Oberösterreich, 13. Jahrgang, Heft 3/4, 1963

Was das Bedürfnis betrifft, sich seine Existenz in der Ver gänglichkeit des Daseins zu bestätigen und zu sichern, so scheint mir jedes Tun, das über die bloße Erhaltung des rein physischen Lebens hinausgeht, keinen anderen Sinn für den Menschen zu haben; ob es der Forscher, der Wissenschafter, der Politiker oder Feldherr, der Manager und Unternehmer, ja noch der alte Bauer ist, der einen Baum pflanzt, den er vielleicht nicht einmal mehr blühen sieht, sie alle versuchen, ihrem raschen Hinschwinden zu entgehen, und die vielge rühmte selbstlose Tätigkeit, sei es zu wessen Wohle immer, auch sie erscheint mir als nichts anderes als ein Nichtzur-Kenntnis-Nehmen der Tatsache, daß der Strom der Zelt uns fortträgt ins Zeitlose, der gelungenste Trick, mit dem wir uns selbst täuschen. Verewigen ist zweifellos einer der stärksten von unseren Trieben. Die Religionen aller Zelten und Völker haben nichts anderes im Sinn. Wieder zurück zum Autor und seinem Gedicht. Jede künst lerische Arbeit, ist sie nicht an ein Du gerichtet? Der Ver fasser will sich also mitteilen, seine Zeilen sind ein Anruf, ein Zuruf, ein Mit-teilen seines Fundes, eine der Wirklich keiten, die er geschaut hat, sie können erfreuen, beglücken, herausfordern, sie können mich aufrütteln, belehren, aber auch ent-setzen (aus meiner Trägheit etwa), sie können zerstören, aufhellen, helfen, heilen. Und: sind Gebete und Zaubersprüche zu allen Zeiten und bei allen Stämmen nicht vollendete Gedichte? Sind sie nicht Anrufe an die höheren Mächte, Beschwörungen, die das Schöne, das Einmalige, das Unwiederbringliche festhalten, bannen, zu dauerndem Besitz machen wollen, sind sie nicht der Versuch, den Augenblick, den beglückenden, der Flucht Ins Nichtmehrsein zu entreißen? Sind sie dort, wo sie den Schrecken, das Dunkel, den Abgrund beschwören, die Ge fahr, das Böse selbst und den Tod mit Namen nennen, nicht immer noch Zauber- und Bannsprüche, die fernhalten, bannen wollen und der Bedrohung, dem Abgrund, dem Tod etwas von ihrem Grauen nehmen, ihre Kraft brechen dadurch, daß sie nennen, was auf uns zukommt, was auch da ist, die Nachtseite? Gewinnt hier nicht selbst das schokkierende Nein seine Bedeutung? Wie kommt der Autor zu seinem Gedicht, haben wir gefragt, wie entsteht es, was braucht er dazu und wie macht er es? Der Erzähler will erzählen, er soll erzählen, das wird von ihm erwartet, dazu braucht er seinen Stoff, denn der Leser von heute ist niemand anderer als der Zuhörer von gestern, er will hören, was ihm jemand erzählen will. Daran hat sich nichts geändert und es wird sich auch kaum etwas ändern. Nicht Stilübungen und -experimente erwartet der Leser-Zuhörer, sondern das „Abenteuer" des Daseins auf dieser Welt, etwas von ihren tausendfältigen Wirklichkeiten. ■ Das Wie ist das Abenteuer des Erzählers, wie er erzählt, davon hängt es ab, ob die Zuhörer bleiben oder ob sich einer nach dem andern aus dem Kreis fortstiehlt. Der Lyriker aber, für ihn gibt es keinen Stoff, wenigstens nicht im gebräuchlichen Sinn des Wortes, wenn wir vom Balladendichter absehen. Sein Stoff ist das Wort, das Wort und seine Magie. Ein einziges Wort vermag unter günstigen Umständen sein Gedicht auszulösen, ein einziger Laut, ein Bild, ein Ding, ein Duft, eine Bewegung, eine Geste, die niemand beachtet, können genügen, schon ist das Gedicht da, sein Inbild, wie im Steinblock die Gestalt schon enthalten ist, die der Bildhauer aus dem Material befreit und heraus holt, so das Gedicht des Autors in seinem Material, der Sprache. Wie nahe er seinem Gedicht kommt, hängt von seiner Fähigkeit ebenso ab wie von den Umständen, vom „Klima", in dem er sich befindet, und von seiner Geduld und Zucht. Es kann ihm gelingen, daß es in einem einzigen Ausbruch vollendet an den Tag tritt, sehr wahrscheinlich der seltenste Fall, es kann langsam sichtbar werden unter seinem Messer und Meißel, bis kein Wort mehr abzulösen ist und es rein und befreit von allem Überflüssigen vor ihm steht. Es kann auch sein, daß es lange nur bei dem einen Wort, bei einem Satz, bei einigen Zeilen oder einer Strophe bleibt und Jahre vergehen, bis er es in einer ge segneten Stunde zustande bringt, und es kann auch nie dazu kommen. Wirklich vollendete Gedichte sind sehr selten, und wenn aus einem Lebenswerk ein Dutzend bestehen bleibt, ist es mehr als genug. Damit ist nicht gesagt, daß alle anderen nichts oder schlecht oder wertlos sind. Entwürfe, Skizzen, Teilstücke, wir wissen es aus der bildenden Kunst am besten, können zu den Kostbarkeiten zählen, und ein paar Zeilen genügen manchmal, um ein Gedicht über tausend glatte, schöne, im Versbau und Rhythmus wohlgeformte, aber mit ■ihres Inhalts längst entleerten Bildern ausgestattete Verse hinauszuheben ins Unvergängliche. Mein Gedicht also ist mein Fund, ich muß an ihm solange arbeiten, ihn dem Spiel von Licht und Schatten aussetzen, bis das Gesetz seiner Form sichtbar geworden ist und nicht mehr verrückt werden kann. Die Mittel, deren ich mich bediene dabei, sind mir scheinbar überlassen, In Wahrheit aber ist es so, daß auch sie schon gegeben sind, wenn ich mich hinsetze, um das Gedicht zu Papier zu bringen. Der Lyriker hat nichts zu erzählen. Was erwarte ich mir als Zuhörer-Leser von ihm, von seinem Gedicht, seinem Text? Auch von ihm erwarte ich mir das Abenteuer des Daseins, einen Blick in die vielen Wirklichkeiten der Welt, die auch in mir selber dunkel vorhanden sind, sie will ich finden, das Gedicht soll sie mir - was ich selber nicht vermag - sichtbar und deutlich machen, sie will ich finden, nicht eine schöne kalligraphische Abschrift meiner Umwelt natur (eine alte Binsenwahrheit), die selbst dem Fotografen nicht genügen kann, denn auch er wird, sofern er den Blick des Künstlers hat, mich überraschen und ergreifen, mir ein Ding der Alltäglichkeit plötzlich in einem anderen Lichte zeigen, daß ich betroffen bin über diese andere Natur und Wirklichkeit des Gegenstandes, den ich so gut zu kennen glaubte und der mich nun mit einem neuen Gesicht (und doch nur einem von vielen) anblickt und Ahnungen spürbar macht von verborgenen Bereichen und Zusammenhängen. Ich erwarte mir vom lyrischen Gedicht, daß es mir eine der vielen Wirklichkeiten der Erscheinungswelt unseres Daseins zeigt und erhellt, daß sein Verfasser mir seine Inbilder schenkt, jener Wirklichkeiten, die sich ihm selber zeigen, daß er Vorhänge hebt, auch vor dem Nachtgründigen, kaum mehr Deutbaren, daß sein Gedicht mich herausfordert zum Deuten und Erkennen, ja zur Mitschöpfung. Sein Ge dicht darf kein Abziehbild der Schöpfung sein, sei es noch so gefühl- und stimmungsvoll, es muß in ihm die Schöpfung fortdauern, immer neu im Wechsel von Licht und Schatten, es soll mir im Sagbaren das Abenteuer des Unsagbaren, im Geringsten das Unfaßbare nahebringen. Der „weltentrückte Träumer und Phantast" war immer schon eine Fiktion der Analphabeten, und wo diese Vor stellung aus wirklichen Gedichten abgeleitet wurde, war es ein katastrophales Mißverständnis, ein Mißverständnis dessen. 15

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