Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

22 sie sich Meginhalm gegenüber wirklich von der schönsten frauenhaftesten Seite bisher gezeigt hatte, und der Vorwurf, daß sie vergnügungssüchtig sei, war ihrem besseren Ich sehr peinlich und sie wollte denselben abweisen. Nachdem aber Meginhalm sich auch an der Türe nicht mehr umgesehen hatte, nestelte sie är¬ gerlich darüber eine Haarnadel fest und sagte zu sich selber: „Vergnügungssüchtig, sagte er hm, vielleicht war ich es bisher, was kümmert's aber ihn? Und anscheinend ruhig verließ auch sie jetzt den Erker, um der Kammer¬ frau zu befehlen, daß sie das Gemach beleuchte, aber in ihrem Innern war ie mit sich selber nicht zufrieden und sie ertappte sich im Laufe des Abends öfters dabei, daß sie an Meginhalm und seine letzten Worte dachte, die er gesprochen, als er gekränkt und un¬ mutig von ihr ging. IX. Einen Tag darauf war im Schlosse zu Steyr großer Empfang gewesen, an dem sich alle Stände gleich zahlreich beteiligt hatten, da es galt, der Braut des Herzogs vorgestellt zu werden. Prinzeß Agnes war sehr liebens¬ würdig gewesen und hatte für alle freundliche Worte gehabt und für die Angelegenheiten des Landes und seiner Bewohner lebhafte Anteilnahme gezeigt, sodaß sie die Teilnahme am Empfange geradezu entzückte. „Eine sehr verständige Frau,“ sagte der Herr von Stubenberg von ihr, als er mit einem Gefährten die Treppe hinabschritt, und sprach damit wohl die Ansicht seines Standesgenossen aus, denn sie nickten gar beifällig zu seinen Wor¬ ten, und Herr Regilon von Haginberg etzte hinzu: „Und auch eine liebenswürdige Frau, die ihre Pflichten als Herzogin zu Steyr wohl versehen wird — die paßt hierher ins Schloß, das seit dem Ab¬ gang der Mutter unseres Herrn Her¬ zogs, Gott hab sie selig, ohnehin fast im rauhen Kriegerton den Anstrich des Hoflebens verliert. Auch ich sage: die Wahl war gut!“ Drunten im Hofe erwartete bereits eine Gruppe von Damen, die lebhaft ihre Meinungen austauschten, die nur langsam herabschreitenden Herren. Es waren die Gemahlinnen und weiblichen Familienangehörigen dieser Edlen von Steyr, die einige Minuten früher den Empfangssaal verlassen hatten, nach¬ dem die Herzogin Helena von Oester¬ reich und ihre Tochter Agnes sich vor den beiden Herzogen zurückgezogen hatten. Unter diesen Edeldamen befand sich auch Gertrude von Haginberg, die Ge¬ mahlin Herrn Regilons, die begreif¬ licherweise stark mit Fragen über die Babenbergischen Gäste von den Damen bestürmt wurde, die wohl nicht ohne Grund annahmen, daß Frau Gertrude durch ihre Tochter, die den Ehrendienst bei Herzogin Helena und Prinzessin Ag¬ nes versah, recht wohl von den Vor¬ gängen am Hofe unterrichtet sei. Das Erkundigen, was die hohen Damen tagsüber wohl täten, wie sie sich kleideten, welchen Schmuck sie mit¬ gebracht hätten, ob sie fromm seien gute Reiterinnen und Jägerinnen und was dergleichen beliebte Reden sind, wenn Damen ein Weilchen zusammen plaudern können, wollten schier kein Ende nehmen, und zu Frau Gertruds Lob sei es gesagt, daß sie sich be¬ strebte, allen Fragerinnen die ge¬ nauesten Auskünfte zu erteilen. Herr Regilon von Haginberg trat jetzt mit dem Ritter von Stubenberg zu der Gruppe. „Edle Damen,“ sagte er lächelnd, „man sieht es wohl, daß das starke Geschlecht eigentlich die Frauen sind —“ „Ei, seht doch, Herr Regilon ist wie¬ der recht spottsüchtig,“ riefen die Da¬ men neugierig und die Frage wurde von ihnen allen gleichzeitig getan: „Wie meint ihr das, Herr Regilon?“

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