Schule und Klerikalismus von Otto Glöckel

Sozialdemokratische Werbeschriften zum Wahlkampf. Schule und Klerikalismus Von Otto Glöckel. Wien 1911. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung Ig. Brand & Co., VI, Gumpendorferstr. 18.

Schule und Klerikalismus. Täglich steigern sich die Anforderungen, die das Leben an jeden einzelnen stellt; immer härter wird der Lebens¬ kampf, immer erbitterter das Ringen um die nackte Existenz. Sorgenvoll blicken Vater und Mutter in die trübe Zukunft, denken sie an das Schicksal ihrer Kinder. Ja, wer über viel Geld verfügt, der kennt auch diesen Kummer nicht! Nur eine Möglichkeit gibt es, das Schicksal unserer Kinder günstig zu beeinflussen: wenn wir dafür sorgen, daß deren geistige Fähigkeiten und Anlagen entwickelt, daß sie mit wertvollem praktischen Wissen ausgestattet, daß sie zu sitt¬ lichen, selbständigen Menschen erzogen werden. Wohl gibt es Mittel= Hoch= und Fachschulen für die Kinder der besitzenden Klassen; wäre das Arbeiterkind noch so fleißig, noch so talentiert, es lastet der Fluch der Armut auf ihm, es ist ausgeschlossen von den Kulturschätzen der Gesellschaft. Nur die Volks= und manchmal die Bürgerschule steht diesen Kindern offen, hier allein ist es möglich, sich systematisch Wissen anzueignen. Darum ist es das begrün¬ dete Recht des Arbeiters, ja es ist Notwehr, wenn er ver¬ langt, daß sich die Entwicklung der Volksschule mit dem geistigen Fortschritt in gleicher Linie vollziehe, damit aus der Schule tüchtige, lerneifrige und insbesondere charakter¬ volle Menschen hervorgehen. 1*

4 Die Sozialdemokraten wollen ein selbst¬ bewußtes, stolzes, kluges Volk — sie erblicken in der Volksschule ein wichtiges Mittel zur Erreichung dieses Zieles. Die Klerikalen müssen jede freiere Regung unter¬ drücken, Feinde der modernen Ausgestaltung des Schul¬ wesens sein, weil ihre Existenz von einer verdummten, abergläubischen, unselbständigen Menge abhängt. Sie wollen die Schule in ihre ausschließliche Gewalt bekommen, um sie ihren Wünschen zweckdienlich zu gestalten. Wie schön war für die Klerikalen die gute alte Zeit! Vor dem Jahre 1869 waren sie die unumschränkten Herren der Schule, der Ortspfarrer war Schulinspektor, der Lehrer der Bediente des Geistlichen und der Mesner in der Kirche; das Volk war — das Opfer! Nach schweren Kämpfen wurde endlich die konfessionelle Schule, die auf Grund des zwischen Kaiser und Papst geschlossenen Uebereinkommens (Konkordat) errichtet worden war, durch die sogenannte „Neuschule“ ersetzt. Das Reichsvolksschulgesetz führte die staatliche Schulaufsicht, die achtjährige Schul¬ pflicht, endlich den Realienunterricht (das sind die Unter¬ richtsgegenstände: Geographie, Geschichte, Naturgeschichte, Naturlehre) ein. Damit hatten die österreichischen Klerikalen eine empfindliche Niederlage erlitten. Keinen Augenblick versäumten sie aber, um das neue Gesetz mit aller Wucht zu bekämpfen. Der Papst rückte mit dem Fluche aus, von allen Kanzeln wurde wütend gehetzt, Wallfahrten wurden arrangiert und im Parlament emsig an der Unterwühlung des Gesetzes gearbeitet. Wirklich gelang es den Klerikalen im Jahre 1889, die Novellierung des Gesetzes zu erzwingen und damit ein Stück ihrer Macht zurückzuerobern. Stetig

5 steigt von da an der klerikale Einfluß, es gibt kein Zurück mehr! Es wird der „Katholische Schulverein“ mit dem aus¬ gesprochenen Zwecke gegründet, die konfessionelle Schule in Oesterreich wieder einzuführen; freudig stellt sich der Hoch¬ adel an die Spitze der Agitatoren. Schmählich feige ist die Haltung des „freiheitlichen“ Bürgertums! Kraftlos knickt es zusammen, willig gibt es die Schule auf dem Verwaltungs¬ weg preis, alles um die Gunst der klerikalen Schulfeinde zu erringen oder zu befestigen. Den „freiheitlichen“ Bürgerlichen wird die Schule zum politischen Schacherobjekt! Wer den Schulkampf der letzten Jahre, insbesondere seitdem der „freiheitliche" Graf Stürgkh die Schule Oesterreichs verwaltet, verfolgt, der muß mit Empörung die Wahrnehmung machen, daß sich der Einfluß der Geistlichkeit auf das Schulwesen täglich erhöht, daß der Bischof Graf Czäky Recht behalten soll, der die Schule als „Vorhalle der Kirche“ bezeichnete. Wie weit es in den letzten Jahren, da die Deutschfreiheitlichen als Regierungspartei ihr Unwesen trieben, mit der Schule gekommen ist, beweist das Vorgehen der Klerikalen in der Frage des Zwanges zu den religiösen Uebungen. Zu den religiösen Uebungen zählt man das Schul¬ gebet, den Kirchengang, Prozessionen und die Beichte. Klat spricht Artikel XIV des Staatsgrundgesetzes aus, daß niemand zu einer kirchlichen Handlung gezwungen werden dürfe. So lange; die Klerikalen noch nicht den allein be¬ stimmenden Einfluß hatten, gingen auch die Schulbehörden nach dem Willen des Gesetzes vor. So liegt ein Erlaß des Bezirksschulrates Friedland vom 14. Mai 1870 vor, in dem es heißt: Uebrigens diene den Schulleitern zur Kenntnis, daß die Schulkinder zu den religiösen Uebungen, insoferne deren Eltern es nicht gestatten sollten, zwangsweise nicht verhalten werden dürfen

6.— Vor einigen Jahren konnten die Bischöfe schon er¬ klären, daß die religiösen Uebungen einen Teil des Reli¬ gionsunterrichtes bilden, wovon sie die Verpflichtung ab¬ leiteten, daß jedes katholische Schulkind zur Teilnahme an den religiösen Uebungen gezwungen werden könne. In Beantwortung einer Interpellation trat der liberale Unterrichtsminister Dr. Marchet am 28. Jänner 1907 mutig den Rückzug an. Er erklärte: .... daß die Anwendung von Strafmitteln gegen Eltern vom Standpunkte der bestehenden Gesetze aus jedenfalls als eine be¬ strittene bezeichnet werden muß. Er werde bis zur Austragung der Sache die unterstellten Behörden anweisen, keine Amtshandlungen durchzuführen. Nun war also die Frage eine „bestrittene“ geworden! Marchet wird von dem „freiheitlichen" Grafen Stürgkh abgelöst. Dieser betrachtet sich vom ersten Augenblick an als den Geschäftsträger der Bischöfe, er duldet stillschweigend jeden klerikalen Uebergriff, ist er doch sicher, daß ihm die deutschen Regierungsparteien nicht ein Härchen krümmen werden. Wohl wagte er bis heute nicht, das Staatsgrund¬ gesetz in sein Gegenteil zu verkehren, er treibt passive Resistenz und läßt Hunderte von Rekursen in seiner Lade unerledigt liegen; für die Klerikalen hat er kein Wort leifesten Tadels, er stört ihre Kreise nicht. Es ist bezeichnend, wie gewissenlos in dieser Frage die Katecheten vorgehen. Sie setzen die Note aus dem Unterrichtsgegenstand „Religion“ herab, ja der Bischof von Leitmeritz weist die Katecheten an, jedes Kind, das, dem Gebote seiner Eltern Folge leistend, an den religiösen Uebungen nicht teilnimmt, in Religion mit „ungenügend“ zu klassifizieren! Es wird also nicht das Wissen des Kindes, sondern ausschließlich der Kirchenbesuch be¬ urteilt. Andere Katecheten verschlechtern gar die Sitten¬ note! In Weyr (Oberösterreich) werden Eltern gepfändet, weil sie die ungesetzlichen Kirchenversäumnisstrafen nicht

7 entrichteten; in Atzgersdorf (Niederösterreich) erklärte der Bürgerschuldirektor, daß jenen Eltern, die ihre Kinder nicht in die Kirche schicken, die elterliche Gewalt entzogen würde; eine lächerlich dumme, aber sehr bezeichnende Drohung! In Chodau (Böhmen) läßt ein Vater seinen Sohn im Winter nicht in die Kirche gehen, weil das Kind keine warmen Winterkleider besitzt. Die Folge davon ist, daß das Kind aus Religion „ungenügend“ erhält und daher nicht in die Bürgerschule aufgenommen wird, trotzdem es ein braver und fähiger Schüler ist. Und dies alles trotz der strikten Erklärung Doktor Marchets, trotz des klaren Wortlautes des Gesetzes! Von allen diesen Fällen ist Graf Stürgkh genau unterrichtet, er schweigt beharrlich und die deutsch,freiheitlichen" Parteien buhlen weiter um die Gunst einer Regierung, die unsere deutsche Schule bewußt den klerikalen Volksfeinden aus¬ liefert, einer Regierung, die auf dem Umweg der Verwal¬ tung die Konkordatsschule wieder erstehen läßt! Die Schulklassen sind überfüllt, ein Drittel aller Schulen ist ein= bis dreiklassig, über 5 Millionen Leute gibt es in Oesterreich, die weder lesen noch schreiben können: all diese schandbaren Zustände kümmern den Unterichts¬ minister nicht, er hat andere Sorgen, er denkt an die An¬ zahl der während der Schulzeit zu erwerbenden Beichtzettel, er will die Leute mit Pfändungserkenntnissen „katholisch“ machen! Jeder Vater, jede Mutter entscheide selbst, ob sie die religiösen Uebungen für ihre Kinder für notwendig halten; der Zwang zu den religiösen Uebungen ist nicht nur ungesetzlich, sondern auch unsittlich, er wird stets auf den schärfsten Widerstand der Sozialdemokraten stoßen. Anstatt in der Schule lernen — in der Kirche ministrieren! Im Mai 1909 verfügt der oberösterreichische Landes¬ schulrat, daß Kinder, die wegen Ministrierens den Unter¬

8 richt versäumen, als entschuldigt anzusehen sind. Graf Stürgkh rührt sich nicht, die deutschfreiheitliche Regierungs¬ partei steckt jede klerikale Frechheit ruhig ein! Schulbehörden und bischöfliches Konsistorium. Nach dem Gesetze bedürfen die Schulbücher der Ge¬ nehmigung der Schulbehörden. Heute wird jedes weltliche Lehrbuch, bevor es von der Schulbehörde approbiert wird, dem Bischof zur Begutachtung unterbreitet. Es mag noch so gut durchdacht sein, erfreut sich das Buch oder dessen Ver¬ fasser nicht der bischöflichen Gunst, darf es den Schülern nicht in die Hand gegeben werden. Jetzt ist es begreiflich, wenn das Lesebuch mit heuchlerischen, frömmelnden Lese¬ stücken vollgepfropft ist, wenn es Lebensbeschreibungen von Heiligen und anderes unnützes Zeug enthält. Die achtjährige Schulpflicht war stets den Klerikalen ein Dorn im Auge. Ihrem Wühlen ist es zu verdanken, daß die verschiedensten Arten so¬ genannter Schulbesuchserleichterungen“ eingeführt wurden, die alle darauf hinauslaufen, die Unterrichtszeit zu be¬ schränken. Insbesondere fürchten die frommen Herren den Einfluß des Lehrers bei dem dreizehn= und vierzehnjährigen Kinde. In diesem Alter ist der Schüler geistig reifer ge¬ worden, es können in der Schule schon Lehrstoffe behandelt werden, die zum selbständigen Denken anregen, Dinge, die den Klerikalen nicht recht passen. Die Predigt und die Christenlehre genügt nach ihrer Meinung vollständig. Es ist bezeichnend, daß der deutschfreiheitliche Abgeordnete Dr. Steinwender für Kärnten eine Schulreform empfahl, die nur eine sechsjährige regelmäßige Schulpflicht vorsieht. Ihm stehen dieselben Argumente wie den Klerikalen zur Verfügung: Die Kinder müßten auf dem Felde den Eltern helfen, die „Landflucht“ könne nur auf diese Art eingedämmt werden, die Bewohner der Dörfer und Märkte

9 brauchten keine so weitreichende Bildung. In Wahrheit wird dadurch der schändlichen erwerbsmäßigen Kinderarbeit, durch die schon aus den zarten Händen der in vollster geistiger und körperlicher Entwicklung stehenden Kindern Profite herausgepreßt werden, Vorschub geleistet. Gerade der Bauer bedarf dringend umfassender Bildung, er soll nicht ausschließlich in der verdummenden Lektüre des „heiligen Kalenders“ oder gar des „Bonifaziusblattes“ seine geistige Befriedigung finden. Eltern! Wereuch die sechsjährige Schul¬ pflichtanpreist, der meint es nicht gut mit euren Kindern, der ist ein Rückschrittler, mögen es nun die christlichsozialen Abgeordneten Jedek und Stöckler, die im Abgeordnetenhaus einen solchen Antrag einbrachten, oder der „freiheitliche" Dr. Stein¬ wender sein! Die Sozialdemokraten treten für die volle acht¬ jährige Schulpflicht, für praktische Fort¬ bildungsschulen ein, sie verwerfen jede Form der Schulbesuchserleichterungen. Lernfähige Kinder sollen die Schule besuchen. Wie sollen Kinder, die ohne genügend warmer Kleidung den Härten des Winters aus¬ gesetzt sind und oft einen stundenweiten Schulweg täglich zweimal zurückzulegen haben, dem Unterricht mit Nutzen folgen können? Sie müssen erst „auftauen“ dann schlafen sie vor Müdigkeit ein. Die Schule wird zur Stätte der Er¬ holung. Viele Kinder kommen hungrig zur Schule, wie soll der Kopf arbeiten, wenn ihn der Magen daran hindert? Für die Kinder des Proletariats ist gar oft die „goldene Jugendzeit“ eine bittere Phrase! Wir haben in Oesterreich keine arbeitenden Mönche, keine darbende Geistlichkeit, für diese Stände ist reichlich gesorgt, dafür können wir auf ar¬ beitende und darbende Kinder verweisen!

10 Ungemein wichtig für den Geist, der in der Schule heimisch ist, ist die Vorbildung der Lehrer. Die Lehrerbildung ist ausschließlich eine Angelegenheit des Staates; vielfach überläßt er diese wichtige Aufgabe den Ländern, Gemeinden oder gar klerikalen Vereinen. Diese Verhältnisse werden immer betrüblicher. Vergleicht man die Schülerzahl der Lehrerbildungsanstalten in Oester¬ reich (außer Galizien) vor zehn Jahren mit der von heute, so ergibt sich, daß jetzt in den staatlichen Lehrerbildungs¬ anstalten um 938 Zöglinge weniger studieren, die Zahl der Zöglinge in den klerikalen Anstalten um 2082 zugenommen hat. So sucht man die Lehramtszöglinge zu klerikalen Agitatoren zu präparieren! Aber auch in den staatlichen Lehrerbildungsanstalten kommandiert der Religionslehrer, ebenso in vielen Landesanstalten (Niederösterreich!) In den meisten Lehrerbildungsanstalten wurde ein streng klerikales Buch über Erziehungslehre eingeführt; in St. Pölten verbot man den Zöglingen darunter sind 19jährige Jünglinge — das Lesen der deutschen Klassiker während der Österzeit, weil darunter die Heiligkeit des Festes leiden könnte! Man führt strenge österliche Exerzitien für Zöglinge, Lehrer und Lehrerinnen ein und läßt in Wiener¬ Neustadt bei dem Einzug des Bischofs Nagl die spalier¬ bildenden Volksschüler durch Lehramtszöglinge überwachen, damit sie sich für solche Anlässe einüben! Lehramtszöglinge werden in die Versammlungen des katholischen Schul¬ vereines geführt, wo sie nach den „bildenden Vorträgen“ zu musikalischen Aufführungen mißbraucht werden. Graf Stürgkh ist von der klerikalen Lehrerbildung begeistert, gerne stattet er jede klerikale Lehrerbildungsanstalt, auch wenn die Lehrkräfte bei weitem nicht den Anforde¬ rungen des Gesetzes entsprechen, mit dem Oeffentlichkeits¬ recht aus! Graf Stürgkh hat nur einen Ehrgeiz: das be¬ geisterte Lob der klerikalen Schulverderber zu verdienen um jeden Preis!

11 Wie freiheitlich denkende Lehrer behandelt werden. Will sich ein Lehrer eine gute Stelle sichern, braucht er sich nicht etwa inder Schule mit den Kindern besonders zu plagen, er erreicht sein Ziel durch maßloses Hetzen gegen das Reichsvolksschulgesetz in klerikalen Versammlungen viel sicherer. Frömmelnden Lehrern und Lehrerinnen öffnet sich von selbst ein müheloser Weg; freiheitlich denkende Lehrer, auch bei tadelloser Pflichterfüllung, werden mit dem ganzen unchristlichen Haß, dessen Klerikale fähig sind, verfolgt. Das trifft Hochschullehrer genau so wie Volksschullehrer. Der Universitätsprofessor Dr. Wahrmund wird aus Inns¬ bruck vertrieben, weil er von seinem Staatsbürgerrecht Gebrauch machte und in einer öffentlichen Versammlung einen wissenschaftlichen Vortrag hielt, der den Klerikalen nicht in den Kram paßte; der Landesschulinspektor Lescha¬ nofsky wird in der Vollkraft seiner Jahre pensioniert, weil er im Verdachte freiheitlicher Gesinnung steht; der Lehrer Weber in Prasseditz wird „aus Dienstesrücksichten in ein weltvergessenes Dorf im Böhmerwald versetzt, weil er für den Ausbau des Reichsvolksschulgesetzes eingetreten ist; der Lehrer Peer in Neunkirchen wird „aus Dienstes¬ rücksichten“ aus Neunkirchen, wo er seit siebzehn Jahren zur vollsten Zufriedenheit der Bevölkerung wirkt und in hohem Ansehen steht, vertrieben und mit einem Verweis bedacht, weil er als Gemeinderatsmitglied (1!) einer Resolution zu¬ stimmte, in der das verderbliche Wirken des klerikalen Schul¬ inspektors Kaspar gekennzeichnet wird. Wagt es gar ein Lehrer, sich konfessionslos zu erklären, geht er ohne viel Federlesens seiner Stellung verlustig. Das sind nur einige markante Fälle aus der Aera Stürgkh! Die Maßregelungen, Zurücksetzungen tüchtiger frei¬ heitlicher Lehrer wiederholen sich immer wieder, man sucht die Lehrer, als die fachlich gebildeten Kritiker des Schul¬ wesens, einzuschüchtern und den Klerikalen dienstbar zu machen. Man will den ganzen Stand korrumpieren, um so die Schule, leichter verelenden zu können. Fürwahr, weit

12 haben wir es in Oesterreich unter dem glorreichen Regime des „deutschfreiheitlichen" Unterrichtsministers gebracht! Der „katholische Schulverein“ wird gefördert, die „Freie Schule“ verfolgt! Als Gegenorganisation gegen den katholischen Schul¬ verein wurde der Verein „Freie Schule“ gegründet, der sich den Kampf gegen den klerikalen Einfluß im Schulwesen zur Aufgabe macht. Der Verein errichtet Musterschulen die Behörde sperrt sie; der Verein baut ein Musterschul¬ haus, das die bewundernde Anerkennung ausländischer und inländischer Fachleute findet — es gelingt erst nach jahre¬ langen Kämpfen das Gebäude seiner Bestimmung zu über¬ geben. Graf Stürgkh entscheidet, daß auch an Privat¬ chulen der Religionsunterricht von Geistlichen zu erteilen ist, die den Auftrag vom Konsistorium erhalten haben müssen. Eine große Zahl von Versammlungen des Vereines werden in Nordböhmen in ganz ungerechtfertigter Weise aufgelöst, weil in diesen gegen die Bestellung von „Brüdern vom Herzen Jesu“ (Jesuiten?) als Religionslehrer an öffentlichen Schulen protestiert werden soll. Die Regierung folgt dem Winke eines Bischofs sie fühlt sich als dessen Vollzugsorgan. Und von dieser Regierung sagt der deutsch¬ radikale Abgeordnete Wolf: „Wir haben ein Interesse an dem Bestande dieser Regierung.“ (Budgetdebatte 1910. Von den Klerikalen bis zu den „Los von Rom“¬ Männern rekrutiert sich die begeisterte Anhängerschaft dieser klerikalen Regierung, alles wird geschluckt, alles bewilligt: Regierungsgunst ist begehrenswerter als das Wohl der Schule, das Wohl der deutschen Nation! Väter! Mütter! Der Kampf um die Schule ist der Kampf um das Gedeihen eurer Kinder! Wir klagen die Regierung an, die ihre Pflicht verletzt und die Schule der Geistlichkeit preisgibt;

13 wir klagen noch heftiger die deutsch¬ bürgerlichen Parteien an, die von Freiheits¬ phrasen überfließen, aber in trauriger Knechtseligkeit die klerikale Regierung unterstützen, ja möglich machen! Nie kann es zu einem Frieden auf dem Schulgebiet kommen, solange Schule und Kirche, Wissenschaft und Dogma verbunden sein sollen. Die Sozialdemokraten lieben klare Rechnung, sie sagen: Schule, du hast die Aufgabe, die Menschen für das Diesseits brauchbar zu machen — Kirche, du willst die Menschen für das Jenseits vorbereiten, wohlan, das sind zwei ganz verschiedene Ziele, die mit einander nichts zu tun haben, strenge Trennung von Kirche und Schule ist das einzige Mittel, der Schule die Möglichkeit ruhiger Entwicklung zu bieten, unseren Kindern eine gediegene Bildung, eine vernünftige Erziehung zu sichern. In der Schule soll die Wahrheit, und nichts als die reine, rücksichtslose Wahrheit ihre Heimstätte finden, gleichgültig, ob es den geistlichen Herren angenehm ist oder nicht! Der Schule und der Kirche die volle Freiheit! Es ist nicht die Sorge um die Religion, die die Kleri¬ kalen zu ihrer Stellungnahme treibt; sie wollen die Schule besitzen, um ein Geschlecht heranzuziehen, das sich willig ihren Wünschen fügt, das durch die Aussicht auf ein besseres Jenseits die Ungerechtigkeit des Diesseits übersieht. Wer sorgt, wer bangt für euer Kind? Wer kleidet, nährt, behütet es? Etwa der Geistliche, die Kirche? Hände weg!

14 Das Kind gehört uns und nicht der Klerisei! Wir wollen Herren sein in unseren Familien! Das Reichsvolksschulgesetz ist längst veraltet und ent¬ spricht nicht mehr unseren Wünschen. Vieles wird in den Schulen gelehrt, was für die Kinder wertlos, unnütz ist; vieles wird verschwiegen, was sich die Kinder einst mühsam selbst aneignen müssen. Was die Sozialdemokraten wollen! Wir streben eine vernünftige, zeitgemäße Reform des Schulwesens an. Unsere Kinder haben entsprechend ihren Fähigkeiten und Talenten Anspruch auf alle Unterrichts¬ anstalten des Reiches. Nicht Geld und Gut, die geistige Leistungsfähigkeit hat allein über die Aufnahme in die Schule zu entscheiden, von der Volks= bis zur Hochschule! Wir wollen tüchtig vorgebildete, freie Lehrer! Wir wollen lernfähige Kinder in den Schulen wissen! Hungernde und frierende Kinder sind nicht imstande, geistig zu arbeiten. Lasset uns die Schule bauen nachunseren Grundsätzen: Es wird daraus ein Geschlecht hervor¬ gehen, arbeitsfreudig, voll edler Tatenlust, aufrechte Menschen, die kein Unrecht dulden, die den Pantoffelkuß verlernt haben, die jeden verachten, der um Geld oder äußerer Ehren willen seine Ueberzeugung ver¬ leugnet, mag es ein liberaler Unterrichtsminister oder sollten es streberische politische Parteien sein! Verantwortlicher Redakteur Adolf Braun in Wien. Vorwärts“, Wien V.

Zur Wahlbewegung empfehlen wir ferner Die Christlichsozialen im Spiegel ihrer ver¬ Otto Glöckel: ratenen Prinzipien. Eine Abrechnung mit der schwarzen Bande. Preis 10 Heller. Herr Dr. Lueger in der Klemme. Ein Dokument über das Verhalten der Christlichsozialen bei der ersten Schuldebatte im Parlament. Preis 20 Heller. Karl Leuthner. Gegen die Klerikalen. Ueber ihr Wesen und Wirken in Oesterreich. Preis 10 Heller. „. Adolf Mößler. Oesterreichische Volksschulzustände. Preis 0 Heller. Gegen Jesuitismus, Pfäfferei und Aberglauben! Aus der Werkstatt des Klerikalismus. Rede des Abgeordneten Schuhmeier im Parlament. Preis 10 Heller. Volksschule oder Pfaffenschule? Von Abgeordneten Karl Seitz. Preis 15 Heller. Man bestelle ausschließlich bei der Wiener Volksbuchhandlung Ignaz Brand & Co. Wien, VI. Gumpendorferstraße Nr. 18.

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