OÖ. Heimatblätter 1947, 1. Jahrgang, Heft 1

Oberösterreichische Heimatblätter Jahrgang 1 Heft 1 Jänner-März 1947 Zum Beginn Die „Oberösterreichischen Heimatblätter“ wollen der Pflege der Heimat¬ kunde, des Volkstums und der bodenständigen Kultur Oberösterreichs dienen. Sie knüpfen mit dieser Zielsetzung an die von Adalbert Depiny begründete und durch fast zwei Jahrzehnte verdienstvoll fortgeführte Überlieferung einer heimatkundlichen Landeszeitschrift an. In den Beiträgen der „Heimatblätter“ soll in möglichster Vielseitigkeit, in sorgfältiger Darstellung und wissenschaftlicher Zuverlässigkeit das Bild des Landes ob der Enns erstehen: seine Landschaft mit der Besonderheit ihrer geogra¬ phischen Lage, der Vielfalt ihrer Formen und geschichtsbildenden natürlichen Gegebenheiten, die Geschichte des Landes, sein Werdegang als alter Kultur¬ und Siedlungsboden, als Durchgangs- und Grenzland in der Verbindung von Alpen- und Donauraum, als wichtiges Wirtschaftsgebiet, als Schauplatz kultureller Leistungen im Schaffensbereich der bildenden Kunst, Musik, Dichtung, des Theaters, der Wissenschaft und Technik, sein Volkstum mit der Fülle seiner Lebensäußerungen und Erscheinungsformen. Diese Darstellung des Landes und seiner Eigenart wird wertvolle Bausteine zur Heimatkunde herbeischaffen, Anregung zur heimatkundlichen Arbeit geben und die Lücken in der Erforschung des Landes schließen helfen. Sie will Werden und Wesen Oberösterreichs, dieses kraftvollen Mitglieds in der Familie der österrei¬ chischen Länder, in unserer Heimat und darüber hinaus bewußt machen und dazu beitragen, daß das Erbe der Vergangenheit in seinen lebenskräftigen Werten er¬ halten bleibe und weiterwirke in Gegenwart und Zukunft. Zur Mitarbeit sind alle auf dem Gebiete der oberösterreichischen Heimatkunde und Heimatpflege Schaffenden herzlich eingeladen. Ihrem Wirken wollen die „Oberösterreichischen Heimatblätter“ ein einigendes Band, ein zusammenfassender Mittelpunkt, ein stets bereiter Helfer sein. Immer wird ein großes Streben diese Arbeitsgemeinschaft beseelen und leiten: durch die Vertiefung des Wissens um die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge ein starkes, unbeirrbares Heimatgefühl, die Bereitschaft zur stets neuen Besitzergreifung des Heimaterbes zu wecken und die Liebe zu unserer ober¬ österreichischen Heimat, zu unserem österreichischen Vaterland größer und tiefer zu machen, daß sie uns Weg und Brücke sei in eine bessere und frohere Zukunft. Dr. Franz Pfeffer

chische Heimatblätter Adalbert Depiny Ein Lebensbild Wenn das erste Heft der neuen oberösterreichischen Heimatzeitschrift ein Lebens¬ bild Adalbert Depinys bringt, so tut sie dies mit gutem Bedacht. Was heute und in aller Zukunft in Oberösterreich an volks- und heimatkundlicher Arbeit geleistet wird, stößt auf allen Gebieten auf das Werk dieses Mannes, den ein tragisches Geschick so früh seinem fruchtbaren Schaffen entrissen hat. Wir wollen die Wege dieses Lebens nachgehen und es wird sich entrollen als ein über Höhen und Tiefen führendes Einzelschicksal, hinter dem immer ein Allgemeingültiges aufragen wird. Möge es mir gelingen, das Bild so zu zeichnen, daß vor allen, die seinen Weg kreuzten, dieser edle, tiefe Mensch wieder ersteht. Als Quellen der Arbeit standen mir Bruchstücke seiner Aufzeichnungen über sein Leben zur Verfügung, weiter seine Amtstagebücher, leider nicht in vollständiger Reihe, ein Nachruf von Ministerialrat Ing. Witt, der einen kurzen Lebenslauf von seiner Hand enthält, ferner mündliche Mitteilungen seiner Frau und von Freunden des Toten und eigene Erinnerungen. Die schriftlichen Quellen wurden mir von Frau Hofrat Depiny aus dem Nachlaß zur Verfügung gestellt, wofür ich ihr besonderen Dank schulde. Als Hauptquelle aber steht vor uns sein Werk, das unvergänglich in die Geschichte unserer Heimat eingegangen ist. Eine genaue, kritische Zusammenstellung seiner weitausholenden Heimat- und Volksbildungs¬ arbeit in Oberösterreich mit einer vollständigen Bibliographie, die ursprünglich mein Plan war, muß ich leider auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Es war bei den schwierigen Verhältnissen der Kriegs- und Nachkriegszeit, da Teile des Nachlasses noch nicht verfügbar und andere Nachforschungen erschwert sind, nicht möglich, die Daten für eine derartige Arbeit zusammenzubringen. Ich bin jedem, der Mit¬ teilungen über Zusammenarbeit mit Depiny machen oder Briefe zur Abschrift zur Verfügung stellen kann, sehr dankbar dafür, da gerade Mitteilungen aus dem Mit¬ arbeiterkreis sehr geeignet sein werden, das Bild der Persönlichkeit zu runden. Elternhaus und Familie Adalbert Depiny entstammt einer alten Donauschifferfamilie, die seit dem 18. Jahrhundert zwischen Linz und Budapest nachweisbar ist. Der Name weist wohl auf das italienische Grenzgebiet, die Familie war adelig und führte einen Baum im Wappen (auf der Familiengruft in Budapest eingemeißelt, eine Ab¬ bildung ist leider verschollen). „Von der Tannen" bezeichnete er selbst als die Be¬ deutung des Namens. Der Großvater Johann Depiny, 1842 in Budapest gestorben, war „nauta magister“, die Großmutter Anna Lentz entstammte einer in Budapest altein¬

Oberösterreichische Heimatblätter gesessenen deutschen Familie. Der Vater Franz Depiny gehörte der Donau-Dampf¬ schiffahrtsgesellschaft seit ihrer Gründung an und bekleidete die verantwortungs¬ reiche Stelle eines Hafenkapitäns in Budapest. Er war Ritter des Franz Josef¬ Ordens. Seine zweite Frau Marie Schimandl, in Wien-Nußdorf geboren, war die Tochter des Linzer Obermaschinisten der Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft Anton Schimandl und seiner Frau Esther Bissaker, einer Engländerin aus Birmingham, deren Vater mit seiner Familie nach Österreich gegangen und in die Dienste der DOSG eingetreten war, während ein Bruder als Seeoffizier in England blieb. Adalbert, geboren am 30. August 1883, war das zehnte Kind seines Vaters, aus beiden Ehen waren beim Tode des Vaters 14 Kinder am Leben. Gegenwärtig lebt noch ein jüngerer Bruder Johann als Gesangslehrer in Ungarn, 1919 starb seine letzte Schwester Melanie, die Gattin des Militär¬ intendanten Malczek, in Wien; deren einziger Sohn fiel 1942 im Osten. Alle anderen Geschwister sind jung verstorben, vier zu gleicher Zeit an einer Epidemie. Der Vater war ein hochgewachsener Mann mit auffallend hellen, blauen Augen; die Nachrufe betonen sein Pflichtbewußtsein und seine „engelhafte Güte“. Die Mutter zeigen die Bilder als eine schöne Frau mit sanftem, ruhigem Ge¬ sichtsausdruck, schlank und groß. Sie hatte mit 18 Jahren den um 22 Jahre Alteren geheiratet. Sie lebte zuletzt bei der Tochter Melanie in Wien und starb dort 1918. Die Eltern führten, der leitenden Stellung des Vaters gemäß, ein gastfreies Haus, das der großzügigen Art der Gastfreundschaft der ungarischen Umwelt entsprach. Nur wenige Jahre glücklicher Verwöhnung waren dem Kinde im Elternhaus in Budapest vergönnt. 1889 war auf der Donau ein gefährlicher Eis¬ gang. Bei den Vorkehrungen zur Ablenkung des Eisstoßes, wodurch Ofen gerettet wurde, holte sich der Vater durch seinen aufopfernden persönlichen Einsatz die Todes¬ krankheit. Aus glänzenden Verhältnissen sah sich die Mutter mit der großen Kinder¬ schar in die engen Verhältnisse der auf die kleine Pension angewiesenen Witwe gestürzt. Sorgen und Kämpfe zehrten an ihren Kräften und machten sie zu der müden, stillen Frau, als die der Sohn sie in Erinnerung behielt. Um ihr die Sorgen um die große Familie zu erleichtern, nahm ihr Bruder Johann Schimandl den kleinen Adalbert zu sich, zunächst nach Wien, dann nach Linz. Die Umgangs¬ sprache in der Familie war deutsch, Dienstboten und viele Gäste sprachen ungarisch, so wuchsen die Kinder zweisprachig auf. Als aber im Zug jemand den Kleinen als Ungarn ansprach, wehrte er energisch ab mit dem Hinweis, er sei ein „Schwab“. Jugend, Schulzeit So kam der Knabe aus dem bewegten Leben des Elternhauses mit der Schar der Geschwister als einziges Kind unter lauter Erwachsene. Für das körperliche Wohlergehen sorgte die Tante Amalie reichlich und gewissenhaft, dem Seelenleben des Kindes stand sie ferner. In solchen Nöten war die Großmutter Seidl, die Ziehmutter der Tante und Schwester ihres Vaters, seine Hilfe und Rettung. Großvater Seidl war ein Original, ein leidenschaftlicher Sammler

Khil: Adalbert Depiny und Bücherfreund im Rahmen des damaligen bürgerlichen Bildungsideals: seine Bücherei umfaßte schöngeistige Bücher, viel Naturwissenschaftliches, Forschungs¬ reisen, philosophische Schriften. Trotz Verbotes las der Gymnasiast, was er er¬ reichen konnte, besonders die Philosophen und Jules Verne. Die ersten Schuljahre verlebte er in Wien, dann übersiedelte die Familie nach Linz, wo auch die Mutter ihre Jugend verbracht hatte. Hier besuchte er kurz die Volksschule in Urfahr und dann die Neustädterschule, deren Direktor Hofmann ein Vetter der Mutter war. 1894 —1902 war er am Staatsgym¬ nasium in Linz, das gründliches Wissen und Können vermittelte und forderte und einen guten Kameradschaftsgeist der Schüler pflegte. Hier legte er die Grund¬ lagen für sein späteres philologisches und geschichtliches Studium. Studienzeit 1902 ging er an die Universität Wien. Der Tod der Großmutter Seidl und seiner Lieblingsschwester Margit waren ein bedrückender Auftakt. Auch sonst begann die Studienzeit, die für andere den Weg in Freiheit und fröhliche Un¬ gebundenheit bedeutet, unter schweren Wolken. Familienzwistigkeiten zwangen ihn, sich ganz auf sich selbst zu stellen und den Weg des armen Studenten zu gehen, der sich mit Stundengeben mühselig genug fortbrachte. Zum eigenen Studium blieb ihm gewöhnlich nur die Nacht. Von um so erstaunlicherem Arbeitswillen künden seine weitgespannten Studien: Germanistik, Geschichte, Geographie, Volkskunde; schließlich mußte er sich auf Deutsch, Latein und Griechisch beschränken. Auch das alte Schifferblut regte sich und der Drang in die Weite. Wollte er früher Seeoffizier werden, so drängte es ihn jetzt zur Tief¬ seeforschung. Ein Augenfehler machte dieses Studium unmöglich. Schwere, jahre¬ lange Kämpfe hatte er um seine österreichische Zuständigkeit zu führen, den Dualismus der alten Monarchie verspürte er sehr bitter am eigenen Leib. Unter seinen akademischen Lehrern waren machtvolle Persönlichkeiten, so die Altmeister der Germanistik Minor, Heinzel und Seemüller und der Geograph Penk, ein Gelehrter von Überzeugungskraft und Freund seiner Hörer. Zwei treue Freunde brachten ihm die akademischen Jahre: Karl Emil Blümml, den er als Volkskundler und Kulturhistoriker ungemein hoch schätzte, und Hans Anzengruber, einen Sohn des Dichters, den er in einem Privatgymnasium für die Matura vorbereitete und mit dem er reiche Arbeitspläne schmiedete. Anzengruber starb plötzlich noch vor Beginn des Weltkrieges, Blümml erlag im Jahre 1926 einem Straßenbahnunfall. Damit war schöpferische Zusammenarbeit, die erst ihre Früchte tragen sollte, tragisch abgeschnitten. 1904 rückte er bei den 59ern in der Linzer Wasserkaserne ein, wurde aber nach vier Wochen wieder entlassen. Das Sommersemester 1905 verbrachte er mit Freund Blümml in Tübingen. Er arbeitete an seiner Dissertation über den schwäbischen Dichter Wilhelm Bauer'), *) A. Depiny, Ludwig Bauer. Ein Dichterbild aus Schwaben. Triest 1911.

Oberösterreichische Heimatblätter einen Freund und Verwandten Mörikes; dazu waren Studien am Ort nötig. In der Familie des Dr. Bauer, eines Enkels von Wilhelm Bauer, gewann er treue Freunde. Bauer förderte seine Dissertationsarbeiten und ebnete ihm die Wege, was bei dem exklusiven Geist der Schwaben sehr wertvoll war. Bis in die Zeit des Weltkrieges war er jeden Sommer einige Wochen in Schwaben. Das schwäbische Volkstum und Leben lernte er so von Grund auf kennnen, so daß seine Dissertation selbst von den Schwaben als ausgezeichnet anerkannt wurde, wenn auch ein alter Herr bemerkte, ein Schwabe hätte sie natürlich noch viel besser gemacht. Die Beschäftigung mit Bauer führte ihn weiter ins Elsaß, nach Straßburg und Bischweiler, wo eine Tochter des Dichters als 80jährige lebte. Sie fand, durch seinen Besuch angeregt, auf dem Boden ein Bündel Briefe von Mörike aus der Zeit, da dieser sein Priesteramt niederlegen wollte. Entsetzt über diesen Inhalt, verbrannte die pietistisch angehauchte alte Frau das ganze Paket und beraubte so die Mörike-Forschung einer wertvollen Quelle. In der Univer¬ sitätsbibliothek fanden die beiden Freunde Briefe von Justinus Kerner aus der Zeit seiner beginnenden Erblindung, die sie mit einem kritischen Apparat heraus¬ geben wollten. Die Sache kam ohne ihr Zutun an die Öffentlichkeit, ein anderer gab die Briefe ohne Kommentar heraus und die mühsame Arbeit war umsonst gewesen. Auch einen umfangreichen Jugendroman Waiblingers schrieb Depiny damals mühsam ab, gab ihn dann an Anzengruber zur Herausgabe weiter, er blieb aber trotz aller Bemühungen in dessen Nachlaß verschollen. So schlug schon damals der Zufall ihm manchen Erfolg aus der Hand. Die Bauerforschungen beendete er in Weimar, wo ebenfalls Schriften aus dem Mörike-Kreis lagen. Über Dresden und Prag kehrte er nach Linz zurück, reich an Eindrücken, wie sie ein brav im Kolleg abgesessenes Semester ihm nie in solch lebendiger Fülle hätte geben können. Als Hoffnung für später lag vor ihm eine Professur in Schwaben, zu deren Erreichung ihm Dr. Bauer seine Unterstützung zusagte. 1907 promovierte er und kam als Supplent an das deutsche Gymnasium in Budweis. Hier heiratete er die Schwester eines Gymnasialmitschülers, Maria Staub. Zu seinem größten Leidwesen blieb der Ehe der Kindersegen versagt. Später nahm er das Kind eines Arbeitslosen in sein Haus. Lehrerjahre 1907/08 begann er seine Lehrerjahre in Budweis. In seinen Böhmerwald buben und auf Wanderungen lernte er Land und Leute in ihrem Grenzlandkampf kennen. Im Herbst 1908 sollte er nach Bregenz gehen, das ihm wegen der Nähe seiner schwäbischen Freunde und für seine schwäbischen Pläne sehr gelegen ge¬ wesen wäre. Ehe er noch hinfuhr, erhielt er vom Ministerium die Aufforderung, die Stelle anzutreten, aber mit einem Kollegen in Görz zu tauschen. Es wurde ihm zugesagt, daß er bald nach Wien versetzt würde, um seine Habilitationspläne verwirklichen zu können. Im November 1908 ging er nach Görz. Seine „Sonnen¬ jahre" nennt er selbst diese Zeit. Das Leben schien auch sonnig vor ihm zu liegen:

Khil: Adalbert Depiny reiche Arbeit, die vor allem der Habilitationsschrift galt, reiche Arbeitspläne mit den Freunden, die Wege in Wien so weit geebnet, daß die Verwirklichung seiner Habilitation nur eine Frage kurzer Zeit schien. Der Dienst an der deutschen Realschule in Görz war freilich nicht leicht. Die Mehrzahl der Schüler waren Nichtdeutsche, der Nationalitätenstreit zwischen Slo¬ wenen, Italienern, Friaulern und Deutschen in höchster Blüte — ruhige Schul¬ jahre waren es nicht, sie forderten den ganzen Takt des Lehrers. Aber die feste Gemeinschaft der deutschen Lehrer, die manch wertvolle Freundschaft einbrachte, die Schönheit der südlichen Landschaft, ein schönes Heim und vor allem die voller Tatkraft begonnene Forschungsarbeit machten diese Zeit wertvoll und ließen den jungen Lehrer reiche Erfahrungen sammeln. Er erkannte, was ihm schon in Schwaben in Bezug auf den Dichter klar geworden war, daß die Menschen nur aus ihrer Landschaft und volkstümlichen Umgebung heraus voll zu verstehen sind. Seine volkskundlichen Studien halfen gerade bei der schwierigen Behandlung der fremdsprachigen Schüler, denen er eben aus der Kenntnis ihres Volkstums heraus nahezukommen suchte. Dies und seine unbestechliche Gerechtigkeit erwarben ihm die Achtung der Schüler, sodaß er, im Gegensatz zu anderen, keine disziplinärer Schwierigkeiten fand. Umso tragischer war das Ende. Zunächst konnte er trotz glänzender Qualifikation die Versetzung von Görz nicht erreichen. Der Direktor, dem er als Direktionsadjunkt alle Arbeit machen mußte, wodurch er auch mitten ins Getriebe der nationalen Streitigkeiten kam, wollte seine Arbeitskraft nicht verlieren und fügte der Qualifikation, die er ihm vorgelegt hatte, heimlich den Zusatz „lungenkrank, braucht den Süden“" bei. Als Depiny davon Nachricht erhielt, konnte er durch ein amtsärztliches Zeugnis den Gegenbeweis erbringen, der Direktor wurde pensioniert. Aber die Versetzung nach Wien war hintertrieben. Inzwischen brach der Weltkrieg aus. Depiny hatte sich gleich zu Beginn freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet, war aber nicht angenommen worden. Bei der schwankenden Haltung Italiens lag Görz an gefährdetster Stelle. Die Amtsstellen versicherten noch wenige Tage vor der italienischen Kriegser¬ klärung, es komme nicht zum Krieg mit Italien, die Beamten sollten nichts von ihren Sachen wegbringen. Mit dem letzten Zug, der nach Norden fuhr, verließ Depiny die Stadt unter Zurücklassung seiner ganzen Habe, von der er nach dem Krieg nur mehr wenig wiederfand. Seine wertvolle Bücherei war verloren. Aber das Schicksal traf ihn noch härter. Er hatte in acht Jahren mühevoller Sammel¬ arbeit in einem Zettelkatalog die Vorbedingungen geschaffen für seine Habilita¬ tionsschrift über die Entwicklung des deutschen religiösen Schauspiels aus den lateinischen Spielen des Mittelalters. Diesen Zettelkatalog schickte er nach Linz die Kiste zerbrach und nur wertlose Reste der mühseligen Arbeit kamen in seine Hände. Damit waren auch seine Habilitationspläne gescheitert. Er scheint später, 1920, noch einmal daran gedacht zu haben, diese Arbeit wieder aufzunehmen, als er von einigen Schülerinnen die Reime alter Volksschauspiele verzetteln ließ. Durch seine Berufung zum Volksbildungsreferenten und andere Hindernisse wurde

Oberösterreichische Heimatblätter auch diese Arbeit eingestellt und der Traum der akademischen Lehr- und For¬ schungstätigkeit für immer begraben. Eine andere Arbeit, die Einleitung zu den Nikolausspielen aus Tirol2), lag in der Druckerei, die durch einen Granattreffer ausbrannte — so war auch diese Arbeit zerstört. Die Forschungsarbeit von acht Jahren war mit einem Schlage vernichtet. 1915 kam Depiny nach kurzer Militärdienstzeit in Wien und einigen Wochen Schuldienst an der Realschule in Laibach an das Staatsgymnasium in Linz, wo er bis 1918 wirkte. 1918 verstand sich die österreichische Regierung endlich dazu, den alten Wunsch der Friauler nach deutschen Schulen und einer Ordnung des Schulwesens zu verwirklichen. Depiny wurde nach Görz gerufen, um an der Einigung des friaulischen Schulwesens aufbauend mitzuarbeiten. Er fand die zerstörte Stadt, die er bald wieder verließ - es war für diese Arbeit zu spät geworden, der Zusammenbruch war gekommen. Die reichste Entfaltung seines Lehrerlebens fand Depiny durch die Berufung an die Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt in Linz, an der er 1918—1924 als Deutschlehrer wirkte. Mit besonderer Bewilligung des Landesschulinspektors konnte er seinen neuen Weg in der Gestaltung des Deutschunterrichtes erproben. Deutsch¬ unterricht war ihm Erziehung zu Volkstum und Heimat. Dieses Ziel der Erfassung von Geist und Seele unseres Volkes aus allen seinen Lebensäußerungen, besonders aber aus dem Bild der Sprache heraus, stand warm und hell über allem. Die Sprachlehre wurde zu freudiger Erkenntnis der Schönheit und Klarheit unserer Muttersprache, ihre Weite und Tiefe erschloß sich, in der geschichtlichen Betrachtung bekam jede Wendung ihren tiefen Sinn. Wir stiegen hinab bis zu den althoch¬ deutschen Quellen, der weite Kreis der Mundarten tat sich auf. Und ob wir in ehrfürchtiger Ergriffenheit die Werke hoher Dichtkunst betrachteten — Faust I und II, Wallenstein, das Nibelungenlied, Parzival, die letzten im Urtext, wurden in freiwilligen Stunden außerhalb des Unterrichtes gelesen — ob wir dem Volks¬ lied lauschten, dem Sinn der Märchen nachforschten oder der lebendigen Volks¬ überlieferung nachgingen, immer empfanden wir sie als Ausdruck der Seele unseres Volkes. Die Geschichte spielte herein, Kunst und Kulturgeschichte zog er heran, die Volkskunde als umfassende Kunde vom Volk stand hinter allem. Wanderungen ergänzten, was in der Schulstube angeregt worden war. Und seine Methode? Er schöpfte aus der reichen Fülle seines tiefen und er¬ lebten Wissens und Könnens, nie gab es einen Leerlauf, das zwang uns hohe Achtung ab und weckte unsern Arbeitseifer. Er überwand durch sein verstehendes Eingehen auf unsere Gedankenwelt und seine strenge Gerechtigkeit viele Klippen, das sicherte ihm unser Vertrauen. Er behandelte uns als ernst zu nehmende Menschen, das gewann ihm unsere Liebe. In der Erziehung zwang er niemals seine Meinung auf; aber er stand mit dem ganzen Einsatz seiner edlen Persön¬ lichkeit hinter jedem Wort, hinter jeder Forderung, das ließ uns freiwillig tun, was er von uns erwartete. So wurden für alle, die das Glück hatten, unter seiner 2) Nikolausspiele aus Tirol. Görz 1912 (1. Teil), 1913 (2. Teil).

Khil: Adalbert Depiny Führung zu stehen, diese Jahre zu einer unvergeßlichen Zeit dankbaren Auf¬ nehmens und ernsten Strebens. Die Freude an der Heimat und den Willen, ihr selbstlos und treu zu dienen, hat er seinen Schülern als wertvolles Erbe und unverlierbaren Besitz geschenkt. Ich spreche wohl im Namen aller seiner Schüler, die ihn verstanden haben, wenn ich ihm noch ins Grab ihren Dank nachrufe. Es war die Zeit nach dem ersten Weltkrieg, da die politischen Wogen auch in den Schulen hochgingen. Von Klassengemeinschaft war wenig mehr zu spüren, der Parteienhader machte auch vor der Schulstube nicht halt. Da war es wieder Depiny, der den Weg heraus fand. Wir gründeten unter seiner Führung eine Schulgemeinde. Sie wurde bei uns ernst genommen und schuf in uns ein Ge¬ meinschaftsgefühl, das seine verbindende Kraft über Jahre der Trennung und verschiedene Meinungen hinaus bewahrt hat. Das danken wir unserem „Jahr¬ gangsvater“, der uns in allen Nöten des Schullebens treulich beigestanden und immer unsere Sache verfochten hat. Er spannte uns aber auch tüchtig zur Arbeit ein, und wir haben mit dem ganzen Eifer begeisterter Jugend volkskundlich ge¬ sammelt, abgeschrieben, verzettelt, freiwillige Stunden gehalten, Arbeitsgemein¬ schaften gepflegt, unsere kleinen Feste würdig gestaltet und öffentliche Abende gegeben. Er gründete mit uns eine Mädchenortsgruppe des oberösterreichischen Heimatvereines, der bald andere Ortsgruppen folgten. Wir schmiedeten Pläne für die Zukunftsarbeit, von denen freilich das Leben die reichste Blüte verkümmern ließ. Es traf uns wie ein Schlag, als er uns sagte, er käme von der Schule weg. So jung wir waren, wir hatten erkannt, daß er damit einer Arbeit entfremdet würde, die seinem Wesen am tiefsten entsprach und ihm die reinste Befriedigung geben konnte. Er hat auch später seine Lehrerjahre als die glücklichsten seines Lebens empfunden. Die „Heimatgaue" 1919 begründete er seine „Heimatgaue“3), die wir stolz fast als unser empfanden, da er, wie er später erzählte, den Namen bei einer Wanderung mit uns auf den Höhen von Kirchschlag gefunden hatte. Es brauchte Mut, Opferwillen und einen starken Glauben an die Werte unserer Heimat, in den Jahren des Zusammenbruches nach dem ersten Weltkrieg den Gedanken einer Heimatzeit¬ schrift zu verwirklichen. Vielen Anfechtungen, Neid und Mißgunst hatte er zu begegnen, mehr als einmal schien ein Weiterführen der Zeitschrift unmöglich. Man riet ihm, von streng wissenschaftlicher Sachlichkeit abzugehen und eine „volks¬ tümliche“ Zeitschrift daraus zu machen. Er hielt an seiner Linie fest und die Heimatforschung dankt es ihm. In seiner Einleitung „Wege und Ziele“ gab Depiny einen Überblick über den Stand der heimat- und volkskundlichen For¬ schung in Oberösterreich und legte die Aufgaben dar, die die Zeitschrift zu erfüllen hatte. Schon damals forderte er heimatkundliche Ausbildung der Lehrer, die er sich als Lehrer so angelegen sein ließ, und die, ähnlich wie die auf seine Anregung 3) Heimatgaue. Zeitschrift für oberösterreichische Geschichte, Landes- und Volkskunde. Herausgegeben von Dr. Adalbert Depiny. 18 Jahrgänge. Linz 1920—38.

Oberöstereichische Heimatblätter durchgeführte volkskundliche Schulung im Priesterseminar, bis heute im Lande zu spüren ist und auf der wohl anknüpfend aufgebaut werden kann. Bringen die Abhandlungen der „Heimatgaue“ gesicherte Forschungsergebnisse, so bieten die „Bausteine zur Heimatkunde“ das Sammelgut der Mitarbeiter. In dem Teil „Heimatbewegung in den Gauen“ wird von der Entwicklung der Heimat¬ vereinigungen berichtet, die „kleinen Mitteilungen“ erzählen von heimatkundlich bedeutenden Tagesereignissen. Die Bücherbesprechungen geben neben der Be¬ sprechung von Neuerscheinungen Übersichten über die oberösterreichische Geschichts¬ literatur, über die Dichtung. Gedenkblätter geben der biographischen Forschung Raum. Eine eigene Abteilung „Heimat und Schule“, die geplant war, kam leider nicht zur Ausführung. Riefen die „Heimatgaue“ anfangs immer wieder zur Auf¬ sammlung volkskundlichen Gutes auf, so konnten die späteren Jahrgänge in imme steigendem Maße dieses Material bereits verarbeiten. Zahlreiche Aufsätze ver öffentlichte Depiny in der Zeitschrift, von denen besonders die Herausgabe von Baumgartens grundlegendem Werk „Das Jahr und seine Tage“4) und die Ab¬ handlungen über Sitte und Brauch hervorragen. So bilden die 18 Jahrgänge der Zeitschrift, deren Erscheinen 1938 eingestellt wurde, die reichste Fundgrube für alle Gebiete der oberösterreichischen Volks- und Landeskunde und der Heimatpflege. Die Zeitschrift wurde zu einem Mittelpunkt der Heimatforschung im Lande und stellt ihren Begründer für alle Zeit unter die führenden Gestalten unserer Heimatbewegung. Der Volksbildner 1920 wurden die Volksbildungsreferate begründet und Depiny zunächst mit Dr. Gärtner zum Volksbildungsreferenten in Oberösterreich bestellt; seit 1924 führte er das Amt allein. Nur schwer und ungern hatte er sich entschlossen, es zu übernehmen. Er fühlte die Verpflichtung, dem breiteren Wirkungskreis und der Möglichkeit ausgedehnterer Heimatarbeit das seinem Wesen so ganz entsprechende Wirken als Lehrer in der engen persönlichen Gemeinschaft des Schullebens zu opfern. Der umfassende Arbeitskreis dieses Amtes läßt sich nur andeutungs¬ weise anführen. Durchgeistige Heimaterziehung als wertvoller Lebensinhalt, die in Liebe an die Heimat bindet, aber aus der Kenntnis des eigenen Volkstums heraus auch fremdes Volkstum achten lehrt und immer aus der Enge in die Weite führt, war ihm Volksbildungsarbeit im höchsten und tiefsten Sinn. Auf diesen Grund gedanken fußend, wollte er in seinem Amt einen Sammelpunkt aller volksbildneri¬ schen und heimatkundlichen Arbeit in Oberösterreich schaffen. So entwickelte sich allmählich in unermüdlicher, aufopfernder Arbeit aus der bescheidenen Amts¬ stelle eine das ganze Land umfassende Arbeitsgemeinschaft, die alle Volkskreise einbezog. In Volksbildungskursen und im Ausbau des Vortragswesens trug er seine Gedanken hinaus ins Land, das Büchereiwesen wurde auf moderne Grund¬ lagen gestellt, Arbeitsgemeinschaften über Heimatkunde und Heimatpflege be¬ *) Heimatgaue, Jahrgang 7 (1926).

Khil: Adalbert Depiny gründet, der Anlage eines reichen Lichtbildarchivs und seiner Auswertung großes Augenmerk zugewandt. Umfassende Sammlungen wurden angelegt und der Ver¬ wertung zugänglich gemacht. In der Förderung und Neugründung von Heimat¬ vereinigungen suchte er überall im Lande Mittelpunkte für volksbildnerische Arbeit zu schaffen, die durch Ausstellungen und Heimatabende ergänzt wurden. Besonders am Herzen lag ihm die Veredelung der Feiern, die er aus dem hergebrachten, dem Ungeist des 19. Jahrhunderts entstammenden seichten Unterhaltungsbetrieb herausführen und in tiefere, wahre Freude spendende Bahnen leiten wollte. Dem Laienspiel legte er besondere Bedeutung bei. Schon 1920 begann er mit Schülern alte Volksschauspiele und Hans Sachs aufzuführen. Aus diesem Kreis erwuchs ihm seine Spielschar, mit der er in den Zwanzigerjahren das ganze Land durch¬ wanderte. Auch in Schulen wurde von seinen Schülern besonders das Weih¬ nachtsspiel gepflegt. Der Totentanz, das Jungfrauenspiel machten als Freilicht¬ spiele tiefen Eindruck. Hier galt es ihm vor allem, vom Theaterspielen für andere wegzukommen und zu einem Spieler und Hörer in eine Gemeinschaft zwingenden Erlebnis zu führen. In den Lackener Spielen und im Ottensheimer Nibelungen¬ spiels), in dem er das alte Lied in eine der Gegenwart zugängliche Fassung bringen wollte, erfuhr die Laienspielbewegung einen Höhepunkt. Das Stände¬ spiel“) und das St. Wolfganger Spiel7) fielen dagegen ab. Wenn auch eine schöpferische Begabung in ihm lebte, zum dramatischen Dichter eignete er sich nicht Über seine Amtsstelle konnte er auch Volksbildungskurse an allen Lehrer¬ bildungsanstalten, am Priesterseminar und bei Gendarmeriebeamten durchführen und so sich einen Grundstock von Mitarbeitern erziehen, der, über das ganze Land verstreut, seine Gedanken der Heimatbildung in die Tat umsetzte. Als Obmann führte er seit 1928 den oberösterreichischen Heimatverein, der in Heimatschutz, Naturschutz und Denkmalpflege einen weiten Arbeitsbereich betreute und durch Vorträge und besonders durch Ausstellungen auch in die Öffentlichkeit wirkte. Ich erinnere an das Brucknerkonzert 1930 und an die Krippenausstellungen, die Lebzelterausstellung und die große Trachtenausstellung des Jahres 1935, die der Trachtenforschung wertvolle Anregungen gab und in breiten Kreisen den Sinn für volksechte Tracht weckte. Trachtenkurse schlossen sich an, Goldhaubengrupper wurden gegründet. Der Zusammenschluß der Mittelschuljugend in Jugendorts gruppen des Heimatvereines wurde schon erwähnt. Auf seine Anregung gingen die heimatkundlichen Vorträge im Sender Linz zurück, wo er oftmals sprach. sollte in volkstümlicher, In der Sendereihe „Der oberösterreichische Lebensraum aber doch auf streng wissenschaftlicher Grundlage beruhender Form der weite Hörerkreis mit Land und Leuten und ihrer Überlieferung bekannt gemacht werden. Das Amt wurde auch der Mittelpunkt der Sammelarbeit für den „Atlas der deutschen Volkskunde“, dessen Landesleiter für Oberösterreich Depiny war. 5) Die Nibelungen. Ein Spiel aus Österreich. Linz 1934. 6) Ein Ständespiel. Linz 1934. 7) St. Wolfganger Heimatspiel. St. Wolfgang 1937. 11

Oberösterreichische Heimatblätter Hinter dieser trockenen Aufzählung verbirgt sich eine Arbeitslast, die er einem langjährigen Kopfleiden förmlich abringen mußte. Es ist erschütternd, in den Amtstagebüchern neben den Eintragungen der zahlreichen Besprechungen, Vor¬ träge, Dienstreisen, Sitzungen, Kurse usw. immer wieder die lakonische Bemerkung „Kopfweh“ zu lesen, oft tagelang hintereinander. Sich endlich einmal gründliche Erholung zu gönnen, dazu nahm er sich nie Zeit. Entspannung und Anregung bedeuteten ihm die Reisen zu eigener Fortbildung, zu volksbildnerischen und Volks¬ kundetagungen nach Wien, Bonn, Leipzig, Berlin, Dresden, Würzburg und die verschiedenen Tagungen in Hubertendorf und St. Martin bei Graz u. ä. In den letzten Jahren seiner Amtstätigkeit mußte er von amtswegen auch das Kulturwerk der Vaterländischen Front „Neues Leben“ übernehmen. Um eine Mehrgeleisigkeit der kulturellen Arbeit in Oberösterreich zu verhindern, opferte er diesem Werk viel Zeit und stellte seine Forscherarbeit zurück. Im Jahre 1938 wurde sein Amt unter besonders harten Umständen auf¬ gelöst. Durch Übergriffe unkontrollierter Elemente wurde er verhaftet und in un¬ würdiger Form behandelt. Seine Amtsräume wurden ihm verschlossen, Teile des Volkskundearchivs verbrannt, die mühselige Aufbauarbeit langer Jahre, sein Lebens¬ werk, schien zerstört und abgeschnitten, zumal ihm weitere wissenschaftlicher Ver¬ öffentlichungen nur unter größten Schwierigkeiten gestattet wurden; die „Heimat¬ gaue“ wurden ihm entzogen. Er wurde pensioniert und konnte seine Reaktivierung nicht erreichen, trotzdem ihm Genugtuung zugesagt worden war. Diesen Schlag konnte er nicht überwinden. 1939 fand er im Amt des Gaukonservators ein neues Arbeitsheim. Er arbeitete an der Bauernhausaufnahme und führte die Glockenaktion durch. Ihr galt seine letzte Arbeit, sein letztes Wort. Am 19. Dezember 1941 nahm ihn ein rascher Tod hinweg. Der Forscher Als Depiny sich der Volkskunde verschrieb, hatte sie noch um ihre Anerken¬ nung als Wissenschaft zu ringen. Sie hatte ihren Stoff noch nicht bereitgestellt und ging den Anfangsweg jeder Wissenschaft, der Sammeln heißt. In ruhiger Sachlichkeit und ungemein genauer wissenschaftlicher Gründlichkeit schuf Depiny sich die Grundlagen seiner Gelehrtenarbeit und erzog er seine Mitarbeiter. Die Forschung war ihm nicht Selbstzweck, er suchte immer die Verbindung zum tätigen Leben. Er war kein Konservator, der das Überlieferte um jeden Preis festhalten wollte oder am Alten hing, bloß weil es alt war, aber einer, der das lebenskräftig Wertvolle erhalten und herüberführen wollte in die Entwicklung einer neuen Zeit, die allzusehr der Gefahr ausgesetzt ist, über ihre kulturellen Grundlagen hinweg¬ zugehen und den Boden unter den Füßen zu verlieren. Sammeln hieß für ihn ein Stück lebendigen Volkstums aufnehmen und über seine Erkenntnis zur Heimat¬ liebe zu führen. So ist, was er schrieb, heute so zeitgemäß wie nach dem ersten Weltkrieg, ja, in manchem noch lebendiger, weil die Gefahr inzwischen größer geworden ist.

Khil: Adalbert Depiny Sein Sagenbuchs), bedeutend für die Wissenschaft wie für den Heimatfreund, vor allem, weil es keine tote Sammlung ist, sondern das noch lebendige Sagengut stark hervorhebt und einen Querschnitt aus der Gegenwart zeigt, stellt sich den besten Sagenbüchern anderer Länder an die Seite. Leider ist der Ergänzungs¬ band, den er mit Dr. Alfred Webinger-Graz herausgeben und der den wissen¬ schaftlich-kritischen Kommentar bringen sollte, nicht mehr erschienen. Einiges Material dazu ruht in seinem Nachlaß. Einen zusammenfassenden Überblick über die Volkskunde von Oberösterreich von seiner Hand enthält Haberlandts Werk über Österreich*), eine Volkskunde des Mühlviertels das Werk E. Stepans1o), Teile des Nachlasses von Baumgarken gab er in den „Heimatgauen“ heraus*), die Abschrift der nachgelassenen Schriften Baumgartens hatte ihn und einen Mit¬ arbeiterkreis jahrelang beschäftigt. In der zur Hundertjahrfeier des Musealver¬ eines erschienenen Arbeit „Das oberösterreichische Landesmuseum und die Volks¬ kunde"1) gibt er einen Überblick über die Entwicklung der Volkskunde als Wissen¬ schaft in Oberösterreich. Seine letzte Arbeit war die Volkskunde des Bezirkes Kirchdorf an der Krems"2). Das Material für den Volkskundeatlas, das er durch Fragen für Sondergebiete der Landesforschung ergänzte, liegt im Linzer Museum. In lebenslanger Arbeit legte er eine Sammlung von Grabversen an. Seine Bücherei umfaßt den ganzen Bereich der Volkskunde, besonders einen wertvollen Schatz an Zeitschriften und eine geschlossene Sagenbibliothek, wie sie weitum nicht zu finden ist. Es wäre wünschenswert, daß diese Büchersammlung möglichst bald der volkskundlichen Forschung zugänglich gemacht werde. In Anerkennung seiner Forschungsarbeit wurde Depiny Konservator für Volkskunde der Zentralstelle für Denkmalschutz, Landesleiter für den „Atlas der deutschen Volkskunde“, Korrespondent des Bundesdenkmalamtes, Mitglied des Uraniaverbandes. Die „Heimatgaue“ trugen seinen Namen weit über die Grenzen des Landes, die Zeitschrift fand große Wertschätzung. Zahlreiche Aufsätze und Abhandlungen veröffentlichte Depiny in verschiedenen Zeitschriften und Schulprogrammen. Wir müssen es aufs tiefste bedauern, daß er den Abschluß und die Krönung seines wissenschaftlichen Werks sich nicht mehr abringen konnte, eine zusammen¬ fassende oberösterreichische Volkskunde, vor allem aber das Werk über Sitte und Brauch, an dem er in seinen letzten Lebensjahren arbeitete und das er nach Be¬ endigung der Glockenaktion vollenden wollte. Der Tod hat ihn daran gehindert und uns der reifsten Frucht seiner Gelehrtenarbeit beraubt. Denn sein umfassend tiefgründiges Wissen gerade auf diesem schwierigen Gebiet der Volkskunde ist nicht leicht zu ersetzen. 8) Oberösterreichisches Sagenbuch. Herausgegeben von Dr. Adalbert Depiny. Linz 1932. *) Volkskunde von Oberösterreich, in: M. Haberlandt, Österreich, sein Land und Volk und seine Kultur. Wien—Weimar 1927. 10) E. Stepan, Unteres Mühlviertel, Band 2: Volkskunde. Wien 1931. 1) Jahrbuch des oberösterreichischen Musealvereines, Band 85. Linz 1933. 12) Volkskundliches aus dem politischen Bezirk Kirchdorf a. d. Krems. Linz 1939.

Oberösterreichische Heimatblätter Der Mensch Wir haben das Werk betrachtet und wollen uns das Bild des Menschen noch einmal vor Augen stellen: den durchgeistigten, früh ergrauten Gelehrtenkopf mit den warmen blauen Augen und dem gütigen Ausdruck. Ein Mensch, der Ver¬ trauen gab und errang. Eine feine Seele, die einem harten Geschick manchmal zu wehrlos gegenüberstand. Ein tiefer Denker, der in allen Fragen nach Klarheit rang und sie aus dem Wesen der Dinge zu erforschen suchte. Eine tief religiöse Natur, die das Licht über dem Alltag sah und ihm zustrebte. Voll unermüdlichen Forschungstriebes, voll Opfersinn und stets hilfsbereit. Ein pflichtbewußter Arbeiter, der seinen reichen Geist und sein tiefes Wissen nur allzusehr unter be¬ scheidener Zurückhaltung verbarg, aber doch vom Gefühl seines Wertes durch¬ drungen war — ein edler Mensch. Stifters Andacht zum Kleinen lebte in ihm und auch sonst läßt sich manche Ähnlichkeit in Schicksal und Wesen mit unserem großen Dichter finden. Oft wurde er mißverstanden, da seine stille, verschlossene Art ihm zum Hemmnis wurde. Zu oft hatte das Leben ihn enttäuscht, als daß er sich ihm noch so frei und voll hin¬ geben konnte. Wich aber der Druck von ihm, so konnte er auftauen zu einem köstlich feinen Humor, den man dem stillen Gelehrten kaum zugetraut hätte und der wohl auch in Ironie umschlagen konnte. „Dieses feine Gelehrtengesicht ist wie ein kostbares, einmaliges Kunstwerk aus einer Zeit, deren Schönheit nie mehr wiederkehren wird, nie mehr wiederkehren kann", mit diesen Worten hat ein feinsinniger Mensch den Eindruck seiner Be¬ gegnung mit Depiny geschildert. Wir wollen hoffen, daß wir nach Überwindung aller Schrecknisse dennoch einer Zeit entgegengehen, die wieder die Werte der Seele ergründet und in ihnen Genesung findet. Ein Wegbereiter solcher Entwicklung war Adalbert Depiny. Alle Unbill des Lebens konnte ihn nicht brechen, immer war ihm gewiß, daß über allem Menschenleben und Menschenleid das große Leuchten einer Idee steht, dem er zustrebte und das ihm auch die dunkelsten Stunden noch tröstlich erhellte. Es verdichtete sich ihm zu dem einfachen und tiefen Wort: Heimatliebe! 14 Martha Khil (Linz)

Hoffmann: Österreich und das Land ob der Enns Österreich und das Land ob der Enns Von Dr. Alfred Hoffmann (Linz) Die Tatsache, daß in den großen weltpolitischen Spannungen der Gegenwart sich unser Vaterland Österreich als Bebenherd und „Drehscheibe Europas“ erweist, zeigt uns zu unserem Leidwesen, daß die Geborgenheit, an die unsere Väter und Vorväter-Generationen seit dem Wiener Kongreß des Jahres 1815 gewöhnt waren und die begreiflicherweise jetzt als der ideale Zustand eines „goldenen Zeitalters' erscheint, keine von der Natur gegebene Selbstverständlichkeit ist. Wir hatten zwar mit Recht die österreichische Geschichtsbetrachtung auf die geopolitische Kraft, die von dem Raume um Wien ausging und zur Entstehung der großen Donau¬ monarchie führte, eingestellt; denn diese Entwicklung machte Österreich zum Aus¬ gangs- und Mittelpunkt einer Großmacht und damit zum aktiven Gestalter in der europäischen und Weltpolitik und es konnte so die Gefahr rein passiven Erdulden müssens der von anderen Mächten und ihren Bestrebungen ausgehenden An sprüche auf unser Land stets wieder erfolgreich abgewehrt, wenn nicht ganz be¬ seitigt werden. Bei richtigem Zusehen zeigt uns aber die Geschichte in gleicher Weise, daß sich an der schicksalhaften Lage Österreichs immer wieder auch Über schneidungen politischer Kräfte mit umgekehrter, zentrifugaler Wirkung geltend machten, die manchmal auch die Existenz unseres Staates in Frage stellten. Aufgabe dieser kleinen Abhandlung soll es sein, den geschichtlichen Wechsel der Kräfteverhältnisse und seine Auswirkungen auf das Schicksal unseres Heimat¬ bodens und seiner Bevölkerung in großen Zügen zu verfolgen. Dabei wollen wir die besondere Nolle, welche unser Oberösterreich für den österreichischen Staat in seiner jeweiligen Verfassung einnahm, zu erkennen suchen. Auch hier werden uns die bitteren Erfahrungen der Gegenwart mit ihrer Vierteilung des kleinen Österreich dazu helfen, die Zusammensetzung und Eigenheiten seiner ein¬ zelnen Länder in einer neuen Sicht zu erfassen. So interessant und ergiebig es wäre, schon für die vorgeschichtliche Zeit die Wandlungen der Völker und Kul¬ turen auf dem Boden Oberösterreichs zu verfolgen, da sich schon in dieser frühesten Zeit die zwei geopolitischen Haupttatsachen, nämlich die Überschneidung und der Zusammenstoß großer Kulturen, dann aber auch die in diesem Mittelraume immer wieder zutage tretende eigenartige und selbständige Formung kulturellen und staat¬ lichen Lebens deutlich zeigen, so wollen wir uns doch auf die historische Zeit, vor allem seit dem Bestehen des österreichischen Staates, beschränken. Das erste staatliche Gebilde auf dem Boden des heutigen Österreich fällt freilich noch in die „halbgeschichtliche“ Zeit, nämlich das von den um 400 vor Christus eingewanderten Kelten errichtete Königreich Norikum. Norikum stand 15

Oberösterreichische Heimatblätter vorerst in einem Bündnisverhältnis mit Rom und wurde im Jahre 15 vor Christus kampflos unter Beibehaltung seiner eigenen Könige in das römische Weltreich einbezogen; sein Umfang deckte sich ungefähr mit dem heutigen südlich der Donau gelegenen Österreich (ohne Tirol und Vorarlberg). Die Orientierung nach dem weit im Süden gelegenen Mittelpunkt hatte ein Abreißen der Verbindung mit dem nördlich der Donau gelegenen Gebiete, das von stammesgleichen Bewohnern be¬ siedelt war, zur Folge; erst nach dem Zusammenbruch des Donaureiches kam der näturgegebene Zusammenschluß des zum Donaustrom strebenden Berglandes (Mühlviertel) wieder zur Geltung. Das politische Zentrum Norikums lag vorerst hinter dem schützenden Hauptkamm der Alpen in Steiermark oder Kärnten (Noreia) und verschob sich erst seit den Kämpfen mit den nördlich der Donau sitzenden Markomannen (160 —180 n. Ch.) und den von Westen her drängenden Alemannen (213 n. Ch.) in das Donauland nördlich der Alpen nach Enns (Laureacum) und Wels (Ovilavis). Die einschneidende Reichsreform, durch die das schon sinkende Riesenreich von Kaiser Diocletian (284 —305 n. Ch.) neu gekräftigt wurde, war von einer Verwaltungseinteilung begleitet. deren Nachwirkungen sich über die Stürme der Völkerwanderung hinweg bis in das Mittelalter herüber erhielten, ja in gewissem Sinne sogar bis in die Gegenwart ausstrahlen. Norikum wurde damals nicht bloß in einen südlich der Alpen gelegenen Binnen- und nördlichen Uferbezirk zerlegt, sondern dieser auch noch durch die Enns in zwei Teile gegliedert. Da im Westen der Inn (früher der Hausruck?) die Grenze gegen Raetien bildete, ist mit Aus¬ nahme des nördlich der Donau gelegenen Mühlviertels (von dem übrigens ein schmaler Grenzsaum ebenfalls von den Römern zum Ausbau von Brückenköpfen besetzt gehalten wurde) Oberösterreich in seinem heutigen Umfange bereits in der Römerzeit vorgezeichnet. Der sichere strategische Blick der Römer für die naturgegebene Hauptver¬ kehrslinien des Landes zeigt sich in der Anlage seiner technisch vollendet gebauten Reichsstraßen, die von Osten nach Westen von der Enns bis Passau bzw. Salz¬ burg und gegen Süden über den Pyhrnpaß führten. Schon im römischen Ufer¬ Norikum zeigt sich aber auch der immer wiederkehrende Zusammenhang mit dem ebenfalls am großen Donaustrom ausgerichteten Gebiete unter der Enns, sowie die Anziehungskraft des Raumes von Wien, der die Verbindung zu den Tief¬ ebenen im Osten bildet. Übrigens wäre es ein Irrtum, anzunehmen, daß das römische Norikum bloß einseitig nach Süden orientiert gewesen wäre; seine kirch¬ liche Zugehörigkeit zu dem in Pannonien gelegenen Sirmium (Mitrowitza) zeigt uns, daß der österreichische Donauraum schon damals in engem Zusammenhang mit der ungarischen Tiefebene stand, also neben der Nord-Süd-Richtung auch die West-Ostlinie ihre naturbestimmte Kraft zeigte. Beim Zusammenbruch des Nömerreiches trafen sich — ähnlich wie 1945 — die Heere der von Ost und West heranstürmenden Germanenstämme an der Enns. Nach der Unterwerfung der Alemannen durch die Franken um 500 blieb das Gebiet 16

Hoffmann: Österreich und das Land ob der Enns Die römischen Provinzen (insbesonders Noricum) auf dem Boden des heutigen Österreichs. Castra Regina Pu n e Aug, Bojodurumud Augusta Windelicum Vindobona . VN Bedaium ue NORKC Saberie NNINNBINNEN grnn eneons NORICU mm e e. ebio. eeg NR A Aoulesac s ADRIAS Welser Stadtbezirk ---- Römerstrassen znn, Grerize des heutigen Österreichs. Alpenkamm westlich dieses Flusses ununterbrochen im Verbande mit der jeweiligen Herrschaft in Mitteleuropa, während Niederösterreich erst ein halbes Jahrtausend später endgültig dem westlichen Abendlande gewonnen wurde. Um 550 machte sich der baierische Stamm im ganzen Donaulande vom Wiener¬ walde bis über Regensburg hinauf seßhaft und übernahm so das Erbe des alten Norikum, nach dem er bisweilen auch sein Land benannte. Wir müssen uns, wenn wir an das alte Stammesherzogtum Baiern denken, von der Vorstellung des heutigen Staates Bayern, der seine derzeitigen Grenzen erst unter Napoleon erhielt, freimachen; dann werden wir erkennen, daß ursprünglich sein natürlicher Schwerpunkt in Österreich lag. So ist es auch erklärlich, daß in Anknüpfung an die spätrömische staatliche und kirchliche Verwaltungseinteilung, derzufolge die Stadt Lorch-Enns auch der Sitz eines christlichen Bischofs war, dieser Ort noch bis zum Einbruche der Awaren um 700 eine führende Stellung einnahm. Seitdem bildete die Enns die östliche Grenze des baierischen Stammes, der zeitweise sogar hinter die Traun zurückweichen mußte. Das Land ob der Enns war so zur baierischen Grenzmark im Osten geworden, eine Eigenschaft, die uns

Oberösterreichische Heimatblätter in den späteren Streitigkeiten um seine staatsrechtliche Stellung wiederum be¬ gegnen wird. Das altbaierische Stammesherzogtum gliederte sich in als Gaue benannte untere Verwaltungseinheiten, an deren Spitze Grafen ihres Amtes walteten. Unter den auf dem Boden des heutigen Oberösterreich eingerichteten baierischen Gauen war der von der Enns bis zum Hausruck reichende Traungau weitaus der größte und bedeutendste; er umfaßte das ganze Traunviertel und den Großteil des Hausruckviertels ohne das Gebiet des Bezirkes Vöcklabruck, mit dem sich ungefähr der ziemlich kleine Attergau deckte. Die Machtpolitik des altbaie¬ rischen Herzogtums richtete sich hauptsächlich gegen die in die südöstlichen Alpen¬ gebiete eingedrungenen Slaven, die sich vor den nachdrängenden Awaren unter die baierische Schutzherrschaft flüchten mußten; so kam das Gebiet von Steiermark und Kärnten frühzeitig unter die Oberhoheit der Baiern, die auf dem Wege waren, das alte Norikum gänzlich unter ihre Herrschaft zu bringen. Dem werdenden baierischen Großreiche bereitete jedoch Karl, der Herrscher des Frankenreiches, dem sich Baiern schon früher mehrmals unterordnen mußte, mit der Absetzung Tassilos, des Gründers von Kremsmünster (777), ein Ende. Die von ihm nach den großen Siegen über die Awaren (791 —796) geschaffene „Ostmark umfaßte nicht nur das gesamte norische Gebiet, sondern auch die im Osten an¬ grenzende ehemalige pannonische Provinz bis zur Donau-Save und erreichte im Süden mit Istrien die Adria. Innerhalb dieser großen Ostmark, welche die spätere Verbindung von Österreich und Ungarn vorausnahm, vereinigte Karl — ebenfalls in Anlehnung an das römische Ufernorikum — den baierischen Traungau mit zwei den Boden des westlichen Niederösterreich umfassenden Grafschaften zum „baie¬ rischen Grenzabschnitt im Osten“. Wir sehen daraus die stets wiederkehrende Erscheinung, daß nur ein vereintes Ober- und Niederösterreich imstande ist, eine von Österreich ausgehende politische Gestaltung im Osten erfolgreich zu halten. Das Land ob der Enns bildet den für Niederösterreich bzw. den Raum von Wien unerläßlichen Rückhalt für jede Staatsbildung, die irgendwie dem früheren oder späteren österreichischen Staate gleicht. Karls Reichskonstruktion war wohl für die Kraft des damaligen Kerngebietes zu groß und erlag sowohl im Westen als im Osten den auseinanderstrebenden Kräften. Für unseren engeren Bereich erwies sich jedoch eine seiner Schöpfungen, nämlich das von ihm im Jahre 798 gegründete Erzbistum Salzburg von dauern¬ der Wirkung, und zwar weniger für den kirchlichen Bereich, den das ältere Passau bis ins späte 18. Jahrhundert herauf beherrschte, als vielmehr dadurch, daß beide Bistümer späterhin (13. Jahrhundert) eigene Fürstentümer wurden, deren Gebiet in unmittelbarer Nachbarschaft zum Lande ob der Enns lag. Salzburg im beson¬ deren schnitt die natürliche, der Salzach-Innlinie folgende Verbindung Donau¬ österreichs mit den westlichen Ländern ab, ein empfindliches Hemmnis, das erst mit der Angliederung Salzburgs an Österreich im Jahre 1816 — und auch da infolge des Anfalles des Berchtesgadener Landes an Bayern nicht zur Gänze — beseitigt wurde. 18

Hoffmann: Östereich und das Land ob der Enns Die Herzogfümer Baiern und Kärnten samt ihren Marken um das Jahr 1000. eege grnnc Freising end VSteur HERZOGTUM &TRAUN GR Br. Salzbur inin BAIER ARNEN . iech MARKMARE KRAIN Trient FRIAUL re MARK ul vunt Son s YERONA es pnde (Venedig aonr a ngn Einen tiefen Einschnitt bedeutete die Ungarnherrschaft, die nach dem ver¬ nichtenden Sieg über das baierische Heer im Jahre 907 die ganze Grenzmart verwüstete, bis ihr in der Lechfeldschlacht des Jahres 955 ein Halt geboten wurde. Der damals erfochtene entscheidende Sieg ermöglichte die Wiedererrichtung einer neuen baierischen Ostmark, welche aber zunächst bloß das westliche Niederösterreich umfaßte; seit 976 war die Leitung dieser Ostmark, für die schon 996 der deutsche Name „Ostarrichi“ nachweisbar ist, dem Geschlechte der Babenberger anvertraut. Etwa gleichzeitig wurde mit dem Mittelpunkte in Kärnten eine zweite Mark er¬ richtet, die bald als ein von Baiern abgespaltenes Herzogtum die selbständige politische Entwicklung des später österreichischen Südostens einleitete. In welcher Beziehung steht nun das Gebiet Oberösterreichs zu den neu er¬ standenen Marken Österreichs und Kärntens? Von vielen Geschichtsforschern wird angenommen, daß das untere Mühlviertel, nämlich die östlich des Haselgrabens liegende sogenannte Riedmark schon seit dem Bestande Österreichs zu dessen 19

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