Kunst und Kunsthandwerk, 15. Jg., 1912, Heft 1

Zu den dörflich-rustikalen Typen gesellten sich bestrickende Kulturfigurinen : amoureuse Köpfchen, zart und schmal, schlank gebogene Hände aus Nymphenburger Porzellan, und sie stellten in echten Kostümen Damen der altenglischen Porträtgalerie dar. Und verführerisch von allen andern schien die aus dem Rahmen gestiegene und in ein Däumelinchen-Abbild verwandelte Lady Farren nach Lawrence mit dem überhauchten Pastellgesicht, von Chiffon weich und duftig umschleiert, und die zierliche Linie der Hüften pikant nuanciert durch den großen, flachen, tief zum Schoß herabgestreckten Pelzmuff. In diesen Weihnachtstagen hat sich bei Friedmann und Weber nun wieder ein Puppen– heim mit allerlei Wunderbarem aufgetan. Seine Geschöpfe sind keine Spielpuppen, sondern kapriziöse Phantasien für die Vitrinen der Sammler des Sonderbaren. Eine W eihnachts– bescherung stellt sich dar wie aus einer E. Th. A. Hoffmanschen Spuknovelle. Spela Albrecht von Offe modellierte diese Puppen. Es sind fast alles Orienttypen. Aber nicht das Ethnographische, der Rassezug ist an ihnen das Wesentliche, sondern der unheimlich getroffene Ausdruck gesteigerter Reizzustände. Die Geheimnisse uralter Wollustkulte, religiöser Tanzekstasen, der Opiumver– zückungen sind hier in Kleinskulpturen von leidenschaftlicher Gegenwart gebannt und dar– gestellt. Man denkt an die zuckigen Verrenkungen und die zu brünstig dumpfem Aufschrei verzerrten Gesichter der tanzenden Derwische in Skutari, an die zerquälten Züge mit den brechenden Augen voll irrer jenseitiger Glückseligkeit, wie man sie bei den nächtlichen Folterfesten der mit Messern, Nadeln und Dolchen ihr Fleisch peinigenden Aissuans im tunesischen Kairouan sah, und an die Haschischraucher in Marokko, deren maskenstarrem Antlitz man es anmerkt, daß ihre Seele wandert, während ihr Körper schweigend ruht gleich den Verzauberten östlicher Märchen. Besonders die gierig wilden Tanzbewegungen kommen in diesen Puppen zur Er– scheinung, die Inbrunst des Sichausrasens, die grausamen Konvulsionen, die fletschige Wut. Und dann wieder in den Hockenden, Kauernden, in sich Zusammengezogenen die andere Seele des fernen Ostens, der schweifende Traum, die Unberührtheit vom Irdischen, das Schauen. Gruppen stellen sich auf Teppiche zusammen, ähnlich den bunten Szenen ara– bischer Märkte mit Schlangenbändigern und Geschichtenerzählern, und wenn man diese Köpfe sieht, die so dumpf und dabei mit den weißen Raubtierzähnen so fanatisch wirken, gleichsam immer zum Sprung geduckt, dann glaubt man im Ohr jene Weisen der Flöte und der gutturalen Handtrommel zu hören, die so seltsam narkotisch und aufregend zugleich die Nerven streicheln und peitschen. In einem fluidumerfüllten Buch, den Chinesischen Geister- und Liebesgeschichten, die Martin Buber gesammelt und E. R. Weiß zärtlich in blütenüberrankte mattrote Seide gekleidet,* wird viel von vampyriscber Liebe gesprochen. Tiergeister suchen in Frauen– gestalt junge Menschenmänner zur Buhlschaft heim. Und es klingt durch diese Stücke etwas von der unendlichen Einsamkeit der Kreatur und von der panischen Sehnsucht des All- und Einswerdens. In den chinesischen Typen dieser Puppenwelt wird man an solche animalischen, die Grenzen verwischenden erotischen Metamorphosen erinnert. Dem Beschauer drängt sich vor diesen Figuren ein Reigen der Assoziationen auf; er wird natürlich Baudelaires und dessen perverser Lust an der B eaute du diable exotischer Grimassen gedenken, natürlich an de Quinceys Opiumträume und, wenn man neueste Parallelen will, an den Roman eines Zwischenweltgeschöpfes, an Hanns Heinz Ewers Alraune. Die Ersinnerin dieser Cour de miracle und ihrer Gestalten hat sie aber durchaus nicht vom literarischen Inkabus besessen hervorgebracht - etwa so wie manche jetzt Beardsley-Zeichnungen nachkneten - sondern aus eigenem Instinkt und aus einem Temperament der „absonderlichen Freuden". Felix Poppenberg • Rütten und Loening, Frankfurt a. M.

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