Oberösterreich, 20. Jahrgang, Heft 1, 1970

Franz Fuhrmann ,Weltkunst" in Oberösterreich Aufnahmen: E. Widder Zunächst gilt es die Frage zu beantworten, was unter „Weltkunst" verstanden wird, und dann ist festzustellen, ob es zur „Weltkunst" zählende Werke in OberÖsterreich überhaupt gibt. Der Begriff „Weltkunst" ist eine Analogiebildung zu jenem der „Weltliteratur", den Goethe ein geführt hat. Man versteht darunter dem entsprechend einerseits die Gesamtheit der Kunstwerke aller Völker und Zeiten, an derseits die Summe jener Werke, die kraft ihrer besonders hervorragenden Eigenschaf ten überregionale und übernationale Gel tung beanspruchen dürfen. In unserem Zu sammenhange ist der Begriff selbstver ständlich im zweiten Sinne anzuwenden. Da es nun offenbar darum geht, Spitzenwerke der Kunst herauszustellen, ist es notwen dig, eine möglichst übereinstimmende Auf fassung darüber zu erzielen, nach welchen unterscheidenden Merkmalen eine solche Auswahl zu erfolgen hat. Andererseits kann man sich auch fragen und danach um sehen, ob nicht bereits andere Gewährsleute eine entsprechende Auswahl vorgenommen haben und zu welchem Ergebnis sie allen falls gekommen sind. Wir leben ja gerade zu im Zeitalter der großen zusammenfas senden kunstgeschichtlichen Darstellungen, in denen man sich entsprechend unterrich ten kann. Wie unerläßlich aber die Eigen besinnung über die Grundsätze der Aus wahl ist, zeigt das Beispiel eines einschlägi gen Werkes, das es fertigbringt, den Wie ner Stephansdom im Rahmen der euro päischen Architektur nicht einmal zu er wähnen, geschweige denn einer Abbildung zu würdigen. Im wesentlichen handelt es sich um zwei Kriterien, nach denen die Auswahl zu tref fen ist. Das oberste ist zweifellos jenes hervorragender künstlerischer Qualität. Mit ihm eng verbunden ist der Erhaltungs zustand, da er das Erkennen und Auskosten der Qualität erst richtig ermöglicht. Wir müssen es uns versagen, auf die nähere Bestimmung der einzelnen Unterschei dungsmerkmale einzugehen. Nur zu dem schwer in Worte zu fassenden Begriff der Qualität seien einige Hinweise gegeben. Hohe Qualität erfließt aus dem außeror dentlichen, aber anderseits wieder einfach und wie selbstverständlich anmutenden Ge lingen der Form, aus der vollkommenen Deckung von Form, Werkstoff und Inhalt, aus dem ahnungsvollen und staunenerre genden Transparentwerden des Inhalts durch die Form, aus dem beglückenden Aufleuchten einer neuen Seinsdimension, das zu einer den schauenden Menschen immer stärker in ihren Bann ziehenden Faszination führt usw. Das zweite Krite rium ist die besondere kunstgeschichtliche und allenfalls auch geschichtliche Stellung und Bedeutung des künstlerischen Gegen standes, seine Einzigartigkeit oder betonte Herausgehobenheit im Formalen wie im Inhaltlichen (Motivischen, Thematischen). Dieses Kriterium soll in der Regel mit dem ersten verbunden sein, es kann aber auch ausnahmsweise mehr oder weniger allein den Ausschlag geben. Betrachtet man jedoch den Vorgang der Auswahl nicht nur von oben („was ist wertvoll genug, um in die obersten Schichten eingereiht zu werden"), sondern auch von unten her („was ist im regionalen Bereich so fein und eigenartig geprägt, daß es in die obersten Schichten zu deren differenzierender Bereicherung aufsteigen sollte"), so könnten in behut samer Auswahl auch noch Werke heran gezogen werden, die zwar den beiden er sten Kriterien nach nicht voll entsprechen, trotzdem aber im Fächer der obersten Schichten Platz finden könnten. In allen Fällen wäre auch noch die Strenge des Maß stabes zu berücksichtigen, die bei der Aus wahl angelegt wird. Sie muß gerechter weise in allen Bereichen möglichst einheit lich sein. Geht man nun die Werke der bildenden Kunst Oberösterreichs durch und überlegt sich unter Anwendung eines eher strengen Maßstabes, welche Werke in ein imagi näres Museum der „Weltkunst"(man sollte besser sagen: der europäischen Kunst) auf zunehmen wären, so würde ich zeitlich ge reiht in einer ersten Wahl anführen: den Tassilokelch zu Kremsmünster, den PacherAltar zu St. Wolfgang im Salzkammergut und das Augustiner-Chorherrenstift Sankt Florian; in einer zweiten Wahl kämen hinzu: die Lambacher Fresken, die Statue des hl. Florian im gleichnamigen Stift, der Kefermarkter Altar, der Altdorfer-Altar in St. Florian, (mit Abstand) die Schutzman telmadonna in Frauenstein, die Zisterzien ser-Stiftskirche Wilhering und wohl auch das Werk Alfred Kubins. Um diese Werke scharen sich jeweils noch eine Reihe ande rer, die im Sinne der oben erwähnten Be trachtung von unten imstande wären, der strengen Folge in der obersten Schicht noch ein belebendes Lokalkolorit zu ver leihen. Ich glaube damit eine annehmbare und gültige Auswahl getroffen zu haben, wenn ich mir auch bewußt bin, mit der zweiten Wahl bereits „Schwebungen" zu gelassen zu haben. Vielleicht ist manchem die Auswahl(vor allem die erste) zu streng. Dem weniger in die örtlich gegebenen Ver hältnisse Eingeweihten mag einiges fehlen: ein Dom, eine Burg, ein Schloß. Ihm muß folgendes zu bedenken gegeben werden. Oberösterreich wurde erst Ende des 18. Jahrhunderts mit der Lösung von Pas sau ein selbständiges Bistum. Der mit großen Anstrengungen und hohen Zielen unternommene Linzer Dombau nimmt zwar in der Geschichte des historisierenden Kirchenbaus des 19. und 20. Jahrhunderts eine nicht unbedeutende Stellung ein. Sie reicht aber nicht aus, diesem Dom eine überragende Bedeutung zukommen zu las sen. Unter den Burgen könnte vielleicht Schaunberg bei Eferding einen höheren Rang beanspruchen. Ihr Zustand ist aber zu ruinös, um einem solchen Anspruch noch Geltung verschaffen zu können. Im übrigen muß man sich vergegenwärtigen, daß das Land Oberösterreich, das einst als Teil des Erzherzogtums Österreich eng mit dem Lande Niederösterreich verbunden war, nie eine Residenz-Haupstadt besessen hat. Es fehlte deshalb in der Landeshaupt stadt Linz eine dauernde landesherrliche Hofhaltung. Wohl besitzt Linz ein ehemals landesfürstliches Schloß, noch dazu in be herrschender Lage. Die einst ausgedehnte, nüchterne Anlage ist aber nur als Torso Vorderseiten links: Kopf des hl. Christophorus aus dem Schrein des gotischen Flügelaltares in Kefermarkt, rechts: Hl. Benedikt aus dem Schrein des gotischen Flügelaltares in St. Wolf gang im Salzkammergut. — Fotos M. Eiersebner Rechts: Tassilokelch in Kremsmünster

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