Oberösterreich, 13. Jahrgang, Heft 3/4, 1963

„Wunder der Schöpfung" vollziehen, das Unmögliche ist mir möglich, in dos zarte Netz einer Spinne zwischen zwei Gräsern hänge ich tausend Sonnen, sie zittern und funkeln darin und das Netz zerreißt nicht; ich rufe die weiße Mittags katze, und da ich sie nenne, ist sie erschaffen, schon kommt sie lautlos über die glühenden Dächer des Sommers; der gefallene Freund tritt in mein Zimmer, macht die Trommel stumm, rollt die Fahnen ein, geht fort, wenn der Redner die Tribüne betritt, sagt er; großschwingige Vögel schütteln nachts schwere Träume aus ihrem Gefieder; ich lege meine Augen aus an der Quelle, verstecke meine Ohren im Moos; aus dem Haar der Geliebten springen Sterne in meine Hand; Wälder aus weißem Licht beginnen sich auf mein Wort zu drehen, rote, orangene, drehen sich mit, das weiße Pferd ohne Gestalt trabt durch blaue, veilchenfarbene Wälder, mich trägt es auf seinem Rücken; Fische bringen Nachricht aus der Mitte der Strömung, der Mond beschreibt das Meer; schwarzer Wind vom Atlantik landet auf dem Rücken der Regenberge, der Mond ersäuft. Im Kernge häuse des Apfels fnde ich meinen Vater und den lieben Gott, ich verspeise sie beide mit dem Apfel; ein Fenster, hell wie Mondlicht, geht überm Wald auf, es ist meine Mutter, die wartet. Unerschöpflich sind meine Möglichkeiten, meine Aufgabe besteht darin, Ordnung in die neue, vor meinen Augen heraufsteigende Schöpfung, in meine Schöpfung zu bringen, das Gedicht auf dem Papier zu einem Ebenbild meines inneren Gedichtes werden zu lassen. Ich darf mich nicht zurückziehen von meinem Gedicht, ich darf es nicht schönfärben, ich darf Licht und Schatten nicht trennen, es sind die Elemente, die mich sichtbar machen, auch die andere Seite ist in der Welt, mein Gedicht verlangt meine Wahrheit, Spott und Ächtung dürfen mich nicht abhalten, sie auszusprechen, wenn das Gedicht es von mir fordert. Alles andere ist Täuschung, Lüge, Gartenlaube. Das moderne Gedicht, unterscheidet es sich von Gedichten früherer Zeiten? Gewiß, aber es gibt Gedichte, die vor hundert oder tausend Jahren geschrieben wurden, sie waren damals schon modern und sind es heute genau so, und es gibt „moderne" Gedichte, Nachgeburten von Gedichten, die längst in der Mottenkiste zerfallen sind. Sagen wir, das Gedicht in unserer Zeit, wenn auch das nicht genau zutrifft, aber muß es sich nicht unterscheiden von früheren? Ob wir es wollen oder nicht, unsere Anschauung der Welt hat sich verändert, alte Ordnungen sind zusammengebrochen und manche werden noch stürzen, Einblicke, die dem Menschen bisher versagt waren, haben sich uns eröffnet, wir leben in einer veränderten und sich weiter verändernden Welt, unsere Lebensweise verändert sich mit, alles was geschieht, die Ereignisse in der menschlichen Gesellschaft, in Wissen schaft und Technik, täglich und stündlich, sich überstürzend, werden sie an uns herangetragen, die Entfernungen sind eingeschrumpft, sie schrumpfen weiter, immer näher rücken wir zusammen, nichts kann geschehen, das uns nicht angeht und uns im nächsten Augenblick auf den Nägeln brennen kann, was „weit hinten in der Türkei" geschieht, „wenn die Völker aufeinanderschlagen", selbst wenn die ,,Türkei" der Ferne Osten, wenn es Afrika oder Amerika ist, wenn irgend wo der Dschungel auflodert oder Bergstämme sich erheben, wenn Raketen in den Weltraum jagen, ganz zu schweigen von jedem Atomversuch, wo immer er stattfindet, wir bleiben nicht verschont, alles berührt uns, wir können uns nicht mehr den eigenen Frieden loben, was immer geschieht, kann für uns oder gegen uns geschehen, selbst unsere vier Wände sind undicht geworden, die Nachrichtentrommel in Wort und Bild geht pausenlos Tag und Nacht durch den wuchernden Urwald unserer Welt, wir sind einer ständigen Bedrohung von allem und jedem ausgesetzt. Fragen, die unseren Vätern noch unbekannt waren, beun ruhigen uns, die Grenzen jener einfach erscheinenden Unterscheidung zwischen Gut und Böse befinden sich in Auflösung, wir können nicht mehr auskommen damit, immer komplizierter, immer schwieriger werden die Auf gaben, die wir zu lösen haben, die Ergebnisse der modernen Forschung und Wissenschaft lösen mit jeder gefundenen Antwort ein Dutzend neue Fragen aus, selbst die Theologie ist nicht verschont geblieben, auch sie ist im Begriffe, sich neuen Einsichten und Erkenntnissen zu eröffnen, von einer Sicherung unseres Daseins sind wir weit entfernt, in jeder Weise. Vieles, was für die Ewigkeit gefestigt schien, ist fraglich geworden, und der Primat des Menschen, das Denken, ist in diesem Umbruch für die große Masse zur Be lastung geworden, die sie für ein Linsengericht verkauft und abzuschütteln versucht aufder Flucht in den sogenannten Wohlstand, in den Konsum von Gütern, in die turbulente Betriebsamkeit, in die betäubende Vergnügungshysterie. Und der Verfasser von Gedichten, der kein weltentrückter Träumer ist, er soll unbeteiligt bleiben, sein Gedicht soll das Beben dieser Welt nicht registrieren, sein Vokabular sich nicht verändern und erweitern, ihm soll sich alles reimen, als wäre nichts geschehen? Er soll unberührt bleiben, gerade er, und zurückblicken auf das Mühlenrad, aber auch das kann er nicht mehr, das Mühlenrad selber ist längst zerfallen. Nein, auch seine Sprache hat sich verändert und sein Gesicht wie sein Gedicht. Pathos und große Worte sind ihm fremd, er ist nüchterner, sachlicher, sparsamer in seinem Wort, das Ich tritt zusehends zurück, eine Objektivierung ist längst zu erkennen, Verfremdung deutlich festzustellen. Experimente können fruchtbar werden, die Stammler werden des Stammeins müde werden und verstummen, das Gedicht wird bleiben und modern sein, auch das moderne, sofern es ein Gedicht ist, erweisen wird es die Zeit. 18

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