Oberösterreich, 13. Jahrgang, Heft 3/4, 1963

LINUS KEFER Das Gedicht und sein Autor Die Zusage des Verfassers von Gedichten, einen Aufsatz dieser oder ähnlicher Art zu schreiben, geschah unüberlegt und sie stellt sich jetzt, da er die Aufgabe genau prüft, als purer Leichtsinn heraus. Sein Unternehmen ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Denn: v^as kann und was soll der Autor zu seinen Texten oder über diese äußern? Soll er den Versuch unternehmen, eines oder einige seiner Gedichte zu interpretieren, um auf diese Weise gewisser maßen am eigenen Leib ein Beispiel der Lyrik in unserer Zeit zu demonstrieren? Soll er auf vielen Seiten sich aus breiten, seine Gedanken und Bilder deuten, die Diktion vorführen, die gewählte Form begründen, soll er sich rechtfertigen, verteidigen? Wozu sollte er das tun und vor wem? Oder soll er mit etlichen Dutzend Begriffen manipu lieren und in einem eitlen Geschwätz jene Verwirrung zu spinnen sich bemühen, mit der nicht selten versucht wird, sich fragwürdigen Respekt und eine gewisse Distanz zu verschaffen? Was also soll er tun? Er überlegt weiter und fragt sich, ob er versuchen soll, zu erklären, wie der Autor, also er selbst, zu seinem Gedicht kommt, ob er sich darüber äußern soll, welcher Art seine Arbeit dabei ist, wie seine Verse entstehen. Er hat sich darüber nie einen Gedanken gemacht, wird er es daher auch nur annähernd sagen können? Ist es möglich, eine Antwort zu geben auf die Frage, warum er sie so und nicht anders schreibt? Und schon drängt sich ihm die Frage auf, warum er überhaupt Gedichte schreibt? Gewiß, diese Fragen bieten ihm Möglichkeiten an, aber sein Recht, das ihm gestattet, seine ganz subjektive Meinung zu diesen Fragen zu haben, schränkt die Möglichkeiten bereits ein. So hält er es zum Beispiel nicht für die Aufgabe des Autors, seine eigenen Gedichte zu interpretieren. Darüber kann man natürlich verschiedener Meinung sein. Er ist der Ansicht, für den Künstler sei es damit getan, sein Werk geschaffen, für den Lyriker in unserem Falle, sein Gedicht zu Papier gebracht zu haben, unbekümmert darum, wie jemand, die Mitwelt also, sich dazu stellt, ob sie, falls sie überhaupt davon Kenntnis nimmt, es ablehnt oder annimmt oder was immer sie dazu sagt, unbekümmert auch darum, ob seine Zeit darüber hinweggeht, ob eine spätere seine Verse entdeckt und ins Licht rückt, ob sie in diesem Lichte bestehen oder ob sie darin gänzlich und für immer ver bleichen werden. Dieser Ansicht kann man mit Recht die Frage entgegen stellen: warum schreibst du dann Gedichte? Und was willst du damit? Ja, warum schreibe ich meine Verse? Darauf eine klare, eindeutige, ja eine Antwort überhaupt zu finden, fällt nicht leicht, sie scheint eigentlich unmöglich und wahrscheinlich ist sie es auch. Man könnte sagen, die Lust ist es, und mit einigem Recht könnte man von einer schöpferischen Lust sprechen, es freut mich eben, ein Gedicht zu machen, ebensogut ließe sich aber auch die Qual an führen, und in beiden Fällen wäre Richtiges gesagt, aber doch nicht allzuviel geklärt, Auch steckt keine bestimmte Absicht dahinter, wenn ich mich hinsetze und versuche, mein Gedicht zu schreiben, etwa die, mir zur Abwechslung Lust oder Pein zu verschaffen, ebensowenig schreibe ich es, um mir Geltung oder Ansehen zu erwerben, es wäre zum Lachen, bei wem denn und wozu? Und ganz absurd wäre es, wollte ich mit so unnützen Dingen, wie Gedichte es für jedermann sind, zu Wohlstand und Reichtum gelangen. Geschieht es aus einem dem Spieltrieb des Kindes verwandten Bedürfnis? Setzt der Künstler der Außenwelt seine Innenwelt entgegen? Will er etwas in die Welt bringen, was vorher nicht in ihr vorhanden war? Antwort auf alle diese Fragen und noch andere möglichen zu geben, wären vielleicht Psychologen imstande, aber auch ihre Antwort bliebe sehr wahrscheinlich fraglich. Auf alle Fälle bliebe die Frage, warum macht nicht jeder Gedichte? Das Warum bleibt also offen. Das Gedicht wird geschrieben, weil es den Autor gibt. Weil es eine gewisse Kategorie von Individuen gibt, die dazu prädestiniert sind, Kunst hervor zubringen, also auch Gedichte, wie es andere gibt, eine größere oder große Anzahl, die ein Organ oder doch die Anlage dafür haben, die Sprache der Kunst aufzunehmen, zu verstehen und Kunst zu lieben, ja, die sie brauchen, und wie es wieder andere gibt, denen sie gleichgültig und überflüssig ist, weil sie kein Organ dafür haben. Allem Anschein nach besteht zwischen den beiden erstgenannten Gruppen eine weit verbreitete Verwandtschaft mit sehr nah und sehr weitschichtig verbundenen Angehörigen. Wer aber kein Ohr hat, vermag nichts zu hören, wer blind ist, kann nichts sehen. Von der sogenannten Begnadung des Dichters halte ich nicht viel, wohl aber von Begabung, Talent oder Genie, von strenger Werkstattarbeit und von unbarmherziger Selbstprüfung, die jedem als mißraten erkanntem Kind der Muse das schwache Lebenslicht ausbläst. Wenn ich ein solches Vorgehen verlange, will ich also doch etwas mit meinem Gedicht, zumindest, daß es meinem inneren Gedicht entspricht oder doch sehr nahekommt. Oder will ich noch etwas damit, etwas mir Unbewußtes? Zunächst, so glaube ich, ist tatsächlich ein unbewußtes Wollen mit im Spiele, nein, nicht nur mit im Spiele, sondern eine wesentliche Triebkraft, und zwar dieses, mir meine Existenz zu bestätigen und in der Vergänglichkeit meines Daseins zu sichern, die mich bedrohende Leere mit der von mir geschaffenen Welt zu erfüllen, mein Dasein gegen das auf mich zukommende Nichtsein zu behaupten, dem raschen Wechsel und Verfall rund um mich etwas, wenn auch nur scheinbar Beständiges entgegenzusetzen, dem permanenten Tod wie die Natur mit neuem Leben zu begegnen, und nicht zuletzt, hinter der einen Wirklichkeit der Erscheinungswelt immer wieder eine der vielen anderen Wirklichkeiten aufzuspüren und festzuhalten. 14

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