Oberösterreich, 13. Jahrgang, Heft 3/4, 1963

menschlich geradezu greifbare und plötzlich wieder ver blassende Figur der Rita rücken können, die der Dichterin im St.-Pöltner Studienjahr 1886/87 wohl als das stärkste und zeitlebens anhaltende Erlebnis geschenkt wurde. Möglicherweise war es ein Bild-Erlebnis, was die stark visuelle Gerichtetheit ihres Dichtens nur bekräftigt. Da rüber wurde von Enzinger, Henz,Paula v. Preradovic und zuletzt von mir bereits eingehend geschrieben. Im Rückblick, der uns jetzt ungehindert freigegeben ist, wird es gut sein, den „Meinrad Helmperger" wohl als beachtenswerten Erstling gelten zu lassen, aber ihn doch aus mehrfachen kritischen Bedenken abzurücken von der in der Gestaltung meisterhaft, in der Breiten- und Tiefen wirkung nachhaltigen Dreiheit: Jesse und Maria — Die arme Margaret - Stephana Schwertner (und „Das deut sche Recht"). Diese erste große Schaffensperiode, rund ein Jahr zehnt umfassend (1904-1914, es ist ungefähr auch die Zeit ihres Steyrer Aufenthalts 1905-1911), ist aus vielerlei Gründen für die gesamte deutsche Dichtungsgeschichte aufschlußreich. Wir können mit staunender Bewunderung die der Akribie des Historikers alle Ehre gebende Arbeitsweise der Dich terin verfolgen. Wie sie aus den Urkunden nicht nur das Stoffliche gewinnt, auch den Klang der Sprache bewahrt, der alltäglichen wie der im Auf und Ab des Geschehens gehobenen Sprache, das Lokalkolorit, das sie wachenden Auges durchwandern kann (Maria-Taferl, Steyr); wie sie sich genaue, bis ins Detail gehende Bildvorstellungen macht von Gewand, Wohnung, Gebrauchsgegenständen, Zierat, Arbeitsweise und Gewohnheiten der großen und kleinen Leute des 16. und 17. Jahrhunderts. Alles sitzt und ist an seinen Platz gestellt, ist zur rechten Zeit zur Hand und ins rechte Blickfeld gerückt. Das „hieb- und stichfeste" Ma terial wartet sozusagen nur mehr auf das Stichwort des gestaltenden Dichters. Wie auf einer Musterkarte kann man den nimmermüden Fleiß des Handwerklichen in der Werkstätte der HandelMazzetti ablesen. Es erschließt sich uns aus den hunderterlei Streichungen, Verbesserungen, Einschöben, Korrekturen das Geheimnis des Schöpferischen in einer ungeahnten Weise. (Vor einigen Jahren habe ich an Hand eines eng „bekritzelten" Zettels die Bedeutung solcher eilig hinge schriebenen Einfälle für den inneren und äußeren Hand lungsablauf der „Frau Maria" = Trilogie nachgewiesen. Und solches läßt sich beliebig oft aufzeigen.) Ein anderer Grund, der uns dieses erste Schaffensjahrzehnt so gewichtig macht, ist die religiöse Problematik, die sie mit einem für die damalige Zeit, für ihre gesell schaftliche Stellung und für ihr Alter unerhörten Mut aufreißt. Um diese Tat zu begreifen und gerecht zu werten, müssen wir geschichtlich denken und absehen von dem sich erst in den letzten dreiJahrzehnten in unser Bewußtsein erschließenden Tiefengang des weltanschaulichen Romans (Le Fort, Undset, Wilder, Greene, Bergengruen, Schaper u. a. —,eine Südtiroler Studentin der katholischen Univer sität Mailand, Sr. Maria Benedikter, geht daran, dieses schwierige Thema in einer Dissertation zu bearbeiten). Gewiß ist, daß sie in den großen Reinigungsprozeß sich einfügte, den der „Hochland"-Kreis um den uner schrockenen Carl Muth (nomen est omenl) gegen die geistige und künstlerische Sterilität der noch immer vor herrschenden katholischen Literatur geführt hat. Und bald stand auch sie inmitten des „katholischen Literatur streites" und wurde auch sie als eine Abtrünnige vor das Forum der literarischen „Modernismus"-Incjuisition gehetzt (Decurtins, Kralik, Schmid von Gruneck, Gisler u. a.). Die durch das unsachliche Ein mischen von Persönlichkeiten aus eigenem und frem den Lagern oft zwielichtig gewordene Situation kann im Hinblick auf die Handel-Mazzetti durch eine Reihe höchst wertvoller und vielsagender Zeitdoku mente aufgeklärt werden. Nicht durchaus freilich zu gunsten unserer Dichterin, die sich aus einer gewiß be greiflichen Sorge um ihr Seelenheil etwas flügellahm aus der Gefahrenzone zurückzog. Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, daß sie in diesen gewiß schwer belastenden Jahren übel beraten war. Und schließlich lähmte am Ende dieser Periode der auf beiden Seiten recht unglücklich geführte Plagiatstreit um ihre „Margaret" und Schönherrs „Glaube und Heimat"fürJahre hinaus ihre Schwung kraft. Man wird nun für die folgenden Jahre bis etwa 1928 nicht mehr, wie ich ursprünglich meinte, den Begriff „schöp ferische Pause" einsetzen dürfen. Nach dem ihr angetanen Unrecht, nach der weltgeschichtlichen Katastrophe 1914 bis 1918 mit der sie besonders schwer treffenden Zer trümmerung des alten Habsburgerreiches war der Er schöpfungszustand unverkennbar. Der Versuch, ihrer „Ri ta" das große Denkmal zu setzen, mißglückte vollends (Ritas Briefe, Ritas Vermächtnis), entartete geradezu in billige Sensation, der die gewiß schön gewollte, jedoch schwindsüchtig mißratene Lieblingsgestalt zum Opfer zu fallen drohte. Auch die in ihrem Zeichen gewaltsam wiedergerufene Else Walch (Sand-Trilogie) ist das kranke Produkt einer sehr schwunglosen Phantasie. Einzig die mutige Absicht, der todwunden deutschen Seele ein aufmunterndes, ein erhebendes Vorbild zu geben (Der deutsche Held)hat Geltungin der redlichen Gesinnung, Wirkung in der straffgespannten Gestaltung. Das schöne Beispiel mehr noch als der literarische Wert wurden ihr als einem echten Anwalt deutscher Leidensgröße hoch angerechnet im gesamten deutschen Sprachraum. Die Berufung in die deutsche Dichterakademie und die Ver leihung der Goethemedaille waren nur die ehrenden Bestätigungen ihrer edelmütigen Haltung. Und jetzt, in Einkehr und strenger Selbstbesinnung ge reinigt und gestärkt, setzt die zweite Schaffensperiode ein (Günther, Frau Maria = Trilogie 1926-1931/33). „Günther" ist das Mitte-Stück ihres Gesamtwerkes, meisterhaft angelegt als Roman, klassisch als eines ■ der innerlich begründeten Fragmente der deutschen Literatur, ungemein aufschlußreich durch seine autobiographische Einleitung, in der Entwicklung organisch eingefügt als Vorstufe zum krönenden Abschluß ihres reifen Roman schaffens, der „Frau Maria" = Trilogie, Krönung der Rita-Gestalt. Die Dichterin hat in dieser Tetralogie ihr Bestes, die Voll endung ihrer epischen Kunst erreicht, wie dies in einge hender Interpretation zu erweisen sein wird. „Die Waxenbergerin", dem Rita-Komplex vielleicht zugehörig,in allem noch die Linie der Meisterschaft haltend, leitet über zu ihrem Schwanengesang, der „Graf Reichard" = Trilogie, dem redseligen,um nichtzu sagen geschwätzigen Alterswerk. 36

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