Gemeinderatsprotokoll vom 12. Mai 1921

nehmigung durchläuft, Zeit hat, das Investitionsprogramm zu werden. Dies alles sind daher unsichere Dinge und würde es beraten. Die Vorlage muß auch die Reparationskommission passieren. Eine Vertagung der Beschlußfassung über die heutige Vorlage würde der Sache sehr abträglich sein und empfiehlt es sich dem Vertagungsantrag mit Rücksicht auf den langen und schwierigen Weg, den die Vorlage zu gehen haben wird, nicht zuzustimmen. Herr Vorsitzender Vizebürgermeister Mayrhofer frägt Herrn GR. Dr. Peyrer=Angermann, ob er seinen Vertagungs¬ antrag aufrecht erhält, was dieser bejaht Der Herr Vorsitzende leitet geschäftsordnungsmäßig über den Vertagungsantrag die Abstimmung ein. Der Gemeinderat lehnt mit Stimmenmehrheit den Ver¬ tagungsantrag ab. Herr Vorsitzender Vizebürgermeister Mayrhofer erklärt sohin die Debatte über die Vorlage wieder für eröffnet. Herr GR. Rudda nimmt auf die Ausführungen des Herrn Referenten Bezug und erklärt, wenn der Landtag schon am 25. Mai hierüber entscheiden soll, es doch nicht möglich sei daß diese weittragenden Fragen innerhalb so kurzer Zeit durch den Kopf gejagt werden könne; es handelt sich tatsächlich un hohe Ziffern und wäre ich schon dafür, daß diese Fragen nach Pfingsten noch einmal gründlich und überlegt durchberaten werden soll. Bis zum 24. Mai habe man noch immer Zeit Herr GR. Prof. Brand führt aus: Es ist eine unleugbare Tatsache, daß, wie schon der Herr Bürgermeister und Herr GR. Dr. Peurer hervorgehoben haben, die frühere Gemeinde verwaltung von Steyr auf dem Gebiete der sozialen Fürsorge eine sehr kurzsichtige Kommunal=Politik getrieben hat. Es genügte den Herren nach außen hin den Ruf einer fortschrittlichen Stadt zu besitzen, aber die Straßen der Stadt sind mindestens nicht fortschritilich erhalten worden. Steyr muß heute als Stadt das vermissen, was anderswo wie in Deutschböhmen jeder größere Ort aufzuweisen hat. Aber nicht nur die früheren Gemeinde¬ vertretungen, sondern auch die Waffenfabrik hat die Pflichten gegenüber der Stadt nicht erfüllt. Die Herren Aktionäre haben von Steyr Millionen und Millionen weggetragen, sich aber nicht bewogen gefunden, auf dem Geviete der sozialen Fürsorge etwas zu tun. Wenn sie heute unter dem Drucke der Verhält¬ nisse ab und zu eine Million Kronen ausläßt, so ist dies die wahre Liebe nicht. Es ist nicht abzuleugnen, daß die von Herrn Bürgermeister angefuhrten Einrichtungen unbedingt notwendig sind und habe ich schon seinerzeit im Stadtschulrate darauf hin¬ gewiesen, daß die Schulverhältnisse Steyr die denkbar schlechtesten sind. Ich bedauere nur, daß die Landesschulbehörde für die Schulen am Lande immer gewußt hat, wenn dort Schulen den modernen Anforderungen nicht mehr entsprechen und hat die Landgemeinden sogar mit drakonischen Mitteln gezwungen, neue Schulen herzustellen. Vor der Stadt Steyr wurde immer Halt gemacht; schauen Sie aber heute die Umgebung an, Sierning, Gleink, Garsten und andere besitzen neue schöne, moderne Schulen; vielleicht hat es aber genügt, weil die Stadt Steyr im Rufe des Fortschrittes stand. Wenn nun auf die Bergschule und Bürgerschule hingewiesen wurde, so muß ich auch auf die Aichetschule und das Gebäude der Staatsrealschule hinweisen und betonen, daß auch diese den modernen Anforderungen in keiner Weise mehr e tsprechen. Auch beim Krankenhause wird die Ausgestaltung sehr notwendig sein Was die Verkehrsverhältnisse anbelangt, so ist hier wegen des Streites, wo die Bahn in Steyr ausmunden soll, viel ver¬ säumt worden. Ich als Obmann des Klubs der christlichsozialen Gemeindevertreter anerkenne, daß die beantragten Investitionen für die Stadt unbedingt notwendig sind, glaube aber, daß mit den beantragten 400 Millionen Kronen gar nicht das Aus¬ langen gefunden werden kann. Anderseits muß man sich über die Verzinsungsmöglichkeit eines solchen Anlehens klar sein. Die Fürsorgeabgabe soll dazu bestimmt werden, die Verzinsung und Amortisation zu liefern und man rechnet bei ein Prozent Ab¬ gabe mit einem Erträgnis von acht Millionen Kronen Wie ist es aber, wenn der Geschäftsgang in der Waffenfabrik zuruck¬ geht? Man will die Abgabe auf drei Prozent hinaufschrauben da muß doch gebeten werden, auf die übrige Geschäftswelt Rück¬ sicht zu nehmen, da die Gewerbetreibenden unmöglich solche Gewine erzielen können, um eine so hohe Fürsorgeabgabe zu leisten. Man hat also auch für die Verzinsung und Abzahlung keine „icherheit, weshalb man sich für die Sache nicht besonders erwärmen kann. Es besteht somit die Gefahr, daß entweder neue hohe Steuern beschlossen oder, wenn dies nicht möglich, das Kapital angegriffen werden müßte, was gewiß dem Zwecke der Anleihensaufnahme nicht entspricht. Weiters muß die Un¬ sicherheit unserer Valuta erwähnt werden; wir haben heute schlechtes Geld und laufen Gefahr, mit gutem Geld die ganze hohe Schuld zurückzahlen zu wüssen. Als Vertreter der Ge¬ meinde tragen wir eine zu große Verantwortung, um kurzer¬ hand über eine so große Sache schlüssig zu werden Die Be völkerung schlägt über die hohe Summe von 400 Millionen die Hände zusammen. Wir müssen, bevor wir unser Jawort geben, uns erst mit unseren Wählern besprechen. Es mangelt heute jedes Detailprogramm. Die Wasserleitung wird nach einer prvaten Schätzung 300 Millionen und die Kanalisation eben falls. Millionen, zusammen schon 600 Millionen kosten Daß das chlachthaus sich so rentabel herausstellen wird, wie der Herr Bürgermeister glaubt, nuß ich bezweifeln, wie ich auch nicht glaube, daß wir mit der Wasserleitung nicht passiv sein nehmigung durchläuft, Zeit hat, das Investitionsprogramm zu werden. Dies alles sind daher unsichere Dinge und würde es sich empfehlen, sich diese in einem kleinen Komitee zurecht¬ zulegen. Aus allen diesen Gründen können wir uns nicht ent¬ schließen, für die Annahme des Sektionsantrages zu stimmen Herr Vizebürgermeister Nothhaft erklärt, daß er sich als Obmann der Finanzsektion ebenfalls bestimmt finde, einiges zu bemerken, weil er auch Bedenken in demselben Sinne wie seine Fraktion hege. In einem so raschen Tempo sollten solche große Dinge nicht gehen, sondern man solle auch eine Aus¬ einandersetzung zwischen Staat und Land abwarten Man solle vorläufig ein kleineres Anleihen aufnehmen, welches über die größten Schwierigkeiten hinweghilft. Redner erklärt, sich den Ausführungen des Herrn GR. Prof. Brand anzuschließen. Herr GR. Aigner bemerkt, daß bei der früheren Ge¬ meindevertretung nicht die Aengstlichkeit derselben für die Ver¬ zögerung der Investitionen, welche schon von dieser geplant waren, die Ursache war, sondern die auch dort schon bestandenen zwangsläufigen Schwierigkeiten. Die Waffenfabrik hatte damals einen sehr wechselvollen Arbeiterstand, so daß mit einer stabilen Steuerleistung nie gerechnet werden konnte. Es wurden damals auch der Entwicklung der Bautätigkeit durch eine Vereinigung Schwierigkeiten bereitet, es sei nur an den Bau eines Postgebäudes an Stelle des Innerbergerstadels erinnert. Hauptsächlich vermisse aber Redner im Investitionsprogramm die baulichen Herstel¬ lungen in der Friedhofleichenhalle; auch diese Maßnahme habe die Sanitätskommission im Jahre 1916 aufgetragen. Was dort für Zustände herrschen, spotte jeder Beschreibung und jeder sanitären Maßnahme Hohn. Diese Mißstände sind die Träger von Infektionskrankheiten Diese baulichen Herstellungen wären daher auch mit in das Investitionsprogramm und ernst ins Kalkül zu ziehen Im übrigen erklärt Redner sich den Aus¬ führungen der Herren GR. Dr. Peyrer und Brand anzuschließen. Herr GR. Saiber erwidert, daß festgestellt werden könne, daß sich alle Herren Vorredner dahin ausgesprochen haben, daß Geld für die Herstellung geordneter sanitärer Zustände aufge¬ nommen werden soll, aber keiner sagt, in welcher Form das Investitionsprogramm durchgeführt werden soll. Mit den Auf¬ nehmen von kleineren Schuldbeträgen ist absolut nicht gedient, weil wir in ein paar Monaten wieder damit fertig sind und neue Schulden gemacht werden müssen Es wurde auch bean¬ ständet, daß ein so hoher Betrag von 400 Millionen Kronen ge¬ nannt wurde, es wird sich aber erst bei der Auflage der Zeich¬ nungen zeigen müssen, ob wir so hoch hinaufkommen. Wir brauchen gar keine Bedenken über die Höhe des Be¬ trages zu haben, weil es ja dem Gemeinderate frei stehen wird, über die Verwendung des gezeichneten Anlehenbetrages zu ent¬ scheiden. Es ist aber dringlich, daß heute der Beschluß auf Auf¬ nahme der vom Referenten beantragten Stadtanleihe gefaßt werde, weil eben der Landtag nach dem 24. Mai erst nach den Sommerferien wieder zusammentreten wird und daher viel Zeit verloren gehen könnte; über diese Fragen kommen wir nicht hinweg, und ersuche ich daher, den Vorschlägen der Sektion zuzu¬ stimmen Herr Referent Bürgermeister Wokral erwidert im Schlußwort: Von einer Reihe von Rednern wurden Bedenken erhoben über die Höhe der Anlehensumme, und Zweifel ausgedrückt, ob wir imstande sind, die Verzinsung und Amortisation zu leisten. Zu den Ausführungen, daß die Fürsorgeabgabe hiezu verwendet werden solle, wurde bemerkt, daß durch eine Erhöhung der Für¬ sorgeabgabe die Gewerbetreibenden zu stark getroffen werden würden. Nach den bishe igen Errechnungen werden von dem ein¬ prozentigen Ertrage auf die Waffenfabrik eine Leistung von sechs Millionen Kronen und auf die übrigen Gewerbebetriebe zwei Millionen entfallen. Es wird also die Belastung gegenüber der Waffenfabrik eine verhältnismäßige sein. Es wird eine ge¬ wisse Garantie erforderlich sein, daß diese Fürsorgeabgabe auch nur für Fürsorgezwecke verwendet werde und kann daher nicht der Fall eintreten, die Erträgnisse aus der Fürsorgeabgabe für andere Zwecke, etwa für die laufende Kassengeschäfte zu ver¬ wenden Im allgemeinen muß auch darauf verwiesen werden, daß keine Gemeinde auf die Dauer imstande sein wird, sich da¬ mit zu behelfen, daß die Defizite stets durch Anleihen gedeckt werden, weil dadurch die Entwicklung der Städte untergraben wurde, und bald würde man soweit sein, daß keine Gemeinde mehr Geld als Anleihe bekäme. Die Finanzierung der Gemeinden wird schon in nächster Zeit erfolgen müssen und besteht auch die Absicht, schon in nächster Zeit eine finanzielle Auseinandersetzung zwischen dem Bunde und den Ländern durchzuführen; es steht zu hoffen, daß bis August diese Auseinandersetzung erfolgt sein wird Wenn die Gemeinden bankerott werden, fällt auch das ganze Staatswesen zusammen; es hat also der Staat selbst das lebhafteste Interesse, den Gemeinden als seine Stutzen auf die Füße zu helfen Man mag die Aufwendungen für die Wasser¬ leitung und Kanalisierung heute drehen und wenden wie man will, es wird später doch einmal nichts anderes übrig bleiben, als diese Einrichtungen zu schaffen Daß die frühere Gemeindever¬ tretung sich in einer Zwangslage befand, welche die Durch¬ führung von bestimmten Plänen hemmte, stimme ich bei; aber jedenfalls sind heute die Schwierigkeiten bedeutend größer als damals. Eine Erleichterung in dem Verhältnisse dürfte die Stabilisierung des Betriebes in der Autoerzeugung wohl bringen können. Soll sich aber Industrie in unserer Stadt entwickeln können, so müssen auch die nötigen Einrichtungen geschaffen

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