Hauptstadt der Bayern hat durch eine Pariser Handschrift der „Vita Haimhrami" des Arbeo von Freising eine solide Stütze'' und Bischof Pilgrims „Lor cher Fälschungen" haben eine sinnvolle und gerechte Beurteilung erfahren". ■ - ■ • -V.

Links: Krone der Marienglocke aus 1512 — Rechts: Blick über die konservierten Ost abschlüsse der Vorgängerbauten (römischer Tempel um 200, frühchristliche Basilika um 350, karolingische Kirchenanlage um 800) in das ehemalige Presbyterium mit gotischem Taufstein i^i . :■/ ' l -Iii iv. Ruhm dem römischen Imperium verdankt. So steht es in lateinischen Versen am Stadt turm geschrieben: „Haec de Lauriaco reliqua est. His Marcus in oris cum Luca Christi dogma professus erat." — „Hier an diesen Gestaden kündigten Christi Wort Lukas mit Markus vereint®." Der Histori ker muß Einspruch erheben: Es kann keine Rede davon sein, daß die Evangelisten hier zu Lorch gepredigt hätten. Aber der Mythos ist Erlebnis, in dem die Maße von Raum und Zeit verschwimmen. Das Bewußt sein, hier an einer Stelle zu stehen, wo schon im dritten Jahrhundert das heid nische und christliche Rom einander be gegneten, genügt. Die frühchristliche Ge meinde von Lauriacum mit ihren Mär tyrern wird präsent in den Petrus- und Paulus-Schülern Markus und Lukas. Sie' sind der Urtyp der Verkündigung von Christi Frohbotschaft. Kann es dann Wunder nehmen, wenn Lukas als erster der 29 Porträts „deren Erzbischöffen" aufscheint, „welche vor alters auf dem Erzbisthum allhier zu Ennß, vorhin Lorch genannt, regieret haben und alsdann von Ennß oder Lorch wegen der anhaltenden großen Kriegen und Verfol gungen der Heyden der Bischöfliche Sitz nacher Passau gebracht worden . . Die Dreiflüssestadt, das alte severinische Batavis, erkannte in Lorch ihre Mutter kirche und leitete von ihr auf dem Hinter grund der Überreste von historisch geisti gen Zuständen, die durch Traditionen ge treulich weitergegeben wurden, ihren Ur sprung ab. So mußte auch der Patron der Diözese Passau, obwohl in Cilli geboren, und hin gerichtet, trotzdem Erzbischof von Lorch gewesen sein, ein Glied jener mystischen Kette, welche die kritisch-historische Wis senschaft als kirchenpolitische Fälschung und daher als auszumerzenden Irrtum klassifiziert'". Noch heute wird dieser Maximilian — wie lange noch? — als alter Diözesanpatron von Passau und Linz verehrt und sein Tag am 12. Oktober im liturgischen Raum mit einem Festoffizium gefeiert. Die strenge Analyse einschlägiger Geschichtsquellen läßt aber keinen Anhaltspunkt dafür fin den, daß der im salzburgischen Pongau ver ehrte Heilige jeweils Bischof oder gar Märtyrer war und zu Lorch gelebt hätte. Aber dieser Maximilianstag, der 12. Okto ber, hat es in sich: An eben diesem Tag des Jahres 1900 fanden Arbeiter im Hoch altar der alten Bischofskirche von Lorch einen schlichten Steinsarg mit 87 Gebeinen, eingehüllt in ein Textil, dessen antike Her kunft inzwischen einwandfrei festgestellt wurde". Das Ossuar war zugedeckt mit einer Steinplatte, auf der der Kommandant der 11. italischen Legion G. Memmius Fidus Julius Albius, Statthalter der Pro vinz, eine Weihe an den Genius verewigen ließ, die er am 18. September 191 zu Lauriacum vollzogen hatte'-. Handelt es sich bei diesen sterblichen Überresten um Gebeine der legendären 40 Märtyrer von Lauriacum? Das medizinische Protokoll weist jedenfalls darauf hin, daß die Gebeine ungefähr von 40 Menschen stammen. Weil eine Authentik fehlte, ordnete Rom die Entfernung aus dem Hochaltar und die Bestattung auf dem Lorcher Friedhof an. Wer führte nun im April des Kriegsjahres 1944 den Sektenbischof Thimotheus auf die Spur dieser Beisetzung, deren Ort als ein ziger Kronzeuge der 86jährige Mesner von St. Laurenz kannte, der sieben Monate später verstarb? Die vom Linzer Bischof gutgeheißene Exhumierung und Wiederbei setzung erfolgte am Festtag des Lorcher Märtyrers Florianus im selben Jahr'". 18 Jahre später, am 11. Oktober, dem Vigiltag von Maximilian, wurde in Anwesenheit erster Fachexperten für Archäologie und Anthropologie — auch der Ausgräber des

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f> . -^4 ■ c;i^ . ü- - mmm ■ i -t^ m^mWm ■^.- ■ '¥" i;.~f fcv>- {CT mkpp. Petrusgrabes zu Rom befand sich unter den Gästen — der Reliquienschatz neuerdings gehoben und später nach wissenschaftlicher Untersuchung im antiken Ossuar im neuen Hochaltar für alle sichtbar eingebaut . . . „denuo suo loco condita" bezeugt die dar aufgelegte Bronzeplatte'''. Die exakte Naturwissenschaft antwortet wie bei allen anderen Fragen nach der Echtheit frühchristlicher Reliquien auch hier: „Habent sua fata ossa . . . !" Kein Ja und kein Nein. Unseren errechenbaren Möglichkeiten entzogene Phänomene. Da tauchte am 19. Oktober 1968 der neu ernannte Nuntius von Guatemala und El Salvador, Hieronymus Prigione, auf, der für die Diözese Linz völlig überraschend zum Titularerzbischof von Lauriacum er nannt worden war. Welcher „Zufall" ist wieder am Werk, daß er am Fest des Märtyrerbischofs von Lauriacum Maxi milian seinen Geburtstag feiert. Er überp: . '4/ apr , • brachte eine Reliquie des Protomärtyrers von Lauriacum, des heiligen Florian aus — Krakau! Ja, aus Krakau, wo seit dem 13. Jahrhun dert ein Florianstift besteht und wo seit eben dieser Zeit eine herrliche gotische Vitrine mit dem Haupt des Lauriacenser Heiligen zu den Schätzen der Kathedrale am Wawel zählt, die vom Polenfürsten Kasimir von Rom erbeten wurde'". Viel leicht haben die unter Odoaker abziehen den Romanen den Leichnam mit den sterblichen Überresten Severins nach dem Süden mitgenommen, nach dem er fast 200 Jahre an jener Stätte geruht hatte, über der sich heute unweit von Lauriacum-Lorch das Chorherrenstift St. Florian erhebt. Auch am leeren Grab haftet ein Mythos, der sich bis zur Präsenz des Toten verdichtet. Aber alle Mühen Kaiser Maximilians L, den „römisch-christlichen Offizier", der als Patron gegen die Heidengefahr aus dem Osten für die Völker Österreichs erwünscht war, durch Grabungen unter der Stiftskir che zu finden und damit den Kult zu er neuern, blieben vergeblich. Tut dies dem einzigartigen Denkmal barocker Gläubig keit einen Abbruch? Der Genius lebt! Wer kennt ihn nicht, den Heiligen, der mit Panzer, Helmzier und Lanze bewehrt, sich über ein mächtiges Schicksal neigend, ret tende Wassergüsse aus liebenswürdig ge modeltem „Sechterl" verströmt? Wer gab ihm dieses Attribut in die Hand? Wer machte ihn zum besten Helfer in Feuersnot? Doch wohl das unausgesprochene Gespür des Volkes dafür, daß einer, der im Wasser für das Glaubenszeugnis starb, Macht über dieses Element erhielt und über alles, was mit ihm gebändigt werden kann? Der Streit um die Geschichtlichkeit ist längst beendet. Auch hier hat die exakte Forschung zu Korrekturen veranlaßt, die den „Offizier" in einen Zivilbeamten um steigen ließen: Der „Exprinceps officii praesidis", wir würden heute sagen, ein wegen seiner religiösen Überzeugung zwangspensionierter Landesamtsdirektor'". In den konservierten Tempelruinen unter dem Fußboden der St.-Laurenz-Kirche steht ein heidnischer Opferaltar, den der Stell vertreter des Statthalters Aelius Restutus der kapitolinischen Trias Jupiter, Juno und Minerva sowie den übrigen Göttern und Göttinnen gewidmet hat'^. Vielleicht hätte Florian auf ihm ein Weihrauchopfer als Zeichen der Loyalität gegenüber den Ge setzen Diodetians darbringen sollen. Die Verweigerung bedeutete den Tod in den Wellen der Enns. Am 4. Mai des Jahres 304. Neun Jahre später gibt Konstantin der Große dem cbristlichen Kult die Freiheit. Die folgende Generation demoliert den Stadttempel von Lauriacum und erbaut auf seinem Platz die erste christliche Basilika im Gedächtnis an die Blutzeugen von Lauriacum, deren Reliquien der erste Altar umschließt'®. Ein Jahrhundert später verteidigt Severin, der Heilige zwischen Ost und West, christ liche Humanität und Zivilisation gegenüber den in Ufernoricum einbrechenden „Barba ren" und erweist sich in dieser Zeit als Mann Gottes im wahrsten Sinn des Wortes, eine wahrhaft mythische Gestalt, die nach dem Zeugnis seines Schülers Eugippius im Namen des Herrn Zeichen und Wunder tat, um das Volk vor Hunger und Verderben zu retten. In der Basilika von Lauriacum hörte das begehrte öl nicht auf zu fließen, bis auch der letzte seinen Anteil hatte'". Ist es verwunderlich, daß auch sein Grab beim Rückzug der Romanen im Jahre 488 geöffnet wurde, um den Leichnam nach dem Süden mitzunehmen, wo in der Nähe von Neapel ein Mausoleum seiner harrte. Es ist wie ein Gruß aus der Heimat, wenn man über eine staubige Piazza wandernd ganz unversehens über einem mächtigen Kirchenportal die Worte liest: „Sancto

Severine Apostolo Noricorum." Heute lie gen die Gebeine in der Kirche zu FrattaMaggiore, wo erst 1945 die Reliquien nach einem Kirchenbrand durch schwarzhäutige Besatzungssoldaten aus dem brennenden Gotteshaus geborgen wurden. Auf dem Weg über das bekannte Severin-Heiligtum von St. Jakob zu Heiligenstadt in Wien kehrten Reliquien in die St.-Laurenz-Kirche von Lorch zurück, wo sie am 25. Oktober 1969 der Titularerzbischof von Lauriacum in das Altargrab versenkte. St. Laurenz ist auch ein einzigartiges Denk mal der Frühgeschichte des Christentums in Bayern, denn von der Taufe des Bayern herzogs in der Pfalz zu Lauriacha, als welche die noch intakte Römerfeste diente, bis zur Verwüstung der „urbs Bayuariorum" fungiert die Basilika als erste Mutter kirche Bayerns-". Karls des Großen dreitägige Büß- und Bet feiern vor dem großen Awarenkrieg 791 stempeln Lorch zur mystischen Wallfahrt der Karolingerzeit. Davon gibt die ergra bene doppelapsidale Kirchenanlage beredtes Zeugnis-L Wer will es dem großen Pilgrim des Nibe lungenliedes verargen, daß er sich nicht Bischof von Passau, sondern von Lorch nennen lassen wollte--? Die Kraft der Ereignisse und Persönlich keiten dieses Raumes überstrahlt Jahrhun derte und erhält der St.-Laurenz-Kirche den Rang der Hauptkirche von Enns, obwohl diese „Stadt am Berg" mehr als einen Kilometer südlich von Lorch in wehrhafter Pracht erstand und genau tausend Jahre nach Lauriacum im Jahre 1212 das baben bergische Stadtrecht erhielt. Wenn heute die Stadtpfarrkirche von EnnsSt. Laurenz in neuem Glanz der alten Basilika erstanden ist, so verkündet sie, daß der Mythos von Lorch in ihr nichts von seiner Kraft verloren hat. Die Wissen schaft hat den Mythos nicht zerstört, son dern nur Ursprünge, Beweggründe und Verflechtungen menschlichen Handelns und historischen Geschehens erhellt. Der Mythos lebt weiter. Er ist weder rational noch soziologisch, sondern nur psychologisch zu ergründen und zu ver stehen. Jede Tendenz, den Mythos zu eliminieren oder zu verleugnen, kann nach C. G. Jung nur eine Verarmung, ja eine Zerstörung des Menschen und seiner Seele bewirken. Diese Erkenntnis gilt auch für das Verständnis des Themas: „Lorch — ein Mythos". Anmerkungen: 'Pius Schmieder: Lorch und Ens. (XI. bis XVI. Jahrhundert.) Mus. Jahr.-Ber. XXX. Linz 1871, Sonderdruck, S. 5. - Lothar Eckhart: Die archäologische Vergan genheit der Kaplaneikirche St. Laurentius zu Lorch-Enns in Oberösterreich. — Ein erster Überblick über die Grabungsergebnisse 1960 bis 1966. Christliche Kunstblätter 3/1967. Links: Römischer Reliefstein, liegend eingemauert in die Nordmauer der frühchristlichen Basilika. Skulptur aus einem heidnischen Grabdenkmal. Oben: Römische Schale aus Terra sigillata mit Zirkusmotiven, gefunden im Friedhof Enns-Lorch. Unten: Nordmauer des römischen Stadttempels und der frühchristlichen Basilika von Lauriacum in der Unterkirche

I/Vv^- —r-?T TTV »'i. i/'-/4i.^>T -^' /-.*:.~,-"^-£.«-'..-.'v.i •j>'. r :ffß'f:X-> 7\\ <► ■7Jv^v' ' I' W'(^> Uk V] 1 >.? -w^-- I -> '-^ _ ». 7-w—•, ^T-r . .,1 ' Willibrord Neumüller; Sie gaben Zeugnis. Lorch — Stätte des heiligen Florian und sei ner Gefährten. Veritas-Verlag, Wien-LinzPassau, 1968, S. 15. ■• Ernst Karl Winter: St. Severin, der Heilige zwischen Ost und West. Studien zum Seve rinsproblem. Bernina-Verlag, Klosterneuburg 1959, S. 115. ■'' Ignaz Zibermayr: Noricum, Baiern und Österreich. Lorch als Hauptstadt und die Ein führung des Christentums. 2. Auflage, Ber ger, Horn 1956, S. 98. » Rudolf Zinnhobler: Zum Verständnis der mittelalterlichen Urkundenfälschungen. (Mit Beispielen aus dem bayrisch-österreichischen Raum.) Oberösterreichische Heimatblätter, Jahrgang 23, Heft 1/2 1969, S. 21. ' Eduard Straßmayr: Der Ennser Stadtlurm. Jahrbuch des Oberösterreichischen Museal vereines, 97. Band, Linz 1952, S. 126. ® Eduard Straßmayr, a. a. O., S. 127. "Josef Lohninger: Die Stadtpfarrkirche zu Lorch-Enns. Sonderdruck aus den Christ lichen Kunstblättern 1917/1918, Linz 1918, S. 28. Willibrord Neumüller, Sie gaben Zeugnis, a. a. O., S. 19. " Willibrord Neumüller, a. a. O., S. 78. Willibrord Neumüller, a. a. O., S. 39. Willibrord Neumüller, a. a. O., S. 26 f. i4Slw§ ... IK?-Vvv'.^l mm 1*4 -«»ül ff y y. • 'ip' A'JK j- ''i£t VI I* • * ' f Ii * "■'£^'■'^2!» j S W SvW- <&4in»l

"Willibrord Neumüller, a. a. O.,S. 71. "Lothar Eckhart; Kultgeschichtliche Fragen und Probleme um die St.-Laurentius-Kirche von Lorch/Enns-Lauriacum in Oberösterreich. Oberösterreichischer Kulturbericht. XXIII. Jg., Folge 17, Juni 1969. "Ignaz Zibermayr, a. a. O., 5. 20 f. "Alexander Gaheis: Lauriacum. Führer durch die Altertümer von Enns. 1937. österreichi sches archäologisches Institut, Wien,S. 33. Lothar Eckhart: Die frühchristliche Märtyrer kirche von Lauriacum (Lorch-Enns, Ober österreich). Estratto da Akten des VII. In ternationalen Kongresses für Christliche Archäologie, Trier, 5. bis 11. September 1965. "Eugippius: Vita Santci Severini. cap. XXVIII. Ignaz Zibermayr, a. a. O., S. 93 f. Lothar Eckhart: Die archäologische Vergan genheit der Kaplaneikirche St. Laurentius zu Lorch-Enns in Oberösterreich, a. a. O., S. 66 ff. Ignaz Zibermayr, a. a. O., S. 389 f. Links oben: Sterbliche Überreste der Lorcher Märtyrer, aufgefunden am 12. 10. 1900 im antiken Steinsarg des ehemaligen Hochaltares. Links unten: Gotische Wandmalereien mit Darstellungen aus dem Leben Jesu und der Heiligen in der Frauenkapelle des Südschiffes. Rechts: Der Titular-Erzbischof von Lauriacum, Gerolamo Prigione, derzeit Apostolischer Nun tius in Guatemala' und El Salvador, bei der Weihe des Severinaltares am 25. Oktober 1969 i iH' KLEINE KUNSTFÜHRERREIHE l'J 4 Kunst der Heimat aus dem Oö.Landesverlag Von berufenen Fachleuten zusammen gestellt, geben die handlichen und reich bebilderten Broschüren Aus kunft über die bedeutendsten Kunst denkmäler unseres Landes. ECKHART - MARCKHGOTTSTRASSMAYR + Lorch-Enns 32 Seiten, 10 Abbildungen, davon 1 vier farbiges Titelbild. 1 Planskizze. S 9.—. WALTER LUGER St.Leonhard bei Pucking 32 Seiten, 12 Abbildungen, davon 2 Farb tafeln, 2 Planskizzen. S 9.80. WALTER LUGER Stift Lambach 38 Seiten, 12 Abbildungen, davon eine Färb - tafel, 1 Planskizze. S 9.—. WALTER LUGER Dreifaltigkeitskirche in Stadl-Paura 36 Seiten, 17 Abbildungen, davon 1 vier farbiges Titelbild, 1 Planskizze. S 9.—. FLORIAN OBERCHRISTL Der Kefermarkter Flügelaltar 20 Seiten,11 Abbildungen. S 4.80.

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Franz Fuhrmann ,Weltkunst" in Oberösterreich Aufnahmen: E. Widder Zunächst gilt es die Frage zu beantworten, was unter „Weltkunst" verstanden wird, und dann ist festzustellen, ob es zur „Weltkunst" zählende Werke in OberÖsterreich überhaupt gibt. Der Begriff „Weltkunst" ist eine Analogiebildung zu jenem der „Weltliteratur", den Goethe ein geführt hat. Man versteht darunter dem entsprechend einerseits die Gesamtheit der Kunstwerke aller Völker und Zeiten, an derseits die Summe jener Werke, die kraft ihrer besonders hervorragenden Eigenschaf ten überregionale und übernationale Gel tung beanspruchen dürfen. In unserem Zu sammenhange ist der Begriff selbstver ständlich im zweiten Sinne anzuwenden. Da es nun offenbar darum geht, Spitzenwerke der Kunst herauszustellen, ist es notwen dig, eine möglichst übereinstimmende Auf fassung darüber zu erzielen, nach welchen unterscheidenden Merkmalen eine solche Auswahl zu erfolgen hat. Andererseits kann man sich auch fragen und danach um sehen, ob nicht bereits andere Gewährsleute eine entsprechende Auswahl vorgenommen haben und zu welchem Ergebnis sie allen falls gekommen sind. Wir leben ja gerade zu im Zeitalter der großen zusammenfas senden kunstgeschichtlichen Darstellungen, in denen man sich entsprechend unterrich ten kann. Wie unerläßlich aber die Eigen besinnung über die Grundsätze der Aus wahl ist, zeigt das Beispiel eines einschlägi gen Werkes, das es fertigbringt, den Wie ner Stephansdom im Rahmen der euro päischen Architektur nicht einmal zu er wähnen, geschweige denn einer Abbildung zu würdigen. Im wesentlichen handelt es sich um zwei Kriterien, nach denen die Auswahl zu tref fen ist. Das oberste ist zweifellos jenes hervorragender künstlerischer Qualität. Mit ihm eng verbunden ist der Erhaltungs zustand, da er das Erkennen und Auskosten der Qualität erst richtig ermöglicht. Wir müssen es uns versagen, auf die nähere Bestimmung der einzelnen Unterschei dungsmerkmale einzugehen. Nur zu dem schwer in Worte zu fassenden Begriff der Qualität seien einige Hinweise gegeben. Hohe Qualität erfließt aus dem außeror dentlichen, aber anderseits wieder einfach und wie selbstverständlich anmutenden Ge lingen der Form, aus der vollkommenen Deckung von Form, Werkstoff und Inhalt, aus dem ahnungsvollen und staunenerre genden Transparentwerden des Inhalts durch die Form, aus dem beglückenden Aufleuchten einer neuen Seinsdimension, das zu einer den schauenden Menschen immer stärker in ihren Bann ziehenden Faszination führt usw. Das zweite Krite rium ist die besondere kunstgeschichtliche und allenfalls auch geschichtliche Stellung und Bedeutung des künstlerischen Gegen standes, seine Einzigartigkeit oder betonte Herausgehobenheit im Formalen wie im Inhaltlichen (Motivischen, Thematischen). Dieses Kriterium soll in der Regel mit dem ersten verbunden sein, es kann aber auch ausnahmsweise mehr oder weniger allein den Ausschlag geben. Betrachtet man jedoch den Vorgang der Auswahl nicht nur von oben („was ist wertvoll genug, um in die obersten Schichten eingereiht zu werden"), sondern auch von unten her („was ist im regionalen Bereich so fein und eigenartig geprägt, daß es in die obersten Schichten zu deren differenzierender Bereicherung aufsteigen sollte"), so könnten in behut samer Auswahl auch noch Werke heran gezogen werden, die zwar den beiden er sten Kriterien nach nicht voll entsprechen, trotzdem aber im Fächer der obersten Schichten Platz finden könnten. In allen Fällen wäre auch noch die Strenge des Maß stabes zu berücksichtigen, die bei der Aus wahl angelegt wird. Sie muß gerechter weise in allen Bereichen möglichst einheit lich sein. Geht man nun die Werke der bildenden Kunst Oberösterreichs durch und überlegt sich unter Anwendung eines eher strengen Maßstabes, welche Werke in ein imagi näres Museum der „Weltkunst"(man sollte besser sagen: der europäischen Kunst) auf zunehmen wären, so würde ich zeitlich ge reiht in einer ersten Wahl anführen: den Tassilokelch zu Kremsmünster, den PacherAltar zu St. Wolfgang im Salzkammergut und das Augustiner-Chorherrenstift Sankt Florian; in einer zweiten Wahl kämen hinzu: die Lambacher Fresken, die Statue des hl. Florian im gleichnamigen Stift, der Kefermarkter Altar, der Altdorfer-Altar in St. Florian, (mit Abstand) die Schutzman telmadonna in Frauenstein, die Zisterzien ser-Stiftskirche Wilhering und wohl auch das Werk Alfred Kubins. Um diese Werke scharen sich jeweils noch eine Reihe ande rer, die im Sinne der oben erwähnten Be trachtung von unten imstande wären, der strengen Folge in der obersten Schicht noch ein belebendes Lokalkolorit zu ver leihen. Ich glaube damit eine annehmbare und gültige Auswahl getroffen zu haben, wenn ich mir auch bewußt bin, mit der zweiten Wahl bereits „Schwebungen" zu gelassen zu haben. Vielleicht ist manchem die Auswahl(vor allem die erste) zu streng. Dem weniger in die örtlich gegebenen Ver hältnisse Eingeweihten mag einiges fehlen: ein Dom, eine Burg, ein Schloß. Ihm muß folgendes zu bedenken gegeben werden. Oberösterreich wurde erst Ende des 18. Jahrhunderts mit der Lösung von Pas sau ein selbständiges Bistum. Der mit großen Anstrengungen und hohen Zielen unternommene Linzer Dombau nimmt zwar in der Geschichte des historisierenden Kirchenbaus des 19. und 20. Jahrhunderts eine nicht unbedeutende Stellung ein. Sie reicht aber nicht aus, diesem Dom eine überragende Bedeutung zukommen zu las sen. Unter den Burgen könnte vielleicht Schaunberg bei Eferding einen höheren Rang beanspruchen. Ihr Zustand ist aber zu ruinös, um einem solchen Anspruch noch Geltung verschaffen zu können. Im übrigen muß man sich vergegenwärtigen, daß das Land Oberösterreich, das einst als Teil des Erzherzogtums Österreich eng mit dem Lande Niederösterreich verbunden war, nie eine Residenz-Haupstadt besessen hat. Es fehlte deshalb in der Landeshaupt stadt Linz eine dauernde landesherrliche Hofhaltung. Wohl besitzt Linz ein ehemals landesfürstliches Schloß, noch dazu in be herrschender Lage. Die einst ausgedehnte, nüchterne Anlage ist aber nur als Torso Vorderseiten links: Kopf des hl. Christophorus aus dem Schrein des gotischen Flügelaltares in Kefermarkt, rechts: Hl. Benedikt aus dem Schrein des gotischen Flügelaltares in St. Wolf gang im Salzkammergut. — Fotos M. Eiersebner Rechts: Tassilokelch in Kremsmünster

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Lambach, Stiftskirche, Fresken, 7. Feld mit Darstellung der Turbatio Herodis (Erschrecken des Herodes) Unten: Kremsmünster, Stiftskirche, Gunther grab Rechts; St. Wolfgang im Salzkammergut,Pfarr kirche, gotischer Flügelaltar Michael Fachers, Tafelbild Tod Mariens -"ÄiÜ \i ' ■ •6..V' ■' ..,r

auf uns gekommen und hat die Innenaus stattung zur Gänze eingebüßt. Die kultur tragenden und kunstfördernden Kräfte in Oberösterreich waren nicht der fern in Wien residierende Landesherr, sondern die Landstände. Was der Adel leistete, ist größtenteils untergegangen. Was die Prä laten der Stifte und die Bürgerschaft der Städte schufen, prägt noch heute das kul turelle und künstlerische Antlitz des Lan des. So nimmt es nicht wunder, daß auch sämtliche Spitzenwerke (natürlich mit Aus nahme des Oeuvres von Kubin) diesem Kreis entstammen, wobei die Stifte mit Abstand die Führung innehaben. I. Der Tassilokelch (Salzburg? um 770). Dem Tassilokelch kommt in mehrfacher Hinsicht überragende, ja einzigartige Be deutung zu. Überragend ist die künstleri sche Gesamtanlage des Kelches: das abge wogene MaßVerhältnis seiner Teile (Kuppa, Nodus, Fuß), wobei die Kuppa den Kelch machtvoll beherrscht, die ornamentale und figurale Ausschmückung, die die Außen flächen zur Gänze überzieht, die künstleri sche und technische Vollendung, mit der diese Zier ausgeführt ist, der Reichtum an Gedanken und Beziehungen, der den For men zugrundeliegt. Großartig und restlos überzeugend gelang die formale Umsetzung des gedanklichen Aufbaues: der Fuß trägt einerseits die Widmungsumschrift, durch die der Kultgegenstand auf dem Boden der „realen" Geschichte aufruht (nach Stollen mayer Hochzeitskelch für den bayerischen Herzog Tassilo 111. und seine Frau Liutpirc aus langobardischem Königsgeschlecht), anderseits die Bilder der schützenden „Hausheiligen" beider Geschlechter. An der parapoloiden Kuppa erscheint die Dar stellung des überweltlichen Bereiches mit Christus und den vier Evangelisten. Der Kuppa wie dem Fuß ist in sinnvollster Weise die entsprechende Ornamentik zu geordnet (z. B. am Grund der Kuppa, in dem der zum Blute Christi verwandelte Wein ruht, das Motiv des Weinstocks usw.), eine Flechtband-, Pflanzen- und Tierornamentik, die sich im Nodus zu einem Rautenmuster geometrisiert und da mit die obere und untere Zone des Kelches sowohl verbindet als auch scheidet. Darüber hinaus liegt dem Gerüst des Aufbaues eine tiefere Zahlensymbolik zugrunde. In der Verbindung von menschlicher Figur und seiner Herkunft nach weitverzweigtem Ornament ist der Tassilokelch ein außer gewöhnliches Beispiel für das eurasisch ausgespannte Beziehungsfeld der frühmit telalterlichen Kunst und insbesondere für das Zusammentreffen der mediterranen und nordischen Formenwelt. Damit steigt er aber auch auf zum sichtbaren Zeichen für den geistigen Durchdringungsprozeß von Nord und Süd, der in der Zeit Karls des Großen einen ersten Höhepunkt erreicht hat. So wächst die Bedeutung dieses Kel ches, der auch ein Symbol für die hoch fliegenden politischen Pläne des letzten Agilolfingers darstellt, weit über das stam mesmäßig Gebundene ins Europäische hin aus und Europa repräsentierte bis ins 19. Jahrhundert hinein eben die „Welt". Über den Herstellungsort des Kelches herrscht noch keine einhellige Meinung. Sicher sind enge Zusammenhänge mit der insularen Kunst. Sie schließen jedoch eine kontinentale Entstehung keineswegs aus. Dabei spricht vieles, vor allem wegen der Schlüsselstellung Abtbischofs Virgil, für das damalige religiös-geistige und kulturell künstlerische Zentrum des bayerischen Her zogtums, Salzburg. An den Tassilokelch ließen sich als weitere wichtige, in Oberösterreich beheimatete Werke jener Zeit der Godex Millenarius in Kremsmünster und die erst um 1950 in ihrer Bedeutung für die frühmittelalterliche Baukunst erkannte Martinskirche in Linz anschließen. 2. Die Lambacher Fresken (um 1080). Die überregionale Bedeutung der Lambacher Fresken liegt nicht sosehr in ihrer Qualität (sie reichen z. B. nicht an den künstlerischen Rang der Nonnberger Fresken in Salzburg oder gar des Antiphonars von St. Peter heran), als vielmehr in ihrer frühen Ent stehungszeit, ihrem flächenmäßigen Um fang, der Besonderheit ihrer Thematik und vor allem dem „taufrischen" Erhaltungszu stand der Malerei als solcher. Die epoche machende Entdeckung der Wandmalerei von Lambach (Demus) hat in der zeitlichen Folge der im weitesten Sinne romanischen Wandmalerei Österreichs (wenn man un mittelbare Nachbargebiete mit einschließt): Naturns (E. 8. Jahrhundert) — Mals (A. 9. Jahrhundert) — Reichenau (E. 10. Jahr hundert) — Lambach (E. 11. Jahrhundert) — Frauenchiemsee, Salzburg, Pürgg (M. 12. Jahrhundert) — Gurk (13. Jahrhundert) die Lücke des 11. Jahrhunderts geschlossen. „Ottonisches" Stilwollen (Erzählung, Wun dertaten, Beseelung) klingt nach, verbindet sich aber mit dem hoheitsvoll Aufgerich teten des „Salischen" (Thronende Mutter-

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