Oberösterreich, 20. Jahrgang, Heft 1, 1970

Annemarie Schmölzer Heilbädergeographie Oberösterreichs Das Zeitalter der Technik bietet den Ein wohnern der westlichen Welt ungeahnte, fast unerschöpfliche Möglichkeiten des Reisens. Immer breitere Schichten werden vom Drang in die Ferne, von den Lockungen des Unbekannten und von der Lust erfaßt, mit fremden Landschaften und bis dahin nur aus Büchern bekannten Kulturen in Berührung zu kommen. So erobern die modernen Nomadenzüge des Fremden verkehrs auf friedlichem Weg immer fer nere Reiseziele, und schon buchen Büros in den USA Vormerkungen für Flüge zum Mond mit dem Abenteuer der Schwere losigkeit in einer bedrückend lebensfeind lichen Umwelt. Die Touristik hat sich dadurch zur Indu strie entwickelt. Sie spielt auch in der Zah lungsbilanz vieler europäischer Staaten eine immer maßgeblichere Rolle und übernimmt für Österreich die Aufgabe, den negativen Erfolg der Handelsbilanz weitmöglichst auszugleichen. Unter den Reisezielen unserer Zeit nehmen Westeuropas Heilbäder nach wie vor eine besondere Stellung ein. Sie blieben vom Massentourismus der weltumspannenden Reiseorganisationen weitgehend verschont und sind — soweit sie nicht mit Sonder krankenanstalten und Kurheimen zu Stütz punkten der sozialen Gesundheitspflege wurden — Ziele des auf seine Gesundheit bedachten oder eine echte Heilbehandlung benötigenden Individualgastes. Im oberösterreichischen Fremdenverkehr hat das Heilbäderwesen größeren Anteil als in irgendeinem anderen österreichischen Bundesland. Oberösterreich zählte 1968/69 insgesamt 6,607.018 Gästeübernachtungen. Damit lag es hinter Tirol, Salzburg und Kärnten an vierter Stelle aller Bundeslän der. Anders als im Westen wird sein Frem denverkehr vom Inländer, vor allem vom Wiener geprägt. Unter den Ausländern überwiegt der Gast aus der Bundesrepublik Deutschland, der in Österreichs Bergland den alpinen Ergänzungsraum zu Bayern und in den Seengebieten des Salzkammer gutes geologisch, morphologisch und damit auch touristisch eine Fortsetzung der ober bayrischen Landschaft findet. Die zehn gesetzlich anerkannten Kurorte und Heilbäder hatten nach Zahl der Gäste übernachtungen am Fremdenverkehr der 229 statistisch erfaßten Orte Oberösterreichs einen Anteil von 37 Prozent. Schon aus diesem Grunde scheint es gerechtfertigt, die Grundlagen dieser besonderen Frem denverkehrsform näher zu beleuchten. Die gewaltigen Fortschritte der medizini schen Wissenschaft bei Bekämpfung der Infektionskrankheiten, zugleich aber auch die Machtlosigkeit dieser gleichen Wissen schaft bei verschiedenen Aufbrauchs- und Abnützungsschäden hat eine neue Situation auf dem Gebiet der Krankheitsvorbeugung geschaffen. Balnliiif-lkAMtlilike Linz • Figulystr. 1 (b. Voiksgarten)• Tel. 55066 Stand früher die Bekämpfung der Krank heitserreger im Vordergrund aller ärztlicher Tätigkeit, so gilt es heute, die durch eine Kette moderner Risikofaktoren ausgelösten Zivilisationsschäden zu bekämpfen. Un gesunde sitzende Lebensweise, gesundheits schädliche Lßgewohnheiten, seelische Über lastung durch das hektische Getriebe der modernen Zivilisation, nicht selten auch Kettenrauchen und Alkoholismus, zu denen unter Umständen sogar Arzneimittel- und Drogenmißbrauch kommen — führen zu Dauerschäden, die weder chirurgisch noch medikamentös zu beherrschen sind. Hier erweisen sich die verschiedenen physika lisch-therapeutischen Verfahren auf Grund lage natürlicher Heilvorkommen, gekoppelt mit allgemeiner Erholung und Änderung von Milieu und Lebensweise, vielfach als erfolgreich. Die Indikationen der Heilbäderbehandlung sind in allen europäischen Ländern im we sentlichen die gleichen. An der Spitze ste hen die Krankheiten des Bewegungsappara tes, gefolgt von den Kreislaufstörungen und den Erkrankungen der Atemwege. Da neben werden auch chronische Leiden der Verdauungsorgane, insbesondere der Galle, der Harnwege, der Haut und der Frauen organe in Heilbädern behandelt. Neben vorbeugender Gesundheitsfürsorge und der Bekämpfung bestehender Krankheits erscheinungen kann auch die Rehabilitation nach gebessertem Krankheitszustand in entsprechend ausgestatteten Heilbädern er folgreich durchgeführt werden. Bei jeder Badekur kombinieren und kumu lieren sich die verschiedensten Reize des angebotenen natürlichen Heilmittels, der physikalisch-therapeutischen Anwendun gen, des Milieus und des Klimas. Immer mehr werden die Heilbäder zu Stätten einer in freundliche, ländliche Umgebung ein gegliederten systematischen Behandlung. So wie das Krankenhaus der Diagnose und der intensiven Therapie des liegenden Pa tienten vorbehalten ist, sollen die Heil bäder immer mehr jene gehfähigen, chro nisch oder funktionell leidenden Menschen aufnehmen, die in der ländlichen Um gebung, den großen Kurparkanlagen mit den reichen Spaziergangsmöglichkeiten leichter wiederhergestellt werden können als in der Umwelt der Großstadt. England, Schweden und die USA, die ein Heilbäder wesen zentraleuropäischer Prägung kaum kennen, schufen an seiner Stelle klinisch

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