Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

scheinlich droben vom Turme, wo sich seit Jahren ein Uhunest befand, wie jeder wußte, herabgefallen und durch die Wucht des Falles auf diese Art gespießt worden war. Als nun die beiden Frauen wieder in die Stube traten, wollten sie schier sich vor Mitleid um das arme Tier zergrämen und begannen gleich, die 725 Wunde desselben zu betreuen eit dem Abend mußten sie jedoch manchen harmlosen Spott über ihre Geisterfurcht willig hinnehmen und lachten dann wohl selber mit. Heut blieb aber Eva ernst bei den Worten ihres Vaters, und der Hell¬ wig verzog den Mund nur zu einem Lächeln. „Heut irr' ich mich aber nicht, Va¬ ter,“ sagte das Mädchen gelassen und deutete nach dem Fenster, das knapp neben dem Tore auf den Graben hin¬ ausging, „die Zugbrücke ist wohl auf, es ist aber jemand drüben, der ruft, auch hör ich so wie Pferdeschnaufen — was es will jemand herein ins Schloß.“ „Potz Hagel,“ entgegnete der Tor¬ wart etwas unwirsch ob der Störung, „sitzt der Türmer denn auf seinen Ohren, daß er kein Zeichen gibt, wenn ein Fremdling Einlaß will? „Wird wohl niemand gesehen haben, bei der Finsternis und kann bei dem Sturme auch schwer etwas hinauf zu ihm vernehmen,“ beruhigte den Tor¬ wart seine Frau, „geh Alter, sieh doch nach, wer draußen ist — vielleicht ist's ein verspäteter Gast unseres gnädigen Herrn.“ „Der käm' ziemlich spät,“ meinte der Alte sarkastisch, holte einen neuen Kien¬ span von der Ofenbank hervor, zün¬ dete damit das Oellämpchen in der Blendlaterne an und trat mit Hellwig in die Torvorfahrt heraus. „Ist richtig jemand draußen,“ sagte der Torwart, der beim geöffneten Tore in die rabenschwarze Nacht hinausge¬ schaut hatte, „Hollah, was gibt's?“ 9 „Laßt mich nur ein, Freund Aribo“ scholl es jenseits des Grabens herüber, „habe wichtige Botschaft für den Herrn Herzog.“ „Der Teufel mag dein Freund sein, brummte der Torwart und ließ mit Hilfe Hellwigs die Hängebrücke herab, die knarrend und ächzend niedersank und dumpf auf die jenseitige Mauer auffiel. Schon im nächsten Augenblick erschien auf der Brücke ein Mann, ein Pferd am Zügel nachziehend, und war im Torbogen drinnen. „Uff.“ machte es der Ankömmling vor Kurzatmigkeit, die ihm wohl der Ritt und der scharfe Wind verursacht haben mochten, „seid verteufelt ungast¬ lich geworden, alter Aribo, daß ihr die Leut sich die Lunge herausschreien läßt, bevor ihr öffnet, und euren Turmwart, den jagt nur gleich davon.“ „So, so, ihr seid's, Kuno,“ unter¬ brach der Torwart den Redestrom des Ankömmlings, dem er ins Gesicht ge¬ leuchtet hatte, um zu erkennen, wer es wohl wäre, „schimpft nur nicht gar zu sehr über unsere Wachsamkeit zu Steyr. Ihr in Admont werdet in Frie¬ denszeit wohl auch nicht allsamt in Har¬ nisch und Sturmhaube auf den Wällen stehen, gar wenn im Kloster getafelt wird, so wie 's heut allhier im Schloß geschieht.“ „Ei, da komme ich zu ungelegener Stunde,“ meinte der Fremde, sich das Regenwasser abschüttelnd, „hab' eine traurige Mär für unseren gnädigen Herrn — werdet mich doch etwas er¬ wärmen lassen in euerer Stube, be¬ vor ich mich beim Herrn Herzog mel¬ 77 den laß „Sankt Georg, das versteht sich doch von selber,“ sagte der Torwart rasch. „Hurtig das Pferd in den Stall, Hell wig, und sieh, daß es gut mit Stroh ge¬ rieben und gefüttert wird, und nun da tretet ein.“ Während Hellwig sich mit dem mü¬ den Gaule von dannen trollte, führte Aribo den Gast zu seiner Familie. Frau

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