Chronik der Stadt Reichenau

Arbeitslöhnen verboten, konnte aber nicht ganz unterdrückt werden, da die Händler an dem eingeführten Brauche festhielten und durch die doppelte Aus¬ beutung ihrer Arbeiter reiche Leute wurden. Schwarzecker schreibt in seinem Buche, daß unsere Vorfahren die Zuckererzeugung vor Jahrhunderten selbst betrieben, indem sie aus Obst, Waldfrüchten und Rüben einen dicken Saft lochten, welcher zum Süßen von Backwerk und Tunken Verwendung fand Als in späterer Zeit mehr Handelswege angelegt wurden, mag sich wohl auch der Verkehr für unser bisher von aller Welt abgeschlossenes Reichenau gsebessert, es mit entfernteren Gegenden verbunden haben und dem Handels¬ und Geldverkehre erschlossen haben. Mit der Vergrößerung der Siedlung Reichenau mögen wohl auch verschiedene Handwerker entstanden sein, wie Schmiede, Wagner, Tischler und andere, wodurch für die Bewohner schon eine bessere Zeit im Anzuge war Leider fehlen uns schriftliche Nachrichten über die Entwicklung von Rei¬ chenau aus frühester Zeit, nur Schwarzecker schreibt in seinem Buche wört¬ lich: „Die Bewohner von Reichenau waren trotz ihrer Abgeschlossenheit von aller Welt ein strebsames und nach Verdienst drängendes Volk. Dieses Streben nach Verdienst hat sich aus früherer Zeit bis heute auf unsere Bevölkerung vererbt, denn bereits unsere Urgroßväter versuchten verschie¬ dene Arbeiten zu ergründen.“ Als das Spinnen und Weben seinem Ende entgegenging, lernten einige junge Männer das Ganz= und Halbedelsteinschleifen und =Polieren. Unsere Gebirge waren früher reich an Halbedelsteinen, leider wurden diese reichen Bodenschätze aus Unkenntnis ihres hohen Wertes nicht beachtet Wie uns die Geschichte berichtet, kamen vor Jahrhunderten öfters Ita¬ liener in unsere Gegend und begannen in den Bergen ein geheimnisvolles Suchen nach allerlei Gestein, welches sie fuhrenweise mit nach Italien fort¬ ührten und in ihrer Heimat zu Edelsteinen verarbeiteten. Unserer Bevöl¬ kerung gab das rätselhafte Suchen der Italiener nach seltenen Steinen in dem damaligen Aberglauben Anlaß zu allerlei Vermutungen und es herrschte die Meinung vor, daß diese Steine zu Hexen= und Zauberkünsten Verwen¬ dung fanden. Noch in den Jugendjahren des Verfassers ging Sonntags eine Schar Jungen nach dem Kopainer Berge, um dort verschiedengeformte und gefärbte Steine zu suchen und kehrten stets mit vollen Taschen heim. In der Gegend des Kosakow lagerten echte Granatsteine, welche von Turnauer Sammlern und Händlern einer sorgfältigen Behandlung durch Schleifen und Polieren unterzogen wurden und kam diese Arbeit auch bis nach Reichenau. Wie Schwarzecker berichtet, soll diese Granatschleiferei haupt¬ sächlich auf der Kaschavka (Kaschen) von den Familien Lindner (Schleifer¬ schuster) und Lang (Kaschelwirt) bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts betrieben worden sein. Wenn wir uns im Geiste den kleinen, dicken Mann, Schleiferschusters Büttel, vorstellen, welcher heute wohl über 90 Jahre alt wäre und zurück¬ rechnen auf das Alter seines Großvaters, des Schleifers Lindner, so dürfte diese Zeitangabe Schwarzeckers wohl die richtige sein. Auch der Schleifer Lang (Kaschelwirt), welcher zwei Söhne hinterließ, muß um diese Zeit noch ein junger Mann gewesen sein. Die Söhne befaßten sich noch in den siebziger Jahren des vorigen Jahr¬ hunderts mit Granatschleiferei, in welche sie jedoch keinem Fremden Ein¬ blick gewährten. Diese kleinen Granatsteine wurden zu allerlei Schmucksachen wie Fingerringe, Ohrringe, Broschen, Armbänder und zum Einfassen von Gold= und Silbermünzen verwendet. Nach Verbesserung der Kompositions¬ brennerei wurden die echten Granaten durch gläserne ersetzt, welche bedeu¬ 35

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