Oberösterreich, 13. Jahrgang, Heft 3/4, 1963

Literarisches Oberösterreich Vergangenheit und Gegenwart

LITERARISCHES OBERÖSTERREICH Herbert Eisenreich Nicht bloß Gast auf dieser Erde Linus Kefer Der Autor und sein Gedicht Prof. Franz Pühringer Wieso Puppentheater? Dr. Alois Großschopf Aus der literarischen Umwelt Adalbert Stifters in Oberösterreich Dr. Kurt Vancsa Von der Notwendigkeit einer Handel-MazzettiBiographie Dr. Hubert Razinger Landschaft und Tradition als Lebenskräfte in der neuen obderennsischen Dichtung Dr. Johannes Zauner Sonne im Barock Dr. Johannes Hauer Oberösterreich, das klassische Land der Mundart dichtung. Ein literarhistorischer Versuch Prof. Otto Jungmair Vöcklabruck und die Mundartdichter Franz Stelzhamer,Rudolf Jungmair und Otto Jungmair Prof. Arthur Fischer-Colbrie Feierstunden im Bereich des Linzer Schloßberges Dr. Heinrich Wimmer Oberösterreichische Dramatiker im Landestheater Linz Adolf Bodingbauer Literatur und Musik in Steyr Kunstbeilagen von Prof. Alfred Kubin (t), Prof. Franz Zülow (t), Prof. Margret Bilger, Prof. Fritz Fröhlich, Karl Hochgatterer und Rudolf Kolbitsch Umschlagentwurf: Karl Hochgatterer Schriftleitung: Dr. Otto Wutzel Redaktionsprogramm der nächsten Hefte: Wirtschaftsraum Oberösterreich Sommerheft 1964 Das moderne Oberösterreich Winterheft 1964/65 Die Donauschule in Oberösterreich Sommerheft 1965 Literarisches Oberösterreicli — Vergan genheit und Gegenwart. Dieses Thema läßt sich nicht in einer Vielzahl von Heften, nicht in einer Serie von Antho logien ausschöpfen. Es kann nur ange deutet werden. Es darf vor allem in einer Zeitschrift, die sich mit der „Kul tur" des Landes beschäftigt, nicht über sehen werden, muß einmal zur Diskus sion kommen. Charakteristische Fragestellungen der Gegenwart — wo lebt der Autor, wie steht er zu seinem Werk, wovon träumt er — verbinden sich mit literar historischen Rückblicken. Schriftsteller und Dichter mögen ent täuscht sein, sie finden wahrscheinlich zu wenig von sich und über sich. Vor allem soll aber auch vom Land, wie es sich in seiner Literatur spiegelt — heute wie gestern — die Rede sein. Rechts: Alfred Kubin: Schardenberg. Federzeichnung. Kubin-Stiftung des Oö. Landesmuseums. ^ Halbjahreszeitschrift — Kunst, Geschichte, Land schaft, Wirtschaft, Fremdenverkehr, 13. Jahrgang, Heft 3/4, Winter 1963/64. Eigentümer, Herausgeber und Verleger: Ober österreichischer Landesverlag; verantwortlich für den Inhalt im Sinne des Pressegesetzes: Dok tor Otto Wutzel, sämtliche Linz, Landstraße 41, Ruf 26 7 21. — Druck: Oberösterreichischer Lan desverlag Linz. — Einzelverkaufspreis: S 28.—, Jahresabonnement für 2 Hefte: S 48.— exkl. Porto.

\V Ü U ALFRED KUBIN.Wenn vom literarischen Oberösterreich die Rede sein soll, muß in erster Linie Alfred Kubin genannt werden. Seine Bibliothek war seine Welt. Seine Bücher waren ihm so wichtig wie seine Zeichenutensilien. Von österreichischen Au toren illustrierte er u. a. Werke von Richard Billinger, Oskar Maurus Fontane, Hugo von Hofmannsthal, Linus Kefer, Herbert Lange, Max Roden, Justus Schmidt, Wolfgang Schneditz, Georg TrakI, Franz Werfel.

1% ^ Obenstehende Abbildungen zeigen zwei Bühnenbildentwürfe zu Richard Biiiingers „Rauhnacht". Federzeichnungen 1931 Kubin-Stiftung des OÖ. Landesmuseums.

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l<" ■ ■ RUDOLF KOLBITSCH; „Und übrig bleiben die Gräber". Eisenradierung aus dem Zyklus „Der Krieg". Graphische Samm lungen des OÖ. Landesmuseums. R. Kolbitsch hat sich Geltung und Anerkennung durch seine Glasfenster verschafft. Begonnen hat er aber als Graphiker. In der Graphik liegt auch seine Hauptstärke. Hier verbindet er hohes formales Können mit literarischem Sinn. Alfred Kubin: Kobold Stilzel. Lavierte Federzeichnung um 1935. Kubin-Stiftung des OÖ. Landesmuseums.

FRANZ ZÜLOW war ein echter Malerpoet. Er liebte wie Alfred Kubin das Skurille, milderte aber seine Phantastik durch die Güte seines F^erzens. So nebenbei war er auch ein glänzender Dekorateur, der bis ins hohe Alter einem kindlichen Schmuck- und Spieltrieb gehorchte. So fabulierte er auf seine Art über die Welt, von Zaubertieren und Märchenwäldern, von seltsamen Menschen und verträumten Märchengestalten.

•^.n« Unsere Abbildungen stammen aus einer Mappe, die er selbst auffolgende Weise beschrieb: ,,8 Märchenbilder von Papier schnitten aus dem Jahre 1911, handgedruckt und coloriert. Franz v. Zülow." 1, Hans im Glück. - 2. Frau Holle. - 3. Rot käppchen.-4. Die sieben Raben.- 5. Hänsel und Gretel.-6. Aschenbrödel.-7. Das tapfere Schneiderlein.-8. Die Bremer Stadtmusikanten. (Die Mappe befindet sich in den Graphischen Sammlungen des OÖ. Landesmuseums.)

MARGRET BILGER, Wieder ein Name der Moderne. Hineingestellt in die Problematik und in die Diskussion der Kunst unserer Tage. In ihrem innersten Wesen aber ein verträumter, literarischer Mensch. Wie sehr liebt sie die Legendel Ein Kinderbuch zu illustrieren, wäre ihr großer Wunsch. In ihren Mappen schlummern Holzschnitte zu Kinderliedern, liebevoll von ihr selbst koloriert. ";öi

Margret Bilger: Zwei Illustrationen zur „Chronik von Goisern". Federzeichnungen aus dem Jahre 1943. Graphische Samm lungen des OÖ. Landesmuseums. „Der Segen und die Genien, die die Schätze heben über Goisern und dem ganzen Land." ,,Der Lindwurm mit der Überschwemmung kommt über das Land und das Königshaus."

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GLASHÜTTERKAPELLE. Mühlviertel, erbaut 1839. Dieses einzigartige Kleinod steht mit seinem gesamten Inven tar unter Denkmalschutz. Ein besonderes Wahrzeichen des östlichen Mühlviertels ist diese Wegkapelle, welche sich mit den Bauernhöfen gleicher Bauweise schön in die Landschaft schmiegt. Unter dem Mantel des gewalmten Strohdaches ist die Mauer aus Granitsteinen gefügt. Über die Entstehungsgeschichte weiß das Volk zu erzählen, daß eine dämonische Erschei nung den Peter Holzinger, Bauer am Glashütter im Wald, veranlaßt habe, dort eine Kapelle zu errichten. Im Pfarrarchiv Unterweißenbach liegt ein Schriftstück, datiert mit „27. ]uny 1839", welches sich auf den Bau dieser Kapelle bezieht. Im Inneren hängen Kreuzweg-Hinterglasbilder aus Sandl. Text und nebenstehendes Bild entstammen dem kürzlich im Oö.Landesverlag Linz erschienenen Werk von MAX KISLINGER. „ALTE BÄUERLICHE KUNST// 128 Seiten Text, 112 ganzseitige Bildtafeln, davon 40 Farbtafeln, Leinen, mehrfarbiger Schutzumschlag, S 328 — / DM 52.— Durch jede Buchhandlung zu beziehen. HERBERT EISENREICH Nicht bloß Gast auf dieser Erde Alle Wege führen dort hin, wo man jeweils hingehört: mit nun bald vierzig Jahren, nachdem man zwischen Nord see und Mittelmeer, zwischen Galizien und der Normandie ist umgetrieben worden, und nachdem man, von den Sta tionen des Soldaten einmal abgesehen, in bald einem Dutzend von Orten für kurz oder weniger kurz ist ansässig gewesen: da darf man das wohl schon behaupten; insbesondere dann, wenn man - Finder, ohne gesucht zu haben - jenen Platz entdeckt hat, der einem bei jedem Blick aus dem Fenster, bei jedem Schritt aus dem Flause die Identität von innerem und äußerem Dasein vor Augen und Ins Gemüte führt: Du bist nicht bloß Gast auf dieser Erde, du bist eins mit ihr! Für mich ist dieser Platz- nie gesucht und doch gefunden - Sandl. Nur wenige kennen diesen Flecken hart an der alten Drei länderecke Oberösterreich-Niederösterreich-Böhmen, fast tausend Meter über dem Meeresspiegel; es hat ja der Reise führer kaum anderes zu melden, als daß hier einst die Flinterglasmaler am Werk gewesen, deren gleichsam industriel l gefertigte und doch in jedem Exemplar ganz persönlich sprechende Erzeugnisse jetzt freilich nur mehr im Freistädter Heimathaus bewundert werden können. Dafür hält sich zäh das Gerücht von langen und kalten Wintern, vom böhmischen Wind, von klimatischer Unwirt lichkeit; und in der Tat; wer, von Linz über Freistadt, hier herauf kommt und zuletzt die Ortschaft Rauhenödt passiert, der mag sich wohl fragen, wie rauh und wie öd es erst dahinter sein muß. Selbst ich hab' mich damals schrecken lassen - aber ich will der Reihe nach erzählen! Meine ersten Schritte habe ich im Mühlviertel getan, und mein erstes Buch habe ich im Mühlviertel geschrieben. Aber nicht im erinnernden Bedenken solcher Kindheits- und Jugenderlebnisse bin ich ins Mühlviertel zurückgekehrt, sondern, von außen gesehen, aus purem Zufall: Nach zwei Jahren in Hamburg,zweien in Stuttgart und zweien in Wien war ich der Großstadt müde, und in anderen Gegenden, abseits von Lärm und Trubel, hat sich damals, vor nunmehr fünf Jahren, keine geeignete Wohnung gefunden. Und auf einmal standen wir halt, wie von unsichtbarer Hand geführt, in Freistadt, auf beinahe schon eigenem Baugrund, nur blieb noch die Frage: wo zu wohnen bis zum Einzug ins nun zu bauende Haus? Zu den Schrecken des modernen Lebens gehört,ohne Zweifel, das Telephon; doch ist's vonnöten, grad auch in meinem Beruf. In die Wohnung jedoch, die uns angeboten war, konnte die Post kein Kabel legen; und in einer anderen, wo der Anschluß eines Telephons sich hätte bewerkstelligen lassen, sind wir vielleicht nur deshalb nicht Mieter geworden, weil ich dem Hausherrn verdächtig erschienen bin. Kein 11

Wunder, als Schriftsteller! Ein erwachsener Mensch und Familienvater ohne seriösen Beruf! Kurzum: dem Miß trauen eines Kaufmanns und der technischen Unzulänglich keit der Post verdanke ich die Begegnung mit Sandl. Ich kannte, seit frühester Jugend, fast den ganzen Bezirk; bis hinunter zur Donau und bis hinüber an die Moldau war Ich gewandert oder geradelt; nur Sandl war immer abseits von meinen Wegen liegen geblieben, allein durch die Hinterglasbilder war mir der Name des Ortes vertraut. Damals, noch in Freistadt auf Wohnungssuche, hatte ich mit dem Gedanken gespielt, es für die paar Jahre in Sandl zu probieren; ich weiß nicht, warum; ansonsten nämlich zieht's mich doch eher zum Bekannten als zum Unbekannten, ob das nun Menschen sind oder Landschaften, Bücher oder Wirtshäuser; denn die sensationellsten Entdeckungen macht man keineswegs im immer Neuen - daher die geistige Fruchtlosigkeit des modernen Tourismus! -, sondern im scheinbar Altvertrauten; die Menschen, die Kunstwerke, die Dinge der Natur werden um so rätselhafter, je näher man sie kennt; und je tiefer man in sie eindringt, desto aben teuerlicher werden die Überraschungen, die man da, in dem anfangs so Selbstverständlichen, erleben kann. So stehen, übrigens, die Unrast und die Langeweile des Menschen unserer Epoche in einem Zusammenhang: weil er nur flüchtig über die Dinge hinfliegt, erlebt er keins dieser Dinge; da er die Dinge nicht erlebt, erlebt er sich selber nicht, woraus seine Langeweile resultiert; und aus dieser Langeweile glaubt er nur dadurch sich retten zu können, daß er nun doppelt hektisch über die Dinge hinfliegt, sie gleichsam raffend, als ließe Qualität sich je durch Quantität ersetzen. Wirklicher, also wirkender Besitz aber wird uns die Menschheit nur in den Menschen, mit denen wir tägliches Leid und tägliche Freude zu teilen haben; wird uns die Natur nur in dem Fleckchen Erde, das wir selber bebauen, auf daß es uns mit Blüten erfreue und mit Früchten ernähre; wird uns die Kunst nur in jenen Werken, die einmal unser Herz erschüttert haben und es nun nie mehr zu träger Ruhe kommen lassen; anders macht man sich bestenfalls zu einem wandelnden Lexikon. Wir besitzen die Welt im Detail, oder wir besitzen sie überhaupt nicht. Aber zurück nach Freistadt, in das Jahr 1958! Als ich dann, den Reiseführer über meinen künftigen Wohnort be fragend, lesen mußte: „Lange und streng ist der Winter", da schlug ich mir Sandl aus dem Sinn. Genau an dem Tag jedoch, an dem wir, entmutigt, ins mittlere und obere Mühlvlertel abreisen wollten, ward uns eine für etliche Jahre freie Wohnung angeboten - in Sandl. Und als wir einmal droben waren, sagten wir uns: Hier bleiben wir auch! Ja, hier wollten wir bleiben, obwohl just derjenige Platz, auf dem wir unser Haus gern hätten stehen sehen, durchaus unverkäuflich war - bis der Besitzer dann anderswo baute und wir das Grundstück erwerben konnten. Inzwischen haben wir selber gebaut: unter äußeren, nicht vorherseh baren Schwierigkeiten freilich, die, vernünftig betrachtet, mich hätten veranlassen müssen, im letzten Moment noch von meinem Vorhaben abzustehen und diesem Qrt den Rücken zu kehren. Warum aber bin ich geblieben? Warum bin ich nicht nach Waxenberg oder nach Kirchschlag, warum nicht in die Gegend von Grein, warum nicht ins Waldviertel oder ins obere Mühlviertel gegangen, oder etwa hinüber in den Bayerischen Wald? Ja, wirklich: warum bin ich hier in Sandl geblieben? Wenngleich ich drüber der Donau, in Linz, geboren bin, empfand ich als meine eigentliche Heimat doch stets, und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt bewußter, das Mühlviertel: Ich hatte als Kind in Dürnberg bei Qttensheim, als Schüler in Pregarten, als junger Schriftsteller In Qberneukirchen gewohnt,jeweils zwischen Aufenthalten In meiner Vaterstadt oder in Enns, in Wien, im Ausland. Reisen, freiwillige und unfreiwillige, hatten mich an manchen schönen Platz geführt: nach Paris und in die Dolomiten, nach Gap Girceo und an den Zürcher See, durch den Schwarzwald und an den Rhein; nichts hätte mich daran hindern können, mein Haus in Körnten oder in der Schweiz, auf der Insel Amrum oder In Berlin zu bauen. Indessen - ich merkte das freilich immer erst im nachhinein -war ich da überall nur zu Gast gewesen, und mit voller Selbstverständlichkeit zu Hause fühlte ich mich nur im Mühlviertel. Hier, nur hier, hatten die äußeren Dinge genau jenes Maß, welches mit dem in meiner Brust übereinstimmt; hier, nur hier, bewegte sich meine Seele ganz in ihrem Element: was ich innerlich empfand, stand außen greifbar da. Wenn ich es je zuwege brächte, dies Land zu beschreiben, dann hätte ich damit auch schon dos treueste Selbstporträt gezeichnet - jedoch: mir will's nicht gelingen, den mir so durchaus natürlichen Anblick in Worte zu übersetzen: zu nahe sind sie einander, Land und Seele, eins und ein Ganzes, gleichsam die noch nicht getrennten Hälften aus Piatons berühmtem Bild von der Liebe. Man hat - ich glaube: zu Recht - den neueren Schriftstellern deutscher Zunge vorgeworfen, sie seien dem (zweifellos heiklen) Problem der Landschaftsschilderung nicht ge wachsen. Als eine der Ausnahmen, auch wenn diese nur die Regel bestätigen, darf ich mich selber nennen: mit ein zelnen Passagen im größern Zusammenhang, vor allem aber mit meinem Buche „Garnuntum. Geist und Fleisch", in welchem ich das Erlebnis einer Landschaft, des Raums der einstigen römischen Siedlung östlich von Wien, ins Wort hob' fassen können. Dies Buch nun stellt, für mich selber, nichts Geringeres dar als das Resultat einer Qbjekt-Bewältigung, das heißt: der Überwindung und Auflösung eines zwischen mir und einem Gegenstand waltenden Spannungs verhältnisses,oder,anders gesagt: die Frucht einer Eroberung mittels des Wortes - was logischerweise eine apriorische Gegnerschaft, einen Dualismus von Subjekt und Objekt zur Voraussetzung hat: ein Verhältnis wie zwischen den ge trennten Geschlechtern (um im platonischen Bilde zu blei ben). Die Landschaft aber, in der ich mich jetzt bewege, nachdem ich schon mehr als ein Drittel meines bisherigen Lebens in ihr verbracht: das Mühlviertel, ist für mich kein Gegenstand (im genauesten Sinn dieses Wortes): nichts, das mir entgegensteht; und also nichts, das wörtlich erobert werden müßte - woraus doch erst, im glücklichsten Falle, Literatur entstünde. Ein Sänger des Mühlviertels werde ich also wohl niemals werden. Deshalb nun, wenn ich von diesem Land hier spreche, rede ich doch nur von mir; und sprech' ich von mir, dann mein' ich damit auch das Land. So alt - oder seien wir ehrlich: so reif- aber bin ich noch lange nicht, daß ich mit Anstand könnt' von mir selber sprechen: man reißt das Maul schon in fremderen Sachen oft viel zu weit auf! Andeutend dieses nur: Dies Mittlere zwischen der ins Endlose lockenden Ebene und dem ewig begrenzenden Hochgebirg': ist es nicht der Garant jener Anschaulichkeit, die den Künstler macht: übers eigene Ich hinaus, ohne im Allgemeinen sich zu ver12

Illustration von Karl Hochgotterer. Heren? Dies nirgends Radikale in Form und Kontur, in Fülle und Farbe; dies nirgends Zackige und nirgends Flache; dies sichre Vermeiden sowohl des Bizarren als auch des Banalen; ist's darin nicht sichtbarer geworden als in allen gelehrten Schriften, das von mir gemeinte Kunst-Prinzip? Dies immer überraschende und nie erschreckende Wechsein von Wiese und Waid, von Tal und Ftügei, von menschlicher Siedlung und freiem Revier in dennoch stetem Rhythmus: ist dies nicht der Gang, den meine Sätze gehen sollen? Den völligsten Einklang aber verspüre ich mit den weiß im hellen und dunklen Grün gleichsam ausgerollten Wegen, denen mein Auge folgt; so dem Natürlichen angeschmiegt und doch nur dem Ziel gehörend:so möchte ich denken. Kurzum: ich glaube nicht, mich zu täuschen, wenn ich, aus doch nun schon einiger Erfahrung sprechend, behaupte: Hier steht rund um mich als Natur, was in mir selber Kultur ist; hier hat dasjenige Schöpfungs-Prinzip - eins von Millionen -, das sich in mir verwirklichen will, sich in einem anderen Materiale schon realisiert: in der Landschaft. Hier endlich hab' ich denn auch gelernt, worauf das Gefühl, eine Heimat zu haben, uns eigentlich hinweist: auf den zutiefst gemein samen Ursprung alles Seienden. Alles andre Gerede von Heimat ist eitle Schöngeisterei, schlimmer als jeder Nihi lismus. In wohl erlaubter Abwandlung des zwiegesichtigen Wortes „Ubi bene ibi patria" sage ich jetzt, und jetzt erst in vollem Bewußtsein: Wo's mir gut geht, dort ist meine Heimat. Denn jetzt weiß ich, wo es dem Menschen wirklich gut geht: wo er sich eins fühlt mit dem Kosmos. Und wenn man mich trotzdem noch fragt, wieso Ich gerade auf dieses karge, nach außen fast spröd sich verschließende Land verfallen sei, dann kann ich nur gestehen: Weil mir offenbar bestimmt ist, so zu leben, wie dieses Land aussieht. Bliebe noch zu erwähnen, warum ich just in Sandl seßhaft geworden bin, in diesem einen von so vielen Orten des Mühlviertels. Ich kann's mit einem Worte sagen: Weil, was für mein Empfinden das Mühlviertel ausmacht, hier in der reinsten Form und noch unverfälscht ans Licht tritt. Mein Schreibtisch steht vor einem großen, gen Norden sich öffnenden Fenster. Wenn ich den Blick vom Manuskripte hebe, dann saugt's mich förmlich hinein in das da sich engende Tal, wie in einen Trichter, der im Ursprung aller Dinge mündet; in dieses Tal, welches zugleich sich zu mir her öffnet wie eine Posaune, mich überflutend mit dem herrlichen Ton der Bestätigung dessen, was ich in meinen besten Stunden erstrebe: „eins zu sein mit allem, was lebt". An vielen Orten bin ich gewesen, und überall gern; von allen bin ich weggegangen zwar wohl mit Dank, aber ohne Abschiedsschmerz. Von hier zu scheiden käme mir heut' noch so vor, als stürzte ich aus der Welt. So kindisch wird man im Glückl Deshalb wird hier, wie nirgendwo vorher, mit Marc Aurel zu lernen sein, daß alles Leben nichts anderes ist als Verwandlung. 13

LINUS KEFER Das Gedicht und sein Autor Die Zusage des Verfassers von Gedichten, einen Aufsatz dieser oder ähnlicher Art zu schreiben, geschah unüberlegt und sie stellt sich jetzt, da er die Aufgabe genau prüft, als purer Leichtsinn heraus. Sein Unternehmen ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Denn: v^as kann und was soll der Autor zu seinen Texten oder über diese äußern? Soll er den Versuch unternehmen, eines oder einige seiner Gedichte zu interpretieren, um auf diese Weise gewisser maßen am eigenen Leib ein Beispiel der Lyrik in unserer Zeit zu demonstrieren? Soll er auf vielen Seiten sich aus breiten, seine Gedanken und Bilder deuten, die Diktion vorführen, die gewählte Form begründen, soll er sich rechtfertigen, verteidigen? Wozu sollte er das tun und vor wem? Oder soll er mit etlichen Dutzend Begriffen manipu lieren und in einem eitlen Geschwätz jene Verwirrung zu spinnen sich bemühen, mit der nicht selten versucht wird, sich fragwürdigen Respekt und eine gewisse Distanz zu verschaffen? Was also soll er tun? Er überlegt weiter und fragt sich, ob er versuchen soll, zu erklären, wie der Autor, also er selbst, zu seinem Gedicht kommt, ob er sich darüber äußern soll, welcher Art seine Arbeit dabei ist, wie seine Verse entstehen. Er hat sich darüber nie einen Gedanken gemacht, wird er es daher auch nur annähernd sagen können? Ist es möglich, eine Antwort zu geben auf die Frage, warum er sie so und nicht anders schreibt? Und schon drängt sich ihm die Frage auf, warum er überhaupt Gedichte schreibt? Gewiß, diese Fragen bieten ihm Möglichkeiten an, aber sein Recht, das ihm gestattet, seine ganz subjektive Meinung zu diesen Fragen zu haben, schränkt die Möglichkeiten bereits ein. So hält er es zum Beispiel nicht für die Aufgabe des Autors, seine eigenen Gedichte zu interpretieren. Darüber kann man natürlich verschiedener Meinung sein. Er ist der Ansicht, für den Künstler sei es damit getan, sein Werk geschaffen, für den Lyriker in unserem Falle, sein Gedicht zu Papier gebracht zu haben, unbekümmert darum, wie jemand, die Mitwelt also, sich dazu stellt, ob sie, falls sie überhaupt davon Kenntnis nimmt, es ablehnt oder annimmt oder was immer sie dazu sagt, unbekümmert auch darum, ob seine Zeit darüber hinweggeht, ob eine spätere seine Verse entdeckt und ins Licht rückt, ob sie in diesem Lichte bestehen oder ob sie darin gänzlich und für immer ver bleichen werden. Dieser Ansicht kann man mit Recht die Frage entgegen stellen: warum schreibst du dann Gedichte? Und was willst du damit? Ja, warum schreibe ich meine Verse? Darauf eine klare, eindeutige, ja eine Antwort überhaupt zu finden, fällt nicht leicht, sie scheint eigentlich unmöglich und wahrscheinlich ist sie es auch. Man könnte sagen, die Lust ist es, und mit einigem Recht könnte man von einer schöpferischen Lust sprechen, es freut mich eben, ein Gedicht zu machen, ebensogut ließe sich aber auch die Qual an führen, und in beiden Fällen wäre Richtiges gesagt, aber doch nicht allzuviel geklärt, Auch steckt keine bestimmte Absicht dahinter, wenn ich mich hinsetze und versuche, mein Gedicht zu schreiben, etwa die, mir zur Abwechslung Lust oder Pein zu verschaffen, ebensowenig schreibe ich es, um mir Geltung oder Ansehen zu erwerben, es wäre zum Lachen, bei wem denn und wozu? Und ganz absurd wäre es, wollte ich mit so unnützen Dingen, wie Gedichte es für jedermann sind, zu Wohlstand und Reichtum gelangen. Geschieht es aus einem dem Spieltrieb des Kindes verwandten Bedürfnis? Setzt der Künstler der Außenwelt seine Innenwelt entgegen? Will er etwas in die Welt bringen, was vorher nicht in ihr vorhanden war? Antwort auf alle diese Fragen und noch andere möglichen zu geben, wären vielleicht Psychologen imstande, aber auch ihre Antwort bliebe sehr wahrscheinlich fraglich. Auf alle Fälle bliebe die Frage, warum macht nicht jeder Gedichte? Das Warum bleibt also offen. Das Gedicht wird geschrieben, weil es den Autor gibt. Weil es eine gewisse Kategorie von Individuen gibt, die dazu prädestiniert sind, Kunst hervor zubringen, also auch Gedichte, wie es andere gibt, eine größere oder große Anzahl, die ein Organ oder doch die Anlage dafür haben, die Sprache der Kunst aufzunehmen, zu verstehen und Kunst zu lieben, ja, die sie brauchen, und wie es wieder andere gibt, denen sie gleichgültig und überflüssig ist, weil sie kein Organ dafür haben. Allem Anschein nach besteht zwischen den beiden erstgenannten Gruppen eine weit verbreitete Verwandtschaft mit sehr nah und sehr weitschichtig verbundenen Angehörigen. Wer aber kein Ohr hat, vermag nichts zu hören, wer blind ist, kann nichts sehen. Von der sogenannten Begnadung des Dichters halte ich nicht viel, wohl aber von Begabung, Talent oder Genie, von strenger Werkstattarbeit und von unbarmherziger Selbstprüfung, die jedem als mißraten erkanntem Kind der Muse das schwache Lebenslicht ausbläst. Wenn ich ein solches Vorgehen verlange, will ich also doch etwas mit meinem Gedicht, zumindest, daß es meinem inneren Gedicht entspricht oder doch sehr nahekommt. Oder will ich noch etwas damit, etwas mir Unbewußtes? Zunächst, so glaube ich, ist tatsächlich ein unbewußtes Wollen mit im Spiele, nein, nicht nur mit im Spiele, sondern eine wesentliche Triebkraft, und zwar dieses, mir meine Existenz zu bestätigen und in der Vergänglichkeit meines Daseins zu sichern, die mich bedrohende Leere mit der von mir geschaffenen Welt zu erfüllen, mein Dasein gegen das auf mich zukommende Nichtsein zu behaupten, dem raschen Wechsel und Verfall rund um mich etwas, wenn auch nur scheinbar Beständiges entgegenzusetzen, dem permanenten Tod wie die Natur mit neuem Leben zu begegnen, und nicht zuletzt, hinter der einen Wirklichkeit der Erscheinungswelt immer wieder eine der vielen anderen Wirklichkeiten aufzuspüren und festzuhalten. 14

Was das Bedürfnis betrifft, sich seine Existenz in der Ver gänglichkeit des Daseins zu bestätigen und zu sichern, so scheint mir jedes Tun, das über die bloße Erhaltung des rein physischen Lebens hinausgeht, keinen anderen Sinn für den Menschen zu haben; ob es der Forscher, der Wissenschafter, der Politiker oder Feldherr, der Manager und Unternehmer, ja noch der alte Bauer ist, der einen Baum pflanzt, den er vielleicht nicht einmal mehr blühen sieht, sie alle versuchen, ihrem raschen Hinschwinden zu entgehen, und die vielge rühmte selbstlose Tätigkeit, sei es zu wessen Wohle immer, auch sie erscheint mir als nichts anderes als ein Nichtzur-Kenntnis-Nehmen der Tatsache, daß der Strom der Zelt uns fortträgt ins Zeitlose, der gelungenste Trick, mit dem wir uns selbst täuschen. Verewigen ist zweifellos einer der stärksten von unseren Trieben. Die Religionen aller Zelten und Völker haben nichts anderes im Sinn. Wieder zurück zum Autor und seinem Gedicht. Jede künst lerische Arbeit, ist sie nicht an ein Du gerichtet? Der Ver fasser will sich also mitteilen, seine Zeilen sind ein Anruf, ein Zuruf, ein Mit-teilen seines Fundes, eine der Wirklich keiten, die er geschaut hat, sie können erfreuen, beglücken, herausfordern, sie können mich aufrütteln, belehren, aber auch ent-setzen (aus meiner Trägheit etwa), sie können zerstören, aufhellen, helfen, heilen. Und: sind Gebete und Zaubersprüche zu allen Zeiten und bei allen Stämmen nicht vollendete Gedichte? Sind sie nicht Anrufe an die höheren Mächte, Beschwörungen, die das Schöne, das Einmalige, das Unwiederbringliche festhalten, bannen, zu dauerndem Besitz machen wollen, sind sie nicht der Versuch, den Augenblick, den beglückenden, der Flucht Ins Nichtmehrsein zu entreißen? Sind sie dort, wo sie den Schrecken, das Dunkel, den Abgrund beschwören, die Ge fahr, das Böse selbst und den Tod mit Namen nennen, nicht immer noch Zauber- und Bannsprüche, die fernhalten, bannen wollen und der Bedrohung, dem Abgrund, dem Tod etwas von ihrem Grauen nehmen, ihre Kraft brechen dadurch, daß sie nennen, was auf uns zukommt, was auch da ist, die Nachtseite? Gewinnt hier nicht selbst das schokkierende Nein seine Bedeutung? Wie kommt der Autor zu seinem Gedicht, haben wir gefragt, wie entsteht es, was braucht er dazu und wie macht er es? Der Erzähler will erzählen, er soll erzählen, das wird von ihm erwartet, dazu braucht er seinen Stoff, denn der Leser von heute ist niemand anderer als der Zuhörer von gestern, er will hören, was ihm jemand erzählen will. Daran hat sich nichts geändert und es wird sich auch kaum etwas ändern. Nicht Stilübungen und -experimente erwartet der Leser-Zuhörer, sondern das „Abenteuer" des Daseins auf dieser Welt, etwas von ihren tausendfältigen Wirklichkeiten. ■ Das Wie ist das Abenteuer des Erzählers, wie er erzählt, davon hängt es ab, ob die Zuhörer bleiben oder ob sich einer nach dem andern aus dem Kreis fortstiehlt. Der Lyriker aber, für ihn gibt es keinen Stoff, wenigstens nicht im gebräuchlichen Sinn des Wortes, wenn wir vom Balladendichter absehen. Sein Stoff ist das Wort, das Wort und seine Magie. Ein einziges Wort vermag unter günstigen Umständen sein Gedicht auszulösen, ein einziger Laut, ein Bild, ein Ding, ein Duft, eine Bewegung, eine Geste, die niemand beachtet, können genügen, schon ist das Gedicht da, sein Inbild, wie im Steinblock die Gestalt schon enthalten ist, die der Bildhauer aus dem Material befreit und heraus holt, so das Gedicht des Autors in seinem Material, der Sprache. Wie nahe er seinem Gedicht kommt, hängt von seiner Fähigkeit ebenso ab wie von den Umständen, vom „Klima", in dem er sich befindet, und von seiner Geduld und Zucht. Es kann ihm gelingen, daß es in einem einzigen Ausbruch vollendet an den Tag tritt, sehr wahrscheinlich der seltenste Fall, es kann langsam sichtbar werden unter seinem Messer und Meißel, bis kein Wort mehr abzulösen ist und es rein und befreit von allem Überflüssigen vor ihm steht. Es kann auch sein, daß es lange nur bei dem einen Wort, bei einem Satz, bei einigen Zeilen oder einer Strophe bleibt und Jahre vergehen, bis er es in einer ge segneten Stunde zustande bringt, und es kann auch nie dazu kommen. Wirklich vollendete Gedichte sind sehr selten, und wenn aus einem Lebenswerk ein Dutzend bestehen bleibt, ist es mehr als genug. Damit ist nicht gesagt, daß alle anderen nichts oder schlecht oder wertlos sind. Entwürfe, Skizzen, Teilstücke, wir wissen es aus der bildenden Kunst am besten, können zu den Kostbarkeiten zählen, und ein paar Zeilen genügen manchmal, um ein Gedicht über tausend glatte, schöne, im Versbau und Rhythmus wohlgeformte, aber mit ■ihres Inhalts längst entleerten Bildern ausgestattete Verse hinauszuheben ins Unvergängliche. Mein Gedicht also ist mein Fund, ich muß an ihm solange arbeiten, ihn dem Spiel von Licht und Schatten aussetzen, bis das Gesetz seiner Form sichtbar geworden ist und nicht mehr verrückt werden kann. Die Mittel, deren ich mich bediene dabei, sind mir scheinbar überlassen, In Wahrheit aber ist es so, daß auch sie schon gegeben sind, wenn ich mich hinsetze, um das Gedicht zu Papier zu bringen. Der Lyriker hat nichts zu erzählen. Was erwarte ich mir als Zuhörer-Leser von ihm, von seinem Gedicht, seinem Text? Auch von ihm erwarte ich mir das Abenteuer des Daseins, einen Blick in die vielen Wirklichkeiten der Welt, die auch in mir selber dunkel vorhanden sind, sie will ich finden, das Gedicht soll sie mir - was ich selber nicht vermag - sichtbar und deutlich machen, sie will ich finden, nicht eine schöne kalligraphische Abschrift meiner Umwelt natur (eine alte Binsenwahrheit), die selbst dem Fotografen nicht genügen kann, denn auch er wird, sofern er den Blick des Künstlers hat, mich überraschen und ergreifen, mir ein Ding der Alltäglichkeit plötzlich in einem anderen Lichte zeigen, daß ich betroffen bin über diese andere Natur und Wirklichkeit des Gegenstandes, den ich so gut zu kennen glaubte und der mich nun mit einem neuen Gesicht (und doch nur einem von vielen) anblickt und Ahnungen spürbar macht von verborgenen Bereichen und Zusammenhängen. Ich erwarte mir vom lyrischen Gedicht, daß es mir eine der vielen Wirklichkeiten der Erscheinungswelt unseres Daseins zeigt und erhellt, daß sein Verfasser mir seine Inbilder schenkt, jener Wirklichkeiten, die sich ihm selber zeigen, daß er Vorhänge hebt, auch vor dem Nachtgründigen, kaum mehr Deutbaren, daß sein Gedicht mich herausfordert zum Deuten und Erkennen, ja zur Mitschöpfung. Sein Ge dicht darf kein Abziehbild der Schöpfung sein, sei es noch so gefühl- und stimmungsvoll, es muß in ihm die Schöpfung fortdauern, immer neu im Wechsel von Licht und Schatten, es soll mir im Sagbaren das Abenteuer des Unsagbaren, im Geringsten das Unfaßbare nahebringen. Der „weltentrückte Träumer und Phantast" war immer schon eine Fiktion der Analphabeten, und wo diese Vor stellung aus wirklichen Gedichten abgeleitet wurde, war es ein katastrophales Mißverständnis, ein Mißverständnis dessen. 15

cn uti or E" T- \ ( ro A f V ^ g K «■ <- H T J ^ tlA n t* fl w f 1 Ak i L E (I V\/ ^ p- ; ^ i, ' ß o H N H Kc H E R. was die Welt ist und was der Dichter in ihr ist. Gerade er ist der Welt ausgeliefert, alle ihre Nervenstränge gehen durch ihn, noch die des Grashalms, er darf und er kann sich ihr gar nicht verschließen, weder ihrer Schönheit noch ihrem gnadlosen Zugriff, wenn sie vernichten will, ihn faßt sie zuerst. Alles andere sind schlechte Abschreiber und ängstliche Fälscher. Er ist auch kein Auserwählter des Himmels, und sein Gedicht wird ihm nicht geschenkt, es ist das Ergebnis seiner Sinne, seiner Augen und Ohren, seines Geruches, seines Fühlens und Empfindens, seines Gehirns, seines Herzens mit all seiner Lust und Pein, vielleicht noch zu danken einer Fähig keit, den Ball, den Zufall oder Gesetz seines Lebens ihm zuwerfen, im rechten Augenblick aufzufangen, und es ist, wir sagten es schon, das Produkt seiner Arbeit, die das Flüchtige festhält, das Fluidum verdichtet, aus der Ungestalt die Gestalt erlöst. Das Erlebnis meiner Sinne, meines Gehirns, meines Herzens, meiner Welt-Anschauung, der Ball, den ich fange, immer ist es mein Erlebnis, in mir vollzieht es sich ganz, im Gedicht kehrt es wieder als eine neue, von mir geschaffene Wirk lichkeit, in ihr bin ich frei und unbeschränkter Herr, einzig dem Gesetz der in meinem Gedicht schlummernden Form unterworfen, mein Wort hat die Kraft, eine neue, meine Welt zu erschaffen, die alte zu verwandeln, indem ich sie in einem anderen Lichte zeige, im Gedicht kann ich das 16

lustrationsprobe von Fritz Fröhlich zu Miguel de Cervantes Saavedra „Don Quijote" (El ingenioso hidalgo Don Quijote de la Mancha). Ich, Don Quixote von la Mancha, ziehe in alle vier Teile der Welt als Vernichter jeglicher Ungebühr Das Thema reizte bereits Generationen von Illustratoren. Die Reihe beginnt mit Coypel und Chodowiecki. Sie endet 17

„Wunder der Schöpfung" vollziehen, das Unmögliche ist mir möglich, in dos zarte Netz einer Spinne zwischen zwei Gräsern hänge ich tausend Sonnen, sie zittern und funkeln darin und das Netz zerreißt nicht; ich rufe die weiße Mittags katze, und da ich sie nenne, ist sie erschaffen, schon kommt sie lautlos über die glühenden Dächer des Sommers; der gefallene Freund tritt in mein Zimmer, macht die Trommel stumm, rollt die Fahnen ein, geht fort, wenn der Redner die Tribüne betritt, sagt er; großschwingige Vögel schütteln nachts schwere Träume aus ihrem Gefieder; ich lege meine Augen aus an der Quelle, verstecke meine Ohren im Moos; aus dem Haar der Geliebten springen Sterne in meine Hand; Wälder aus weißem Licht beginnen sich auf mein Wort zu drehen, rote, orangene, drehen sich mit, das weiße Pferd ohne Gestalt trabt durch blaue, veilchenfarbene Wälder, mich trägt es auf seinem Rücken; Fische bringen Nachricht aus der Mitte der Strömung, der Mond beschreibt das Meer; schwarzer Wind vom Atlantik landet auf dem Rücken der Regenberge, der Mond ersäuft. Im Kernge häuse des Apfels fnde ich meinen Vater und den lieben Gott, ich verspeise sie beide mit dem Apfel; ein Fenster, hell wie Mondlicht, geht überm Wald auf, es ist meine Mutter, die wartet. Unerschöpflich sind meine Möglichkeiten, meine Aufgabe besteht darin, Ordnung in die neue, vor meinen Augen heraufsteigende Schöpfung, in meine Schöpfung zu bringen, das Gedicht auf dem Papier zu einem Ebenbild meines inneren Gedichtes werden zu lassen. Ich darf mich nicht zurückziehen von meinem Gedicht, ich darf es nicht schönfärben, ich darf Licht und Schatten nicht trennen, es sind die Elemente, die mich sichtbar machen, auch die andere Seite ist in der Welt, mein Gedicht verlangt meine Wahrheit, Spott und Ächtung dürfen mich nicht abhalten, sie auszusprechen, wenn das Gedicht es von mir fordert. Alles andere ist Täuschung, Lüge, Gartenlaube. Das moderne Gedicht, unterscheidet es sich von Gedichten früherer Zeiten? Gewiß, aber es gibt Gedichte, die vor hundert oder tausend Jahren geschrieben wurden, sie waren damals schon modern und sind es heute genau so, und es gibt „moderne" Gedichte, Nachgeburten von Gedichten, die längst in der Mottenkiste zerfallen sind. Sagen wir, das Gedicht in unserer Zeit, wenn auch das nicht genau zutrifft, aber muß es sich nicht unterscheiden von früheren? Ob wir es wollen oder nicht, unsere Anschauung der Welt hat sich verändert, alte Ordnungen sind zusammengebrochen und manche werden noch stürzen, Einblicke, die dem Menschen bisher versagt waren, haben sich uns eröffnet, wir leben in einer veränderten und sich weiter verändernden Welt, unsere Lebensweise verändert sich mit, alles was geschieht, die Ereignisse in der menschlichen Gesellschaft, in Wissen schaft und Technik, täglich und stündlich, sich überstürzend, werden sie an uns herangetragen, die Entfernungen sind eingeschrumpft, sie schrumpfen weiter, immer näher rücken wir zusammen, nichts kann geschehen, das uns nicht angeht und uns im nächsten Augenblick auf den Nägeln brennen kann, was „weit hinten in der Türkei" geschieht, „wenn die Völker aufeinanderschlagen", selbst wenn die ,,Türkei" der Ferne Osten, wenn es Afrika oder Amerika ist, wenn irgend wo der Dschungel auflodert oder Bergstämme sich erheben, wenn Raketen in den Weltraum jagen, ganz zu schweigen von jedem Atomversuch, wo immer er stattfindet, wir bleiben nicht verschont, alles berührt uns, wir können uns nicht mehr den eigenen Frieden loben, was immer geschieht, kann für uns oder gegen uns geschehen, selbst unsere vier Wände sind undicht geworden, die Nachrichtentrommel in Wort und Bild geht pausenlos Tag und Nacht durch den wuchernden Urwald unserer Welt, wir sind einer ständigen Bedrohung von allem und jedem ausgesetzt. Fragen, die unseren Vätern noch unbekannt waren, beun ruhigen uns, die Grenzen jener einfach erscheinenden Unterscheidung zwischen Gut und Böse befinden sich in Auflösung, wir können nicht mehr auskommen damit, immer komplizierter, immer schwieriger werden die Auf gaben, die wir zu lösen haben, die Ergebnisse der modernen Forschung und Wissenschaft lösen mit jeder gefundenen Antwort ein Dutzend neue Fragen aus, selbst die Theologie ist nicht verschont geblieben, auch sie ist im Begriffe, sich neuen Einsichten und Erkenntnissen zu eröffnen, von einer Sicherung unseres Daseins sind wir weit entfernt, in jeder Weise. Vieles, was für die Ewigkeit gefestigt schien, ist fraglich geworden, und der Primat des Menschen, das Denken, ist in diesem Umbruch für die große Masse zur Be lastung geworden, die sie für ein Linsengericht verkauft und abzuschütteln versucht aufder Flucht in den sogenannten Wohlstand, in den Konsum von Gütern, in die turbulente Betriebsamkeit, in die betäubende Vergnügungshysterie. Und der Verfasser von Gedichten, der kein weltentrückter Träumer ist, er soll unbeteiligt bleiben, sein Gedicht soll das Beben dieser Welt nicht registrieren, sein Vokabular sich nicht verändern und erweitern, ihm soll sich alles reimen, als wäre nichts geschehen? Er soll unberührt bleiben, gerade er, und zurückblicken auf das Mühlenrad, aber auch das kann er nicht mehr, das Mühlenrad selber ist längst zerfallen. Nein, auch seine Sprache hat sich verändert und sein Gesicht wie sein Gedicht. Pathos und große Worte sind ihm fremd, er ist nüchterner, sachlicher, sparsamer in seinem Wort, das Ich tritt zusehends zurück, eine Objektivierung ist längst zu erkennen, Verfremdung deutlich festzustellen. Experimente können fruchtbar werden, die Stammler werden des Stammeins müde werden und verstummen, das Gedicht wird bleiben und modern sein, auch das moderne, sofern es ein Gedicht ist, erweisen wird es die Zeit. 18

€ >*-f*'-^»W ^.f.% jl* -- C-*'. s *-[ I*-'-- Hansel und Grete!, Puppe T. M. Seidelmann. Bühnenbild Thomas Rühringer. Foto Thomas Pühringer, FRANZ PÜHRINGER Wieso Puppentheater? Es gibt Fragen (vielleicht liegt es nicht einmal so sehr an ihrem Inhalt als an einer ganz bestimmten, spontanen Weise, in der sie gestellt sind), deren Beantwortung man sozusagen gar nicht erst selber besorgen muß, weil im Augenblicke auch schon etwas redet, nach dem wir uns förmlich umsehen zu können meinen wie nach einer dritten Person. Schlimmer als darüber ganz schweigen zu müssen, ist es, über ein echtes Anliegen nur in einer Weise reden zu dürfen, die ihm nicht gerecht zu werden vermag. Unzählige Male war ich schon gezwungen, über Puppentheater zu schreiben, stets mußte das Geschriebene in sachlich aufzählender Berichterstattung einem ganz bestimmten Zweck dienen, meistens der Werbung. Und nun also die Frage: ,,Wieso Puppentheater?" Ja, wieso nun? Die Frage war mir mündlich gestellt, und ehe ich mir eine vernünftige Antwort zurechtgelegt hatte, standen zwei Erinnerungsbilder aus längst vergangener Zeit vor mir. Unser ungewöhnlich geräumiges Kinderzimmer im Schul hause des Dorfes, das man erst wenige Jahrzehnte zuvor als sich schloßartig präsentierendes Direktionsgebäude eines alsbald wieder eingegangenen Montanbetriebes errichtet hatte, war das eine. ,,Mach kein Theater!" fuhr mein Vater gerade eines von meinen Geschwistern an. Wiewohl meine Eltern sehr gebildete, weit in der Welt herumgekommene und allgemein größtes Ansehen genießende Leute waren, war uns Kindern das Wort ,,Theater" ausschließlich in dem 19

Die erste Bühne der Linzer Puppenspiele(nie in Verwendung). Vorhang: Franz Pühringer. Foto: Archiv. Rechts: Der Förster. Entwurf: Franz Pühringer. Foto: Fteidersberger, Brounschweig. Sinne geläufig, in dem es hier gebraucht wurde. „Theater machen" hieß Geschichten machen, Aufsehen erregen. Nie war damals im Orte von irgend jemandem Theater gespielt worden, nie eine Theatertruppe oder auch nur das arm seligste Kasperltheater durchgekommen. Die zweite Erinnerung, die sich mir völlig gleichzeitig ein stellte, war die an einen Raum, der uns von unseren Eltern nur deshalb nicht ausdrücklich verboten war, weil sie nie auch nur im Schlafe anzunehmen wagten, er könnte uns zugänglich sein und wir würden es über uns bringen, ihn zu betreten. Es war der Gemeindekotter. Ein ungefähr würfeliger, finsterer Raum mit einem hoch gelegenen, massiv vergitterten Fenster, einer schweren Tür ohne Schnalle auf der Innenseite und ein Bündel halbver faulten Strohs auf dem rohen Ziegelboden. Wenn etwa die schräge Abendsonne durch die mit einem Holzscheit gegen das Zufallen abgesicherte Tür hereinfiel, konnte man die Flöhe hüpfen sehen. Auf diesem Stroh hockte eine Schar Kinder, etwa ihrer sieben bis zehn, vor einer auf zwei Sesseln stehenden Kiste, die den Zuschauern zu und nach oben offen war. In derselben befanden sich von meiner Künstlerhand auf Schachteldeckel und Packpapier gemalte, Staunen und Schrecken erregende gruselig phantasievolle Landschaften, zwischen denen ich Gestalten agieren ließ, die ich mir aus kleinen, halbwegs zurechtgeschnitzten Holzstücken, ergänzt durch Glaserkitt, Kerzen- und Bienenwachs und ein paar bunten Stofflappen, fabriziert und an Zwirnsfäden aufgehängt hatte. Spät erst und nur durch einen Zufall entdeckte ich die überraschen den Möglichkeiten, die sich durch künstliche Beleuchtung, das ist durch ein paar abgeschirmte Kerzen, eröffneten. Ich hatte - ohne einen Namen dafür zu haben oder auch nur zu suchen - ohne die geringste bewußte oder auch nur unbewußte Anregung von irgendwoher nicht mehr und nicht weniger als das Puppentheater erfunden. Und das gleich in seiner Hochform als Marionettentheater. Sicherlich muß dieser Erfindung ein ganz bestimmter Antrieb zugrunde gelegen haben, aber ich bin heute darauf ange wiesen, ihn zu erraten. Da ich mich genau an einzelne Passagen der wiedergegebenen Handlungen erinnere und diese abermals eindeutig Eigenbau waren, so dürfte also wohl das Bedürfnis, meine ersten literarischen Kreationen einem für intellektuellere Konsumierungsweisen nicht ge schaffenen Publikum zugänglich zu machen, das ursprüng liche Motiv gewesen sein. Für unmöglich aber halte ich es heute, daß mich nicht alsbald das Spielen selbst in seinen Bann geschlagen hatte. Ich entsinne midi dieser unausbleib lichen Faszination zwar nicht mehr direkt, aber ich weiß noch, daß ich sehr bald eine eigene lustige Figur ausdachte (eigentlich war sie nur dumm und man sollte sie auslachen können), die angesichts des in allem übrigen so ganz anders gearteten Stückes eindeutig als Konzession an das Spielen selbst, also an das Theater, verstanden werden darf. Wieso Puppentheater? Wenn das alles noch keine Antwort ist, weiß ich für meine Person keine. Etwas anderes wäre die Frage ,,wieso heute noch Puppentheater?" Fünfzehn Jahre waren vergangen, als es mich, und sicher zur Unzeit, da ich damals gerade begonnen hatte, an ersten deutschen Blättern wie „Simplicissimus", „Querschnitt", „Weltbühne", „Berliner Tageblatt" u. a. Eingang zu finden, wieder packte, und nachdem ich ihm vier Jahre später noch einmai entrann, bin ich seit 1941 nie wieder von ihm los gekommen. So darf ich wohl sagen, denn Puppentheater zu spielen ist eine echte Leidenschaft. Das aber liegt nicht nur an ihm als solchem, an der Tätigkeit und den hundert Tätigkeiten, die jene eine voraussetzt, nicht einmal an dem nicht zu unterschätzenden Umstand, daß es ein künstlerischer Organismus ist, klein und kon zentriert genug, daß er noch von einem einzigen Mann aus beherrscht und in seiner Wesensart bestimmt werden kann, sondern und nicht zuletzt auch an den unzähligen Reizen, die es als Metier hat. Bilder und Erinnerungen, die einem jeden Ausweg verstellen, den man allerdings sowieso nicht mehr sucht, gelähmt von dem fast bestürzenden Bewußtsein, einer solch unübersehbaren Zahl von Kindern für ihr ganzes Leben unvergeßliche Höhepunkte geschenkt zu haben. (In meinem Falle sind es heute ihrer ganz bestimmt schon weit über eine Million.) Bilder, Bilder, Bilder. Ich trenne hier absichtlich nicht mehr Erinnerungen an meine Zeit der Ein-Mann-Tourneen, die ich, den Puppen koffer, in dem sich auch meine Wäsche und sonstiger Reise bedarf befand, in der Hand, das Bambusstangenbündel geschultert, ganz allein loszog, und späteren EnsembleTourneen, die ihrerseits wieder in verschiedene Kategorien zerfallen würden. Ich lasse sie hier erstehen, wie sie sich mir heute, nach so langen Jahren längst ein einziges un trennbares Ganzes, darbieten. 20

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r- '- "t: - r,-, i .,•»''' / 'Je ■■^^. " V VJ®"' j; ., |1, ' ■ -^- ■ ' r*~ ■ " ■■": I , • ll'Ji _Jll'| U..' ' ■ -?■ , -> ■ f • ■ • ■ „Jil'l U ' .; .. i,r4 h; ,.L..._ . J AUS DER GESCHICHTE DER LINZER PUPPENSPIELE: 1 Die Ein-Mann-Wanderbühne. Schwarz. Foto: Gustav imi JLi U iijSmJimMfliBmi I><1 aiiai lllii* ■'iJ ■Ihid 2 Die Bühne im Redoutensool. 270 Sitze, sechs Vorstellungen pro Woche (je zwei an drei Togen), Laufzeit eines Programms bei stets ausverkauftem Hause: drei Wochen (!) Foto Heidersberger, Braunschweig. 3 1941 schon warteten die Linzer Puppenspiele mit einer Inszenierung auf, in weicher mensch liche Darsteller und Puppen gemeinsam auf traten. Zwanzig Jahre später der letzte Schrei bei zahlreichen anderen großen und be rühmten Puppenbühnen. 4 Mit 2 O. S. (statt PS). Foto: Franz Pühringer. 5 Fahrt über den Traunsee. Foto: Franz Püh ringer. 6 In den ersten Nachkriegsjahren war der Kreis um die Linzer Puppenspiele, zum Tei l noch hervorgegangen aus Akteuren und Stamm publikum der von Franz Pühringer 1930 ge gründeten Thermophylen, dem ersten litera rischen Kabarett auf österreichischem Boden, einer der Kristallisationspunkte eines neuen gesellschaftlichen und kultureilen Lebens in Linz. Auf dem Bilde Liselotte Schmid, später Bühnen der Stadt Nürnberg, jetzt der Stadt Köln, und Veit Relin, später Burgtheater, der zeit Leiter des Ateliertheaters in Wien, in „Leonce und Lena" von Georg Büchner. In szenierung Franz Pühringer, Bühnenbild Her bert Ploberger. Foto Feichtenberger, Rio de Janeiro. 7 Ausschnitt aus einem Kinderball. Foto Winkler. 8 Unser treuester Stammgast auf einem Kinder ball von Pressefotografen umlagert. Fünf Jahre hat er keine einzige unserer Vorstellungen versäumt, all diese Zeit aber auch nicht ein einziges Mal eine Eintrittskarte erstanden. Foto Foco. 9 Teil des Ensembles anläßlich einer Vorstellung auf einem Dampfer der DDSG. Foto Franz Pühringer.

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Der strenge Winter. Alte Puppe. Foto Thomas Pühringer. Ich spielte in Schulen, in den entlegensten und kleinsten Immer am liebsten, wiewohl dos der großen Entfernungen, mangelhaften oder damals oft noch ganz fehlenden Ver bindungen wegen Strapazen und dadurch, daß dabei nur eine Vorstellung pro Tag möglich war, bescheidenste Ein nahmen bedeutete, die ich - ich weiß, daß mich das heutzu tage kaum als geschäftlichen Leiter eines größeren industriekonzerns empfiehlt - oft wochenlange erst gar nicht zählte, sondern im rechten Hosensack, der mir auf diese Weise gelegentlich bis zum halben Knie herabhing, ungewechselt als Kleingeld mit mir herumschleppte. Jede dieser kleinen, meist zwei, drei oder vier Wochen dauernden Tourneen begann ich damit, daß ich mit Bahn oder Autobus einen geschickt liegenden Ausgangspunkt ansteuerte, dort spielte Frau Holle. Bühnenbild der akad. Malerin Fanny Newald. Foto Feichtenberger, Rio de Janeiro. und meine Sachen von ein paar Buben, die um diese Ehre wohl noch wochenlang beneidet wurden, auf einem kleinen Fahrzeug bis zum nächsten Ort transportieren ließ. Dort erst übernachtete ich, am nächsten Tag spielte ich, und von diesem Augenblick an wiederholte sich alles bis zu meiner Hei mkehr. Aber selbst noch Tourneen mit dem Ensemble verliefen oft improvisiert genug. Garantiert waren eigentlich nur unsere Gasthausübernachtungen und die - keineswegs über raschungsfreie - Verpflegung. Man war bereits im Kriege, und die Räder rollten für andere Zwecke. So mußten die Fahrgelegenheiten stets erst am jeweils letzten Zielort aus gemacht werden. Immer wieder fuhren wir auch per An halter. Vier bis fünf Leute, vier bis fünf Privatkoffer, viele Stücke großen, sperrigen „Artistengepäcks". Eines dieser Stücke über drei Meter lang! Das konnte nur so gelingen, daß wir alle unsere Sachen ein Stück außerhalb des Ortes schleppten, sie dort hinter einem dicht an der Straße befind lichen ausreichend großen Buschwerk versteckten, hinter dem sich auch die männlichen Ensemblemitglieder zu ver bergen hatten, während die zwei weiblichen mit Charme und Routine ihres Amtes walteten. Selbstredend kamen nur Lastautos in Frage. Von Seiten der beiden Damen nur noch das schüchterne Geständnis, daß sie nicht ganz allein seien und auch noch ein bißchen Gepäck da wäre, und noch ehe der Fahrer Gelegenheit hatte. Einwände zu machen oder Fragen zu stellen, waren wir auch schon mit einer Fixigkeit, die, glaube ich, bis zum jüngsten Postzugüberfall in England nicht wieder erreicht wurde, mit Sack und Pack auf dem Wagen. Das war besonders dann nicht einfach, wenn letzterer, wie zum Beispiel einmal, Möbel geladen hatte und wir auf stehenden Kleiderschränken eng aneinandergeklammert fast einen ganzen herrlichen Sommernachmittag lang hügelauf und hügelab durch die blühenden Mohnfelder Südböhmens fuhren, auf unserem luftigen Postament der Landschaft gleichsam präsentiert. Auf einem offenen Leiterwagen frierend durch den Land regen, dann wieder in einer alten, mit schweren Samt vorhängen bewehrten Prälatenkutsche durch die Mittagsglut eines wolkenlosen Hochsommertages, in drei Booten bei schönstem Wetter von Traunkirchen nach Gmunden und um elf Uhr nachts zurück und schon nach einer halben 24

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