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offensichtlich unter ihrer Würde, uns Kleinen von ihren vermuteten

Heldentaten zu berichten.

Allmählich sickerten dann in den nächsten Tagen, als wir wieder in

der Schule mit Mitschülern aus der Stadt zusammentrafen, einige

Informationen über die Ereignisse in der Stadt durch: Der Direktor

der Waffenfabrick war in seinem Auto vor dem Fabriktor mit Dum–

Dum Geschossen ermordet worden. Dum-Dum, das Wort wurde zum

Inbegriff der Grausamkeit der- so die Sprachregelung -Putschisten.

Man sprach jetzt auch von vielen Toten, vor allem dort, wo die

Artillerie ihre Volltreffer erzielt hatte. Es sei Starhemberg, der

Heimwehrführer gewesen, der der Artillerie des Bundesheeres auf

dem Tabor, die Ziele vorgegeben habe, was entscheidend für die

Niederschlagung des Putsches beigetragen habe. Unsere Sympathien

waren ganz auf Seiten der Sieger!

Drei Wochen nach diesen Erlebnissen schreibe ich meiner drei Jahre

älteren Schwester, die damals im Mädchenpensionat der Ursulinen in

Linz, das sich schräg gegenüber dem Hotel Schiff an der Landstraße

befand, dessen Erstürmung durch die Polizei die Februarkämpfe

auslöste, eine Karte. Der Kurztext auf dieser Karte ist in seiner

Banalität linguistisch aufschlussreich. Vermutlich hatte ich dann

schon Kenntnis von den Vorgängen in Linz, wie aus meiner

Formulierung- ist sie Frage oder Aussage? - zu entnehmen ist: "Ist es

bei euch zugegangen. Wir hatten eine Woche keine Schule." Die

Lakonie dieses Lageberichts darf nicht als Index der

Bedeutungslosigkeit der jüngsten Erfahrung des Zehnjährigen

verstanden werden. Der Linguist Roman Jakobson würde sie so

erklären : Sprache funktioniert hier (Postkarte)nicht kommunikativ,

sondern Kontakt festigend oder erhaltend. Es wäre daher verfehlt,

daraus den Schluss zu ziehen, die Februar-Ereignisse wären für mich

belanglos gewesen. Welche Spuren sie im Bewusstsein des