Chronik der Stadt Reichenau

Aus der Trautenauer Gegend kamen bis um das Jahr 1881 im Früh¬ jahre die dortigen Händler mit ihren großen Fuhrwerken und kauften hier die fertigen Garne und den unverarbeiteten Flachs, welchen sie je nach Güte und seiner Länge von 30—50 Zentimeter mit 8—15 fl. für den Zentner bezahlten. Mit dem Garnhandel befaßten sich auch mehrere Reichenauer Hausbesitzer und erwarben sich damit ein beträchtliches Vermögen. Bekannt als Garnhändler sind uns noch die Namen: Sammel, Lang (Pauerchristel) Wenzel (Michelschneider) und Maschke (Flachsmann) Die Reichenberger und Gablonzer Tuchmacher ließen vor Erfindung der Spinnmaschinen die Schafwolle mit der Hand spinnen und fand diese besser¬ bezahlte Arbeit auch in Reichenau Eingang. Augustin Weiß schreibt in sei¬ nem Buche, daß im Jahre 1793 in Reichenau Schützenwenzels Eidam (Schwie¬ gersohn) und ein Niederländer die besten Schafwollspinner waren. Viele Flachsspinner übergingen wegen des besseren Verdienstes zur Schafwoll¬ pinnerei, mit welcher sie bis 2 fl. C.M. in der Woche verdienten. Samstag kam von Reichenberg Demuth, holte das fertige Gespinst ab und brachte neue Rohwolle, wobei er auch gleichzeitig die Auszahlung in der Schenke besorgte Die vielen großen Webstühle, welche fast die kleinen Stuben ganz aus¬ füllten, verloren sich nach und nach, als sich die Handweber der Dosenindustrie zuwandten und die Drehbänke den Platz der Webstühle einnahmen. Als letzter Webstuhl in Reichenau dürfte wohl der des Wollwebers und Strumpf¬ wirkers Josef Maschke Nr. 219 zu bezeichnen sein, welcher noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts seine selbstgewebten Erzeugnisse, wie gewirkte Hand¬ chuhe, Strümpfe und dicke blaue Wolljacken auf den Jahrmärkten zum Kaus eil bot. Durch die technischen Erfindungen und den Fabriksbetrieb im Tex¬ tilwesen, sowie durch das Aufblühen anderer Industriezweige verlor sich die durch viele Jahrhunderte betriebene Handspinnerei und Weberei, Reichenau verlor den Charakter des einstmaligen armen und bescheidenen Weberdorfes Es ist bedauerlich, daß uns nichts aus jener Zeit an Geräten wie Web¬ tühlen, Spinnrad, Spindel, Flachsbreche, Hächel, Weife und Kunkel erhalten blieb, sodaß spätere Generationen völlig in Unkenntnis der Beschäftigung ihrer Vorfahren bleiben und die heranwachsenden Geschlechter sich keine Vor¬ stellung von dieser Arbeit machen können So karg wie die Verdienste mag wohl auch die Lebensweise der ersten Ansiedler von Reichenau gewesen sein. Unseren heutigen Kaffee, Tee und die täglichen Kartoffeln kannten unsere Vorfahren noch nicht. Es mag wohl viele Jahre in Anspruch genommen haben, ehe genügend Ackerboden aus dem Urwalde für den Anbau des nötigen Brotgetreides urbar gemacht war. Bis zum genügenden Getreideanbau mögen wohl Fische, Wild, Fleisch der Haustiere und Waldfrüchte den Bewohnern als Nahrung gedient haben. Der uns heute unentbehrliche Zucker und fremdländische Gewürze waren den Leuten unbekannte Dinge und sie mußten wohl mit verschiedenem Kräuter¬ werk ihre Speisen würzen. Erst mit dem Entstehen der Städte in unserer Gegend im 13. und 14. Jahrhunderte entstand ein Handel und die genannten Gewürze wurden auch bei uns eingeführt Wie heute unsere Glaswarenerzeuger die Arbeiter durch Drucken, Schleifen und Polieren beschäftigten, so hatten wohl auch die damaligen Garn= und Leinwandhändler ihren Arbeiterstamm. Doch war die Art der Entlohnung eine andere als heute. Die Spinner und Weber erhielten für ihre Arbeit in den seltensten Fällen Bargeld, sondern allerlei zum Leben notwendige Artikel, wie Mehl, Salz, Zucker und Kleidungsstücke, wodurch den Garnhändlern ein doppelter Verdienst erwuchs. Im Jahre 1754 wurde durch ein Edikt der Kaiserin Maria Theresia die Art von Bezahlung von 34

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