Chronik der Stadt Reichenau

ihm in seinem Leben einmal etwas Unliebsames passiert sei? Ullrich erzählte auf diese Frage, daß ihm vor Jahren viel Geld gestohlen wurde. Auf die Frage des Fremden, wie hoch sich die Summe des geraubten Geldes belaufe, nannte Ullrich den Betrag. Der Fremde bat ihn hierauf mit tränenden Augen um Verzeihung und gestand, daß er damals an dem Raube mitbetei¬ ligt gewesen sei. Er sei auf der Wanderschaft in schlechte Gesellschaft geraten und habe sich zu der Tat verleiten lassen, was er heute tief bereue. Er wolle ihm den erlittenen Schaden auf Heller und Pfennig ersetzen. Als sie in die Wohnung zurückgekehrt waren, erhielt Ullrich das Geld auch richtig aus¬ gezahlt. Am anderen Tage reiste Tobias Ullrich mit seinem Weibe wohlgemut und zufrieden nach Reichenau zurück. Von dem so unverhofft erhaltenen Gelde erbaute Ullrich die Schenke. Dieselbe wurde am 28. September 1711 mit einem Balle eröffnet. Am glei¬ chen Tage fanden noch zwei historische Ereignisse statt. Die neuerbaute Kirche wurde am selben Tage eingeweiht und in der ebenfalls neuerbauten Pu letschneier Mühle das erste Korn gemahlen. Bei seinem Ableben hinterließ Tobias Ullrich ein Vermächtnis, nach welchem seine Nachkommen verpflichtet waren, zur Ehre Gottes eine Heiligenstatue errichten zu lassen, wenn nach dem Verlaufe von 100 Jahren die von ihm erbaute Schenke noch im Besitze der Familie sei. Dieses Vermächtnis war samt dem Testamente vom Amt¬ manne der Herrschaft Swijan bestätigt. Der Urenkel Johannes Ullrich, wel¬ cher nach hundert Jahren im Besitze der Schenke war, erfüllte das Vermächt¬ nis und ließ vor den Fenstern der Schenke das Kreuz errichten. An dem Sockel ist der Name des Stifters Johannes Ullrich und die Jahreszahl der Errichtung, 1804, eingehauen. Für die Instandhaltung sorgten die Nachkommen der Familie und wurde das Kreuz im Jahre 1853 zum letzten Male vom Besitzer der Schenke Franz Ullrich (Schenkfranz) renoviert Franz Ullrich verkaufte nach dem Preußenkriege im Jahre 1867 die Schenke, nachdem sie 156 Jahre im Besitze der Familie war und erwarb in Habendorf eine große Bauernwirtschaft. Die Familie Sense sorgt seit dieser Zeit in lobenswerter Weise für die Instandhaltung des Schenkkreuzes. Von der einst so wohlhabenden Schenkfamilie ist kein Glied mehr am Leben, sie starben alle in Armut, der letzte Sprößling endete im Reichenauer Armenhause, wie auch die einst so ehrwürdige Schenke am 25. Oktober 1885 in Flammen aufging unter dem letzten Besitzer Kocour. 7. Zu beiden Seiten der neuen Volksschule führt ein Fahrweg nach Ku¬ kan und Gablonz und wo die beiden Wege oberhalb der Schule zusammen¬ treffen, steht auf der dem Patronate gehörenden Grundspitze auf einem Steinsockel ein Eisenkreuz, welches im Volksmunde als „Schulkreuz bezeichnet wird und zu dessen beiden Seiten je eine Linde steht, welche wohl ebenso alt wie das Kreuz sein mögen. Pfarrer Josef Stowasser ließ im Jahre 1806 aus eigenen Mitteln das Kreuz zum Gedenken an die im Hungerjahre 1805 am 16. Juli als Wunder vom Himmel gefallenen Mannahkörner errichten. Eine nähere Be¬ schreibung dieses Ereignisses ist bereits erfolgt. Da zu diesem Kreuze vom Stifter ebenfalls kein Erhaltungsfonds gelegt wurde, blieb die Erhaltung der Mildtätigkeit der Bewohnerschaft überlassen. Im Jahre 1880 wurde das Kreuz durch gesammelte Spenden des Pater Zdarski vom Maler Seidel von Moos und Rost gereinigt und mit neuem Anstrich versehen. Seit dieser Zeit harrt es einer neuerlichen Renovierung. Im Sommer ist der Standort des Schulkreuzes wegen der schattenspendenden Linden und des guten Geru¬ ches über deren Blütezeit ein gern besuchter Ruhe= und Erholungsplatz. 30

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