Kunst und Kunsthandwerk, 15. Jg., 1912, Heft 1

MOOATSSCHRIFT·H~RAU /1~ GEGEBEJl·VOM·K.K.OSTE .-1= REICH ISCH En ·MUSEllM·f (' KUIJST·llOD·JllDUSTRIE. ~ ~ VERLAG VOl'J ARTARIA & Co. In \JIErl. XV. JAH RG. 1912.

DIE BESTECKSAMMLUNG IM SCHLOSS STEYR ~ VON ALFRED WALCHER VON MOLTHEIN-WIEN ~ EBEN mehreren großen Spezialsammlungen von Messern und Bestecken auf reichsdeutschem Boden ent– stand in Österreich im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts die bedeutendste Kollektion dieser Art auf Schloß Steyr. Franz Emmerich Graf von Lamberg, geboren 1832, gestorben 1901 in Graz, hat sie begonnen und ihr durch rege Sammel– tätigkeit eine Ausdehnung und eine Vollständig– keit gegeben, daß sie die schon allgemein aner– kannten Sammlungen Paul und Zschille um ein Bedeutendes überflügeln konnte. Ihren Umfang charakterisiert die große Zahl der Objekte, die das Tausend überschreitet, ihre Vollständigkeit die geschlossene Reihe vom Steinmesser bis auf das Besteck der Mitte des XIX. Jahrhun– derts. Entstanden in Steyr, dem alten Hauptsitz der Klingen– industrie Süddeutschlands, war ihr Ausbau schon in lokaler Hinsicht begünstigt. Die notwendigen Ergänzungen erwarb Graf Lamberg in Italien, Norddeutschland und Frankreich. Im Schloß Steyr untergebracht und nicht allgemein zugänglich, ist die Sammlung nur einem verhältnismäßig engen Kreis von Kunstfreunden bekannt geworden, und auch die Beteiligung an einzelnen kleineren lokalen Ausstellungen ließ die Kenntnis von der Existenz dieser Schätze kaum über das Kronland hin– ausdringen. Bei dem großen Reichtum der Sammlung müssen wir uns auf die Abbildung der wichtigsten Objekte beschränken ; den Gang der Entstehung und der künstlerischen Ausbildung dieser verfolgen wir am besten an der Hand der historischen Entwicklung der Tischgeräte. Das Altertum kannte bei Tisch weder Messer noch Gabel; man bediente sich beim Essen im allgemeinen der Finger. Erst im Mittelalter wurde der Gebrauch des Messers allgemeiner. In seiner ältesten Form war es ein Vorschneidemesser, bezie– hungsweise eine Anzahl von größeren und kleineren Messern, welche zum Zerlegen des Fleisches dienten. Für den eigent– lichen Gebrauch bei Tisch gab es stets nur einzelne Messer, welche sich die Teilnehmer an der Mahlzeit gegenseitig reich– ten. Im Hortus deliciarum der Herrad von Landsberg (u59 bis ~::·d;; B~;,:;'. n75) sehen wir Messer abgebildet von einer Form, die bereits das Bedürfnis nach einer Gabel erkennen läßt (Abb. 2). Bei der Darstellung des Mahles, an welchem König Mardochäus, zeit, grüne Pa• tina, Rbeinfund. Länge 14·6 Zentimeter

3 Esther und Aman teilnehmen, liegen auf der reich mit Fischen besetzten Tafel zwei Messer mit geradem, an der Spitze rechtwinklig abfallendem Klingenrücken und halbmondförmig ausgeschnittener Schneide. Die so gebildete, mit der Schneide in einer Linie liegende Spitze diente offenbar zum Aufspießen und Vorlegen der Fleischstücke. Im XV. Jahrhundert erfährt das kleine Messer des Vorschneiders jene Gestaltung, aus der das spätere Tischmesser hervorgegangen ist. Auf einem Holzschnitte aus der Melusine, um 1475, sind drei Personen bei Tische dargestellt; es wird Geflügel auf– getragen und der seitwärts sitzende „Fürschneyder" hat ein kleines Messer aus einem Lederfutteral herausgezogen, um das Huhn kunstgerecht zu zerlegen (Abb. 5). Übrigens be– diente sich der Vorschneider, dessen Aufgabe sich allmählich zu einem eigenen Amt bei Hofe und an der Tafel des hohen Adels entwickelte, verschiedener Messer; so gab es größere für den Braten, kleinere für das Geflügel. Der Nachlaß des Trientiner Bischofs GeorgHak aus dem Jahre 1465 erwähnt „4 Fürschneydmesser in ainer schaid". Neben dem großen Transchiermesser und dem kleinen Zerlegmesser verfügt der Vorschneider gegen das Ende des XV. Jahrhunderts über ein drittes Messer mit breiter Klinge, abgerundetem Klingen– ende und ohne Schneide - das sogenannte Kredenzmesser. Auf dem Holzschnitt des Michael Wolgemut im Schatz– behalter - Nürnberg, Koberger 1491 - legt der Vor– schneider dem König auf einem solchen Messer ein Stück Fleisch zu (Abb. 7). Die Bestimmung des Kredenzmessers, auf ihm das Fleisch den Gästen zuzureichen, läßt es als wichtigstes Tischgerät zuerst besondere Ausstattung erfah– ren. Im Jahre 1489 erhielt ein Josef Schengk von Friburg sechs Gulden für „etlich calcidonien heft zu credenzmessern, so man von im kauft hat", und 1493 finden sich im Nach– lasse des Bischofs Ulrich von Freundsberg „ain schayd mit vier grossen und ainem klainen credentzmesser beschlagen und vergult", weiters 1506 im Inventar des tirolischen Haus- 1::-~~i~•:~;•;;:i~ kammeramtes „ain credentzmesser in ainer schaid mit silber beslagen und ubergult mit ainem calcidanen hefft". Das Trin– cieren oder Vorschneiden bei Tische - also nicht schon in geschnitten, franzö– sisch, um 1400. Län– ge 18·4 Zentimeter der Küche - datiert aus der Zeit der Minnesänger und wurde auch hier zuerst nur bei der fürstlichen Tafel gepflogen. Das Amt versah ein eigener Beamter, oder es setzten Edelleute eine besondere Ehre ein, diese Kunst zeigen zu dürfen. Ein Graf von Soissons fungierte 1227 bei einer Mahlzeit, welcher König Ludwig IX. in Soissons beiwohnte, als Vorschneider. Die größte Ausbildung erfuhr die Trincierkunst im XVI. Jahrhundert und eigene Transchiermeister unterrichteten Edelknaben im Vorschneiden. Darin war

4 Abb. 5. Holzscbnitt aus der Melusine, um 1475 Italien vorausgegangen. lmJahre r581 erschien in Venedig das erste Trincierbuch, dessen Ver– fasser Vincenzo Cervio vier Mes– ser und drei Gabeln von gleicher Form, jedoch von verschiedener Länge als notwendiges Gerät des Vorschneiders fordert. Die Klin– gen des Messers haben eine ge– rade Schneide und einen im leichten Schwung zur Messer– spitze abfallendenKlingenrücken; die Gabeln tragen sämtlich zwei runde Zinken. Die Länge der vier Messer beträgt nach den dem Trincierbuch in Originalgröße beigegebenen Abbildungen 15, 21, 23·5 und 26Zentimeter; jene der drei Gabeln 20, 23 und 2T5 Zentimeter. Ein zweitesTrincier– buch erschien 20 Jahre später in Rom. Verfasser war Giacomo Procacchi aus Ancona. Auf den Inhalt diesesBuches einzugehen, würde hier zu weit führen und so sei nur zur Beleuchtung des Ernstes, mit dem die Trincierkunst geübt wurde, erwähnt, daß Procacchi für das Zerlegen einer Gans 20 und des indianischen Hahnes 22 streng vorgeschriebene Schnitte fordert, wobei der kleinere Braten, zu welchem auch Spanferkel und Gans zählten, infreier Luft auf der Gabel zerlegt werden mußte. Eine deutsche Form des Vorschneidmessers aus dem Ende des XVI. Jahrhunderts zeigt der Holzschnitt (Abb. 30) vom Jahre 1580 - ein Flugblatt auf alle Aufschneider, oder wie ein ähnliches späteres Blatt meint: ,,allen Bossenreissern, Maulauff– spreissern und Brillenschneidern zu sonderlichen gefallen". Die vollständige Reihe der notwendigen Geräte des deutschen Vorschneiders findet ihre Auf– zählung im Nürnberger Trincierbuch, erschienen 1652 beim Kupferstecher und Kunsthändler Paul Fürst. Fünf Gabeln und sechs Messer von verschie– dener Größe und Form werden genannt. Die größte Gabel hat eine lange und eine kürzere Spitze und dient zum Vorlegen von Hasen- und Rehrücken. Wenn wir nun vom Besteck des Vorschneiders zum eigentlichen Tischbesteckund dessen ältesten Teile, dem kleinen Tischmesser, übergehen, so können wir schon für das frühe Mittelalter zwei abweichende Formen der Klingen feststellen. Die Schneide ist leicht geschweift; der Klingenrücken gerade, bei einzelnen Messern jedoch in der Mitte etwa absetzend und in eingezogener Kurve zur Messerspitze verlaufend. Diese beiden Klingen-

formen des XII. Jahrhunderts sind im Hortus deliciarum dar– gestellt (Abb. 3). Die Breite der Klingen entspricht hier der Breite der Griffe. Das frühgotische Messer wird breiter, blatt– förmig, entweder mit geschwungener oder gerader Schneide und geradem, zur Messerspitze schräg abfallendem Klingen– rücken. An einem französischen Exemplar, dessen starke Zerstörung die Form der Klinge nur vermuten läßt, haben wir bereits ein Beispiel für die künstlerische Ausbildung der Griffe, welche in der spätromanischen und frühgotischen Periode lediglich auf Bein angewiesen schien (Abb. 4). Weit früher als in Deutschland hatte bei den romanischen Völkern das Tischmesser Verbreitung gefunden. Auf einem Holz– schnitt aus einem livre d'heures des Jehan Poitevin vom Jahre 1498 sehen wir eine größere Anzahl Messer auf der Tafel liegen, und eine weitere Bestätigung für das Auflegen von Tischmessern bei den Italienern und Franzosen findet sich in der Civilite d'Erasme, imitee en frarn;ais par C. Calviac 1560. Sie handelt von der Zeit um 1530: ,,Les Italiens se plaisent aucunement (en general) aavoir chacun son cousteau. Mais les Allemans ont cela en singuliere recommandation, et tellement qu'on leur fait grand desplaisir de le prendre devant eux ou de leur demander. Les Francais au contraire: taute une pleine table de personnes se serviront de deux ou trois cousteaux, sans faire difficulte de le demander, ou prendre, ou le bailler s'ilz l'ont." Während also in Italien so viele Messer aufden Tisch kamen, als Gäste erwartet wurden, waren in Frankreich die wenigen aufgelegten Messer Ge– meingut der ganzen Tafel. In Deutschland dagegen brachten einzelne Teilnehmer am Mahle ihre eigenen Messer und diese nur für den eigenen Gebrauch mit. Das Inventar nach dem Zolleinnehmer Konrad Gutknecht vomJahre 1425nennt 5 bei aller Genauigkeit nur „ain churcz taschenmesser mit Abb. 6. Tischmesser, der Griff aus Bron– silber beslagen". Tischmesser für die Gäste kannte der deutsche bürgerliche Tisch damals noch nicht. Ein kleines Tischmesser der Sammlung Lamberg trägt auf dem Griff die Aufschrift ,,fatcaloet vien teler" (Abb. 8). DasWort „fatca– ze, mit Schriftspuren, französisch, XV. Jahrhundert. Länge 15·8 Zentimeter loet", nach dem italienischen fazzuolo und fazoletto bedeutet Taschentuch oder Handtuch, erscheint variierend 1218 facenetlein, 1226 facilet, 1365 fatzenet, 1478 vaczelet und ist dann gleichbedeutend mit Tellertuch oder Serviette. Das kleine Messer ist also ein Tellertuch oder dazu bestimmt, den Teller zu reinigen, die Reste der ersten Mahlzeit zu entfernen, um ihn für den zweiten Gang benutzen zu können. Diese ganz eigenartige Bestimmung eines Messers mag einen neuen und wichtigen kulturgeschichtlichen Beitrag bedeuten und findet eine, allerdings über 150 Jahre spätere Beglaubigung in

6 dem 1652 erschienenen Nürnberger Trincierbuch des Paul Fürst: ,,Über das bat man bei fürstlichen Tafeln ein Instrument, gar dünne, so das Credentz– messer genennet wird, mit welchem, so etwas von Brosamen oder sonsten Abb. 7. Holzschnitt von Michael W olgemut, aus dem Schatzbehalter, Nllmberg, Koberger 149 1 auf dem Tafeltuch were, abgenommen werden." Ein derartiges Kredenz– messer , zeitlich mit der Herausgabe des Nürnberger Trincierbucbes überein– stimmend, ist unter Figur32 abgebildet. Seit dem Ende des XV. Jahrhunderts w erden die Klingen schmäler und zierlicher, die Griffe nun mit allen erdenk-

liehen Mitteln ausgestattet: 1478 „beschla– gens messer mit einem helffenpainen heft", 1485 „acht par messer mit weissn schaln und rot schaiden, vierzehen par messer mit swartzen schaln", 1493 „unum futrale stans cum 13 cultellis cum argento et deauratum", 1495 „messer grün schalen beschlagen" . In diese Gruppe fallen zwei deutsche Messer mit Bronzegriff; das eine trägt das Wappenschild Nürn– bergs (Abb. 9), das zweite eine Haube mit gravierten Platten (Abb. ro). In den ersten Jahrzehnten des fol– genden Jahrhunderts ist das Tischmesser auffallend lang bei sehr schmaler Klinge ; die Schalen werden aus El– fenbein, Horn oderHolz her– gestellt und häufig mitMes– singeinlagen versehen , wo– bei das Motiv der Schellen bevorzugt wird (Abb. 11 und Abb. 12). Um diese Zeit las– sen sich nun auch Klingen– marken nachweisen, in der Regel in Gold, Kupfer oder Messing eingeschlagen. Die Abb. s. T ischmesser, Messerer füllten die in die Bronzegriff mit der Schrift „fatcaloet Klinge vertieft eingeschlavien t ele r", deutsch, gene Marke mit Metall aus, Ausgang des XV. J ahrhunderts. Länge weil „einmal gewisse be9·9 Zentimet er straffte Leut sich also unterstanden einen scharpfen Gift in dergleichen hohle Zaichen zu schmieren, davon diejenigen Leut bald und schleinig gestorben, die mit dergleichen Messern gessen haben". Aber auch lediglich der Verzierung halber oder um das Meisterzeichen auffälliger zu machen, dürften die Einlagen erfolgt sein. Die Form der deutschen Tischmesser der Frührenaissance zeigt das Monatsblatt eines Meisters A bb. g. Messer , der Griff aus Bronze mit eingelegten Bein– platten, bekrönt von einem Schild mit demW appen N lim– bergs, um1500 . Länge 21 Zentimeter 7 Abb. ,o. Gotisches Messer, die Haube aus Bronze, graviert, mit der Halbfigur der heiligen Katharina, deutsch, um 1500. L änge 2 r2 Zentimeter aus der Nähe des Hans Sebald Beham (Abb. 13). Das Messer der Dame is t hier kürzer, und wir erkennen deutlich die Anbringung einer Haube am

8 Griffende; jenes des Mannes hat einen schuhförmig endigenden Griff. (Vgl. das Messer in Abb. 23.) Nach 1550 erreicht die Ausstattung der Griffe ihren Höhepunkt. Die Hefte werden aus „Silber, aus Kupfer, Messing und Zinn Abb. 1 I. Deutsches Messer, der Griff belegt mit Homscbalen, als Haube eine runde Bronzescheibe mit der Jahreszahl 1522. Länge 18·9 Zentimeter bereitet, auch überguldet, oder mit dinngeschlagenem Silber überlegt, auch wohl von Achat, Bern- oder Agt-Stein, ingleichen auch von Horn, Hirsch– Geweyhen undElfen-Bein, Rosen-, Eben- und Brasilien-Holz gemacht, welche Abb. u . Deutsches Messer, Holzschalenmit eingelegter Scbellenranke aus Messing, Haube aus Bronze. In Gold eingeschlagene Messerschmiedmarke S, um 1530. Länge 19·5 Zentimeter sie (die Messerer) auf mancherley Art sehr zierlich und künstlich einzulegen weissen". Ein Vorschneidemesser der Sammlung kennzeichnet in bester Weise, wie weit das XVI. Jahrhundert darin gegangen ist und welche Freude es an komplizierten Dingen äußerte (Abb. 14). Unter dem Klappdeckel der Haube des Elfenbeingriffes befindet sich ein Schubläd– chen mit einem kleinen Sil– berschlüssel. Derselbe löst einenMechanismusundläßt beim Herausziehen eines Silberzylinders zwei Seiten– gelasse sich öffnen, aus welchen vollrund geschnit– tene Figuren, die Personifi– kationen des Lebens und des Todes, erscheinen. Be– zeichnetistdasMesser 1571. Italien weist im XVI. Jahrhundert den größten Reichtuman Klingenformen auf. Die Klinge ist lang und schmal, mit gerademRücken und leicht geschwungener Schneide (coltelli da raschi– are); breit mit geradem, am Ende zur Messerspitze einAbb. 13. Kalenderbild Jänner, von einem Meister in der Art Hans Sebald Behams, um 1540 (Nationalgalerie Budapest)

Abb. 14. Vorschneidmesser, Griff in El!en– bein geschnitzt, mit Mechanismus, welcher zwei Seitengelasse öffnet und kleine Figuren erschei– nen läßt, bezeichnet 1571, deutsch. Länge 36·3 Zentimeter Abb. 15. Vorschneidmesser, geätzte und vergoldete JQ.ingenwurzel, der Griff aus .ziselierter und vergoldeter Bronze, belegt mit Perlmut– terplatten, oberitalienisch, XVI. Jahrhundert. Länge 27·5 Zentimeter Abb. 16. ltal. Vorschneidmes– ser,Klingenwuuel u. Klingen– rikken geätzt u. vergoldet, Homplatten mit zahlr. Nieten, aus Bronze gegossener, zis. u. vergold. Löwenkopf, mai– ländiscb? XVI. Jahrhundert. Länge 27"5 Zentimeter

IO gezogenem Klingenrücken(smenbratori); kurz, nach auf- oder abwärts ge– schweift (ostreghine); lang, mit senkrechtem oder abgerundetem Klingenende (coltelli da torta) ; ähnlich die coltelli di pasta. Der Mehrzahl nach sind die Griffe aus Bronze, ziseliert und vergoldet, mit Perlmutter- oder Nielloplatten belegt. Als Bekrönung der Griffe dominiert das Kapitäl und der Zierknauf (Abb. 15 und Abb. 17). Wir kommen noch bei den Bestecken auf die Aus– bildung der Griffe des italienischen Messers der Hochrenaissance zu sprechen. In Steiermark und Oberösterreich und hier ganz hervorragend in der Stadt Steyr blühte die Technik des Eisenschnittes, wofür die Sammlung Lamberg glänzende Belege bietet. Ist die Bearbeitung dieses härtesten Materials schon bei einfachen reliefierten Arbeiten eine gewaltige Leistung, so steigert sich die Kunstfertigkeit ins Unbegreifliche bei Stücken, bei welchen wie zum Beispiel bei der Gabel mit der freilaufenden Kugel das Material wie Buchsholz oder Elfenbein bewältigt wurde (Abb. 33 und 72). Diese für Steyr typische Kunst ist in neuester Zeit durch den großen Künstler und Meister des Stahlschnittes Michael Blümelhuber wieder belebt worden. Die Griffe der deutschen Messer des XVII. Jahrhunderts stehen zum Teil Abb. 17. Italienisches Tischmesser, in Eisen geschnittener und vergoldeter Griff, belegtmit P erlmutter, XVI. Jahrhundert. Länge 16 Zentimeter unter dem Einfluß der nun blühenden Kleinplastik in Elfenbein, Buchsholz und Bernstein, andrerseits nähern sie sich, besonders gegen das Ende des Jahrhunderts, den französischen Emailarbeiten. In Sachsen und Bayern entstand eine eigene Form der Griffe mit großen, nach einer Seite voluten– .förmig ausladenden Hauben (Abb. 97 und 100). Eine Handwerksordnung vom Jahre 1698 schreibt derartige Griffe bei der Anfertigung der Meisterstücke vor : ,,Ein paar Manns-Messer, so man insgemein Tischmesser nennet mit Schalen von Hirsch-Geweyhen gemacht und mit eisernen sogenannten Bayrischen Hauben beschlagen; ein paar geblümelter Frauen-Messer mit gebogenen Riegeln oder gezogenen hohlen Stollen und einer Nied aufgeniedet und befestiget; noch ein paar Frauen-Messer mit hohlen Häublein oder Stollen auch ebenfalls gebogenen Riegeln und einer Nied wie diejenige geblümelte, deren wir gleich jetzo gedacht haben." Eine besondere Gruppe unter den Messern bilden die kurzen zum Einschlagen oder Einschnappen gerichteten Messer, welche man entweder in einer Tasche bei sich trug, oder am Gürtel, in einzelnen Fällen auch an der Halskette hängend befestigte. Ein frühes Einschlagmesser, das älteste mir bekannte und vermutlich dem beginnenden XVI. Jahrhundert angehörende Exemplar besitzt die Sammlung Lamberg (Abb. 46). Die Klinge ist blattförmig, ihr Rücken breit und gegen die Spitze abfallend ; die allgemeine Form daher streng mittelalterlich. Der Griff - bei diesen Messern der „Einschlag" genannt - besteht aus zwei

Abb. 18. ltal. Vor– schneidmesser, Griff ausBeinm.Verwend. von Ebenholz, rot. Marmor u. Goldfolie, venez.? XVL Jahrh. Länge 22 Zentim. Abb. 19. Vorschneid– messer, Elfenbein– griffmit aus Silber– draht eingelegten Arabesken, ital., XVL Jahrhundert. Länge 23·5 Zentimeter Abb. 20. Deutsches Vorlegmesser (Waid– blatt), reich geätzte Klinge und Homscbalengriff, XVL Jahrhundert. Länge 40·9 Zentimeter Detail zu Abb. 20 durch Nieten zusam– menhängenden und im stumpfen Winkel gebrochenen Horn– schalen. Als ich die– ses Messer in Schloß Steyr sah, erinnerte ichmich einermitTu– sche lavierten Feder– zeichnung derSamm– lung Gutekunst, aus der sie Freiherr A. v. Lannaerworbenhat:

12 Zwischen zwei Renaissancesäulen steht eine Dame mit großem Federhut als Schildhalterin, ein großes Messer in der Linken haltend (Abb. 47). Das Blatt gehört der Nähe des Hans Baldung Grien an und dürfte zwischen 1515 und 1525 entstanden sein. Unser Interesse an der Handzeichnung lokalisiert sich jedoch auf das an der Klinge des großen Messers dargestellte Einschlagmesser, welches sowohl hinsichtlich der Bildung des Griffes als auch in der Form der Klinge mit dem vorerwähnten Exemplar der Sammlung in auffallender Weise übereinstimmt. Es stammt vermutlich aus Trattenbach im Ennstal, dessen Klingenindustrie bereits im XIV. Jahrhundert Erwähnung findet und später durch die Herstellung von Einschlagmessern, der noch heute dort massenhaft erzeugten „Taschenfeitl", Weltruf erlangte. Messer mit mehreren einschlagbaren Obst- und andern Klingen, denen auch häufig Zahnstocher und Ohrlöffel angereiht wurden, waren besonders im ersten Drittel des XVI. Jahrhunderts vielgesuchte Dinge, und so haben sich sowohl Messerschmiede als auch Goldschmiede an deren Herstellung beteiligt und große Künstler widmeten ihnen ihre Entwürfe. Bezeichnend ist der schöne Stich Aldegrevers aus dem Jahre 1539, auf dem ein derartiges Universalgerät nebst zwei reich verzierten Löffeln dargestellt ist. Die Abbil– dung des Entwurfes in dieser Zeitschrift (XIV. Jahrgang, Seite 378) bei Be– sprechung der Goldschmiedesachen der Sammlung Figdor durch Rosenberg enthebt uns von einer Reproduktion des Stiches an dieser Stelle. Das Exemplar bei Figdor (ebendort abgebildet) trägt die Inschrift „Warhait macht Neid" und läßt sich nach Bayern lokalisieren. Zum Vergleich des Figdorschen Exemplars wäre in erster Linie das Bildnis des Hans von Schönitz, gemalt von Melchior Feselen, heranzuziehen (Abb. 48). Das Gerät mit Einschlagklingen, welches Schönitz an der Halskette trägt, steht dem Exemplar bei Figdor viel näher als der Alde– greversche Entwurf, sowohl hinsichtlich der Form als auch hin– sichtlich der Herkunft, die durch den Wirkungskreis Feselens bestimmt wird. Beide Exemplare, das der Sammlung Figdor und jenes auf dem Bilde Feselens sind übrigens vor dem Stich des Aldegrever entstanden. Die Renaissance hat auffallende Formen für die Griffe der Einschlagmesser bevorzugt. Bei dem vorbesprochenen Typus ist es die aufgerollte Volute, einMotiv, welches besonders Holbein liebte. Ein deutsches Schnappmesser m it stark abgeschliffener Klinge hat einen Griff aus Bronze in Gestalt eines männlichen Beines in deutscher Landsknechttracht (Abb. 49); ein anderes Exemplar repräsentiert durch die Be– Abb. 2 1. T isch- zeichnung „Montauban" eine südfranzösische Form (Abb. 50). ;',~~••;;;~ro;:;: Das XVIII. Jahrhundert beginnt mit großen, figural aus Buchs– th•rkopr, xv1. holz geschnitzten Einschlagmessern und geht schließlich in der J ahrbuo d rn. galanten Zeit zu jenen Vielklingenmessern mit Perlmutter- oder Länge g·8 ZenElfenbeinschalen über, die für unser heutiges Taschenmesser timeter

Abb. 22. Köcher für Messer und W etzstahl, Elfenbein mit Schnitzevorbildlich geworden sind (Abb. 53 bis 58). Der Löffel (loffel, leffel), das Gerät zum Laffen oder Schlürfen, wurde im Mittelalter aus Holz hergestellt, hatte eine nahezu kreisrunde Laffe und sehr kurzen Stiel. Diese ursprüngliche Form reicht bis nahe an das beginnende XVI. Jahrhundert heran, und so finden wir sie noch auf den Holz– schnitten des Michel Wolgemut imSchatzbehalter,Nürnberg 1491. Bei den dort zum Beispiel in der „Hochzeit zu Cana" dargestellten Löffeln ist der Stiel kaum länger als der Durchmesser der Laffe. Der Preis für 100 hölzerne Löffel war im Jahre 1471 15 Groschen. Mit Ende des XV. Jahrhunderts werden Löffel bereits auch aus anderm Material gefertigt, und wir erfahren, daß Bischof Ulrich von Freundsberg im Jahre 1493 drei Löffel besaß, von welchen „ ainer perlenmutter, der ander serpentin, der dritt von ainer schneggen" war. Eiserne Löffel – aber kaum für den Gebrauch bei Tisch - werden 1478, solche aus Silber, vergoldet, 1493 erwähnt. Dies waren aber Ausnahmen, und der aus Holz geschnittene Löffel bleibt, nunmehr mit verlängertem Stiel, noch über 150 Jahre in Ge– brauch. Da die Schaufel oder 13 reien, flämisch. XVL Jahrhundert. Laffe, welche in der ersten Zeit Abb. 23. NUmbe,- Länge 16·9 Zentimeter ger Vorscbneidmesfast kreisrund gebildet wurde, das ser,Ebenholzgriffmh Wesentliche war und der Stiel nur als Nebenteil angesehen Bronzehaube. xvr. wurde, stellte man auch beide Teile aus verschiedenem Jahrhu nd ert. Länge 20·4 Zentimeter Material dar: 1506 „ain hultzen Löffl mit ainem großen silbrein still darauf geschriben Sawm dich nit"; im gleichen Jahre „ain serpentin– stainen löffl mit ainem silbren still vbergult". Dem Serpentinstein rühmte man die besondere Eigenschaft nach, bei seiner Berührung mit Gift zu zerspringen ;

14 und so brachte jeder in einer Zeit, in welcher er als gern ge– sehener Gast seines Lebens nie sicher war, den eigenen Löffel aus Serpentin mit zur Mahlzeit. Das beginnende XVI. Jahr– hundert kennt schon eine reichere Ausbildung der Löffel. Die Laffe bekommt eine mehr ovale oder eiförmige Gestalt; der Stiel, den man mit der ganzen Hand umfaßte, bleibt dünn, er– Abb. 24. Deutsches Tischmesser, vergoldeter Bronze– griff, bekrönt von geßilgelter Herme, XVI. Jahrhundert. Länge 16·5 Zemimeter hält jedoch eine größere Länge und eine Sil– berhülse, bekrönt von einem Zierknauf in Form eines Granatapfels oder einer Eichel (Abb. 59 und 61). Das Holz des Buchsbaumes war noch immer das bevorzugte Material. Im Jahre 1508 zahlt Anton Tucher für„ 19 puchßpawme loffel mit silber beschlagen, ieder 2'/, qn, thut 12 lot zu 8 fl. 6 fl. o ß". Um die Mitte des XVI. Jahrhunderts tritt die Kleinplastik in ihre Rechte und so entstehen in deutschen Ländern jene von Figuren bekrönten Löffel, an denen die Sammlung Lamberg so reich ist (Abb. 63 und 64). Den Löffel aus Silber, der sich für die Wende desXV. Jahrhunderts durch die kreis– runde Laffe und den kreuzblumenartigen Knauf des Stiels charakterisiert, bilden nunmehr die Goldschmiede der Früh- und Hochrenaissance zu wahren Kunstwerken aus (Abb. 65). Viel– fach wird dieses Tischgerät von ihnen zu einer zwei- oder dreizinkigen Gabel mit aufsteck– barer Löffelschale umgestaltet und zum „Ein– schlagen" gerichtet, so daß wir die erste Fo;m eines Taschenbestecks vor uns haben. Am Ausgang des XVII. Jahrhunderts tritt an die Stelle des dünnen, runden oder kantigen Löffel– stiels der abgeplattete Stiel, und von da ab datiert die heute übliche Haltung des Löffels im Gegensatz zu jener mit voller Hand. Die Gabel ist das jüngste der drei Tisch– geräte. Das späte Mittelalter kennt sie als Trinciergabel in der Hand des Vorschneiders, die Renaissance als Vorleggabel bei den Mahlzeiten. Spät setzt in Deutschland, im Gegensatze zu Italien und Frankreich, der allgemeine Gebrauch einer Tisch– gabel ein - kaum vor 1600. Der im XVI. Jahrhundert vielfach vorkommende Ausdruck „forche" - so bei der Aufzählung des Silberschatzes des Herzogs Heinrich von Braunschweig– Wolfenbüttel - bezieht sich auf Vorleggabeln. Die ältesten Vorleggabeln waren zweizinkig ohne oder mit kurzem Heft Abb. 25. Deutsches Messer, aus Horn und Perlmutter, schachbrettartigge– musterter Griff, be– krc5nt von vergol– deterBronzehenne, vor 1600. Länge 19·7 Zentimeter

Abb. 26. Deutsches Vorschneidmesser, Homgriff mit Elfen– beinkopf, vor 1600. Länge 26·5Zentimeter Abb. 27. Messerseheide, Buchsbaumholz, ge– schnitzt, bezeichnetW. G. W . und 1592. Länge 20 Zentimeter Abb. 28. Messerseheide, Buchsbaumholz, ge– schnitzt, bezeichnetW. G. W. und 1611. Länge 19·6 Zentimeter Abb. 29. Schlacht– messer, Griff in Bein ge• schnitzt, süddeutsch, XVI. bis XVll.Jahrh. Länge 24·8 Zentimeter

16 Abb. 30. Holzschnitt „das Aufscbneidmesser11 , deutsches Flugblatt um 1580 und saßen an langen Stielen. Zwei derartige Gabeln sind im Hortus deli– ciarum derHerrad von Landsberg abgebildet (Abb. 3). Silberne Vorleggabeln erwähnt ein Tiroler Nachlaßinventar aus dem Jahre 1493. Im XVI. Jahr– hundert werden die Zinken länger, die Stiele dagegen kürzer und die zwei– zinkige Gabel bleibt die übliche Form für das Transchierbesteck (Abb. 77). Da die Gabel schon im XIII.Jahrhundert in Italien erwähnt wird, ist sie vermutlich von dort nach Deutschland herüber– gekommen, wo sie - mit Rücksicht auf eben diese Herkunft - im XVI. Jahrhundert häufig „piron" oder „pirone" heißt. Da– neben erscheinen die Bezeichnungen „Gaffel", ,.Gabel" und „Gäbelin". Kleinere Gabeln für das Obst finden wir in Italien bereits um 1500 vor. Sie haben zwei kurze runde Zinken, erst später solche von abgeflachter Form (Abb. 71). Die forcina per li frutti der italienischen Hochrenaissance hat drei Zinken, und um 1570 bekommt die norditalienische Fruchtgabel bereits die geschwungene Form unserer heutigen Silbergabeln. Daß die Gabel in Verbindung mit einer aufsteckbaren Laffe schon um die Mitte des XVI. Jahrhunderts in Deutschland erscheint, wurde bereits erwähnt (Abb. 65); aber solche Reisebestecke waren eben Ausnahmen. Eine eigene Form der Gabel ist jene, bei welcher sich die eine Zinke zu einer Messerklinge ver– breitert und mit Schneide versehen ist (Abb. 72 und 91). Man sieht, wie schwer sich die Tischgabel in Deutschland selb– ständig machen konnte und ihre Trennung sowohl vom Löffel als auch vom Messer Jahrhunderte brauchte, bevor sie eine all– gemeine wurde. Vermutlich Frankreich schuf die vierzinkige Gabel als Tafelgerät, während Italien gleichzeitig die langen Gabeln mit zwei Zinken abstellte und die kurzen dreizinkigen an deren Stelle treten ließ. Das seltene Exemplar einer deut– !!!~.!,'· ~:;:: sehen Gabel für Beerenfrucht, der zweiten Hälfte desXVII. Jahr– aus Bronze, deutsch,um 1620. Länge 12·5 Zentimeter hunderts angehörend, ist unter Figur 76 abgebildet. Sie hat zwei messerartig verbreiterte, schief gegeneinandergestellte Zinken und bildet daher eine Schaufel.

Das eigent– liche Besteck, die Zusammenstellung von Löffel, Gabel und Messer zu ei– nem Ganzen bei analoger Ausbil– dung der Griffe ist erst imXVII. Jahr– hundert entstan– qen. Wiewirgehört haben, war es im späterenMittelalter üblich, daß sich der geladene Gast Löf– fel, weiters Messer und Gabel mit– brachte, weil man einerseits den Ge– brauch ganzer Be– steckgarnituren im Hause des Gast– gebers nur am Hofe und beim hohen Adel kannte und andrerseits bei der im Mittelalter stark verbreitetenFurcht Abb. 34 · Vor- Abb. 35 · Messchneidmesser, ser, Griff in Eivor Vergiftung der Griff in E;sen ge– Gast auf ein ihm schnitten, süd– deutsch, vermut– dargebotenes Be- lieb Stadt Steyr, steck aus begreif- XVII.Jahrh. Länge 20·4 Zentim. liehen Gründen versen geschnitten, süddeutsch, XVII. Jahrhun– dert. Länge 13 Zentimeter zichtete. Bei deutschen Völkern hat sich die Sitte der Mitnahme des Bestecks im Hand– werkerstanq bis in das XIX. Jahrhundert, im Abb.32.Kredenz- Abb.33. Vorschneid- Bauernstand, speziell in den Gebirgsgegenden messer, Klinge messer, in Eisen ge- f · ohne Schneide, scbn;ttenerGriff,süd- bis auf den heutigen Tag erhalten. Au emem deutsch,um 1650. deutsch, vermutlich Gemälde von der Hand des Bauernmalers Peter Länge •• Zenti- Stadt Steyr, um 1650. Breughel des Ältem sehen wir einen flämischen meter Länge 2r2 Zentim. Bauern, der seinen Zinnlöffel am Hut trägt (Abb. 62), und Holbein, der Meister der Entwürfe für Dolch- und Besteck– scheiden, zeigt uns, wie die Schweizer Frauen ihr Besteck in einem Köcher am Gürtel trugen. Zu dem Messer in der Scheide gesellte sich eine Gabel

18 und ein Pfriem. Die Sitte des am Gürtel tragbaren Bestecks war von Einfluß auf die künstlerische Ausbildung der Geräte und hat an ihren Griffen, welche aus der Scheide oder dem Köcher herausragten, das auf– steigende Ornament begründet. Dieses auf– steigende Ornament wird im XVIII. Jahr– hundert aufgegeben, und es tritt die um– gekehrte Verzierungsweise ein, weil bei den auf derTafel liegenden Bestecken die Messer– spitze und die Gabelzinken als der obere Teil, die Griffe dagegen als der untere Teil angesehen werden mußten. Die künstlerische Ausstattung der Griffe hatte also im XVI. und in der ersten Hälfte des XVII.Jahrhunderts ihre größte Berech– tigung. Galt es doch, sowohl auf der Straße als im Hause das Besteck, dessen Griffe aus dem Köcher hervorragten und daher stets sichtbarwaren, wie einen Schmuck zu zeigen. Oberitalien bevorzugt die ziselierte Bronze mit Niello-Einlagen wie das schöne Medi– ceer-Besteck der Sammlung (Abb. 80 und 81). Es kommt vermutlich aus dem Besitz Cosimos I . de Medici, genannt der Große, geboren 1519, seit 1538 Herzog von Flo– renz, 1574 gestorben. D ie Griffe sind vier– kantig, auf den Breitseiten mit Niellen, auf den Schmalseiten mit Silberplatten belegt. Die Niellen tragen Darstellungen der ver– schiedensten Musikinstrumente und das Wappen der Medici. Aus vergoldeter Bronze mit ziselierten Akanthusblättern sind die Wurzeln der Griffe, deren Abschluß nach oben Kappen aus einem Längswürfel mit volutenförmigem ,Aufsatz bilden. Die Klinge Abb.J 6 • Vorschneid- trägt in Ätzung das Wappen der Medici - mcsser, Rautcngriff aus Bein, nach oben die sechs Apothekerpillen und die Bezeichin groteskenTierkopf nung C/M/DE in einem Zierschild. Kein {Einhorn) endigend, deutsch, xvn. J ahr- Land ist bei der Form und Ausschmückung hu nd ~:~,~~;!: 22 ·1 der Griffe so konservativ geblieben wie Oberitalien, zumal für dasXVI. Jahrhundert. Die Griffe sind stets vierkantig, zumeist aus Bronze und belegt mit Silberplatten, auf denen der ganze Formenschatz der Abb.37. Vorschneid– messer, Griff aus Buchsholzgeschnitzt, mit Gruppe der Tu– genden, nieder– deutsch, XVll. Jahr– hundert. Länge 25·5 Zentimeter

19 italienischen Renaissance als Arabesken, Trophäen und Grotesken in Treib– und Ziseliertechnik Verwendung gefunden hat. Die Hauben, das sind die Abschlüsse der Griffe nach oben, sind in der Regel halbrunde Bekrönungen mit Voluten (Abb. 71 und 81). Es läßt sich kaum eine edlere Form eines Messergriffes finden als diese, die vermutlich ihre Heimat in Florenz hat, aber über ganz Oberitalien ver– breitet war. Die Seestädte, voran Venedig und Genua, haben durch ihre BeziehunAbb. 38. W erkzeug– messer, Buchsholz– griffm. Reiterfigur d. Kaisers L eopold I., sUddeutsch, zweite Hälfte d. XVll.Jahrh. Länge 18·2 Zentim. Abb. 39. Französi– sches Obstmesser, Goldemailgriff, zweite Hälfte des XVII. Jahrhun– derts. Länge 14 Zentimeter Abb. 40. Messer, Bernsteingriff mit unterlegter Goldfo-. lie, deutsch, XVII. Jahrhundert. Länge 17'3 Zenti– meter Abb. 41. Zwei Messer, Bemsteingriffe mit Figuren in der Tracht um 1700, die Köpfe und Hände aus Speckstein geschnitten, deutsch, vermutlich Steyr-Trattenbach. Länge I7'6 Zentimeter

20 gen zum Orientmehrbizarre Formen geschaffen und viel Handels– ware wie Elfenbein und bunte Steine zur Ausschmückung der Griffe herangezogen, auch die Ätzung und die Tauschierung der Klingen weit mehr geübt als die Klingenschmiede der Binnenstädte (Abb. 18 und 82). Deutschlands Messerer versehen im XVI. Jahrhundert ihre Griffe mit Schnitzereien aus Buchsholz. Dieses neben dem Solenhofener Stein von den deutschen Künstlern der Klein– plastik bevorzugte Material beherrscht die Form– gebung der Besteckgriffe bis ins anbrechende XVIII. Jahrhundert. Ganze vollrund gearbeitete Figuren aus dem zeitgenössischen Handwerker-, Bürger- und Kriegerstande, allegorische Figuren auf die Wissenschaften und freien Künste, auf die Tugenden und Laster, Darstellungen der Heiligen und ganzer Szenen aus der Mythologie und dem Testament charakterisieren diese Epoche (Abb. 37 und 53). Wie weit hier neben künstlerischen Erfolgen die minutiöse Arbeit geht, ersehen wir an zwei Besteckköchern der Sammlung, welche einem nur nach seiner Si– gnatur WCW bekannten Meister angehören (Abb. 27 und 28). Das Elfenbein, im Mittelalter das bevor– zugte Material, im XVI. Jahrhundert für die Kleinplastik beinahe in -Vergessenheit geraten, wird von der Spätrenaissance und Barocke Abb. 42. Mes- wieder stark herangezogen. In Frankreich wer– ..,, Elfenbein- den viele Bestecke mit figuralen Griffen her– griff, deutsch, um , 700. Län- gestellt (couteauaimagerie) (Abb. 75); es folgen ge '!!,.~•nti- die Länder germanischen Stammes, Niederlande und Deutschland, wo nahezu in jeder Stadt „Hel– fenpeinschneider" sich dieser Aufgabe widmen. Die Früh– barocke kultiviert diese Art der Griffe weiter, indem sie von den einzelnen Figuren auf ganze Gruppen übergeht, und Michael Döbeler, geboren 1635, gestorben 1702, Bildhauer des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, schafft das Motiv der übereinanderkletternden Kinder und Putten (Abb. 104 bis 107). Für das westliche Deutschland, Frank– reich und die Niederlande wurden am Ausgang des XVI. Jahrhunderts mehrere Goldschmiede und Kupferstecher die Begründer einer ganz neuen Form. Jan Theodor de Bry, geboren 1561 in Lüttich, in Frankfurt 1623 gestorben, der Abb. 43. Tortenmesser, Elfenbeingriff', deutsch (Bayern?), um 1720. Länge 24 Zentimeter

Abb. 44. Großes Messer. Homgriff mit bis rur Zwinge berabreicbender schwerer Bronzehaube, deutsch, erste Hälfte des XVID. Jahrhunderts. Länge 40·7 Zentimeter Lehrer Sandrarts, hatte schon von seinem Vater Theodor de Bry, mit dem er auch viel gemeinsam arbeitete, die Liebe für den Ornamentstich und dessen Verwer– tung bei der Ausbildung des Kleingerätes übernommen. Jan Theodor lieferte eine Folge von vier Blatt mit zwölf Messer– heften, weiters „Les Manches de coutiaus avecque les feremens de la gaine" und zwölf Blatt „Neuwe Messerhauben". Be– zeichnend für seine Entwürfe ist die reich durchbrochene Bekrönung der Griffe, in die er mit bewunderungswürdiger Be– herrschung des Stichels kleine Putten, Engelsköpfchen, dann allerhand Tiere, mit Vorliebe Eichhörnchen und Seepferde hineinkomponiert. Die Breitseiten der Griffe füllt er mit Darstellungen aus dem Testament oder den Allegorien und Per– sonifikationen der Elemente, Tugenden und Künste, die Schmalseiten mit fran– zösischen oder lateinischen Sprüchen. Was ihm an Raum erübrigt, schmückt er mit Grotesken, für die er eine uner– schöpfliche Erfindungsgabe äußert (Abb. 83). Diese von Jan Theodor de Bry ge– stochenen Entwürfe wurden von den hol– ländischen, französischen, flämischen und rheinischen Silberschmieden stark benutzt oder direkt kopiert (Abb. 84). An den Schmalseiten der Hefte, für welche der Künstler Inschriften vorgesehen hatte, wird der Name des Eigentümers ange– bracht. So trägt ein Besteck der Samm– lung die Bezeichnung „Mechtell Lower Maens", ein Damenmesser den Namen der Besitzerin „Clara Bex" (Abb. 85). Das eben erwähnte Damenmesser leitet zu den Entwürfen eines zweiten Künstlers hinüber, der mit de Bry ziemlich gleichzeitig arbeitete und beinahe iden– tische Vorlagen zu ziselierten Silbergriffen schuf. Es ist Crispin de Passe der Ältere, zu Armuyden aufZeeland um 1565 geboren, Abb. 45. Schabmes– ser (Radiermesser), Griff aus Elfenbein und Büffelhorn, ge– ätzte Klinge, italie– nisch, XVII. Jahr– hundert. Länge 22·7 Zentimeter

22 Abb. 46. Einschlagmesser, primitiv, Griffschalen aus Horn, beg·innendes XVI. Jahrhundert, Steyr• Trattenbach. Länge 19·5 Zentimeter im Jahre 1585 als Meister copersnyder in die Antwerpener Gilde aufgenom– men, um 1613 in Utrecht tätig und 1637 gestorben. Es werden ihm gesto– chene Entwürfe für Messerhefte zugeschrieben, deren Hauben oder Bekrö– nungen noch reicher durchbrochen erscheinen als jene auf den signierten Blättern des de Bry (Abb. 86). Daß letzterem der Vorrang gegenüber Crispin de Passe gebührt, ist schon durch dessen umfangreiches Werk, die große Anzahl der Entwürfe beglaubigt. Im übrigen war ihm de Bry um vier Jahre voraus. Aber noch ein drittes Moment spricht für die Entstehung der Form im Kreise der Familie de Bry. Ein Messer mit derartigem Silbergriff trägt die Abb. 47. Lavierte Federzeichnung aus der Nähe des Hans Baldung Grien, um 1520

Abb. 48. Melcbior Feselen, Bildnis des Hans von Sch8nitz (Sammlung Marcuard in Florenz)

24 Jahrzahl 1576, ist daher früher entstanden als alle uns bekannten Entwürfe von der Hand Jan Theodors de Bry und des Crispin de Passe. Es liegt nun sehr nahe, den Vater des Erstgenannten, den Goldschmied Theodor de Bry, geboren 1528 zu Lüttich, gestorben 1598 in Frankfurt, als den geistigen UrAbb. 49. Einschlag– messer, Bronzegriff in Gestalt eines Beines in deutscher Landsknechttracht, chirurg. Messer eines Feld– sebers, deutsch, XVI. Jahrh. Länge 12 Ztm. Abb. 50. Einschlag– messer, Eisengriff, vergoldet, mit Gra– vierungen, bezeich– net A. Montauban, französisch, XVll. Jahrhundert. Länge 12·2Zentimeter Abb. 51. Rasier– messer, Griff in durchbrochener Arbeitausweißem Bein, spanisch, XVII. Jabrb. Länge geöffnet 25·8 Zentimeter Abb. 52. Messer z. Einschlagen,Eisen– griff mit in Gold tauschierten Jagd– szenen,silddeutsch, zweite Hälfte des XVll. Jahrb. Länge 15·7 Zentimeter Abb. 53. Messer zum Einschlagen, Griffaus Buchsholz geschnitzt, deutsch, XVill.Jahrhundert. Länge geöffnet 15 Zentimeter heber dieser Form zu bezeichnen und das Messer seiner Werkstätte zuzu– schreiben. Er hat uns nur Entwürfe zu Garnituren für Degen und Dolchgriffe hinterlassen, daß aber sein Sohn gerade diese Form der Griffe mit auffallen– der Liebe behandelte, mag ein Beweis dafür sein, daß er als Fünfzehnjähriger solche Arbeiten in der Goldschmiedewerkstatt seines Vaters sah.

Wir kommen nun zu einem dritten Goldschmied, der auf die Formenentwicklung der Besteckgriffe direkten Einfluß nahm, auf Michael Je Blon. Er war gleichfalls Kupferstecher, wurde 1587 zu Frankfurt geboren und starb 1656 in Amsterdam. Als geborener .Frankfurter und als Vetter des Joachim von Sandrart, des Schülers von Jan Theodor de Bry, stand er diesem nahe und hatte wahrscheinlich bei ihm gelernt. L e Blon kam um 1630 für kurzen Aufenthalt nach Florenz und Rom, später nach London und war dann bleibend inAmsterdamwohnhaft. Seine Stiche sind biblische und historische Darstellun– gen, Wappen, Arabesken, vornehmlich aber Vorlagen für Goldschmiedearbeiten, wie Damen– schmuck, Uhrgehäuse, Messergriffe und anderes. Die Entwürfe zu Messerheften zeigen eine eigentümliche, nach einer Seite volutenartig aus– ladende Form (Abb. 87). Diese Ausladung ist für die hohle Hand bestimmt und steht daher bei richtiger Zusammenstellung des Messers auf der Seite des Klingenrückens. Wie seine Vor– gänger entwirft le Blon durchbrochen gearbei– tete H:i,uben und bedeckt die Breitseiten der Griffe mit Zeichnungen für Ziseleure. Eine seiner Vorlagen mit Darstellung einer Ranke, in die er einen Jagdhombläser, Hirsche, Hunde und Vögel hineinkomponierte, ist durch den Künst– ler selbst oder durch einen Silberschmied zur Ausführung gekommen (Abb. 87 und 88). Mi– chael Je Blon entwarf weiters Besteckgriffe, deren Breitseiten durchwegs mit Arabesken verziert sind (Abb. 89). Diese Vorlagen sind unter den bisher genannten entschieden die schönsten; ob aber nach diesen auch wirklich Griffe gearbeitet wurden, ist mir nicht bekannt. Von le Blon die Form der Hefte, von Johann Theodor de Bry die Vorliebe für figuren– reiche Darstellungen entlehnend, steht der Am– sterdamer Hendric Janssens zeitlich als letzter in der Reihe jener Künstler, welche für das Besteck der Renaissance Entwürfe geliefert haben. Der Höhepunkt seiner Tätigkeit fällt in die Zeit um 1630. Zierstreifen mit Blätterwerk und Vögeln, Figuren und Tiere im Laubwerk, Abb. 54 und SS- Messer zum Einschla• gen, Griff aus Buchsholz geschnitzt, deutsch, XVII. Jahrhunden. Länge geöffnet 22 Zentimeter

Abb. 56. Vielklingenmesser, Silbergriff mit Perlmutter, deutsch, ausgehendes XVill. Jahrhundert. Länge geöffnet 12·8 Zentimeter Abb. 57. Taschenmesser mit sechs Klingen, Perlmutter– griff in Gestalt einer Wanduhr mit Uhrwerk, engl., um I800. Länge 9·5 Zentim. Abb. 58. Taschenmesser, Perlmutter– schalen mit Stiefmütterchen in Goldemail, französisch, nach 1800. Länge 9·5 Zentimeter Hirschjagden im Ran– kenwerk, Vögel im Or– nament von der größ– ten Feinheit sind seine Lieblingsarbeiten. Er hat eine Folge von sechs Blatt mitMesser– und Gabelheften, wel– che mit Figuren im Laubwerk verziert sind, geschaffen und bei Claes Jansz Viss– cher erscheinen lassen (Abb. go). Wir haben nun gesehen, wie auffallend stark sich die Beteili– gung niederländischer Künstler an der For– menentwicklung des Bestecks der Spätre– naissanceäußerte. Aus– gegangen ist sie von dem Goldschmied Theodor de Bry und l)ahezu ein volles Jahr– hundert hat sie ange– halten. Wir haben ihr daher auch hier einen breiten Raum widmen müssen. Frankreich und das westliche Deutschland standen vollständig unter dem Einfluß dieser Vorlagen. Hatte sich das deutsche Besteck hinsichtlich einheitlicher Ausbildung bisher nur auf zwei Geräte, auf Messer und Gabel beschränkt, so tritt mit dem Beginn des XVII. Jahrhunderts der Löffel hinzu. Durch eine analoge Ausstattung seines Stiels wird der Löffel ein integrierender Bestandteil des Bestecks. Die Sitte, das Eßgerät am Gürtel zu tragen, war teils aus eigenem abgekommen, teils wurde sie aus Anlaß von Mißbräuchen - wie in Italien - behördlich aufgehoben. Es entstand das Besteck „zum Einschlagen" (das spätere Reisebesteck), welches nun in der Tasche getragen werden konnte. Eigentliche Besteckgarnituren, das heißt ganze Folgen gleich– geformter und in gleicher Weise ausgestatteter Bestecke gab es wohl schon im XVII. Jahrhundert; allgemeinere Verbreitung fanden sie jedoch erst im folgenden. Hierzu hat viel das Zurücktreten der Arbeit des Einzelnen vor der schon mehr fabriksmäßigen Massenerzeugung - wie beispielsweise der Porzellangriffe, dann der Griffe aus Horn- und Holzschalen durch ganze

Arbeiterkolonien - beigetragen. ImXIX. Jahrhundert hat das Kunstgewerbe seine Beteiligung an der weiteren Ausbildung der Bestecke im großen und ganzen aufgegeben und dem deutschen und englischen Stahl die Sorge für die Qualität der Klingen überlassen. * * * Wenn wir nun von den großen Städten der Messerschmiedekunst nur eine mit Rücksicht auf den hier zulässigen Raum für eine historische Bespre– chung herausgreifen können und uns hierbei für die Stadt Steyr entscheiden, erfüllen wir nicht nur eine Pflicht gegenüber dem Entstehungsort der Lam– bergschen Sammlung, sondern werden damit auch der bedeutendsten Pflege– stätte deutscher Klingenschmiedekunst gerecht. Aus Deutschland (Solingen und Schmalkalden) und aus Siebenbürgen kamen gute Klingen, aber kein Land hat Abb. 59. Gotischer Holzlöffel mit Abb. 60. Gotischer Silberlöffel, Mei- Abb. lh. Gotischer Holzföffcl, SilberSilbersticl, silddeutsch, um 1500. stcrzeichen I. E., sUddcutscb, erstes hUlsc mit wappcnbaltcndcm Löwen, Länge 15 Zentimeter Drittel dcsXVI.Jahrhundcrts. Län- süddeutsch, erste Hälfte des XVI. gc 13 Zentimeter Jahrhunderts. Länge 15 Zentimeter

·solche Berühmtheit erfahren wie Österreich, wo Steyr einenWeltruf erlangte. Hier wurden die besten Klingen erzeugt, wenn auch die weitere Verarbeitung zum größten Teile andern Ortes, so namentlich in Nürnberg, Wien, Augs– burg und Basel erfolgte. Viele Ausländer bewerkstelligten mit Gewinn den Verkauf Steyrer Klingen. So ist der Nürnberger Kunz Horn, welcher in Steyr Messer nach Venedig handelte, in kurzer Zeit zu großem Vermögen gelangt, und Hans Horst von Cöln handelte in Nürnberg am Ausgang des XVI. Jahr– hunderts mit Steyrer Eisenwaren. Viele Steyrer Bürger unterhielten ganze Faktoreien für Klingen in Venedig. Von dort erfolgte der weitere Verkauf an die Städte Italiens, welches wohl einen ganz bedeutenden Prozentsatz seiner Klingen aus Steyr bezogen hat. Das Gebiet der Klingenindustrie in Steyr umfaßt mehrere nahegelegene Ortschaften und die Stadt selbst. In Tratten– bach im Ennstal und den Ortschaften des Wendbachtales hat die Eisenbear– Abb. 62. Ausschnitt aus dem Gemälde „Dorfkirch– weib" Pieter Bruegbel d. Ä. (1525?- 1569) (Kaiser– liche Gemäldegalerie inWien) beitung und speziell die Klingenerzeu– gung jahrhundertelang eine Heim- und Betriebsstätte gefunden. Die heute noch in Trattenbach blühende Erzeugung von kurzen breiten Messern „zum Ein– schlagen", -im Volksmunde „Taschen– feitln" genannt, ist wahrscheinlich ebenso alt wie die Ansiedlung selbst. Erwähnt wird sie bereits zu Anfang des XIV.Jahrhunderts, und in das Jahr 1486 fällt eine Entscheidung des Nürnberger Rates dahin, daß dem „Scharsach– Schmied" Hans Lukas in Nürnberg die Herstellung bis zu 100 Klingen in der Woche zu bewilligen sei. Hans Lukas war Trattenbacher und hatte der Schar– schacher oder Steinbacher Messer– innung angehört, die das aus den Reich– raminger Eisenwerken bezogene Eisen, welches „Scharschach" genannt wurde, zu Klingen verarbeitete. Ein frühes Trattenbacher Einschlagmesser wurde bereits besprochen (Abb. 46). Von späteren Trattenbacher Messern ist eine große Reihe vorhanden, bis zu jenen kleinsten Kunstwerken, welche imXIX. Jahrhundert und auch heutigen Tages noch als Erinnerung an Trattenbach in großen Mengen Absatz finden. Im XVII.Jahrhundert trachteten die Schar– schacher Klingenschmiede, weil sie mit

29 den Steinbacher Messerem fortwährend in Streit lagen, von dieser Innung loszukommen und erreichten tatsächlich im Jahre 1680 durch Johann Max Reichsgrafen von Lamberg, Herrn der Herrschaft Steyr, diese Trennung, weil „ die Trättenpächer schon vor Jahren, Ja bald von der Zeit an, als Sie zu der Zunft in Stainbach sindt• hinzurgesöllet worden in Zwitracht und processen mit einander gstandten und weillen die Trättenpächer sich beraith endtschlossen, ehe und bevor sie mehr mit gedachter Mösserer Zunft heben und legen, lieber gahr außer Landts zustehn, welches nit allein unserer Herr– schaft Steyr und andern Intereßierten Grundtobrigkheiten sondern dem ganzen Landt und Ihro Kayl. Mayl. selbst zu Nachttheil und schaden ge– raichte". Aus diesem Artikelbrief lesen wir die große Bedeutung der Tratten– bacher Messerindustrie für den Handel nach dem Süden und Norden, der Abb. 63. Holzlöffel, als Stiel die Figur eines Arkebusiers, sUddeutsch, um 1550. Länge 15·3 Zentimeter eine solche Rolle spielte, daß unverhohlen das Interesse des Kaisers an der Beseitigung der Zwistigkeiten in der Innung zum Ausdruck kam. Die Schar– schach-Meister bildeten also von 168oan eine eigene Innung, wählten selbständig ihre Zech– und Viermeister u~d so ent– stand ein Ausnahmsverhältnis, wie es die Geschichte derHand– werke - selbst in den gewerb– fleißigsten Städten - kaum für einen zweiten Fall kennt, daß sich nämlich ein und dasselbe Handwerk in mehrere Innun– gen gliederte. Neun Jahre nach dieser Trennung wählen sich die Scharschacher Klingen– schmiede neue W erkstattzei– chen, um ihre Erzeugnisse von jenen der Steyrer und Stein– bacher Handwerksgenossen zu unterscheiden. Die Innungs– tafel aus Blei mit den einge– schlagenen Meisterzeichen von 1689 ist uns erhalten undEigen– tum des städtischen Museums in Steyr (Abb. 108). Damals zählten die Scharschacher allein 39 Meister, imJahre 1753 deren noch 29. Hatten am AusAbb. 64. Holzlöffel, als Stiel die Figur eines Transchier– meisters, süddeutsch, um 1580. Länge 15·7 Zentimeter

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