Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

Herzog sie mit einem leichten Nicken des Hauptes und mit einem müden Blick. Diesmal hatten sich die beiden, im Leben so ungleich einander gegenüber¬ gestellten Männer nicht mit stummem Gruße getrennt, wie sonst. Schon wäh¬ rend sie den Herzog untersuchten, hat¬ ten sie verstohlenerweise Blicke getauscht, die ihnen gegenseitig sagten, daß jeder von ihnen sich über die Natur der Krankheit vollständig klar war, ehe er heute hergekommen, und jeder hatte es dem anderen vom hocherregten Ge¬ sichte abgelesen, daß es nimmer leicht möglich war, sich, den Berufsbruder und die Welt länger im Unklaren über gewisse Dinge schweben zu lassen, das Herz lag auf ihren Zungen und es drängte beide, sich gegenseitig auszu¬ sprechen. Der Jude hatte trotzdem nicht den Mut, den hochgestellten katholischen Priester, der ihm bisher mit höflicher Ablehnung jedweden andern Verkehres, als es der Dienst um den Herzog er¬ heischte, gegenübergestanden und mit ihm bisher nur das Notwendigste ge¬ sprochen hatte, wie es eben Stand und Religion der beiden ergaben, um eine Unterredung zu ersuchen. Abraham war ein alter Mann, und wenn er auch an den Druck der Mitwelt gegen sein Volk gewohnt war, so ver¬ mied er es doch gern, auf sein altes kahles Haupt den Zorn und die Verach¬ tung sich entladen zu sehen. Obwohl Pater Erasmus ihm immer wie der Arzt dem Arzte gegenübergetreten war, so waren die beiden alten Männer doch auch sich nicht näher gekommen — viel¬ leicht nicht nur aus Gründen der Re¬ ligion, vielleicht sprach bei beiden auch etwas Neid über die gleichen Kenntnisse des andern mit. Abraham erwartete vom Pater Erasmus einen Fingerzeig, den er be¬ nützen konnte, sich auszusprechen, und heute tat der gelehrte Klosterarzt tat¬ sächlich diesen Fingerzeig — er gab, kaum im Vorzimmer des Herzogs an¬ 27 gelangt, dem Juden ein Zeichen, ihm zu folgen und raschen Schrittes durch¬ eilten die Zwei den Saal — hocher¬ hobenen Hauptes der Pater, doch un¬ ruhig in Geberde und im Wesen, ge¬ senkten Kopfes und fast scheu, der Jude, ängstlich den Blicken der im Saale an¬ wesenden wenigen Hofleute ausweichend, die verwundert das sonderbare Ge¬ haben der Zwei beobachteten. Als Herr Gerung, der mitten im Saale stand, den Pater erblickte wollte er auf ihn zuschreiten, aber dieser machte ein bittendes Zeichen und Herr Gerung ließ die Beiden ziehen. „Was die wohl vorhaben, der Pa¬ ter und der Jude?“ fragte der alte Torwart Aribo, der zu Herrn Ge¬ rung mit einer Meldung herangetreten war und mit kundigem Blick gesehen, wie der Pater dem alten Abraham ein Zeichen gemacht hatte. „Es steht wohl schlimm um unsern gnädigsten Herrn —“ „Kümmere dich um deinen Dienst und nicht um Dinge, die du nicht ver¬ stehst!“ fuhr ihn aber da Herr Gerung recht unwirsch an, worauf er halb¬ laut, doch sehr bestimmten Tones hin¬ zufügte: „Du hast nichts gesehen, Alter, O77 her Der alte Aribo war fast starr vor Schreck über das finstere Gesicht des sonst so guten Herrn Gerung und konnte nur auf dessen letzte Frage zustim¬ mend mit dem Kopfe nicken, was wohl eine Verschwiegenheit beteuern sollte, und trollte sich hierauf eiligst seiner Wege, ohne Herrn Gerung seine Mel¬ dung erstattet zu haben, auf die der Kämmerling auch gar nicht neugierig war, der bekümmerten Herzens und Un¬ heil ahnend, im Saale auf= und ab¬ zugehen begann. Mittlerweile waren Pater Erasmus und der alte Abraham im Zimmer des Klosterarztes angelangt, das demselben für den jeweiligen Aufenthalt im Schlosse zugewiesen war. Kaum ein¬ getreten, verriegelte Pater Erasmus die

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