Kunst und Kunsthandwerk, 15. Jg., 1912, Heft 1

formen des XII. Jahrhunderts sind im Hortus deliciarum dar– gestellt (Abb. 3). Die Breite der Klingen entspricht hier der Breite der Griffe. Das frühgotische Messer wird breiter, blatt– förmig, entweder mit geschwungener oder gerader Schneide und geradem, zur Messerspitze schräg abfallendem Klingen– rücken. An einem französischen Exemplar, dessen starke Zerstörung die Form der Klinge nur vermuten läßt, haben wir bereits ein Beispiel für die künstlerische Ausbildung der Griffe, welche in der spätromanischen und frühgotischen Periode lediglich auf Bein angewiesen schien (Abb. 4). Weit früher als in Deutschland hatte bei den romanischen Völkern das Tischmesser Verbreitung gefunden. Auf einem Holz– schnitt aus einem livre d'heures des Jehan Poitevin vom Jahre 1498 sehen wir eine größere Anzahl Messer auf der Tafel liegen, und eine weitere Bestätigung für das Auflegen von Tischmessern bei den Italienern und Franzosen findet sich in der Civilite d'Erasme, imitee en frarn;ais par C. Calviac 1560. Sie handelt von der Zeit um 1530: ,,Les Italiens se plaisent aucunement (en general) aavoir chacun son cousteau. Mais les Allemans ont cela en singuliere recommandation, et tellement qu'on leur fait grand desplaisir de le prendre devant eux ou de leur demander. Les Francais au contraire: taute une pleine table de personnes se serviront de deux ou trois cousteaux, sans faire difficulte de le demander, ou prendre, ou le bailler s'ilz l'ont." Während also in Italien so viele Messer aufden Tisch kamen, als Gäste erwartet wurden, waren in Frankreich die wenigen aufgelegten Messer Ge– meingut der ganzen Tafel. In Deutschland dagegen brachten einzelne Teilnehmer am Mahle ihre eigenen Messer und diese nur für den eigenen Gebrauch mit. Das Inventar nach dem Zolleinnehmer Konrad Gutknecht vomJahre 1425nennt 5 bei aller Genauigkeit nur „ain churcz taschenmesser mit Abb. 6. Tischmesser, der Griff aus Bron– silber beslagen". Tischmesser für die Gäste kannte der deutsche bürgerliche Tisch damals noch nicht. Ein kleines Tischmesser der Sammlung Lamberg trägt auf dem Griff die Aufschrift ,,fatcaloet vien teler" (Abb. 8). DasWort „fatca– ze, mit Schriftspuren, französisch, XV. Jahrhundert. Länge 15·8 Zentimeter loet", nach dem italienischen fazzuolo und fazoletto bedeutet Taschentuch oder Handtuch, erscheint variierend 1218 facenetlein, 1226 facilet, 1365 fatzenet, 1478 vaczelet und ist dann gleichbedeutend mit Tellertuch oder Serviette. Das kleine Messer ist also ein Tellertuch oder dazu bestimmt, den Teller zu reinigen, die Reste der ersten Mahlzeit zu entfernen, um ihn für den zweiten Gang benutzen zu können. Diese ganz eigenartige Bestimmung eines Messers mag einen neuen und wichtigen kulturgeschichtlichen Beitrag bedeuten und findet eine, allerdings über 150 Jahre spätere Beglaubigung in

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