Ratsprotokoll vom 9. Dezember 1918

Ganz schlimm steht es mit der Kohlenversorgung War diese schon seit längerer Zeit sehr mangelhaft, so wurde die Zufuhr dieses wichtigen Heizstoffes durch die seitens des tschecho = slowakischen Staates verhängte Sperre der Ausfuhr gänzlich unterbunden. Eine Besserung ist erst wieder zu er varten, wenn die Verhandlungen, die diesbezüglich mit der tschecho=slowakischen Regierung in Wien geführt werden, zu einem entsprechenden Ergebnis führer Schwer getroffen durch die Kohlensperre ist auch unser Gaswerk. Glücklicherweise waren die Zufuhren, die vor Eintritt der umwälzenden Ereignisse stattfanden, durch vorher gepflogene Unterhandlungen ziemlich befriedigend, so daß das Gaswerk über einige Vorräte verfügt. Lange reichen auch diese nicht aus. Es wurden deshalb mit dem Gaswerk und mi der Waffenfabrik Beratungen über Sparmaßnahmen gepflogen ind hoffe ich, daß es gelingen wird, durch diese Maßnahmen bis zur Wiedereröffnung der Kohlenzufuhr auszukommen Ich habe im Vorstehenden einen wahrheitsgetreuen Be¬ icht über die Lage der Lebensmittelversorgung gegeben. Er enthält gewiß nichts Erfreuliches, aber Verschleierungen würden ben keine Besserung herbeiführen. Es wird nach wie vor das Bestreben der Stadtgemeinde=Vorstehung und des städtischen Wirtschaftsrates sein, Besserungen herbeizuführen und gebe ich der Hoffnung Ausdruck, daß diese nicht allzulange auf sich warten lassen, damit unsere Bevölkerung, die gewiß unter den Er¬ nährungsverhältnissen schwer zu leiden hat, endlich von dieser großen Sorge befreit werde. erner erlaube ich mir mitzuteilen, daß der Vertreter einer Wiener Firma sich bei mir über die Möglichkeit der Errichtung einer Badeanstalt erkundigte. Ich gal ihm selbstredend alle gewünschten Auskünfte und versprach ihm möglichste Unterstützung durch die Gemeindevertretung Die Frist der Bewilligung für das Nachttelephon ist abgelaufen und wurde von der Linzer Post= und Telegraphen Direktion angefragt, ob Bedarf zur Aufrechterhaltung des Nacht¬ dienstes bestehe. Da das Nachttelephon sich bestens bewährt hat, wurde aufs Nachdrücklichste die Aufrechterhaltung des Dienstes verlangt. Ebenso verlangte ich die Hieherverlegung einer Tele¬ graphenliniensektion, damit die Einrichtung von Fernsprechstellen nicht mehr so großen Schwierigkeiten begegne, wie bisher Die Einverleibung des Gleinker Gebietes ist nun abgeschlossen und wird das Gebiet mit 1. Jänner 1919 übernommen, wodurch die Fläche des Stadtgebietes eine Ver¬ größerung um fast die Hälfte des gegenwärtigen erfährt. Die Einwohnerzahl der Stadt erhöht sich durch die Einverleibung um 570 Personen. Zum Berichte über die Milchversorgung bemerkt Herr Bürgermeister, daß sich die Anlieferung nach Bericht des Herrn Gemeinderates Kattner heute etwas gebessert habe. Weiters ist noch zu berichten, daß in der Petroleumzusen dung durch die bestehenden Verkehrsstockungen eine bedeutende Verzögerung eingetreten ist; es steht jedoch zu hoffen, daß an fangs nächster Woche Petroleum für den dringendsten Bedar evölkerung einlangen dürfte. er B Bezüglich der Zuckerzuweisung habe ich mich an das Landes¬ wirtschaftsamt gewendet mit der Anforderung, es möge uns aus den Beständen der Marmeladenfabriken Zucker und Marmelade zugewiesen werden, was zur Folge hatte, daß wir 5000 Kilo ramm Zucker und 5000 Kilogramm Marmelade erhalten, so daß es möglich sein wird, wiederum ¼ Kilogramm Zucker und Marmelade pro Kopf ausgeben zu können. Eine wirkliche Rege lung des Verkehres mit Zucker kann natürlich erst nach Auf¬ hebung der Zuckersperre erfolgen. Bereits in der letzten ordentlichen Sitzung habe ich be treffs Errichtung eines Bahnhofpostamtes berichtet. In dieser wichtigen Angelegenheit ist nun folgende Zuschrift der Post= und Telegraphendirektion anher gelangt: . k. Post= und Telegraphen=Direktion für Oberösterreich und Salzburg Z. 33.362 Linz, am 16. Oktober 1918. Gegenstand eines Bahnhofpostamtes Errichtung n Steyr. An die Stadtgemeinde=Vorstehung in Stehr: Die Direktion beehrt sich für die d. ä. Zuschrift vom 7./9. 1918, Z 29.983, mit der über den beabsichtigten Bahn¬ hofumbau Mitteilung gemacht wurde, verbindlich zu danken und heizufügen, daß an die h. o. Staatsbahndirektion wegen Unter bringung eines Postamtes in der neuen Bahnhofanlage bereits herangetreten wurde. Die Direktion wird nicht ermangeln, sick mit der geehrten Stadtgemeinde=Vorstehung in der Angelegen¬ heit fortlaufend im Einvernehmen zu erhalten. Der k. k. Hofrat und Vorstand: Dr. Castel Von Herrn Mag. ph. Otto Dunkl, welcher anläßlich der Neuzusammensetzung des Gemeinderates sein bisheriges Mandal zurückgelegt hat, ist folgende Zuschrift eingelangt: An den Gemeinderat der l. f. Stadt Steyr Für die ehrende Weise, in der der Gemeinderat von meinem Abschiede aus demselben Kenntnis nahm, sage ich meinen aufrichtigen Dank Hochachtungsvollst grüßend Mag. ph. Otto Dunkl. 3 Ich bitte, diese Mitteilungen zur Kenntnis nehmen zu wolle Es wurde mir folgender Dringlichkeitsantrag übergeben: Dringlichkeitsantrag der Gemeinderäte Brand, Erb und Vizebürgermeister Wokral. Traurige, tieferschütternde Nachrichten kommen zu uns über die Mißhandlungen unserer deutschen Volksgenossen. Ins¬ besondere leiden durch die Tschechen die Deutschen in Böhmen und in Mähren. Wie während eines Krieges werden deutsche Städte und Dörfer von einer tschechischen Uebermacht überfallen und sollen der tschechischen Bedrückung und Herrschaft unterworfen und deutschen Wesens und Seins beraubt werden edes Deutsche Bürger und Bauern, deutsche Beamte und deutsche Arbeiter sollen Erwerb und Brot verlieren, wenn sie sich nicht unterjochen lassen wollen Mit tiefstem Mitleide und mit wärmster Entrüstung ver¬ folgen wir Deutsche in allen Ländern diese vielseitigen Gewalt¬ tätigkeiten. Wir beantragen: Der Gemeinderat der Stadt Steyr beschließt, den be¬ drängten und mißhandelten deutschen Volksgenossen aller Länder, insbesondere in Böhmen und in Mähren, die innigste Teilnahme und das herzlichste Mitleiden, den tschechischen Gewalthabern aber die tiefste Entrüstung über ihr völkerrechtswidriges Vor¬ gehen und die nichtswürdige Behandlung der Deutschen auszu rücken. Wir versichern unsere deutschen Volksgenossen auch, daß der vir so großen Drangsalierung nicht vergessen und wenn jede Hilfe gewähren wollen. nöglich, J. Wokral. Brand. Bachmayr Dedic Karl. F. Kirchberger. Paul Fendt. Franz Nothhaft Erb. Mayr Hermann Kletzmayr Mitter Tribrunner. Der Antrag ist von Vertretern aller Parteien eingebracht durch die Anzahl der Unterschriften entsprechend gestützt. und Ich ersuche, zur Dringlichkeit des Antrages zu sprechen err G.=R. Prof. Brand: „Die Dringlichkeit meines Untrages geht aus der gegenwärtigen Lage, die sie ja alle ennen, hervor. Sie alle wissen um das traurige Los unserer Stammesbrüder und die ebenso traurigen Verhältnisse, in welchen sich dieselben gegenüber dem tschechischen Staate befinden, und velche Drangsalierungen dieselben zu erdulden haben; unsere Stammesbrüder erwarten von uns Hilfe und sofortige Stellung¬ nahme, womit die Dringlichkeit des Antrages gewiß begründet erscheint. Ich glaube gewiß, daß die Dringlichkeit des Antrages hne Debatte anzuerkennen ist und bitte darum. Herr Vorsitzender: „Wird zur Dringlichkeit des An trages das Wort gewünscht? Dies ist nicht der Fall. Ich schreite zur Abstimmung Die Dringlichkeit des Antrages wird vom Gemeinderate anerkannt Herr G.=R. Prof. Brand: „Meine sehr geehrten Herren! Sie alle kennen ja die traurige Lage des deutschen Volkes in den gemischtsprachigen Ländern. Während des Krieges haben unsere Stammesbrüder wie kein anderes Volk Oesterreichs urchtbare und große Opfer gebracht, Opfer an Gut und Blut. Einerseits haben sie die Schrecken des Krieges mitzuerleben ge¬ abt und andererseits wurden sie zu den Lieferungen sehr stark herangezogen, weil bekanntlich die Tschechen ihren Lieferungs¬ pflichten nur zum Teile nachgekommen sind. Es ist selbst¬ erständlich, daß wir diese Opfer unserer Stammesbrüder vollau nerkennen. Wir bedauern, neuerdings sehen zu müssen, daß sie auf ihrem eigenen Gebiete durch die tschechischen Einfälle drangsaliert werden. Verschließen wir uns nicht dem schwerer Leide unserer Stammesgenossen, sprechen wir ihnen unsere ollste Sympathie aus und beschließen wir, ihnen nach Mög lichkeit in ihrer nationalen Bedrängnis Hilfe zu leisten, dami ihnen auf Grund ihres Selbstbestimmungsrechtes, das durch die einde im Norden wie im Süden verletzt wird, gewahrt bleibe. Ich bitte deshalb meinen Dringlichkeitsantrag einstimmig an¬ unehmen, damit der Gemeinderat der deutschen Stadt Steyr seine Stimme gegen die Bevormundung und Drangsalierung unserer Stammesbrüder erhebe. Herr Bürgermeister: „Wird zu den Ausführungen as Wort gewünscht? Da dies nicht zutrifft, schreite ich zur Abstimmung der Dringlichkeitsantrag wird vom Gemeinderate ein stimmig angenommen. „Mir liegen noch zwei An¬ Herr Bürgermeister: träge vor, und zwar ein Antrag des Herrn G.=R. Kirchberger in Kasernangelegenheiten und ein Antrag des Herrn G.=R Prof. Brand auf Errichtung einer Lehranstalt mittleren oder öheren Grades für Landwirtschaft und Bodenkultur in Steyr. Ich lasse diese beiden Anträge zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung setzen err Vizebürgermeister Fendt schlägt vor, schon heut zwecks vorbereitender Beratung einen Ausschuß zu wählen. Herr Bürgermeister entgegnet, daß die Anträge heute nich auf der Tagesordnung stehen und zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung nur Dringlichkeitsanträge zugelassen werden können Es müßte daher der Antrag Kirchberger in einen Dringlichkeits¬ antrag verwandelt werden.

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