Oberösterreich, 20. Jahrgang, Heft 1, 1970

Josef Laßl Anton Bruckner in seiner Heimat und in der Welt Wie bei seinem Landsmann, dem Dichter Adalbert Stifter, hat auch bei Anton Bruck ner die Mit- und Nachwelt lange gezögert, für ein großes Werk erkennend und an erkennend zu danken. Ruhm war dem Ansfeldener Meister versagt. Die Ära hat sich Zeit gelassen, als unsterblich zu prägen, was während des Entstehens als sterblich beurteilt worden war. Es bedurfte vieler Mühen, die Symphonien außerhalb der Heimat bekannt zu machen. Ohne begei sterte Verehrer, hochherzige Herausgeber, überprüfende Dirigenten, bezeugende Orchester, forschende Wissenschafter und aufgeschlossene Zuhörer wäre es nicht zur dauernden Pflege gekommen, die not wendig ist, eine künstlerische Hinterlas senschaft immer wieder zu verlebendigen, damit sie Besitz und Erbe werde. Zwar glaubte Anton Bruckner unerschüt terlich an sein Fortwirken, wovon der Auf schrei: „Non confundar in aeternum!"(Nie werde ich zuschanden in Ewigkeit) fast verzweifelte Stimme gibt, doch ihm selbst war ein Betreiben fremd, wie man mit Erfolg eine Leistung verbreitet und vertieft; er konnte nur komponieren. Er hat keine Schule gebildet, sondern nur ein paar Schüler gehabt, die nach seinem Tode ihre eigenen Wege gingen. Das Fehlurteil des gefürchteten Kritikers Eduard Hanslick war mächtig. Es strömte die Gegenrichtung der Brahmsianer. Der Operntaumel Ri chard Wagners, des Freundes und fälsch lichen Vorbildes, entfachte den widersätzlichen Sinnenrausch, in und aus dem der Mythus als Schauspiel nicht nur den hö renden Menschen ansprach. Es folgte der Streit um die Urfassungen und Bearbei tungen, der nach den Entscheidungen in den Konzertsälen für die Originale aus ging. Es dominierte die Moderne. Die Zwölftöner begannen den Tag zu regieren. Mit dem Einzug in die Walhalla bei Re gensburg aber war nicht der Konflikt auf gehoben zwischen dem heidnischen Schaf fenswütigen und dem gläubigen Schaffens würdigen, wie er sich im Grabmal von St. Florian und in den Monsterpartituren dokumentiert. Er wird nie für immer aus getragen sein. Denn der ungeklärte Zwie spalt, der Anton Bruckner als schöpferische Persönlichkeit geformt und zerrissen hat, liegt in dem ungemilderten Temperament seiner Notate, die man als Eigenart und Stil ästhetisch umschreiben mag, doch kaum ausgleicht und beschwichtigt. Sowohl in der Gläubigkeit wie im Heidnischen, die im Ursprünglichen des Wesens zu finden sind, ist mancherorten die Sperre gegen eine er fassende Aufnahme des Werkes trotz gu ten Willens zu suchen. Wer nicht vom geistigen Geblüt dieses Kontrapunktikers ist, wird ihn nur schwer begreifen. Mit Gefallen allein, wie es etwa leichte Gefäl ligkeiten und eingängige Melodien auslö sen, ist es bei Anton Bruckner nicht getan. Auch das hat er mit Adalbert Stifter ge meinsam: sein Kosmos, aus Chaos er schaffen, kommt nicht zu uns, wir müssen uns einen Zugang erringen, wenn wir hineinwollen in seine himmelstürmenden Aufbauten und Türmungen. Nicht ein freundlicher Herr begleitet uns wie ein pragmatisierter Kustos, das verstellende Leibliche ist längst dahin. Das wäre kon servierte Anekdote. Das wäre Verniedli chung. Das wäre Kammerdienersicht. Das wäre Unterhaltungsliteratur oder Kitsch, wie sie um seine unbeholfene Person als Geniedeutung fabriziert wurden. In diese abgenützten Klischees ist auch das schmükkende Beiwort vom Musikanten Gottes ab lehnend einzuordnen, selbst wenn es noch so lieblich und romantisierend klingt. Wer war dieser Mann, der am 11. Oktober 1896, ein wenig über 72 Jahre alt, in seiner Wiener Wohnung, dem Kustodenstöckel des Belvedere, gestorben ist? Seine Orgelkunst war im Ausland begehrt. Als Dozent galt sein Name an der Universität und Akademie. Der Huld des Kaisers Franz Joseph, die sich am sichtbarsten durch Zu wendungen aus der Privatschatulle zeigte, war er sicher. Er hatte im Herrscherhause etliche Gönner und Fürsprecher. Eine hohe Auszeichnung schmückte seinen Feiertags rock. Man hatte ihn zum Ehrendoktor pro moviert. Beim festlichen Kommers sagte der Rektor, daß er sich achtungsvoll vor dem ehemaligen Hilfslehrer von Windhaag beuge. Aber was bedeutete Anton Bruckner in der offiziellen Gesellschaft? Er war ein spintisierender Junggeselle. Er war ein Zerrbild der Lächerlichkeit. Seiner kleinen Gestalt paßte kein modischer Anzug. Sein Kopf mit dem kurzgeschorenen Haar war ein Bauernschädel. Seine Manieren waren alltäglich. Aber an die Orgel trat er als König. Mit seiner Kennerschaft der kom positorischen Gesetze schlug er alle Kathe derkollegen. Er legte immer wieder Prüfun gen ab, um sich bestätigen zu lassen, daß er durch sein Können die prüfte, die ihn prüften. Er ist der geniale österreichische Außenseiter seines vielgestaltigen musika lischen Jahrhunderts. Spät hat er den Über gang vom nachschöpferischen zum eigen schöpferischen Gestalten gefunden. Der Dreischritt vom Lehrer zum Organisten und vom Organisten zum Komponisten und vom Komponisten zum Symphoniker ge lang nicht wie ein holder Dreiklang: es war Plage, Überwindung, Widerwärtigkeit. Aber er schloß in Vollendung. Deswegen fror er ungeliebt durchs Leben. Deswegen miß fielen seine Aufführungen. Deswegen hal fen alle Widmungen nichts. Aber seine Partituren waren wie Wertpapiere, deren echter Kurs sich erst den Enkeln offenbaren sollte. Jedes Geistige braucht seine gewisse Spanne, um sich zu erneuern, wenn seine erste Darbietung von der Allgemeinheit nicht aufgenommen wurde. Anton Bruckners Musik, bei der Übergabe an die Welt meist mißverstanden und verlacht, mußte wieder in ihre Authenzität zurückgerufen werden, von der sie die Wirkung erlangen sollte, wie sie sich ihr Meister gedacht und erwar tet hatte. Wer in der Kunst, gleichgültig in welcher Gattung, etwas eingängiger machen will, als es ursprünglich gestaltet wurde, zer stört mit der Form den Inhalt. Seit seiner denkwürdigen Aufführung vom 2. April 1932, in der er, der unermüdliche Diener am Werke Anton Bruckners, der Dirigent Siegmund von Hausegger, mit den Münch ner Philharmonikern die Neunte Symphonie in beiden Fassungen (Erstdruck, also Ferdi nand Löwes Veränderung, und das fast unbekannte Original) zelebrierte, ist das Beispielhafte offenbar. Das Problem der Umarbeitungen steht und fällt nicht mit einem Besser oder Schlechter, sondern mit dem Eigentlichen des stilbildenden Prinzips. Das Genie bedarf keiner Bevormundung durch das Talent. Was die Freunde und Schüler aus Verehrung taten, wird als zeit bedingtes Verdienst nicht geschmälert. Die Schwierigkeiten, die sich auch heute noch und wahrscheinlich immer einer Verbrei tung in Frankreich, Italien oder England — von außereuropäischen Kontinenten zu

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