Ratsprotokoll vom 9. Dezember 1918

2 tragender Wichtigkeit, daß ich mir im Nachfolgenden gestatte, sie in Kürze zusammenzufassen, damit sie im Protokolle des Gemeinde rates Aufnahme finden. Sofort nach Eintritt der Staatsumwälzung mußte daran jedacht werden, entsprechende Schritte zu machen, um die Stadt¬ verwaltung in möglichst geregeltem Gange zu erhalten, insbe ondere Ausschreitungen zu verhindern und für den Schutz der Bevölkerung zu sorgen. Es fanden diesbezüglich eine Reihe von Besprechungen statt, die am 1. November zur Zusammensetzung eines vor läufigen Nationalrates für die Stadt Steyr führten, n den Vertreter der drei großen politischen Parteien berufen vurden Einer der ersten Schritte dieses neuen Rates war, sich mit dem eben zusammengesetzten Soldatenrat in Verbindung zu setzen Die in der Artilleriekaserne geführten Verhandlungen er¬ jaben zunächst die Geneigtheit der hiesigen Tirolerjäger, bis auf weiteres den Dienst zu machen und wurde auch von diesen der militärische Dienst weiter versehen. zur Verstärkung des Sicherheitsdienstes in der Stadt wurde sofort an die Aufstellung einer Volkswehr geschritten, zu der die Anmeldungen zahlreich einliefen. In den ersten Novembertagen wurden die Verhältnisse bei den Tirolerjägern schwierig, da sie zu Hause befördert zu werden verlangten. Sie wirkten wohl noch bei der Entwaffnung des slowenischen Bataillons tatkräftig mit. Es war auch möglich ein Bataillon zur Wiederherstellung der in Linz arg gestörten Ruhe dorthin zu entsenden, aber bald versagte die Truppe und der gesamte Wachdienst mußte der Volkswehr übergeben werden. Eine sehr große Arbeit oblag dem Nationalrate in der Aufgabe, die in Steyr vorhandenen ärarischen Gelder und Güter zu sichern Ein Verwaltungsoffizier nach dem andern erschien, um die hm anvertrauten ärarischen Güter zu übergeben, deren weitere Verwaltung angesichts des Davongehens der Mannschaft und der damit im Gefolge stehenden Auflösung aller militärischen Betriebe den militärischen Verwaltungsstellen nicht möglich war Aeußerst schwierig war die Lage dadurch, als von den ir überstürzter Bildung begriffenen neuen Behörden keinerlei wirk¬ ich gültige Weisungen ergingen und man lediglich auf den elephonischen und telegraphischen Verkehr angewiesen war. Fürs Erste gelang es, die Ruhe aufrecht zu erhalter und wurden auch tatsächlich Plünderungen und Ausschreitungen, wie sie in anderen Städten vorkamen, verhindert. Dies war illerdings nur unter Anstrengung aller Kräfte möglich. Von zeitig früh bis in die späte Nacht dauerten die Beratungen, eine Fülle neuer Fragen tauchte auf, Entscheidung auf Ent¬ cheidung mußte gefällt werden. Die gesamten politischen und militärischen Agenden drängten sich im Rathause zusammen Dazu kam noch der beginnende Rückmarsch der Truppen aus er Front, die durchlaufenden Rücktransporte der italienischen Gefangenen, Ueberwachung des Gepäckes zwecks Verhinderung der Fortschleppung von Lebensmitteln usw. Zur Bewältigung dieser Angelegenheiten führte der National rat unter seinen Mitgliedern eine Dienstordnung ein. Die wirt¬ schaftlichen, finanziellen und militärischen Agenden wurden ver¬ teilt, ein Bahnhofdienst eingerichtet und getrachtet, Ordnung und Uebersicht in die aufgelaufenen Fälle zu bringen Nicht nur in Steyr mußte für Sicherheit und Ruhe gesorgt werden, auch der Schutz der Strafanstalt Garsten mußte übernommen werden, der Bahnhof Valentin, ir welchem sich bedenkliche Plünderungserscheinungen bemerkbar machten, mußte besetzt werden und ebenso war es notwendig, Abteilungen zu entsenden, um Lebensmittel und konstige Trans¬ porte von Wien, Wels und anderen Orten, welche durch die auf den Eisenbahnstrecken eingerissene Unordnung äußerst gefährdet waren zu schützen. Von allen Seiten wurden von der Stadtgemeindevorstehung Waffen verlangt, welche auch benachbarten Gemeinden zum Schutze ihrer Bevölkerung und damit auch der Lebensmittelver¬ sorgung Steyrs ausgefolgt wurden Einzelne Fälle von Ruhestörungen, besonders ein Exzeß, den Mitglieder einer auswärtigen Volkswehr vollführten, er¬ heischten Einschränkungen in der Sperrzeit der Gast= und Schank¬ gewerbebetriebe Die durchlaufenden Transporte wurden in der Weise be handelt, daß solche zweifellos deutschösterreichischer Zugehörigkei unbehelligt entlassen wurden, während solchen fremder Na¬ tionalitäten Waffen und größere Vorräte abgenommen wurden und ihnen lediglich Proviant für 3 Tage belassen wurde.In gleicher Weise wurden hier einlangende Autos und sonstige Kolonnen behandelt. Dank aller dieser Maßnahmen konnten sämtliche Vorfälle sich im allgemeinen ruhig und geordnet abspielen und wenn auch besonders seitens einzelner tschechischer Offiziere versucht vurde, sich den Anordnungen zu widersetzen, so konnten doch die angeordneten Durchführungen unter entsprechendem Aufgebot der Volkswehr glatt durchgeführt werder Im Nachstehenden gestatte ich mir, eine Uebersicht der über¬ nommenen und beschlagnahmten Gelder, sowie der übernommenen und beschlagnahmten Waren mitzuteilen: Uebernommen wurden K 162.128-26 teils in Barem, teils in Bankguthaben, ferner 6000•— in italienischer Kriegsanleihe Zire Lire 4,051.203·71 in italienischen Sparkassabüchern, Lire 90•— in Koupons und 37 Gold=, Silber= und Kupfermünzen, sowie 37 Goldgegenstände Beschlagnahmt wurden Lire 94.975·24 und K 276.767·17 vorunter der Erlös für die beschlagnahmten und dann ver¬ kauften Pferde mit K 206.572-50 * insgesamt also * K 438.895•43 und Lire 4,152.268·95 sowie die erwähnten Münzen und Gegenstände An Waren wurden übernommen und beschlagnahmt: 25.300 kg Mehl, 2.600 kg Zucker, 12 Flaschen Paradeis¬ nark, 6 Kisten Seife, 3 Kisten Waschpulver, 7 Fässer Marme¬ ade, 6 Kisten Fleischkonserven, 65 Kisten Kaffeekonserven, sowie kleinere Mengen von Dörrgemüse, Zwiebel, Makkaroni, Paprika Hülsenfrüchten, Mahlprodukten und Salz Die Auflassung des Gefangenenlagers in Mauthausen ab Gelegenheit, eine Reihe von Verpflegs= und anderen Gegen¬ ständen dort aufzukaufen, um sie als Zubußen der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Aus diesen Einkäufen ist folgende Sendung nach Steyr gelangt: 5758 kg Mischung aus Reis, Makkaroni und Bohnen, 8754 kg Zwieback, 3290 Stück Kaffee¬ konserven, 1445 Stück Suppenkonserven, 5 Kisten Medikamente und Verbandstoffe, 1241 Paar Socken, sowie eine Reihe kleinerer Mengen von verschiedenen Nahrungsmitteln und Gebrauchsgegen¬ tänden, die meist dem Allgem. Krankenhause zugewiesen wurden. Was die allgemeine Verpflegung anbelangt, ge¬ lang es, die Versorgung mit Rindfleisch unter Heranziehung von beschlagnahmtem Vieh auf der bisherigen Kopfquote zu erhalten. Durch Beschlagnahme von Schweinen war es möglich, eine wenn auch kleine Menge Selchfleisch zu einem verhältnis mäßig billigen Preis abzugeben Die Versorgung mit Pferdefleisch erhielt durch die beschlagnahmten Pferde, von denen ein Teil gegen Revers ab¬ gegeben wurde, ein Teil durch Verkauf der Bevölkerung zu Fuhrwerkszwecken zur Verfügung gestellt wurde und ein Teil der zu Bespannungszwecken nicht mehr geeignet war, der Schlach¬ tung zugeführt wurde, eine bedeutende Verbesserung Da sich in der Bevölkerung Klagen über unbegründete Aufrechterhaltung des Pferdefleischpreises von 4 K 50 h geltent nachten, wurde eine Probeschlachtung angeordnet, auf deren Ergebnis hin der Pferdefleischpreis von 4 K 50 h auf 2 K erabgesetzt wurde Sehr im Argen liegt die Milchversorgung. Durck Versagen mehrerer Gemeinden ließ die Milchanlieferung aus Neumarkt = Kallham stark nach, so daß an manchen Tagen um über 800 Liter zu wenig einlangten, was natürlich eine Stockung in der gesamten Milchabgabe verursachte und den Unwillen der mit Milchkarten beteilten Parteien im hohen Maße erregte Es wurden diesbezüglich eine Reihe von schriftlichen, tele¬ graphischen und telephonischen Beschwerden an die Landes¬ regierung und an das Landeswirtschaftsamt gerichtet und hoffe ich, daß alle diese Vorstellungen doch dahin führen werden, wieder eine Regelung in der Milchzufuhr herbeizuführen. Die Mehl= und Brotversorgung wurde, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, aufrecht erhalten und steht zu hoffen, daß wir in Hinkunft durch Ermöglichung der Schaffung iner Reserve nicht mehr von dem rechtzeitigen Eintreffen eines Mehlwaggons abhängen Die Eier= und Fettversorgung blieb in den bis¬ erigen, allerdings sehr bescheidenen und der Menge nach unzu¬ reichenden Grenzen und wird es wohl noch einige Zeit dauern, is hier eine wesentliche Besserung eintreten kann. Die Wildanlieferung war im Verhältnis zum Vor ahre nicht unbefriedigend, doch reichen die angelieferten Mengen eineswegs aus, um den Bedarf der hiesigen Haushalte zu be¬ friedigen. Sehr schlimm steht es mit der Zuckerversorgung. Die Verzögerung der Anlieferung und insbesondere das vom tschecho¬ lowakischen Staate verhängte Ausfuhrverbot für Zucker ver¬ hinderte das Eintreffen der für Oktober und November fälligen Zuckersendungen. Konnte auch im Oktober der Bedarf noch durch die Stadtreserve gedeckt werden, so war dies im November nicht mehr möglich und konnte aus den vorhandenen Resten sowie aus dem von militärischen Stellen übernommenen Zucker nur ein Teil der Kopfquote im Ausmaße von ¼ kg erfüllt werden: dagegen ist Vorsorge getroffen, den Kindern und Kranken nach vie vor Zucker zukommen zu lassen Ein etwas erfreulicheres Bild bietet die Gemüsever¬ orgung. Die Zufuhr dieser Lebensmittel war nicht unbe¬ riedigend und sind in letzter Zeit bedeutende Preisrückgänge zu erzeichnen Die Holzversorgung bietet nach wie vor die größten Schwierigkeiten, da einerseits aus Mangel an Arbeitskräften zu venig Holz geschlägert werden konnte, andererseits die vorhan¬ enen Vorräte größtenteils so ungünstig liegen, daß sie bei dem orhandenen Mangel an Pferden und insbesondere an Futter¬ mitteln, nur in gänzlich unzureichenden Mengen befördert verden können Mit der Lamberg'schen Güterdirektion diesbezüglich ge¬ pflogene Verhandlungen ergaben deren Geneigtheit, zur Linde¬ rung der dringendsten Brennholznot sogenanntes Bürdelholz er eugen zu lassen. Außerdem wurde im Wirtschaftsrate beschlossen, wecks größerer Verteilungsmöglichkeit statt wie bisher 3 m bloß m pro Haushalt abzugeben.

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