Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1927

achtete ihrer kaum, es war ihr recht so, denn sie fand heute keinen rechten Ton für ihre Gäste. Ihre Augen suchten den Gatten ver¬ geblich, aber sie fanden dafür einen Weg zu den Janschauer Töchtern, die in un¬ gewandter Koketterie die Männer um sich zu fesseln suchten. Egon von Birkau fand sie nicht mehr unter ihnen. Aber als sie eben zur Balkontüre trat, um sie zu schließen, denn die Nachtluft drang jetzt doch kalt ins Zimmer, wäre sie fast mit ihm zusammengestoßen. Er kam von der Seite des Schreib¬ tisches her, vor dem Nora vor einer Vier¬ telstunde zusammengebrochen war, und schien sehr aufgeregt. „Gnädige Frau verzeihen!“ Suchen Sie jemanden, Herr von Birkau? „Meine Frau! Ein feines Lächeln glitt über Noras Lippen. „Sie wird nicht verloren gehen bei uns. „Des bin ich versichert — doch“ er stammelte noch einige unverständliche Worte, die Adern auf seiner Stirn waren geschwollen, seine Blicke wild. Da gewahrte Nora ein weißes Blatt in seinen Händen. „Haben sie Vertrauen, Herr von Birkau!“ sagte sie innig. Er lachte höhnisch und ließ dabei den Zettel zu Boden gleiten, den Nora liegen gelassen hatte. Sie bückte sich danach, hob ihn auf und riß ihn in viele kleine Stücke. „Wir haben beide soeben eine Ge¬ dankensünde begangen, Herr von Birkau, ist sagte sie lächelnd, „aber Vertrauen und bleibt die Grundlage einer wahrhaft glücklichen Ehe, und nun kommen Sie, ich möchte Sie zu Agathe führen. Sie nahm seine Hand und führte ihn durch die Räume bis zu dem Flügel vor dem eben seine Frau zu Hanshein¬ richs Begleitung das Amaranthlied sang 47 sein „Es muß was Wunderbares Lieben zweier Seelen. ums Als sie geendet und der Beifall ver¬ klungen war, sagte Egon von Birkau zu seiner Frau: „Es ist spät, Agathe, wir wollen heim¬ gehen“, und sie nickte willig. Die Gäste verstreuten sich, laut und gesprächig versuchten die Janschauer sich Egons zu bemächtigen, aber es gelang ihnen nicht mehr. Als endlich alle ge¬ gangen waren, drehte Hansheinrich die Lichter ab, bis auf die kleine heimliche Lampe an seinem Schreibtisch. Es war, als suche er etwas. Dann rief er nach seiner Frau. „Nora, ich habe hier etwas verloren. Da faßte sie nach seinen Händen, die unruhig Schriftstück um Schriftstück, Buch um Buch, wendeten. „War es Dir so wertvoll?“ fragte sie leise. „Nicht um meinetwillen, Nora. Es ist nur, es könnte nur falsch verstanden werden. Sie nahm die Stückchen aus einen Schale, worin sie sie eilig verborgen hatte, und wies sie ihm in der hohlen Hand. Dann öffnete sie die Tür zur Ter¬ rasse noch einmal und warf die Fetzen in den Garten, daß sie im Winde auf¬ flatterten wie lichte Seelchen in der dunklen Nacht. „Vertrauen, Hanzheinz, ich hab' es daran gelernt und zwei Menschen damit den Weg zum Glück gewiesen. Sie standen beide schweigend und sahen dem Spiele zu. Schüchtern legte sie den Kopf an seine Schulter. „Ich wußte ja, daß du mir blind vertrauen würdest“, sagte er gedämpft und strich ihr sanft über das Haar, während sich ein leises Schluchzen aus den Tiefen ihres Herzens emporrang.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2