Oberösterreich, 20. Jahrgang, Heft 1, 1970

schweigen — aus persönlichen Gründen und folkloristischer Substanz entgegensetzen, sind bekannt. Wer mit der Art Anton Bruckners nichts anzufangen weiß, dem wird weder durch aufopfernde Jüngerschaft noch durch interpretatorische Verlockung bedeutender Stabführer zu helfen sein. Aber mit dem Rückgriff auf die Urkonzeptionen sollte das Unverfälschte des le bendigen Eindrucks und das Echte des kom positorischen Ausdrucks wiederhergestellt werden. Wenn Anton Bruckner aufgeführt wird, dann darf es nur die Schöpfung seiner Kraft und Herrlichkeit sein und nicht der Tribut an die Zeitlichkeit, die Virtuosität vor das Eigentümliche gesetzt hatte. Urfassung aber bedeutete Überprüfen der Einzelheiten wie des Gesamtaufbaus. Der Einwand, daß die gutmeinenden Be arbeiter und Verbesserer Josef und Franz Schalk und Ferdinand Löwe, als sie ihr Vorbild zu Änderungen und Abschwächungen der Symphonien überredeten, zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt waren und der Enthusiasmus ihrer Jugend bestimmte, was ihnen spätere Einsicht und Ehrfurcht verboten hätten, ist nicht allzu wichtig. Die Dirigierpraxis und die Entwicklung der Mu sik etwa zu Anton von Webern hin haben das Zumutbare an das menschliche Ohr und Herz auch grundsätzlich erweitert, so daß man nicht bei Tempobezeichnungen, Phrasierungen und Kürzungen kritisch zu verweilen braucht. Es geht um die klang liche Vertrautheit der Instrumentalsprache, die in ihrer Unverwechselbarkeit erhalten bleiben muß. Alle jene Voraussetzungen, die einst die Überarbeitungen veranlaßten, hat die Zeit überholt. Dieser Erkenntnis, die zugleich ein Be kenntnis zur Unversehrtheit Anton Bruck ners ist, ging allerdings eine genaue wissen schaftliche Forschung voraus. Besonders Ro bert Haas hat Jahre und Mühen seines Fleißes auf sorgfältige Editionen verwen det, die von Leopold Nowak fortgesetzt wurden. Wenn man sich allerdings an eine Vervollständigung der Neunten Symphonie wagte, indem man Skizzen und Entwürfe zum letzten Satz zusammenstellte, um den Anschein eines abgeschlossenen Werkes zu erwecken, dann tat man des Guten wie des Schlechten zuviel. Die letzte große Arbeit blieb Fragment. Der Alte und Kranke hatte nicht mehr die schöpferische Gewalt, zu binden und zu lösen. Seit langem wartete der Tod. Die Stunden waren entleert. Die Träume verflüchtigten sich, ehe sie Klang bilder wurden. Die Hand war bald müde, wenn sie am Klavier Akkorde probierte. Es gerannen die Töne nicht mehr zum Ganzen der Melodie. Anton Bruckner hatte zu früh seine Neunte Symphonie dem lie ben Gott gewidmet. Er war mit dem Torso auf den stärkeren Gott gestoßen, der ihm die Glorie der Darbietung nicht tränenlos schenkte. Auch die Unvollendung ist eine Stufe der Vollendung. Anton Bruckner hat manchen Tag und Abend an die Eingängig keit seiner Musik verschwendet. Er wollte das Verstehen durch die Menschen erzwin gen. Er hielt das Leid, bei denen nicht anzu kommen,für die er komponierte, nicht aus. Daher strebte er widerstrebend eine leich tere Aufführbarkeit an. Das kostete Zeit, aber der Enttäuschte hatte davon nicht in Fülle. Er mußte auf eine spätere Erfüllung hoffen. Wer aber versucht, aus flüchtigen Notizen und Gedanken ein Gültiges zu ma chen, den fertigen Sätzen anzumessen, der will ein unfertiges Marmorgebild mit Gips ergänzen. (Mit verschiedenen Fassungen hervorzutreten, war literarische Mode des XIX. Jahrhunderts. Gottfried Keller und Adalbert Stifter wären dafür Kronzeugen. Man goß die Glut der ersten Empfindung in die betrachtende Distanz des langsamen Formens. Man schmiedete kalt. Das Wirre und Erregende wurde geglättet und ent flochten. Aber es war immer noch Eigenes, nur durch reiferes Alter diktiert.) Die For schung hat das Gesamtwerk Anton Bruck ners gesichtet und gesichert, so daß es über all auf der Welt angeboten werden kann, wie man es mit anderen Größen der Musik tut. Allerdings eignen sich nicht alle Dirigenten in gleicher Weise zur gültigen Interpreta tion. Wenn man die Schallplatten-Ausga ben vergleicht, dann werden die Unter schiede und Feinheiten offenbar, die durch die Erspürung noch in den Spielraum der Deutung geraten. Die Epoche,in der Anton Bruckner vorgestellt werden mußte, ist wie die Ära der Auseinandersetzung vorbei. Es geht nicht mehr um den Vorrang zwi schen Johannes Brahms und dem Ober österreicher, beide sind Übergänge gewor den zu Neuerem, das mit ihrem Jahrhun dert nur wenig Gemeinsames hat. Wohl ist es eine Frage der seelischen Einstellung, wie erlebnistief man sich der Allerfassung des kompositorischen Ausdrucks zu nähern im stande ist, denn die Rast des siebenten Tages ist keine ruhende Leere; sie ist Schöpfungsaufruhr und nicht bloßes Spiel der Phantasie. Unter stampfenden Rhyth men, voll ausgelassener Fröhlichkeit, aber auch voll des dunkelsten Ernstes, ergießt sich das All ins Ich, damit sich das Ich wieder im All verliere. In der Fülle der Zeit ermattet der treibende Wille, weil der Fluß der Ewigkeit in den Augenblick ge bettet ist. Wenn Anton Bruckner in fernen Kontinen ten noch bekannt gemacht werden muß, weil dort Lebenshaltung und Weltanschau ung anders gestaltet sind als in den Zent ren des Abendlandes, dann kann das jetzt leichter geschehen. Die Biographen August Göllerich und Max Auer haben dafür ge sorgt, daß nichts versteckt blieb, was zur Entdeckung der Größe und Grenze nötig war. Der Ausführlichkeit ihrer Beschreibun gen kann wohl nichts Wesentliches mehr hinzugefügt werden, das das Wissen be reicherte oder die Einschätzung veränderte. Selbst an philosophischen Auslegungen herrscht kein Mangel. Der Gedanke hat sich des Gefühls bemächtigt, um die buch stabierte Lineatur in den lebendigen Bezug mit dem Kosmos zu bringen. Man trachte nicht, den konfessionellen und profanen Anteil auseinanderzuhalten, denn das In einander dieser Gegenteile gehört zum Ge samtwirken des Auferstandenen von Sankt Florian, der wußte und glaubte, daß er inmitten der Gebeine und der verstorbenen Pröpste nicht zuschanden wird in Ewigkeit. Wenn die Jahrzehnte zuerst Widerläufe ge gen das Gewollte und Erstrebte waren, weil das Vertane in den Zustand der Unver sehrtheit erhoben werden mußte, um den wahren Anton Bruckner ins Licht der Wie dergeburt rücken zu können, dann waren die Anstrengungen, die Werke zu verbrei ten kaum geringer, als die Mühen, sie zu vertiefen. Es kann nicht sinnvoll gefragt werden, ob die internationalen Gesellschaften und loka len Bünde, die immer wieder zu Festtagen und Feiern rüsteten, damit die entzündete Glorie nicht verlösche, recht und selbstlos handelten, falls sie sich als Wiedergut machungsinstitutionen betrachteten, die allein das Vermächtnis gepachtet hatten. Ohne die Werbung und ohne das ständige Eintreten wäre die Popularität des Kompo nisten in seiner Heimat wie in der Welt schwach geblieben. Denkmäler, Medaillen und Geldscheine, auf denen das Porträt des Unsterblichen zu finden ist, sind nicht höher zu bewerten als die literarischen Versuche, die sich der romanhaften Gestalt in ihren Wunderlichkeiten bemächtigen. Die histo risierenden Autoren, wie Rudolf List, Ro bert Hohlbaum oder Luise Bachmann, die sich beim Nachzeichnen von Künstlerschick salen mehr in einem anekdotischen Feuille tonismus gefielen, als daß sie die naturali stische Wahrheit einzuholen trachteten, ver niedlichten durch mittelmäßigen Stil und triviale Handlung das tatsächliche Leben und Schaffen. Sie suchten durch Räuspern und Spucken die Persönlichkeit zu ersetzen, die sich einer restlosen Darstellung entzieht. (Franz Werfel hatte mit seinem Verdi-Ro man ungute Schule gemacht.) So verschob sich das Bild Anton Bruckners, weil es mit Zügen ausgestattet wurde, die mehr der Erfindergabe des Erzählers entsprachen als dem biographischen Erkennen. Es ist kein Funke des Göttlichen zu sehen, dessen dieser Trunkene voll war, wenn er schuf. Alles andere, da es umgebettet wurde in der Gruft von St. Florian, ist unnötige Wucherung, die gleich dem ungeschnittenen Efeu das Porträt verdeckt. Die literarische Schilderung hat die Ferne gezeigt, die die Mode und der politische Zeitenlauf zwischen das Dasein und die Deutung gelegt haben. Aber auch Berichte über Konzerte im Ausland und kulturelle Veranstaltungen lassen vermuten, daß die Werbung für die Musik Anton Bruckners nicht ohne kritischen Widerspruch sein kann. In den dreißiger Jahren, als Volks-

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