Chronik der Stadt Reichenau

Chronik der Stadt Reichenau Begonnen am 20. Jänner 1928, beendet am 13. Jänner 1935 von Wilhelm Preißler. Durchgesehen und für gut befunden von der staatlichen Anstalt für sudetendeutsche Heimatforschung. Unterschrift des Bürgermeisters: Wenzel Zenker. Unterschrift des Gedenkbuchausschusses: Eduard Uraus Karl Hofrichter August penkert Karl Schmidt Adolf Blaschke 1935. Druck und Verlag von Emil Böhme, Gablonz a. N.

Reichenau um das Jahr 1900.

Vorwort. Am 29. Jänner 1871 als Sohn eines Bauern in Reichenau geboren, be¬ suchte ich die fünfklassige Volksschule in meinem Heimatdorfe Reichenau. Mein Wunsch nach höherer Ausbildung und Musikunterricht ging wegen zu reichem Kindersegen nicht in Erfüllung und mußte ich wegen zeitlichen Geld¬ verdienens die Glasspinnerei erlernen, zu welcher ich jedoch nicht die ge¬ ringste Lust empfand Im 19. Lebensjahre trieb mich dieSehnsucht nach der Fremde in die Welt hinaus und durchstreifte ich auf meiner Wanderschaft Deutschland, Österreich, die Schweiz, Teile von Rußland und Italien. Nach der Militär¬ zeit hielt ich mich nicht lange in Reichenau auf und ging 1895 wieder nach Deutschland. Im Jahre 1897 trat ich in den Dienst der Aussig=Teplitzer Eisenbahn und war mein erster Dienstort Aussig. Nach Eröffnung der Bahn Reichenberg Teplitz wurde ich im Jahre 1900 nach Reichenberg versetzt, fünf Jahre später nach Lobositz, wo ich am 10. August 1907 durch einen Betriebsunfall verun¬ glückte. Dieser Unfall machte mich für den Fahrdienst unfähig und erfolgte meine Versetzung im Jahre 1908 in die Güterkassa nach Karbitz. Meine durch den Unfall verschuldete Erkrankung verschlimmerte sich und ich konnte auch den Kanzleidienst nicht mehr versehen, weshalb ich am 1. Jänner 1911 als Stationsaufseher pensioniert wurde. Meinen Eisenbahndienst begann ich als Bremser, rückte in kurzer Zeit zum Manipulanten, Kondukteur, Zugsführer, Transiteur, Kartanten und Fahrkartenkassier vor. Mein Ge¬ undheitszustand verschlechterte sich nach der Pensionierung, sodaß im Jahre 1912 eine Lähmung des Unterkörpers eintrat und ich seit dieser Zeit mein Leben meistens im Bett verbringen muß. Auf meiner Wanderschaft durch¬ treifte ich oft monatelang als Handwerksbursche die Länder, erlebte gute und böse Zeiten, fand Arbeit in einem Eiswerke, Ziegelei oder Fabrik, reiste mit einem Zirkus, Theatertruppe und verschiedenen Schaustellern Es würde ein ansehnliches Buch füllen, wollte ich all die erlebten Aben¬ teuer ernster und heiterer Natur niederschreiben. Oft kam ich aus kritischen Lagen durch glücklichen Zufall oder mutige Draufgängerei mit heiler Haut davon. Aber in all dem wechselreichen Leben verlor ich nicht die Liebe zur Heimat und in der Krankheit nicht den Drang nach Arbeit und Betätigung. Nach meiner Pensionierung und Eintritt der Lähmung erlahmte jedoch mein Wandertrieb noch nicht und ich verbrachte noch viele Jahre in Medo¬ nost bei Dauba, Lobositz, Wellemin am Donnersberge, Böhm.=Leipa, Königs¬ wald im Erzgebirge, Bodenbach, Leitmeritz, Aussig und kam nach fast 33jäh¬ rigem Aufenthalte in der Fremde am 6. Jänner 1921 wohl als letzte Station wieder in meine Vaterstadt Reichenau zurück. Um in meinem schweren Leiden nicht ganz der Langeweile und Verzweiflung zu verfallen, befaßte ich mich hier mit verschiedenen Schreibereien für Vereine und Abfassung von Gedichten, sowie Festreden zu Gründungsfeiern.

Bei der Zusammenstellung der Festberichte und Vereinsgeschichten machte sich der Mangel an Aufzeichnungen aus früherer Zeit sehr fühlbar. Auch über unsere Heimat Reichenau fand ich nur wenig Nachrichten aus der guten alten Zeit. Dieser Umstand bewog mich, wichtige Begebenheiten aus der Vorzeit über unser Reichenau zu sammeln und in einem geschriebenen Buche der Nachkommenschaft zu erhalten. Dieses Buch soll ein anspruchsloses Werk mehrjähriger Arbeit ohne Prachtausstattung sein, die mir ein Bedürfnis in meiner Leidenszeit war. Das Werk soll keine wissenschaftliche Abhandlung darstellen, sondern in schlichter Ausführung die Entstehung des Ortes zu ergründen versuchen und in einzelnen Abschnitten den Werdegang und die geschichtlichen Ereignisse seit der Gründung bis zur Entwicklung der Indu¬ striestadt enthalten. Der nachsichtige Leser möge die Ehrlichkeit des Willens, die Liebe zur Heimat und der Nachkommenschaft ein schlichtes Denkmal der reichen Ver¬ gangenheit unserer Vaterstadt Reichenau zu hinterlassen, gelten lassen. Um gütige Berücksichtigung etwaiger Mängel möchte ich aus dem Grunde bitten daß ich das mühevolle Sammeln des Stoffes aus den verschiedenen Quellen sowie die Niederschrift des Buches nur im Bett liegend zur Ausführung bringen konnte. Als Ansporn zu der Arbeit galt mir der Gedanke und die Tatsache, daß unseren Bürgern und der Jugend nur spärliche Nachrichten aus dem Leben unserer Vorfahren und historischen Begebenheiten aus früherer Zeit erhalten blieben Aus dem gesammelten Material läßt sich zu unserer Genugtuung mit ziemlicher Sicherheit feststellen, daß unser Heimatsort Reichenau als deutsche Gründung zu betrachten ist und seinen deutschen Charakter und Eigenart trotz mancherlei Anstürmen seit seinem Uranfange und dem langen Bestande ederzeit in Treue bewahrt hat. Die Bitte möchte ich der werten Bürger¬ chaft ans Herz legen, das Werk als das entgegen zu nehmen, was es eigent¬ lich sein soll, eine möglichst der Wahrheit getreue Darstellung unserer Hei¬ mat seit der Gründung bis auf den heutigen Tag. Wilhelm Preißler. Reichenau, am 1. Jänner 1931.

Bild des Verfassers.

Lage, Größe, Grenzen, Gewässer. Das bewohnte Siedlungsgebiet, der eigentliche Marktflecken Reichenau, liegt anmutig im Tale an beiden Ufern des Mohelkabaches gebettet und bietet dem naturliebenden Fremden und einheimischen Beschauer, von dem den Ort umgebenden Höhenzügen aus betrachtet, mit seiner schöngeformten Kirche, den hochragenden öffentlichen Gebäuden und Privatbauten, den bunt durcheinander gewürfelten alten und neuen Holz= und Steinhäusern mit ihren von hohen Linden beschatteten hübschen Hausgärtchen ein lieblich anhei¬ melndes Bild, zu dessen Schutz und Schirm die zum Gemeindegebiet gehö¬ renden Ortsteile: Kaschen, Hinterbusch, Fuchsbresche, Heiligenkreuz, Gut¬ brunn und Grenze gleichsam als Wachposten aufgestellt sind Den schönsten überblick erhält man vom Radler oder vom Kopainer Berge, von welchen man das ganze bewohnte Siedlungsgebiet im Tale in einer gesamten Länge betrachten kann Reichenau, im südwestlichen Teile des Gablonzer Bezirkes, hart an der tschechischen Sprachgrenze gelegen, hat mit den oben genannten Ortsteilen von welchen jedoch Heiligenkreuz eine eigene Hausnumerierung führt, ein Flächenausmaß von insgesamt 1185 Joch 893 Klaftern, oder nach den neuen Maßen 681 Hektar 69 Ar, und nach der Volkszählung im Jahre 1900 die tattliche Höhe von 3384 Einwohnern. Reichenau liegt zwischen 50 Grad 39½ Minuten und 50 Grad 42¼ Mi¬ nuten nördlicher Breite, was einer Strecke von etwa 5 Kilometern entspricht, 32 Grad 48 Minuten bis 32 Grad 51 Minuten östliche Länge von Ferro. Es grenzt im Osten an die Gemeinde Kukan, im Südwesten an Pelkowitz und im Nordwesten an Radl. Der hügelig bis bergige Charakter des Bodens verleiht dem Gemeinde¬ gebiete das Aussehen eines wellenförmigen Geländes, welches der Mohelka¬ bach, vom Kukaner auf Reichenauer Gebiet übertretend, mit sanftem Gefälle in seiner ganzen Länge von Südost nach Nordwest durchfließt Reichenau wird im Osten vom Kukaner und Puletschneier, von Süden nach Westen vom Kopainer und Pelkowitzer, im Westen vom Radler Berge und im Norden von einem bewaldeten Kamme des Jeschkengebirges um¬ säumt. Längs der Mohelka zieht sich am rechten Ufer von der Puletschneier Grenze bis zum Markte eine Anhöhe, welche sich nach kurzer Unterbrechung hinter der Eisenbahnbrücke wieder erhöht und bis zur Radler Grenze er¬ streckt. Von Osten nach Westen ziehen sich rechts der Mohelka zwei Höhenrücken hin, von welchen sich der kürzere, am sogenannten Rieslerhübel beginnend, oberhalb der Volksschule verflacht, während der längere sich vom Ortsteil Grenze bis zum Maukeloche, nahe der Radler Grenze, erstreckt und von der Eisenbahn im Bogen durchschnitten wird. Am linken Mohelka=Ufer zieht sich vom Liskabache bis zur Eisenbahn eine sanft aufsteigende Ebene gegen den Kaschner und Pelkowitzer Berg. Von der Fuchsbresche bis nach Heiligenkreuz erstreckt sich gegen Westen ein Höhenzug, an welchem die Eisenbahnstrecke entlang läuft. Außer dem Mohelkabache sind in Reichenau wenige bemerkenswerte Bächlein und Gerinnsel zu verzeichnen. Auf der rechten Uferseite mündet zwischen dem Marktplatze und der Eisenbahn ein sich aus den Wiesenquellen 5

oberhalb der Pfarrei sammelndes Bächlein. Ein zweites entspringt unter¬ halb des Bahneinschnittes (Schneeschanzen) auf den Wiesen und mündet im niederen Ortsteile. Im sogenannten Grundloche sammelt sich ein Bächlein, durchfließt die mit dem Namen „Maukeloch“ bezeichnete Schlucht und ergießt sich bei der Zolkermühle in die Mohelka. Ein auf Radler Grunde im Buch¬ dörfel entspringendes Wässerlein floß früher auf der Talsohle der Schlucht, wurde aber beim Bau der Zolkermühle an der Berglehne entlang zum Be¬ triebe der Mühle geführt und vereinigt sich unterhalb der Mühle mit dem aus dem Grundloche kommenden Bächlein. Auf der linken Uferseite fließt das in der Liskawaldung entspringende Wässerlein hinter der Mühlbauerei Preißler der Mohelka zu. Das Liskabächlein soll nach dem Berichte des Hi¬ torikers Schwarzecker vor ungefähr 400 Jahren noch unterhalb des Orts¬ teiles Hinterbusch nach dem niederen Ortsteile geflossen sein und das Ge¬ lände rechts seines Laufes völlig versumpft haben. Die Grundfläche zwischen dem Liskabache und der Mohelka führte den Namen „Au“ und war Ge¬ meindegut, welches vom Herrschaftsbesitzer Grafen von Waldstein der Ge¬ meinde unter der Bedingung geschenkt wurde, der armen Bevölkerung auf trockenen Stellen Grund und Holz zum Bau ihrer Häuschen unentgeltlich zu überlassen Um das versumpfte, durch den Liskabach morastige Gelände auszutrock¬ nen und anbaufähig zu machen, habe Graf Waldstein zu Beginn des 16. Jahrhunderts dem Richter befohlen, mit den Bauern den Liskabach auf kurzem und geradem Wege in die Mohelka zu leiten. Allmählich verschwand durch das Abholzen des Waldes der Sumpf und es entstanden daraus ertrag¬ reiche Wiesenflächen, welche heute bereits mit schmucken Häusern bebaut sind, aber der Grund ist noch immer feucht und teilweise sumpfig. Auf den mit Poulwiesen bezeichneten Wiesen unterhalb des Ortsteiles Hinterbusch sammelt sich das Wasser zu dem sogenannten „Katzeborne“ wel¬ cher sich in zwei Abflußgräben teilt, von denen der kürzere beim Steigerhause in den Katelteich mündet, während der längere sich durch Wiesen und Häuser hinschlängelt und am Markte in die Mohelka fließt. Aus den Koschener und Pelkowitzer Wiesenquellen sammelt sich ein Bäch¬ lein, welches vom Hinterbusch am Rande des Planewaldes entlang fließt und hinter dem Gemeindehause in die Mohelka mündet. Als letztes ist das Bächlein zu nennen, welches auf den Wiesen oberhalb des Planewaldes entspringt, durch das im Walde gelegene Moorbad und den Ortsteil Fuchsbresche sein Wasser nahe der westlichen Ortsgrenze dem Mohelkabache zuführt. Teiche wurden in früherer Zeit mit dem Bau der Mahlmühlen zum Stauen des Wassers angelegt und befinden sich im Orte der Obermühl=, der Sensemühl=, der Pietermühl= und der Zolkermühlteich. Wasserlöcher oder Tümpel zum Sammeln des Regenwassers für aus¬ brechende Feuersbrunst befanden sich an verschiedenen Stellen des Ortes. Auf der Bauernseite war ein solcher mit Weiden umwachsener Tümpel beim Hause Nr. 46. Ein zweiter befand sich am Straßeneck zwischen dem Gasthofe „Zur Stadt Prag“ und dem Kaufmanne Anton Penkert Nr. 81, sowie noch an anderen Stellen des Ortes. Auch der bereitsgenannte Katelteich bei der ehemaligen Dosenfabrik der Familie Hofrichterwurde zum Schutze gegen Feuersgefahr angelegt und erhielt seinen Namen nach der Gattin Katti des Begründers der Dosenindustrie Johann Schöffel. Der Katelteich wurde nach Erbauung der Wasserleitung ausgefüllt. Auf der Wiese des Hausbesitzers Franz Preißler Nr. 38 sammelt sich ein Wässerchen, welches in einer Holz¬ rinne quer über die Mohelka geleitet wird. Von Früh bis Abends ist dieser 6

Platz von der Bevölkerung umlagert, da dieselbe in Ermangelung von Haus¬ brunnen am linken Mohelkaufer ihren Trink= und Kochwasserbedarf dort holt. Die Quelle führt im Volksmunde die Bezeichnung „Das Rinnel“ Beim Hause Nr. 38 befindet sich eine mit kellerartiger Umfassung versehene Wasserschöpfe, welche von den Bewohnern der Bauernseite in Anspruck genommen wird. Nahe der Puletschneier Ortsgrenze befindet sich beim Hause Nr. 24 eine ausgiebige Quelle, der sogenannte Molkeborn. Diese Quelle gehörte früher in das Puletschneier Gemeindegebiet und wurde bei der Grenzvermessung im Jahre 1845 der Gemeinde Reichenau einverleibt. Noch zu vermerken ist die Wasserschöpfe auf dem Grunde der ehemaligen Dosenfabrik Hofrichter, welche mit einer Mauer umgeben und überdacht ist. Klima. Die Witterungsverhältnisse sind in unserer Gegend der nördlichen und gebirgigen Lage entsprechend schon ziemlich rauh, wohingegen in dem nur eine Wegstunde entfernten, südlicher gelegenen Flachlande hinter dem Ka¬ chener und Kopainer Berge ein schon viel milderes und wärmeres Klima vorherrscht. Infolge der geschützten Lage durch die sich im Westen und Norden hin¬ ziehenden hohen Jeschkenkämme ist der Herbst meist noch milde und von län¬ gerer Dauer, wie uns auch der Winter vor der strengen Gebirgskälte der nördlicheren Gegend bewahrt. Ebenso bieten die den Ort südlich und östlich umsäumenden Gebirgszüge genügend Schutz gegen Elementarkatastrophen, wie schwere Gewitter, Wol¬ kenbrüche und Windhosen, sodaß Reichenau von derartigen gewaltigen Na¬ turereignissen bisher verschont geblieben ist. Jahre mit ungewöhnlicher Witterung machten sich natürlich auch hier bemerkbar. So berichten die ältesten Aufzeichnungen aus unserer Gegend äußerst strenge und andauernde Winter in den Jahren 1609 und 1691. Schon im Monate Oktober einsetzende Kälte mit viel Schnee bis Ende April ließen Menschen in den Wohnungen und Vieh in den Ställen erfrieren. Wie Schwarzecker berichtet, fielen am 18. Feber 1718 in Reichenau und Umgebung so gewaltige Schneemassen, daß die Häuser überdeckt waren und die Bewohner nur durch den Kamin ins Freie konnten. Im Jahre 1740 herrschte ein so strenger und kalter Winter, daß am 26. Mai noch kein Gras¬ halm und grünes Blättchen zu sehen war. Auch das Jahr 1741 zeichnete sich durch einen zu Anfang November beginnenden harten und kalten, jedoch schneearmen Winter aus, der Mohelkabach und die Teiche waren ausgefro¬ ren. Die Mühlen waren wegen Wassermangel nicht imstande, zu mahlen, und die Bauern fuhren in Ermangelung des Mehles ihr Getreide in die Mühlen des nicht ausgefrorenen Polzenbaches hinter den Jeschken zum Mahlen und blieben mit ihren Fuhrwerken vier bis sechs Tage fort. Anfang Juli des Jahres 1785 brach eine Kälte aus, welche bis Ende August anhielt. Auf den Bergen lag Schnee, Baum= und Feldfrüchte erfro¬ ren, die Stuben mußten geheizt werden und die Getreidepreise stiegen bis auf 52 Gulden für einen Strich Korn, 56 Gulden für Weizen und 16 Gul¬ den für Erdbohnen (Kartoffeln). Hartes Holz 8 Gulden 50 Kreuzer, weiches 6 Gulden für die Klafter in gutem Silbergelde. Augustin Weiß schreibt in seinem Buche: „Anno 1804 fiel um die Zeit Martini ein so großer Schnee mit ungestümer Kälte und ist bis 18. Mai 1805 liegengeblieben, worauf aber noch einige Nachwinter kamen, und 7

1805 ein so ungeschlachtes Frühjahr erfolgte und das Korn schon am 16. März auf 28 Gulden gestiegen, welches dann bis auf 52 Gulden gestiegen, welches der Reichenberger Stadtmüller und viele andere mehr bis 15. Juli gekauft und verkauft. Worauf es aber hernach so geschwinde abschlug, daß es eben in diesem Monate den 18. auf 38 Gulden und 36 Gulden gefallen. Wo¬ her auch um diese Zeit des 5. August Korn genug auf den Markt kam, wel¬ ches bis Ende August schon auf 18, 15, 13 und 10 Gulden kam. In eben diesem Jahre 1805 fiel nach solchen ungeschlachten Frühjahr der erste Som¬ mertag so fruchtbar ein, daß es allerorten weit und breit als Mirakel von Gottes des Allmächtigen Segens voll alles auf das Vollkommendste gedieh. Im Jahre 1822 regnete es über den ganzen Herbst und Winter, aber es fiel kein Schnee, worauf ein zeitliches Frühjahr und dürrer Sommer folgten odaß zu Ende April schon das Korn blühte. Jeder Landbewohner staunte über die Fruchtbarkeit und Höhe des Kornes und anderen Getreides. Aber leider schlug alles fehl. Eine nicht vermutete große langandauernde Dürre, welche fast drei Monate dauerte, verheerte alles und der Getreidepreis stieg von 2 auf 5 Gulden. Ein strenger und überaus schneereicher Winter in Reichenau war auch der vom Jahre 1870 auf 71, in welchem der Schnee ellenhoch lag, Straßen und Wege durch hohe Schneewehen unfahrbar waren und von der Kirche bis zur Serpentine auf der Straße ein tiefer Einschnitt ausgeschaufelt wer¬ den mußte, um den Fuhrwerksverkehr zu ermöglichen. Auch im Orte mußte öfters stellenweise der Weg für den Verkehr ausgeschaufelt werden. Eine Winternacht mit reichem Schneefall brachte auch der 15. Mai des Jahres 1893. Am genannten Tage fand im Saale zum goldenen Stern jetzt Michel) abends ein Ball des Touristenklubs statt und fing es nach dem äußerst warmen Frühlingstage in der Nacht so heftig zu schneien an, daß gegen Morgen ein ziemlich hoher Schnee lag. Der Schreiber dieser Orts¬ geschichte, ein damals 22jähriger Bursche, beteiligte sich an dem Balle und fuhr gegen Morgen im Rennschlitten die sommerlich gekleideten Ballgäste heim, wonach er mit einigen Herren eine Schlittenpartie nach Liebenau un¬ ternahm. Auf der Rückfahrt, welche erst gegen Mittag angetreten wurde, wvar der Schnee von der wieder eintretenden Tageswärme bereits geschmol¬ zen und vom Gasthause „zur Aue“, wo noch eingekehrt wurde, fuhr der Schlitten bis nach Reichenau im Straßenkote. Aber auch von milden und warmen Wintern weiß die Geschichte zu berichten. Eine alte Stadtchronik schreibt, daß in Nordböhmen im Jahre 1579 zu Weihnachten in den Gärten noch die Herbstblumen blühten und auch die Obstbäume zu blühen anfingen, worauf im April und Mai großer Frost eintrat und alles erfror Der Reichenauer Chronist Augustin Weiß schreibt in seinem Buche: „Anno 1802 war ein warmer Winter. Am 16. und 17. Mai aber ist einso großer Schnee eingefallen, daß es nicht möglich gewesen, mit den besten Pfer¬ den und leichten Wagen über Pelkowitz zu fahren und haben müssen um¬ kehren Anno 1794 war ein so warmer Winter, daß die Leute meistenteils den ganzen Winter auf Reichenberg barfuß gegangen sind, wo erst auf die Öster¬ eiertäge ein entsetzlicher Schnee und Kälte eingefallen, allwo ich in diesem Jahr die Wollspinnerei in unserer Gegend angefangen. Im Jahre 1796 haben die Bauersleute bis 16. Feber auf den Feldern arbeiten und säen können, ist auch um den heiligen Dreikönigstag auf der Wiese des Anton Preißler Müllermeisters hinter der Blanne Heu gedörrt worden. 3

1795 ist am Christihimmelfahrtstage ein so großer Schnee eingefallen, das mit Schlitten gefahren werden konnte und dann auch durch den Schnee viele Bäume zerbrochen wurden Der Winter vom Jahre 1833 bis 34 zeichnete sich durch Wärme und hohe Temperatur aus, im Feber blühten Bäume und Blumen, dagegen kamen im April ausgiebige Schneefälle, jedoch ohne Frost Im Jahre 1847 blieb der Herbst lange warm, auch der Winter war milde, sodaß die Leute bis nach Weihnachten Pilze und Preißelbeeren im Walde fanden. Im Jahre 1590 verdorrten in der heißen Sommerglut das Getreide auf den Feldern und das Heu auf den Wiesen, sodaß große Teuerung eintrat und der Scheffel Korn über zwei Schock Meißner Groschen (etwa gleich 60 Kro¬ nen) kosteten. Ein heißer und trockener Frühling trat im Jahre 1711 ein, dem ein naßkalter Sommer folgte. Das Getreide auf den Feldern verfaulte, wodurch große Teuerung in Feldfrüchten entstand, die Bauern viel Viehschlachten mußten und das Pfund Rindfleisch für 2 Kreuzer verkauft wurde. Schwarzecker berichtet auch über den Sommer des Jahres 1719, welcher o große Hitze und Trockenheit brachte, daß in der Mohelka kein Tropfen Wasser floß und in Reichenau fast alle Quellen ausgetrocknet waren. Nur auf der Bauernseite spendeten noch vier tiefe Brunnen Wasser, und waren dieselben Tag und Nacht von der Bevölkerung belagert, um einige Seidel des kostbaren Wassers zu erhalten. Am Himmelfahrtstage (15. August veranstaltete der Pfarrer Johann Josef Michalek nach dem kirchlichen Got¬ tesdienste eine Bittprozession um Erhaltung des Wassers zu den vier Brun¬ nen und segnete sie Ein ebenso heißer Sommer herrschte im Jahre 1834, in welchem die Ortsquellen austrockneten und Wälder und Fluren sich selbst entzündeten Noch durch mehrere Jahre waren die Sommer entweder heiß und trocken oder naßkalt, sodaß durch Jahre Mißernten zu verzeichnen waren. Beson¬ ders das Jahr 1842 zeichnete sich wieder durch große Hitze und Trockenheit aus und führte dieser jahrelange Zustand der Mißernten zu der über Rei¬ chenau hereingebrochenen Hungersnot, unter welcher die arme Bevölkerung durch einige Jahrzehnte zu leiden hatte. Aus Baumrinde, Wurzeln und Klee wurden Suppen gekocht. Aus Kleie gebackene Kuchen (von den alten Leuten „Kleinplatzel“ genannt), galten nur als Leckerbissen für den Sonn¬ tag. Hungertyphus und Lungenschwindsucht waren die Folgen der Unter¬ ernährung für die arme Volksschicht. Die jahrelange Hungersnot und die durch den Fabriksbetrieb im Spin¬ nen und Weben hervorgerufene Verdienstlosigkeit der armen Bevölkerung führte in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zur Abwanderung vieler armer Leute aus Reichenau. Die Bewohner, welche durch ihre Häus¬ chen Reisegeld aufbrachten, wanderten nach Brasilien aus, während die armen Leute ohne Reisegeld ihre Habe auf einem Karren oder im Buckel¬ korbe mit sich führten, von ihrer Schar Kinder begleitet, aufs Land zogen und dort auf Meierhöfen und Kohlenschächten Brot und Arbeit fanden. In der Zeit dieser Auswanderung wurden Häuschen um 200—400 Gulden, grö¬ ßere Häuser mit Grund um 500—700 Gulden verkauft. Nach dem Jahre 1850 verliefen die Sommer meist normalen Witterungsverhältnissen gemäß, auch die im Jahre 1859 eröffnete Eisenbahn trug durch billige Zufuhr von Lebens¬ nitteln mit bei, daß Reichenau von solchen leidensvollen Hungerjahren spä¬ terhin verschont blieb. 9

Flora. Es erübrigt sich wohl, die gesamte heimische Pflanzenwelt in eingehender Weise zu behandeln und aufzuzählen, da dies ja schon in der Schule in hin¬ reichendem Maße geschieht. Der Abschnitt soll hauptsächlich unsere wichtig¬ sten Baumarten und Feldfrüchte behandeln Da die Bodenbeschaffenheit der hügelig bis bergigen Lage gemäß ungün¬ tig und die Ackerkrume nur eine sehr seichte ist, gedeihen bei uns die in üdlicher Gegend mit sehr gutem Ackerboden gepflanzten Früchte nicht. Von den Ahrenfrüchten wird Winterkorn bei guter Stall= und Kunstdüngung noch mit bestem Erfolge angebaut, wohingegen Sommerkorn, Gerste und Hafer nur einen geringen Ertrag abwerfen und nur in guten Erntejahren zufriedenstellende Ergebnisse erzielen. Von Knollengewächsen werden meistens Kartoffeln zur hauptsächlichen Ernährung für Mensch und Vieh angebaut, welche auf unserem steinigen Ackerboden wohlschmeckender geraten, als auf Lehmboden und oft reiche Ernten liefern. Seit Einführung der Kartoffel in unserer Gegend sind zum Glück der ärmeren Volksschichten die früheren Hungersnöte ausgeblieben. Von den verschiedenen Rübensorten wird hauptsächlich die Runkelrübe als Viehfutter angebaut. Rotkraut bauen die Landwirte meist nur für den eige¬ nen Bedarf an und liefert dasselbe weit geringere Erträge als auf dem süd¬ lich gelegenen Flachlande Große Sorgfalt widmet unsere Bauernschaft dem Grün= und Trocken¬ futter, wie Heu und Klee zur Viehhaltung, da die durch ungünstige Boden¬ verhältnisse und Industrie beschränkte Landwirtschaft hauptsächlich mit Vieh¬ zucht zur Milchverwertung und Fleischverbrauch sich befaßt Wie schon erwähnt, liefert unser Boden im Berglande nicht den gleich¬ wertigen Ertrag im Pflanzenwuchs wie das Flachland. Wohl gedeihen au Feld und in Hausgärten verschiedene Gemüsesorten, wie Blumenkohl (Kar¬ iol), Möhren, Sellerie, Zwiebeln, Kohlrabi und andere, wie auch die Bee¬ renfrüchte: Ribis=, Himbeer=, Stachel= und Erdbeeren im Garten, Heidel¬ Preisel= und Brombeeren in Wald und Flur, aber sie erreichen nicht die Größe und den Wohlgeschmack der Früchte auf dem südlichen Flachlande. Von Baumarten stehen in unseren gelichteten Wäldern hauptsächlich Fichten, zum geringeren Teil auch Tannen und Kiefern, die Lärche ist jedoch nur selten vertreten und stehen nur hinter der Sensemühle zwei Bäume dieser Art. Laubbäume sind in Reichenau mehrere Sorten vertreten und nimmt unter diesen die Linde den Vorrang ein, da fast bei jedem Bauern¬ hause vor und hinter demselben eine mächtige alte Linde mit breiter Krone zum Schutze gegen Feuersgefahr steht. Die meisten im Orte stehenden heili¬ gen Standbilder und Kreuze sind ebenfalls mit einigen schattigen Linden umgeben. Die Blüten der Linden werden von den Bewohnern eifrig ge¬ sammelt und zu Tee gegen mancherlei Krankheiten verwendet. Buchen sind im Orte und in den Wäldern seltener geworden, da sie vor der Kohlenein¬ fuhr meist alle zu Heizzwecken gefällt wurden und ein gutes Feuerungs¬ material abgaben. Gegenwärtig stehen im Orte wohl nur noch die zwei Bu¬ chen bei der Sensemühle als Wahrzeichen ihrer alten Macht. Eichen standen früher mehrere in Reichenau, doch wurden dieselben vom Mühlbauer Preißler, Nr. 36, angekauft und zu Wellen für die Mahlmüh¬ len verarbeitet. Jetzt verwendet man jedoch meist Eisenwellen. Von Laubbäumen sind noch mehrere Arten aufzuzählen, wie Ahorn (Orle), Kastanien, Eberesche, Pappel, Birke, Erle und Weide, sowie verschie¬ dene Sträucher. 10

Der nördlichen Lage gemäß, sind in Reichenau von Obstbäumen nur wenige Arten ertragreich. Apfel und Birnen, Pflaumen und Kirschen, ge¬ deihen wohl, jedoch gelangen nur Frühsorten zur vollen Reife, Spätobst nur in seltenen Fällen. Einige Hausbesitzer bemühen sich, in ihren Gärten Spalierobst zu züchten, doch erreichen diese Pflanzungen kein hohes Alter. Bei vielen Häusern sind Ziergärten angelegt, welche über Sommer in rei¬ cher Blumenpracht prangen, verschiedenfärbige Rosen, Ziersträucher, Blu¬ men aller Art verleihen diesen Gärten eine Augenweide besonderer Pracht. Auf Feld und Flur keimen und sprossen im Frühjahre mannigfaltige Blumen und Kräuter, welche in früherer Zeit der Bevölkerung wegen ihrer Heilkräfte bekannt waren und eifrig gesammelt wurden. Heute pflegen sich nur noch meist ältere Leute mit dem Pflücken der Lindenblüte und Stief¬ mütterchen zu Heilzwecken zu befassen, da die früher unbekannten Arzte und Apotheken in unserer fortgeschrittenen Zeit für alle Erkrankungsfälle Rat und Medikamente bereit halten. Der Abschnitt über die Pflanzenwelt unse¬ rer Heimat dürfte durch die Aufzählung der verschiedenen Arten wohl in genügender Weise behandelt sein. Fauna. Zu den ersten Haustieren des Menschen gehörten das Pferd und der Hund, welche auch heute noch eine Vorzugsstellung in der menschlichen Be¬ hausung einnehmen. Diesen Tieren folgten Rind, Schwein, Ziege und Schaf, welche sich der Mensch ebenfalls schon in grauer Vorzeit nutzbar machte. Jünger ist die Hauskatze. In unserer Gegend hat die Schafzucht im 19. Jahr¬ hunderte völlig aufgehört, Schweine hält man zwar, doch werden die Ferkel meist gekauft. Von der Vogelwelt sind im Haushalte die Hühner, Gänse, Enten, Tauben in freier Bewegung, in der Gefangenschaft verschiedene Singvögel als: Kanarien, Zeisige, Meisen, Schwarzplatten, Drosseln, Rot¬ kehlchen und andere zu finden. In geringer Anzahl werden auch mitunter Truten und Perlhühner wegen ihres guten Fleisches gehalten, wie auch die Kaninchenzucht aus diesem Grunde betrieben wird. Noch ein Haustier soll hier vermerkt werden, das infolge seines raschen Wachstums zur Fleischge¬ winnung für die breiten Bevölkerungsschichten von Bedeutung ist. Die Land¬ wirtschaft befaßt sich vielfach mit der Züchtung dieses Tieres, und ist es das Schwein, welches bei guter Pflege dem Züchter einen lohnenden Ertrag ab¬ wirft. Das sind wohl alle Tiere, welche sich der Mensch zu seinem Nutzen untergeordnet hat und die in seiner Behausung Unterkunft gefunden haben. Von freilebenden Tieren in Wald, Flur und Wasser sind in unserer Gegend zu nennen: Das Hochwild in der Gruppe der Hirsche und Rehe, welche jedoch seit der Abholzung der Wälder nur noch in geringer Zahl vor¬ handen sind. Unter das in unserer Gegend sich aufhaltende Raubwild sind zu zäh¬ len: Der Fuchs, Iltis, verschiedene Arten Marder, Fischotter und das Wie¬ el. Als Nager sind nur wenige Arten zu verzeichnen und sind dies die Rat¬ ten und Mäuse, sowie die Hasen als jagdbare Tiere. Unter die Wühler un¬ serer Gegend sind einzureihen der Maulwurf und die Wühl= oder Scher¬ maus. Die Amphibien sind durch Frösche, Kröten, Molche und Eidechsen ver¬ treten. Dies dürften wohl alle Vierfüßler unserer Heimat sein. Aus der Vogelwelt sind viele Vertreter zu nennen. Unter die Gruppe der Raubvögel gehören die in unserem Gebiete heimischen Falken, Sperber Habichte, Stößer und Krähen. Nachtschwärmer sind die Eule, der Uhn und 11

der Kauz. Zu den Singvögeln gehören Nachtigall, Häufling, Schwarzplatte, Rotkehlchen, Amsel, Drossel, Star, Lerche, Fink, Grasmücke und andere. Der Kuckuck tritt nur vereinzelt auf. Am verbreitetsten ist wohl die Schwalbe und der Sperling. Schlangen finden sich bei uns nur wenige Arten, es sind dies die gif¬ tigen Kreuzottern und Haselnattern, ferner die harmlose Ringelnatter, owie die fälschlich als Schlange bezeichnete Blindschleiche Käfer und Schmetterlinge sind bei uns zu viele Arten vertreten und es wird dieser Stoff in den Schulen eingehend behandelt, sodaß sich eine nähere Beschreibung als unnötig erweist. Einer Plage für Mensch und Tier sei noch gedacht; dies ist die überall vorkommende Stubenfliege, welche selbst dem Geduldigsten zum Kampfe gegen sie aufreizt. Nach der Meinung der Gelehrten ist sie zum Glück für andere Lebewesen im aussterben begriffen Als letzte Gattung der Lebewesen in unserer Gegend sind noch die Fische zu vermerken. Aus dem früher so reichen Bestande ist wohl in reinem Wässerchen noch die Forelle und die Ellritze (Schmerle) erhalten geblieben Noch vor 50 Jahren waren Forelle und andere Fischarten stark vertreten, aber seit Ableitung der Abfallwässer der Glasschleifereien und Gürtlereien in den Mohelkabach ist der Fischbestand in der weiteren Umgebung ge¬ chwunden. Zu Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts beschloß eine Gesellschaft, im Obermühlteiche und auch im Katelteiche Karpfen und Weißsische anzusetzen. Im Obermühlteiche wurden die Fische im ersten Frühjahre von einem durch Schneeschmelze und Regen verursachten Hoch¬ wasser weggeschwemmt. Im Katelteiche wurden am 1. Oktober 1885 die grö¬ ßeren Fische abgefangen, waren aber wegen des lehmigen Geschmackes nicht zu genießen, weshalb die Fischzucht wieder eingestellt wurde. In früherer Zeit belebten viele Krebse die Mohelka, welche aber alle der Krebspest erlagen. Die Regierung gab um das Jahr 1880 ein Schutzgesetz heraus, nach welchem in den böhmischen Gewässern durch 30 Jahre keine Krebse gefangen werden durften. Erst seit neuerer Zeit machen sich im unteren Ortsteile wieder Krebse in der Mohelka bemerkbar. Die Fischerei n Reichenau gehörte bis zum Staatsumsturze im Jahre 1918 dem ehemali¬ gen Grundherrn Fürst Rohan und nach Beschlagnahme der Herrschaftsbe¬ sitze dem Staatlichen Bodenamt. Mineralien. Reichenau ist arm an mineralischen Bodenschätzen. Die alles zum Wohle der Menschheit schaffende Natur hat unsere Heimat nicht mit kostbarem Ge¬ tein beglückt. Nur eine einzige harte Gesteinsart findet sich in unserem Boden, und das ist der vulkanische Basalt. Derselbe lagert in einem das Ge¬ meindegebiet schräg durchziehenden Streifen, im Planewalde beginnend und unterhalb des Bahneinschnittes endend. Vor einigen Jahrzehnten bestand im Niederdorfe, gegenüber dem Kaufmanne Horschak, ein Steinbruch, wel¬ cher das Material zum Ausbessern der Gemeindewege und zur Schotterung der Liebenau—Gablonzer Bezirksstraße lieferte. An den höhergelegenen Stellen, wie Kaschen und Gutbrunn, tritt in einzelnen Lagen Quarzitschiefer auf, wohingegen sich im tiefer gelegenen Gebiete nur rotes und graublaues Schiefergeröll befindet. Am rechten Mohelkaufer zieht sich vom Spritzenhause bis gegen den Markt eine Schicht roter und gelber Farberde hin, welche in früherer Zeit von der Bevölkerung auch zum Anstreichen der Häuser und Wohnungen 12

verwendet wurde, sowie bei der Dorfjugend zur Erzeugung der vielge¬ brauchten Grübelkaulen Abnehmer fand Vom Bahnhofe bis zu den Häusern, welche als Vogtland bezeichnet wer¬ den, und gegen die Fuchsbresche erstreckt sich eine mächtige Ader Quarzsand, welcher bei Hausbauten als Mörtel und auf Straßen und Wege zur Auf¬ chotterung, sowie auch zur Anlage von Gartenwegen Verwendung findet Lehm findet sich an einigen Stellen, doch befindet sich das größte Lehm¬ lager im Planewalde. Auch auf den Gemeindewiesen an der Schillerstraße lagerte eine ziemlich starke Lehmschicht und im Jahre 1867 errichtete eine Aktiengesellschaft daselbst eine Ziegelei, welche 1882 von der Gemeinde über¬ nommen und weiterbetrieben wurde, bis der Ziegelofen am 10. September 1892 während des Ziegelbrennens in Flammen aufging und die Ziegelei zu bestehen aufhörte Weißer Ton lagert auf dem Gemeindegrunde um das Steigerhaus und die benachbarten Häuser. Durch Jahrzehnte wurde der Ton von der Ge¬ meinde, der Familie Hofrichter, Nr. 194, und den kleinen Hausbesitzern ge¬ graben und auf Fuhrwerken in entferntere Gegenden zu Industriezwecken verfrachtet, was einen lohnenden Verdienst abwarf. Die ärmere Bevölke¬ rung nützte den Ton für ihre Zwecke aus, formte aus demselben viereckige Klötzchen oder Kugeln und verhausierte diese in Buckelkörben an Zimmer¬ maler und zum Stiegenstreichen in Reichenberg, Gablonz und ins Gebirge. Zu Ende des vorigen Jahrhunderts hörte das weiße Lehmgraben in¬ folge des Aufblühens der Glasindustrie auf lohnend zu sein, und wurde eingestellt. Häusler, welche zu wenig Grund um ihr Haus hatten, um eine Grube aufzumachen, gruben in der Hausflur oder im Keller ein tiefes Loch und trie¬ ben am Grunde Gänge nach mehreren Seiten bis unter die Nachbarhäuser um viel weißen Lehm zu gewinnen. Nach Jahren senkten sich mit dem Erd¬ boden zugleich auch die Häuschen, sodaß einige abgetragen werden mußten. Torf wurde in Reichenau bis um das Jahr 1880 gestochen. Er lagerte auf dem Wiesengrunde unterhalb des Eisenbahnviaduktes und auf dem feuchten Wiesengelände in Niedergutbrunn. Der Torf wurde mit Grabscheiten oder Spaten aus dem Moorboden zu viereckigen Ziegeln ausgestochen, gedörrt und im Winter zum Stubenheizen verwendet. Die durch den Bahntransport ein¬ geführte verbilligte Kohle ließ das durch lange Zeit betriebene Torfstechen ein Ende finden Kohle, die schwarzen Diamanten, in Reichenau zu finden, war im Jahre 1852 das Bestreben des Pfarrers Alois Schalk. Um der armen Bevölkerung in schwerer Zeit Arbeit und Brot zu beschaffen und nach seinen geologischen Vergleichen mit den Bodenverhältnissen des Teplitzer Kohlengebietes auf Erfolg hoffend, legte er im oben genannten Jahre auf der Pfarrwiese einen Kohlenschacht an. Als die Arbeiter in einiger Tiefe auf schwarze Torfschich¬ ten stießen, erfaßte den Pfarrer und die Ortsbewohner ein heller Jubel, daß nun die ersehnte Kohle kommen müsse. Doch leider erfüllte sich die ver¬ rühte Hoffnung nicht; denn es fand sich keine Kohle. Als Pfarrer Schalk am Ende seiner Geldmittel angelangt war, verkaufte er die Anlage an eine Reichenberger Gesellschaft, aber auch diese fand keine Kohle und als infolge anhaltenden Regens in einer Nacht der Schacht zusammenbrach und alles Werkzeug in der Tiefe begrub, ließ auch die Gesellschaft mit großen Geldver¬ lusten den Schachtbetrieb auf, welcher sich im Laufe der Zeit von selbst wie¬ der ausfüllte. Pfarrer Schalk verließ Reichenau, über den Mißerfolg seines Strebens entmutigt, nach kaum zweijährigem Wirken. 13

Sein Amtsnachfolger Pfarrer Felger pflanzte rund um den verfallenen Schacht sieben Pappelbäume und nannte die Stelle: „Das Grab unerfüllter Hoffnungen“. Siehe Abschnitt. Ortsteile: Kaschen. In südlicher Richtung von Reichenau liegt auf dem Höhenkamme eine kleine Siedlung mit 16 Häusern, welche den Namen „Kaschen“ führt. Obwohl die sudetendeutsche Heimatforschung die Entstehung des Namens Kaschen anzweifelt, soll doch der Bericht Schwarzeckers hier vermerkt werden. Schwarzecker schreibt über diesen Ortsteil, daß der Schulze (Richter) Prei߬ ler im 15. Jahrhunderte während der Hussitenkriege seinen Sohn Johann Paul auf der Anhöhe als Wächter angesiedelt habe, um auf dem Berge Aus¬ schau nach anrückendem Kriegsvolke aus dem Böhmischen zu halten und beim Anzuge der Schar unter seinem Hause ein Signalfeuer anzubrennen. Dieser Johann Paul habe den Wald auf der Nordseite der Anhöhe mit seinen Brüdern gerodet und anbaufähig gemacht, wodurch auf der Anhöhe eine Bauernwirtschaft entstand. Ein Nachkomme des Johann Paul habe die Tochter eines reichen böhmischen Edelmannes geheiratet. Diese Böhmin habe „Kascha“ geheißen und sei von der Bevölkerung Hanspouls Kascha genannt worden. Der Berg sei von der Reichenauer Bevölkerung von dieser Zeit an „bei, oder auf der Kascha“ bezeichnet worden, wie auch der Name Hanspoul ich erhalten habe. Aus dem Worte Kaschasei die Bezeichnung Kaschen entstanden. Durch den reichen Kindersegen in der Familie sei die Rodung des Waldes zum Bau von Wohnhäusern und Feldbau nötig gewesen. Daß der Bericht Schwarzeckers glaubhaft erscheint, dürfte der Umstand beweisen, daß noch vor 40 Jahren fast der gesamte Kaschen im Besitz der Familie Hanspoul war und fünf Bauernwirtschaften von den Erben be¬ wohnt waren Eine Enkelin dieser Kascha habe den Wirtschaftsbesitzer Hoffmann Nr. 83 geheiratet und hieß auch diese Wirtschaft fortan die Kaschenwirtschaft, bis dieselbe anläßlich des Bahnbaues im Jahre 1857 abgetragen wurde und der Name sich von selbst verlor Obwohl die sudetendeutsche Heimatforschung die Namenserklärung der Kaschenwirtschaft in Zweifel zieht, bestand diese Wirtschaft doch in Reichenau, wie auch eine solche Kaschenwirtschaft im Ortsteile Haine in Radl bestand, deren Frauen aus der Familie Hanspoul in Kaschen entstammten. Eine Eigentümlichkeit von Kaschen soll noch hier vermerkt werden, näm¬ lich, daß dort die Granatschleiferei zuerst von der Familie Lang betrieben wurde, durch welche auch die Glasschleiferei um das Jahr 1750 in Reichenau Eingang fand. Hinterbusch. In nördlicher Richtung unterhalb Kaschen stehen 16 Häuser, welche mit dem Namen „Hinterbusch“ bezeichnet werden. Als auf dem Gemeindegrunde hinter dem Steigerhause bis zum Planewalde noch viel Baumbestand war und die Häuser durch den Wald vom Orte Reichenau abgetrennt waren, wurde diese Siedlung „Hinter dem Busche“ genannt. Erst in jüngerer Zeit wurde daraus der Name „Hinterbusch“, Die Bewohner führten vor nicht allzu langer Zeit fast durchwegs den Familiennamen „Lindner“, beschäftigten sich mit Feldbau, Leder= und Tuch¬ schuherzeugung, sowie auch mit der Glasindustrie. Der Wald ist schon über 14

50 Jahre abgeholzt und viele Neubauten erstrecken sich schon bis nahe an den Ortsteil, so daß in wenig Jahren Hinterbusch mit Reichenau verschmolzen sein wird. Fuchsbresche. Von Hinterbusch durch den Planewald getrennt, liegt in westlicher Rich¬ tung von Reichenau hinter dem Bahnhofe eine Siedlung mit dem Namen „Fuchsbresche“. Wie die Sage berichtet, soll der Herrschaftsbesitzer Graf von Waldstein in dem früher dort bestehenden Walde einen Wildheger ansässig gemacht haben, dessen eifrigste Tätigkeit im Nachstellen der zahlreichen sich dort aufhaltenden Füchse bestanden habe. Im ganzen Walde soll er durch Fangeisen, Fallen und Gruben den Füchsen nachgestellt haben. Durch sein beständiges Fangen seien in wenig Jahren die Füchse ausgerottet worden, aber die Siedlung habe ihren Namen „Fuchsbresche“ behalten. Zu bemerken wäre noch, daß die meisten Familien dieses Ortsteiles den Namen Seiboth ührten. Heiligenkreuz. Fast eine halbe Wegstunde vom mittleren Reichenau entfernt liegt in westlicher Richtung hinter der Fuchsbresche in einem Talkessel das aus 17 Häusern bestehende Dörfchen Heiligenkreuz. Abgeschlossen von der Außen¬ welt, ohne jedes Verkaufsgeschäft, lebten die Bewohner ohne günstige Ver¬ bindung bis zur Erbauung der Liebenau—Gablonzer Straße im Jahre 1857 in völliger Abgeschiedenheit. Schwarzecker schreibt, daß sich im dreißigjähri¬ gen Kriege (1618—1648) einige Leute aus Furcht vor raub= und mordlusti¬ gen Soldatenscharen in der unauffindlichen und schwer zugänglichen Tal¬ schlucht angesiedelt hätten und alle Abende und Morgen vor einem Holz¬ kreuze ihre Gebetandachten verrichteten. Die dort erbauten Häuschen wären von der Bevölkerung „beim heiligen Kreuze“ genannt worden, woraus der Name „Heiligenkreuz“ entstanden sei. Das Dörschen gehörte ursprünglich keiner Gemeinde an und die Bewohner wollten in späterer Zeit nach Pelko¬ witz einverleibt werden. Radl soll aber die Eingemeindung für sich erstreb haben. Erst bei der Grenzbegehung der Herrschaftsgüter im Jahre 1808 durch eine Prager Kommission sei Heiligenkreuz, welches noch heute eine eigene Hausnumerierung führt, der Gemeinde Reichenau einverleibt worden. Gutbrunn. In nordöstlicher Richtung liegt der ebenfalls zu Reichenau gehörend Ortsteil Niedergutbrunn, während das nur durch einen Streifen des Groß waldes getrennte Obergutbrunn mit dem Forsthause durch den Unverstand des damaligen Richters Anton Scheffel (Scheffeltounl) bei der Grenzbestim¬ mung im Jahre 1845 samt dem Großwalde der Gemeinde Radl einverleibt wurde Die Siedlung zählte am Schlusse des Jahres 1900 insgesamt 19 Wohn¬ häuser. Die Bevölkerung betreibt zum geringen Teil Feldbau; in früherer Zeit beschäftigten sich einige Männer mit Steinmetzerei, während heute viel¬ fach das Glasschleifen und Polieren als Erwerbsquelle dien Der Name „Gutbrunn“ stammt wohl von einer Quelle, welcher in frü¬ herer Zeit große Heilkräfte zugesprochen wurden. Um das Jahr 1750 erbaute dort ein kaiserlicher Obrist für seinen Schwiegersohn, welcher Arzt war, ein Heilbadehaus. Das Gebäude brannte nach kurzem Bestande ab, wurde aber wieder aufgebaut. Nach mehreren Bränden ist heute an dieser Stelle die 15

Gutbrunnwarte erstanden, von welcher der Naturfreund eine herrliche Aussicht auf das im Neißetale liegende Gablonz, das Iser= und Riesengebirg genießt. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts lebte in Gutbrunn ein Viehhändler, welcher weder lesen noch schreiben konnte, dafür aber ein sehr gutes Gedächtnis hatte. Er hatte oft über hundert Kühe auf Borg und Abzahlung in der weiteren Umgebung verkauft und kassierte die Raten stets am Sonntage abwechselnd nach dem Gottesdienste vor dem Kirchentore, ohne sich jemals in den abgezahlten Beträgen zu irren Grenze. Als letzter größerer Ortsteil der Gemeinde Reichenau ist die Siedlung Grenze zu nennen. Der Name stammt wohl daher, daß der Ortsteil unmit¬ telbar mit der Gemeinde Kukan zusammenhängt und so die Ortsgrenze bildet. über das Alter der Siedlung ist wenig bekannt, nur soviel ist sicher, daß sie schon vor dem 30jährigen Kriege bestand Schwarzecker schreibt nämlich, daß in diesem Kriege in Reichenau und Umgebung die Pest durch die Soldatenhorden eingeschleppt wurde und oft sämtliche Mitglieder einer Familie der Seuche zum Opfer fielen. Die Nach¬ barn haben, nachdem sie sich vom Tode aller Bewohner überzeugt hatten, die Häuser angezündet und die Leichen mit verbrannt, um der Pest Einhalt zu tun. Unter den drei in Reichenau mit an der Pest gestorbenen Leuten ver¬ brannten Häusern befand sich auch die Fichtelschänke (heutige Grenzschänke). Dieselbe wurde nach dem Erlöschen der Seuche von einem Verwandten wieder aufgebaut und unsere Väter erzählten oft, wie sie in die Fichtel¬ schänke zum „Bieroubte“ (Tanzmusik) gegangen seien. Am 18. Oktober 1871 brannte das weitläufige Holzgebäude der Fichtel¬ schänke wieder ab und es erstand auf der Brandstelle die heutige feuerfest gebaute Grenzschänke. Die Einwohner des Ortsteiles Grenze beschäftigen sich nur zum geringen Teil mit Landwirtschaft, sondern hauptsächlich mit der Glasindustrie. Unter den Häusern der Grenze gehörten die meisten Besitzern mit dem Namen Rößler. Südlich von Reichenau in der Richtung gegen Kopain liegt die zum Ge¬ meindegebiete gehörende Einschicht „Liska“. Diese dürfte wohl in Kriegs¬ zeiten erbaut worden sein, da, wie Schwarzecker berichtet, die Bewohner vor anrückendem Kriegsvolke mit ihrem Vieh und beweglichen Gute in schwer auffindbare und unzugängliche Waldschluchten geflüchtet seien. Noch im Kriegsjahre 1866 verbargen sich in der Liskaschlucht mit ihren Pferden einige Bauern aus Furcht, daß ihnen die Preußen ihre Pferde wegnehmen wür¬ den. Als sie sahen, daß ihnen von den harmlosen Preußen keine Gefahr drohe, kehrten sie nach dreitägiger Abwesenheit mit ihren Gäulen wieder zurück. Der Ursprung des Namens dürfte wohl auf das tschechische Wort „Liska“ (Fuchs) oder aber allenfalls nach dem tschechischen Worte „Liska“ (der Hasel¬ trauch) zurückzuführen sein, da das Gelände jedenfalls ebenso von Füchsen belagert war wie die Fuchsbresche. Noch eine ähnliche Talschlucht mit 4 Häusern am Eingange soll hier ver¬ nerkt werden, es ist das sogenannte „Maukeloch“. Auch von dieser Wald¬ schlucht erzählen alte Leute, daß ihre Vorfahren in Kriegszeiten dort Schutz und Zuflucht vor der Soldateska gesucht haben. Die Bezeichnung des Tal¬ einschnittes mit dem Namen „Maukeloch“ wird auf mehrere Arten begrün¬ det. Der überlieferung nach sollen sich die dort verborgenen Flüchtlinge in Ermangelung der Kartoffeln mit einer Manke aus Mehl, Pilzen, 16

Wurzeln und Waldbeeren genährt haben, wodurch das Wort Mankeloch entstanden sei. Auf andere Weise läßt sich das Wort mit Sparen oder Auf¬ bewahren erklären. Bei uns ist heute noch der Ausspruch üblich, daß, wenn jemand Geld oder andere Sachen spart oder aufhebt, er legt es in die Manke. Möglicherweise können unsere Vorfahren in unsicheren Zeiten ihr Vieh und Lebensmittel in der Schlucht verborgen haben, wodurch der Name entstan¬ den sei. Als letzte von aller Welt abgesonderte Kleinsiedlung der Gemeinde Reichenau sind wohl die zwei Häuser im „Grundloche“ zu nennen, welche jedoch erst nach Eröffnung der Eisenbahn erbaut wurden. Die Bezeichnung Grundloch ist jedoch schon von altersher im Volke gebräuchlich. Hinter dem Bahnhofe in westlicher Richtung stehen ziemlich abgeschlossen für sich fünf Häuser, welche von der Bevölkerung das „Vogtland“ genannt werden. über die Entstehung des Namens lassen sich nur Vermutungen hegen, es ist die Möglichkeit vorhanden, daß der Erbauer des ersten Hauses auf dem Grunde Vogt geheißen habe, und in der Zeit der Spitznamen das ganze Gelände Vogtland genannt wurde. Die beim Bahnbau errichteten Wächterhäuschen stehen fast alle in Ein¬ samkeit am Bahngelände, doch hat der Volksmund noch keinen Namen für diese abgesonderten Stellen erfunden. Vorgeschichtliches. Um die Entstehung oder Gründung unseres Heimatsortes Reichenau in der Vergangenheit in möglichst entsprechender Weise beurteilen zu kön¬ nen, bedarf es eines Rückblickes in die graue Vorzeit und einer eingehenden Betrachtung der geographischen Lage und der geologischen Bodenverhältnisse. Die das Reichenauer Tal von allen Seiten umschließenden Berge und Höhenzüge sowie die Ablagerungen von Quarzitsand und Schiefergerölle an tiefer gelegenen Stellen lassen mit Sicherheit darauf schließen, daß das Ta einst ein See gewesen sein muß, dessen Abfluß sich an der niedrigsten Stelle, dort, wo jetzt die Radler Mühle steht, durch den sich von Radl bis Jestrschab hinziehenden kammartigen Höhenrücken aus Schiefergestein Bahn brach und zur allmählichen Entleerung des Wasserbeckens führte. Vulka¬ nische Erschütterungen des Jeschkens dürften diesen Vorgang mit beschleu¬ nigt haben. Die umliegenden Höhen mögen damals mit Eichenwäldern bewachsen gewesen sein, welche sich nach dem Abflusse des Wassers wohl über das ganze Tal ausbreiteten. Beim Bahnbau in den Jahren 1857 bis 1858 wurden beim Grundgraben zum Viadukt in 8—10 Ellen Tiefe starke und fast ver¬ steinerte Eichenstämme ausgegraben, an denen der gewaltigste Axthieb wir¬ kungslos abprallte. Noch vor 50 Jahren standen in Reichenau viele mäch¬ tige Eichen, welche, wie schon erwähnt, zu Wellen und Rädern für den Mühlbau abgeschlagen wurden. Auch wurden beim Bahnbau aus beträchtlicher Tiefe Tongefäße und Scherben zu Tage gefördert, und brachte der damalige Bauleiter Stix ein dort ausgegrabenes, unseren heutigen Tonkrügen ähnliches, jedoch mit zwei Henkeln versehenes Gefäß mit in sein Stammgasthaus (heutige Vereins¬ halle) mit, um es mit Bier füllen zu lassen. Die resolute Wirtin, mit dem Namen „Traute Liese“ benannt, nahm jedoch das unappetitlich aussehende Gefäß und warf es durch das offene Fenster in den Hof, wo es in Scherben ging. Wilhelm Preißler: „Chronik der Stadt Reichenau“. 2 17

In der jetzigen Zeit der Forschungen nach Altertümern würde wohl derartigen Funden mehr Beachtung geschenkt werden, als dies damals in Unkenntnis des großen historischen Wertes geschah. In dem benachbarten Liebenau wurden vor einigen Jahren beim Bau einer Fabrik, wie auch in anderen Gegenden des Sudetenlandes prähisto¬ rische Funde gemacht, wodurch die Annahme an vorgeschichtliche Siedlungen in Nordböhmen gestärkt wird. Es ist wohl mit Sicherheit anzunehmen, daß das Flußbett der Mohelka nach dem Abflusse des Seewassers im unteren Ortsteile in Ermangelung steinigen Untergrundes viel breiter und tiefer war und erst allmählich durch von den Anhöhen herabgeschwemmtes Holz, Laub und Erde wieder ausge¬ füllt wurde, welcher Umstand zur Bildung der an dieser Stelle befindlichen Moor= und Torflager führte Wie der Name „Reichenau“ entstanden ist und auf welchen Ursprung er zurückzuführen ist, darüber lassen sich nur Vermutungen hegen. Nach seiner Endsilbe „au“ dürfte er auf eine germanische Gründung oder Sied¬ lung Bezug haben. Nach einer im Volke erhaltenen Sage, von welcher sich eine Niederschrift bei der Familie Seiboth (Mühljörge) befand, soll ein aus den Kreuzzügen heimkehrender Kriegsmann sich in den hiesigen Urwäldern verirrt und an der Stelle, wo bis zum Jahre 1711 die alte hölzerne Kirche stand, eine baufällige Kapelle mit daneben stehendem Holzkreuze und ein auf einem Baume hängendes Glöckchen gefunden haben. Da der Tag schon seinem Ende nahte, habe der Krieger in der Kapelle übernachtet und sei im Schlaf durch ein Geräusch wie Gold= und Silberklang geweckt worden. Bei Tagesanbruch soll er vor einem Mauseloch herausgescharrte Gold= und Silbermünzen entdeckt und bei näherem Suchen in einer Wand noch einen großen Schatz gefunden haben. Da der Kreuzfahrer heimatlos war, habe er beschlossen, sich an der Stelle seines Glückes ein Heim zu gründen. Auf einem Rosse sei er weit über Berge geritten und habe aus Schlesien eine Schar Leute geholt und den Orte besiedelt, welchem er den Namen „Reiche Au“ gegeben habe. Als erster Bau sei eine Kirche in Angriff ge¬ nommen worden. Auch der Proschwitzer Müllermeister Jäger berichtet in seiner Dorf¬ chronik noch eine ähnliche Sage, doch ist die Zeit der Auffindung einer Ka¬ pelle erst nach der Zeit der Hussitenkriege angegeben. Die Sage von dem Kreuzfahrer hat mehr Wahrscheinlichkeit für sich, da sie von der Besiedlung des Ortes durch deutsche Kolonisten spricht und nach P. Frinds Kirchengeschichte im Jahre 1147 in Reichenau bereits eine Pfarr¬ edenfalls nicht geschehen wäre. kolatur errichtet wurde, was ohne Kirche Aus der Errichtung der Pfarrkolatur läßt sich schließen, daß Reichenau zu dieser Zeit schon ein größerer Ort gewesensein muß. Der werte Leser wird nun die berechtigte Frage stellen, wie die Kapelle, Glocke und Kreuz an den schwer zugänglichen Ort mitten im Urwalde ge¬ kommen sei. Auch diese Frage läßt sich lösen und in begründeter Form be¬ antworten. Schiffner schreibt in seinem Werk „Böhmische Landespatrone“ II, Seite 41 bis 42, daß nach der Ermordung des heiligen Wenzel im Jahre 936 dessen Mutter, die Herzogin Drahomira an die Regierung kam und sich als große Feindin und Verfolgerin des eingeführten Christentums betätigte. Unter ihrer heidnischen und grausamen Regierung flüchteten die tschechischen Chri¬ ten und Priester aus dem Flachlande in die schwer zugänglichen Urwälder der Randgebirge, wo sie in Sicherheit ihren Gottesdienst verrichten konnten. Erst nach dem Tode ihrer Verfolgerin, der Herzogin Drahomira, kehrten sie 13

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