Oberösterreich, 13. Jahrgang, Heft 3/4, 1963

haben teil an den ursprünglichen Bindungen und Ver bindungen, deutlicher zeigt sich die Verselbständigung, die Isolierung eines poetisch schweifenden Intellekts bei Leuten etwa wie Rudolf Bayr oder Johannes Würtz- Häufig aber - und wie sehr zeugt dies für das rechte Maß, das StifterMaß,das noch gewahrt ist-sind Schaffende bei uns, denen die genannten „Ursprungskräfte" in eins verfließen, zu einem zusammenwirken; Natur und Geschichte, Landschaft und Tradition, und schöpferisches Getriebensein, Sinn fragen und Seelenhalte sind mit all dem verschmolzen, Stufen von der Erde und ihren Gründen steigen auf zu geahnten oder ersehnten Höhen. So ein Arthur FischerColbrie, dessen Naturgedicht ebenso religiöse Weihe ist wie seine Sternenlyrik, ihm ist die Heimatseele zur Seelen heimat geworden — wie im Grunde allen echten oberöster reichischen Dichtern. In einem wesentlicheren Sinne, als er es einst, 1939, befangen von der Zeit, gemeint, sind Adalbert Schmidts Worte immer wieder wahr geworden, daß in der Dichtung Österreichs, Oberösterreichs „Art und Antlitz des Landes Bild, Farbe und Klang geworden". Die Landschaft,und mitihr alles, was sieje an Geschehenem, an Geschichte getragen, wird, in geheimnisvoller Wechsel wirkung, „Landschaft der Seele" (so bei Karl Kleinschmidt), wird „Spiegel der Seele" (wie bei dem gefühlstiefen Franz Häng). Ursprünge tun sich auf, und „An den Ursprüngen ist Gott zu schauen", spürt Franz Turnier und läßt es in seinen besten Dichtungen auch spüren, und nicht nur in einem romantischen Sinne spricht Max Narheshuber von der „heil'gen Heimat"; ihr Ew'ges regt sich fort in allen. Dies mag es auch mit ausmachen, daß manches von ober österreichischer Dichtung Ruf und Weg in die Weite, über unsern Stamm, übers Volk hinaus gewinnt: gerade das Festverwurzelte, das Eigengeprägte zieht an und überzeugt. (Während umgekehrt heute schneller und schärfer denn je der kritische Blick das Heimattümelnde und die Lokalgröße als solche erkennt!) Wer ist schlesischer als Gerhart Haupt mann, und doch ist er zum Inbegriff deutschen Dichtertums und deutschen Wesens geworden, Vicr österreichischer als Grillparzer, der international wenn auch noch nicht ver standene, so doch geachtete? Und wer in seines Wesens Gründen (auch Abgründen) oberösterreichischer als Richard Billinger? Es wäre verlockend und wird eine Pflicht sein, all solchen Zusammenhängen in einer Literaturgeschichte der obderemisischen Dichtung von den Anfängen bis heute nachzugehen, in einer freilich, die nicht nach dem Schema chronologischer Abläufe und Registrierungen allein unter nommen werden dürfte. Gerade am Beispiel oberöster reichischen Schrift- insonderheit Dichtertums ließen sich jene Fragen abhandeln,jene Komplexe aufzeigen, auf die es bei jener Methode geistesgeschichtlicher Literaturge schichtsschreibung ankommen wird, wenn einmal die gegen wärtige offenkundige Krise der Literaturwissenschaft (Emil Staiger sagte schon vor 20 Jahren, daß „die Literaturge schichte einer Erneuerung heute sehr bedürfe, daß sie in dem, was sie bisher getan, gesättigt sei, und, um zu dauern, gleichsam von vorne beginnen müsse"), über die noch immer auffruchtlosen Tagungen nur herumdiskutiert wird, überwunden sein wird und jene kausal-hauptwichtigen Beziehungen werden eingebaut sein, die zur volleren Er klärung, zur tieferen Erkenntnis dichtungsgeschichtlicher Erscheinungen unbedingt herangezogen werden müssen: die zur Charakter- wie Tiefenpsychologie (sie würde u. a. die zyklothyme Art unserer gemütvollen Schilderer und Erzähler, die schizothyme unserer Stilisten, Ästheten, man ches Lyrikers und Dramatikers erweisen!), in Verbindung damit solche zur Biologie (der Oberösterreicher Otto Hamann hat ahnende Gedanken solcher Richtung schon in seiner „Biologie der deutschen Dichter und Denker" 1923 geäußert, ein anderer, Franz Koch, ist gerade auch in diesem Sinn ein Vorkämpfer der sich anbahnenden Litera turgeschichte als einer synthetischen Wissenschaft!), zur Geistesgeschichte und Philosophie (Wegbereiter: Herbert Cysarz, der verlangt, daß in jedem Besonderen eines litera rischen Werkes, wie bei Hegel, ein Allgemeines zu erkennen sei, in jedem Fließenden ein Dauerndes), zur Soziologie nicht zuletzt(wie es zum Teil schon Walter Muschg versucht, der Dichtung der Bauern, der Geistlichen, der Aristokraten, der Ästheten,der Arbeiter,der Vagantennaturen usw. unter scheidet, in welchem Zusammenhang man bei uns zum Beispiel an soziologisch profilierte Gestalten herangehen könnte wie Billinger oder Hanrieder, Lernet-Holenia oder Bayr, Baron oder Pühringer). Ein Bild solch umfassenden Charakters und vielfältig sich verschlingender kausaler Ergründungen zu geben, bedarf es freilich einer Siebung, die noch nicht erfolgt ist (leider auch nicht in dem Wegweiser für Volks bildner und Büchereileiter von Fischer-Golbrie, der sich darin in gütigen Überschätzungen gefällt), auch nach strenger Sichtung bliebe vom gegenwärtigen Schaffen noch eine Überfülle des Stoffs - aber dergleichen ist Zukunfts musik, jetzt und hier weise nur ein kleiner Streifzug, not wendig ungerecht und im Ungefähren bleibend, und mehr einen Hin- als einen Überblick gebend, auf ein paar Zu sammenhänge hin. Die Landschaft Oberösterreichs, nun einmal nicht in Vierteln und nicht in ihrer starken Unterschiedlichkeit gesehen (die ungefähr so groß ist wie die der Dialekte,man vergleiche einen Ebenseer mit einem Helfenberger!), sondern als ein erlebtes Ganzes, mag dem Dichter da wohl wie ein „einziger großer Gesang" (so Kleinschmidt?) ertönen oder als eine einzige große Wohltat voll mütterlicher Liebe empfunden werden - Tumler nennt sie eine „verborgene Mutter, die leidet, und ihre Kinder mit tausend Armen am Leben erhält" -, als etwas, das der bedrängten Seele Ruhe und Kraft gibt (das Tröstliche dieser Landschaft erlebt Otto Guem: „Das sind die Wege, die zur Heimat führen, und still begraben Weltennot und Leid) und ins Unendliche weist (so in Franz Höngs barocken Umjubelungen etwa Salzburgs oder der Salzkammergutseen, oder auch bei dem so ganz anders gearteten, vorab von Stimmungen der Skepsis und der Ironie beherrschten Hannes Peherstorfer), etwas, das die Menschen wie mit zarter Hand zu formen weiß, ihnen Brauchtum gibt, Zu- und Zusammengehörig keit, Arbeit und Lebens-Art (ein bei C. H. Watzinger häu figes Motiv, oder bei Eckmair, Jungmair, Spindler), oder auch als etwas, das den Blick, wie von Firnen und Graten hernieder, in die Tiefen lenkt, hinführt nicht nur zu großer Befreiung, sondern auch zu jener Melancholie, ohne die echtes Naturerleben ja doch nicht ist, wie bei dem gedank lich tiefen Egon Hofmann, dessen Malerblick auch hinter die Dinge schaut — die Tauern sind ihm „ernste Berge", um die sich „ew'ge Düsterkeiten schlingen", wie Drohungen des Schicksals, das Mühlviertel ein „schwermütig Land, von Wolken überflogen", es ist ein ähnliches Erleben wie das des Malers Hans Pollack, der über solchem Eindruck 38

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