Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

26 heit über sein hartnäckiges Leiden zu verschaffen. Diesen Vorschlag nahmen die Herren mit Freuden an und Herr Gerung zeigte sich nun willfährig, die ganze Angelegen¬ heit dem Herzoge Heinrich zu unterbrei¬ ten. Die Herren saßen noch ein Stünd¬ chen beisammen, dann brachen sie ein¬ zeln auf. Herr Gerung war mit dem Landesmarschall einer der ersten, der sich empfahl, denn er wollte Herzog Hein¬ rich heute noch sprechen. Als die beiden über den Stadtplatz schritten, sahen sie Herzog Heinrich al¬ lein ihnen entgegenkommen. „Wohin, ihr Herren?“ fragte er, ihnen die Hände schüttelnd. „Ins Schloß!“ „Ei, so ihr nichts eiliges zu tun habt, wär's mir recht lieb, ihr be¬ gleitet mich auf meinem Spaziergang möcht' gern ein Stück Weg an der Enns hinauf, ist so frisch und rein die Luft da draußen!“ Herr Gerung und der Landesmar¬ schall sahen sich vielsagend an. Der Wunsch des Herzogs kam ihnen sehr ge¬ legen, denn so im Gespräch, unbeachtet von allen, ließ sich's vielleicht jetzt schon durchführen, was im „Drachentöter grad vorher beschlossen worden war, und so erklärten sie sich mit Freuden bereit den Wunsch Herzogs Heinrichs zu er¬ füllen. „Das ist recht von euch, ihr Her¬ ren,“ sagte Herzog Heinrich wohlge¬ launt, „und ihr verpflichtet mich da¬ durch zu großem Dank, — es ist so wenig anziehend, allein herumzustrei¬ fen, geht ja der schönste Eindruck eurer herrlichen Natur dabei verloren.“ Und die drei schritten zur Enns hinab. XI. Der Klosterarzt von Garsten, der ehr¬ würdige Pater Erasmus, und Abraham der erfahrene jüdische Arzt, hatten den Herzog Ottokar nach eingehendster Un¬ tersuchung verlassen. Ruhig und wür¬ dig seinem hohen Range hatte der Her¬ zog sich den Untersuchungen der beiden Aerzte gefügt, und keine Frage war über seine blassen Lippen gekommen darüber, weß Art sein Leiden sei. Wozu auch? Der Fürst fühlte sich namenlos matt und elend und er sah es nur all¬ zudeutlich, daß sein Leiden ihm allmäh¬ lich das Mark in den Knochen verzehrte, und es gab Augenblicke, wo der Herzog es ahnte, daß er ein unheilbar Kranker sei. Und doch klammerte er sich an das Leben, gerade wie der Aermste seiner Untertanen. Wenn die Aerzte doch nur sein Leiden zu heilen im Stande wären warum auch nicht? War er nich jung und hatte Pater Erasmus nicht wiederholt ihn getröstet und gesagt die Krankheit sei noch nicht recht er¬ kennbar, aber gar zu ernst könne es nicht werden, die Jugend und die Zeit darauf traute der Fürst und seinem Stern — diese beiden Dinge waren seine Arznei, bildeten seinen Hoffnungs¬ anker, an den er sich klammerte mit allen Fasern seines Herzens. Wozu fra¬ gen? Würden die Aerzte nicht freiwil¬ lig sprechen, müßten sie ihm, dem Lan¬ desfürsten, nicht die volle Wahrheit ent¬ hüllen, damit er Ordnung machen konnte in seinem Hause, in seinem Lande, bevor es Ernst damit wurde, einzuziehen zu seinen Vätern? Und dann, wem bangte nicht davor zu hö¬ ren, daß der Arzt die inhaltsschweren Worte zu ihm spricht: „Gezählt sind deine Tage Herr, bestelle dein Haus!“ Auch ein Fürst, einso mutiger Mann wie es Herzog Ottokar VIII. von Steyr war, schob begreiflicherweise den Augen blick hinaus, in welchem er von seinen Aerzten sein Todesurteil hören konnte, und nachdem beide Gelehrte schweigend ihre Untersuchungen fortsetzten und wie¬ der zu keinem Endresultat zu kommen schienen, schwieg auch der Kranke, und als nach der Untersuchung beide Aerzte erklärten, noch immer kein endgiltige¬ Urteil abgeben zu können, entließ der

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