Gemeinderatsprotokoll vom 2. September 1920

seinerzeit an Herrn Altbürgermeister Gschaider das Verlangen gestellt worden, die Stadtgemeinde möge erklären, daß der Ver¬ trag noch zu Recht bestehe. Diese Erklärung wurde mit dem Hinweise verweigert, daß die Waffenfabrik obnedies im Besitz des Vertrages sei. Was die internen Verhandlungen in dieser Frage waren, sind mir nicht bekannt; hiebei wird es sich haupt¬ sächlich um die Verteilung der Umlagentangente gehandelt haben. Von diesen Umlagen erhalten Steyr 55 Prozent, Wien 20 Pro¬ zent und die restlichen Prozente werden auf Garsten, St. Ulric und Sierning verteilt. Wenn nun die Werke in Letten aufge¬ öst würden, würden wir nach diesem bestehenden Vertrag 65 Prozent erhalten. (Zwischenruf: „Ganz unmoralisch“!) Wenn sich die Waffenfabrik wieder entwickelt, so werden für die Gemeinde durch die unabweisbare Durchführung der Wasserleitung und Kanalisation überaus hohe Ausgaben erwachsen, welche zum größten Teile auf das Konto der Fabrik gehen. Es wird sich daher empfehlen, daß der Gemeinderat sich klar werde, wie man sich in diesem vorliegenden Falle verhalten soll. Die Mitteilung der Landeshypothekenanstalt wurde auch der General=Direktion der Waffenfabrik übermittelt und diese ersucht, sie möchte uns ihre Meinung ehestens mitteilen, damit wir in Verhandlungen eintreten können. Ich fürchte nun, daß die General=Direktion sich Zeit läßt und damit die Fertigstellung der Häuser auf der Ennsleite gefährdet. Die Wohnungsnot ist durch das letzte Hoch¬ wasser ganz bedeutend verschärft worden, nachdem zwei Baracken in Ramingsteg ausgemietet werden mußten. Die Gemeinde Sankt Ulrich hatte keine Unterkunft und die Bezirkshauptmannschaft wendete sich wegen Wohnungen an uns; wir mußten schließlich die Parteien in der Michaelerschule unterbringen, damit die Not¬ dürftigsten eine Unterkunft hatten Ueber die Aufhebung des Vertrages mit der Waffenfabrik eröffnet der Herr Vorsitzende sodann die Wechselrede. Herr GR. Dr. Peyrer Angermann bemerkt, daß die Waffenfabrik unendlich stärker in ihrer Position als die Gemeind sei, daß die Waffenfabrik im Verkehr immer zurückhaltend war und das Ende bei Verhandlungen mit derselben nie ein gutes gewesen ist In dieser Wohnungsgeschichte ist die Gemeinde der Waffenfabrik aufgesessen, wie selten irgend jemand. Man sollte aber doch von jeden Unternehmen ein gewisses soziales Empfinden erwarten. Es geht nicht an, Arbeiter anzustellen und diese in Wohnungsnot zu lassen. Die Waffenfabrik hat bald einen Still stand, dann wieder eine Hochkonjunktur und jetzt wieder einen Rückgang zu verzeichnen und das Ende ist ein Fluktuieren der Arbeiterschaft selbst. Die Waffenfabrik versteht sehr gut zu rechnen und hat es auch verstanden, ohneweiters den Staat während des Krieges bauen zu lassen, hat ihre Materialien und Erzeugniss wischen Letten und Steyr hin= und hergeschickt und um den Militärtarif die Steyrtalbahn zusammengedroschen. Als es sick darum gehandelt hat, die Häuser auf der Ennsleite auszubauen hat sich die Waffenfabrik zurückgezogen und die Konjunktur bessen als die Gemeinde erkannt Sie ließ es der Gemeinde über, die Häuser auszubauen, wohl wissend, daß diese Häuser dazu be¬ timmt sind, ihre eigenen Leute aufzunehmen. Ich glaube die Hemeinde hat keinen Anlaß allzu nachgiebig zu sein. Die Waffen¬ abrik wird nur dann umschwenken, wenn sie einen entschiedenen Standpunkt der Gemeinde sieht, welche alles tun muß, um aus dieser Fessel herauszukommen Die Stadtgemeinde hat von diesem Unternehmen nur Lasten aufgehalst bekommen, sie mußte das Krankenhaus bauen und hat in der Herhaltung der Brücken und Straßen alljährlich kollosale Lasten zu tragen. Es muß den Herren der Waffenfabrik dies alles klar gemacht werden, damit der Sitz der Gesellschaft hieher verlegt wird und Steyr nicht derart zugrunde geht, wie es gegenwärtig schon auf einen Tief¬ stand angelangt ist. Steyr hat trotz seiner großen Bevölkerungs¬ anzahl keinen Verkehr; die großen Schlüsse werden alle aus wärts gemacht. Die bürgerlichen Partein werden die Gemeinde sicherlich unterstützen derr Vizebürgermeister Dedic sagt, daß Herr GR. Peyrer gewiß teilweise recht hat, wenn er sagt, daß die Gemeinde der Waffenfabrik aufgesessen ist. Heute könne man allerdings leicht iber die Sache sprechen, man dürfe aber nicht vergessen, daß die Häuser nach dem Umsturz dachlos gestanden sind und die Gemeinde die Pflicht hatte zu schauen, daß diese Werte nicht verloren gingen. Nachdem die Waffenfabrik den Ausbau der häuser kategorisch ablehnte, blieb für die Gemeinde nichts an¬ deres übrig, als diese Häuser selbst auszubauen. Ueber die Häuser ließe sich allerdings manches reden, aber vielleicht kommt noch die Zeit, daß man es als gut erkennt, daß die Gemeinde dieses Opfer brachte. Nach der Zuschrift der Hypothekenanstalt muß es als eine gute Idee bezeichnet werden, daß die Gemeinde die äuser übernommen hat, weil nach der Entscheidung des Staats¬ amtes auch die Waffenfabrik verpflichtet ist, ein Drittel des ver lorenen Bauaufwandes beizutragen. Die Geldbeschaffung für die Weiterführung des Baues ist allerdings für die Gemeinde ein große Sorge, weil sich überall eine Geldknappheit bemerkbar macht. Nicht allein Steyr, alle Städte stecken in Schulden. Das Verlangen der Hypothekenanstalt, daß der Vertrag mit der Waffenfabrik aufzuheben sei, ist gleichfalls zu begrüßen, insbe sondere vom kleinen Geschäftsmann, das sind die Gewerbetreiben den. Die Gemeinde hat aber auch keine Pflicht diesen Vertrag zu halten, weil er unmoralisch und ungesetzlich ist Ich will der früheren Gemeindevertretung gewiß keinen Vorwurf machen, sie war gewiß auch damals in Verlegenheit und fürchtete, wenn sie auf den Vertrag nicht eingeht, eventuell die Waffenfabrik wo anders hinkommen würde. Der Vertrag wurde aber seither igentlich nicht eingehalten und hat sich die Gemeinde, wie schon Herr Bürgermeister ausführte, um gewiße Bestimmungen nich gekümmert. Das Verlangen der Hypothekenanstalt wird daher uch das unsere. Wie wird aber dasselbe zu bewerkstelligen sein wie wird die Gemeinde eine Pression ausüben können? Anderer seits aber brauchen wir diese 20 Millionen Kronen und können nicht so lange warten, bis die Waffenfabrik über die Verlegung ihres Sitzes nach Steyr zu einem Entschlusse gekommen ist. Wir ollen daher heute erklären, daß wir mit heutigem Tag diesen Vertrag als aufgehoben betrachten. Gewiß, die Gemeinde soll die Vertragstreue halten, aber der Gemeinde ist damals dieser Vertrag in ihrer Not aufgedrungen worden. Die Waffenfabri vird sich allerdings gegen einen solchen Beschluß wehren, es steht jedoch zu erwarten, daß uns alle Behörden, die die Waffen¬ fabrik anrufen wird, recht geben werden. Es ist auch nicht be annt, ob der damalige Landesausschuß diesem Vertrag zuge timmt hat. Mit einem Beschlusse des Gemeinderates, daß wir diesen Vertrag heute als aufgehoben erklären, wird sich auch die Landeshyopthekenanstalt zufrieden geben und daraus ersehen, daß wir gewillt sind, nach Möglichkeit die von ihr gestellten Be¬ dingungen zu erfüllen. Herr GR. Dr. Peyrer sagt, daß er den Vertrag nur aus der Zeitung kenne und man vorsichtig sein müsse. Der Ver¬ trag verstößt zumindestens gegen die guten Sitten. Es würde sich empfehlen ein Komitee einzusetzen, welches die Verhandlungen inzuleiten hat err GR. Rudda begrüßt das Verlangen der Hypotheken¬ anstalt, glaubt aber, daß die Waffenfabrik auf die Verlegung ihres Sitzes nach Steyr nicht eingehen wird, weil sich großzügige Unternehmungen von der Provinz aus nicht abschließen lassen Herr GR. Prof. Brand bemerkt, daß ihm die Wahl eines neuen Komitee nicht symphatisch sei; es möge die Angelegenheit von der Rechts= und Finanzsektion übernommen werden. Herr GR. Dr. Peyrer erklärt, seinen Antrog auf Wahl neuen Komitees zurückzuziehen. eines Die Ueberweisung der Angelegenheit an die Rechtssektion odann vom Gemeinderate beschlossen und verlangt, daf vird diese in der nächsten Sitzung über das Ergebnis ihrer Bera ungen und Verhandlungen Bericht erstattete. Die Finanzsektion wird ermächtigt, mit der Landeshypothekenanstalt zwecks Flüssig¬ machung des Kredites in Unterhandlungen zu treten Bezüglich der Aufnahme der zwei Millionen Kronen stimmt der Gemeinderat dem Antrage der II. Sektion zu Vor Weiterführung der Verhandlungen für die III. Sektion wegen Einberufung der „V. Sektion zu einer kurzen Be¬ wird brechung die Gemeinderatssitzung auf 10 Minuten unterbrochen (3 Uhr 48 Min.) Fortsetzung der Sitzung 4 Uhr 15 Min. II. Sektion 12. Umbau des alten Fachschulgebäudes für Zwecke der Städtischen Handelsschule. Dieser Punkt muß wegen weiterer Verhandlungen zurück jestellt werden 13 Ansuchen um Zuweisung eines Standplatzes am Stadsplatz Referent Herr GR. Frühwald Es sind wiederholt Ansuchen um Bewilligung zur Errich¬ tung von Standeln am Stadtplatz eingelangt. Die Sektion legt nun dem Gemeinderate folgenden Antrag vor: Der Gemeinderat übertrage für die Folge die Erledigung von Ansuchen um die Bewilligung zur Errichtung von Verkaufsständen aller Art im Stadtgebiete an das Gemeinderatspräsidium, wobei der Erwar ung Ausdruck verliehen wird, daß bei der jeweiligen Fällung von Entscheidungen auf den Standpunkt, den der Gemeinderat m Gegenstande bereits prinzipiell eingenommen hat, Bedacht jenommen werde Angenommen. Beschaffung eines Motors für das Pumpwerk in 14 Zwischenbrücken Referent Herr GR. Chalupka Auch diese Angelegenheit ist nichts neues. Die Pumpstation vurde einer Revision unterzogen, wobei sich herausstellte, daß ür die Weiterinbetriebsetzung ein neuer Motor eingesetzt werden nuß. Der Antrag der Sektion lautet: 96905 Der Gemeinderat genehmige im Interesse der ungeschmälerten Erhaltung des Betriebes im Pumpwerk Zwischenbrücken, die vom Gemeinderatspräsidium verfügte Beschaffung eines 15 ?S Dreh trommotors um den Betrag von 62.300 K, Angenommen. 5. Beschaffung von Einrichtungsgegenständen für die Reserveklassen auf der Eansleite. Referent Herr GR. Frühwald der Stadtschulrat hat in seiner letzten Sitzung die Anschaffung von Einrichtungsgegenständen beschlossen. Der Amtsbericht des Ba namtes lautet: 5

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