Kunst und Kunsthandwerk, 15. Jg., 1912, Heft 1

66 derselben so dringend nötig hätte. Hoffentlich vermag hier die Schule ebenso erfolg– reich ins Leben hinaus zu wirken, wie sie es auf andern Gebieten tat. KLEINE NACHRICHTEN~ NEUE SEZESSION IN BERLIN. Die jüngste Ausstellung dieser Gruppe, die übrigens inzwischen durch Austritt ihres Vorstandes auch schon wieder gesprengt ist, läßt ziemlich kühl. Man merkt im Revolutionären das Pedantische, und weniger ein leiden– schaftlich drängendes Streben nach neuen Ausdrucksformen begegnet als renommistische Originalitätssucht. Die Berliner Gilde tritt gemeinsam mit der neuen Künstlervereinigung München auf. Deren Arbeit wirkt noch problematischer. Kandinskys große Leinwandßächen, als „Impro– visationen" und „Kompositionen" bezeichnet und durchnumeriert, wie das Opus des Komponisten sind stammelnde, schlaffe Palettenphantasien, Farbenausßüsse reizbarer Schwäche. Komposition Nummer 4 und Improvisation Nummer 18 gleichen bunten ver– ronnenen Eisspeisen. Bechtejeffs mythologische Szenen mit den gedrehten Spindelleibern der Grazien sind in ihrer Primitivität nicht stilgebildete Form, sondern Hilflosigkeit .Manches Geschmackliche wie die Wolken und Stilleben von Jawlensky ist dann mehr dekorativ-kunst– gewerblicher Entwurf. Diese Motive in ihren Konturierungslinien der Früchte scheinen zum Beispiel direkt eine Vorzeichnung für eine Glaskomposition. Von den Berlinern ist immer noch am bemerkenswertesten Max Pechstein, der sich ja nun auch losgesagt und reumütig wieder bei Cassirer ausstellt. Er ist ein echtes starkes Farbentemperament. Nächtliche Landschaften von Blut- und Feuerströmen durchloht träumt er, Gauguinsche Exotik der Inselgestade in brennender Sonnenkoloristik liebt er. Auch Melzer zeigt ein eigenes Gesicht. Er neigt in der flächenhaften Schilderei der Krieger mit Lanzen zu den starr monumentalen Formen assyrischer und ägyptischer Wandmalereien. Doch ist seine Handschrift mehr graphisch als malerisch. Sein Holz– schnitt des gleichen Motivs beweist das und auch der „Wald" mit seiner streifigen Baum– musterung wäre dankbarer geschnitten als gemalt. Harold Sengen hat einen an Hodler geschulten Sinn für Architektur und Rhythmus der Körper im Bilde. Seine „Fliehenden", kauernde, stürzende, mit langenden Gebärden laufende Figuren in einer dekorativen Atmo– sphäre gelbgrüner kreisender Ringe sind in all ihrer Bewegtheit künstlerisch zur Ruhe gebändigt. Ein Farbenorgiast, dem es vor den Augen schäumt, ist Nolde, doch ganz zuchtlos im ·Vergleich zu Pechstein. Seine Bibelszenen, der zwölfjährige Jesus, die heiligen drei Könige, der Judaskuß erscheinen als Haschischhalluzinationen, ausgespiene rotgrüne züngelnde Feuerbrände, aus deren finster schwelendem Dunst Kielkröpfe und Walpurgisnachtfratzen grinsend tauchen. Heckeis Tänzerinnen gleichen Spielzeugfiguren und seine badenden Mädchen Wasserleichen. Andrerseits fällt Otto Mueller diesmal als etwas süßlich auf mit drei allzu absichtlich arrangierten nackthellen Rückenfiguren mit schwarzhaarigen Köpfen am Ufer gegen hellgrünen Seespiegel. Pikant gestellt ist das Stilleben von E. L. Kirchner mit der nackten Frau unter den Japonnerien, grüngelben Stoffen und dem tupfigen kera– mischen Panther. Und schließlich, um mit einem „freundlichen" Wort zu enden, frappiert eine schicksalsvolle düstere Bronzemaske von katonischer Strenge, deren Schöpfer Otto Freundlich heißt. Er lebt in Paris, und sein Meister wäre wohl Rodin. BERLIN. PUPPEN. Ein kleinesWelttheater war einmal in den Salons von Friedmann und Weber aufgeschlagen, ein Puppenstaat voll der Fülle der Gesichte. Miniatur– sendbotinnen aus allen deutschen Landschaften boten eine Trachtenschau. Da gab es zu sehen Lübecker Waisenkinder und Ratsdiener, Dachauer Bräute, Bauern und Bäuerinnen aus Bayern und Westfalen im Gottestischrock, im Tanzkleid und im Hochzeitsgewand.

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