Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1907

100 der Hand und half Rupprecht dem Bärlein Füße binden die „Uff“, machte es Reta, als das Bärlein sich am Boden sträubte und sich herum¬ warf, „hat so ein kleines Vieh aber eine Kraft, schier nicht zu glauben.“ „Und du wolltest das Petzlein allein fangen“ meinte Rupprecht stolz auf seine Tat, „hätte dich gut verkratzt und wär dir doch noch durch. „Ja, ja, mag sein“, sagte Reta „schau nur, daß wir den Schelm hinab bringen in den Hof — du, die werden Augen machen daheim! „Und wieder sagen: die Reta muß halt überall dabei sein“ scherzte Rupprecht, der zu tun hatte, den jungen Bären in die Arme zu nehmen. „Mögen sie das sagen“, meinte Reta trotzig und wehrte das Bärlein ab, das Rupprecht beißen wollte, „sollen uns das nachmachen! Und lachend stiegen die zwei die wackeligen Stufen hinab, die vom Turm in den rückwärtigen Teil des Hofes führten, dorthin, wo die Holzvorräte des Anwesens aufgestapelt lagen. II. Wie Reta und ihr Jugendgespiele Rupprecht den jungen Bären, unter Lachen und sich herumbalgend mit dem kleinen Ungetüm, vom Turm am Stein herab trugen, stand vor dem Pferdestall, der sich in unmittelbarer Nähe des Turmes befand und in welchem die Acker= und zugleich Reitpferde eingestellt waren, ein junger Mensch, dessen Aeußeres und Ge¬ haben nicht in den Rahmen einer deutschen Siedelung, wie sie hier bestand, hinein¬ zupassen schien. Er war von Mittelgröße, trotz sehr breiter Schultern gut gebaut, dunkel¬ häutiger, als Deutsche es zu sein pflegen und sein Gesicht, nicht unhübsch, zeigte derbknochige Formen. Das lange Haupt¬ haar hing ziemlich wirr herab und seine dunklen Augen blickten bald forschend, bald lauernd gegen den Turm. Seine Kleidung unterschied sich ebenfalls von jener der Deutschen hier und bestand aus einem Rock von dunkler Farbe mit engen Aermeln und hübschen Metall¬ knöpfen daran, zugehalten von Schnüren die merkwürdig gedreht und aufgenäht waren. Auch das Beinkleid war eng und schon stak in den Stiefeln, die das freilich sehr abgebrauchte Gelb des Naturleders ihm zeigten. Als Kopfbedeckung diente Pelz eine runde, mit schon schlissigem verbrämte Kappe, die an der Stirnseite mit einer silbernen Agraffe verziert war aus der eine Adlerfeder unternehmend aufwärts strebte Dieser in Tracht, Benehmen und Aussehen hier seltsam berührende Mensch mochte 18 bis 20 Jahre zählen und war tatsächlich kein Deutscher aus den Grenz¬ gebieten hier,*) sondern ein Avare, der vor einigen Jahren als Geisel in die Ansiedelung „unterm Stein“ gebracht worden, der aber in der letzten Zeit vergessen worden war, wie es schien, denn es kümmerte sich niemand um ihn und er lebte hier, mit Ausnahme, daß er sich aus der Bannweite der Gehöfte nich entfernen sollte, in vollkommener Freiheit. In Verpflegung, wenn das so genannt werden kann, war er bei den Eltern Retas, ehrsamen Ackerleuten, und Retas Vater, der ein großer Jäger vor dem Herrn war, nahm ihn oft mit zur Jagd junge hinaus und Zauch, so hieß der Avare, erwies sich als tollkühner Jäger und Reiter und bewährte überhaupt einen seltenen Mut in mancherlei Gelegenheit. Pipin, Retas Vater, der in der Sie¬ delung hier neben dem vom Grenzgrafen eingesetzten Vogt als kriegerischer Beirat und Anführer wirkte nahm Zauch, dessen herrisches, stolzes und schwer zugängliches Wesen ihm wenig Freunde erwarb *) Anfangs des 9. Jahrhunderts, in welchem diese Er¬ eignisse sich abspielten, war das rechte Donauufer bis weit über die Enns hinauf in dem Besitze avarischer seßhafte Volksstämme, die Kaiser Karl dem Großen als Lehensherrn huldigten und kulturell durchaus nicht so nieder standen, wvie immer erzählt wird Bei den ewigen Streitigkeiten zwischen ihnen und den Deutschen, die hier als Militär Kolonisten her verpflanzt waren und unter Grenzgrafen standen, war eine strenge geographische Scheidung beider Völker unmöglich, erst um die Mitte des 9. Jahrhunderts begannen die Deutschen, die Avaren nach Hainburg hinab zudrängen, und ihre Siedelungen verwandelten sich dann in feste Orte, wie z. B. das heutige Steyr. Diese Avaren, die von Passau bis Hainburg saßen, waren zumeist Christen, von Passau aus bekehrt und auch von dort mit Priestern versehen

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