Chronik der Stadt Reichenau

Volksmission voraus, die von drei Priestern des Redemptoristen=Ordens abgehalten wurde“ Wie sich der Verfasser und andere ältere Leute noch erinnern, betonte der fremde Prediger in seiner Festrede, daß Reichenau der älteste Ort in dieser Gegend sei und die alte Kirche, wenn sie noch stände, auf ein Alter von über 800 Jahren zurückblicken könnte. Um die Zeit dieser 200=Jahrfeier ging die „Los=von=Rom=Bewegung“ (Badeni), deren größter Verfechter der Rechtsanwalt Dr. Eisenkolb in Karbitz war, durch Nordböhmen und wurde auch Reichenau von der Bewe¬ gung mit ergriffen. Gerade an dem Kirchweihsonntage, als am alten Fried¬ hofe die Feier stattfand, veranstalteten einige Gegner der katholischen Kirche als Protest eine Werbeversammlung für den Altkatholizismus im Saale des Gasthauses „Zum goldenen Stern“ in Reichenau. Die Bewegung drang jedoch nicht durch und nur eine verhältnismäßig geringe Zahl trat aus der römischen Kirche aus, um altkatholisch zu werden oder einer anderen Sekte beizutreten. Auch heute noch ist die Zahl der An¬ dersgläubigen und Konfessionslosen in Reichenau keine bedeutende. Im Jahre 1890 spendete Frau Marianne Seiboth (unter dem Spitz¬ namen „Polten“ bekannt) auf die bisher glockenlose Friedhofskapelle ein Glöckchen, welches am Allerheiligentage eingeweiht wurde. Für die Kirche bedeutungsvoll war das Jahr 1891. Die Zahl der Kir¬ chenbesucher hatte sich im Laufe des guten Geschäftsganges in allen Indu¬ striezweigen und infolge der zunehmenden Gottlosigkeit derart verringert, daß sich die Zahl der leeren Sitzplätze in den leeren Bänken ständig ver¬ mehrte, die Emporen (Burkirchen), welche im Jahre 1804 wegen Platzman¬ gel unter Pfarrer Stowasser erbaut wurden und nun überflüssig waren, wurden von Pfarrer Bernard im Einvernehmen mit der Gemeinde wegen Mangel an Kirchenbesuchern nach 87jährigem Bestande wieder aus der Kirche entfernt. Die stets feuchten Kirchenwände wurden bis in 2 Meter Höhe asphaltiert und neu verputzt, die Kirche vom Maler Hellebrandt unter Aufsicht eines aus Gemeindevertretern gewählten Ausschusses in kirchlichem Stile ausgemalt. Im Presbyterium malte Herr Anton Sturm „Gott Vater und die Engel“. Am Karsamstage 1892 hielt der aus Radel gebürtige Pater, heutiger Religionsprofessor und Konsistorialrat Johann Schlenz seine Primiz, nachdem vorher sein Bruder Josef Schlenz am 29. Juni 1890 zum Priester geweiht worden war Im Jahre 1892 ließ die Gemeindevertretung die Kirchenbänke renovieren. Am 9. Juli 1893 hielt der aus Unter=Bautzen gebürtige Neffe des Pfarrers Bernard in der Reichenauer Kirche seine Primiz. Die Orgel war nach langem Gebrauch schadhaft geworden und entsprach den an sie gestellten Anforderungen nicht mehr. Diese Orgel dürfte noch die im Jahre 1802 aufgestellte gewesen sein, da in der Zwischenzeit keine Nach¬ richten über die Neuanschaffung einer Orgel vorfindig sind. Der Kaufmann Anton Peukert Nr. 81 fühlte sich in hochherziger Weise bewogen, unserer Kirche im Jahre 1893 eine den Bedürfnissen der fortgeschrittenen Zeit ent¬ sprechende Orgel aus eigenen Geldmitteln erbauen zu lassen. Am Tage Maria Empfängnis (8. Dezember) wurde die neue Orgel geweiht und er¬ klang zum ersten Male in wundervoller Klangschönheit, der Kirche zur Zierde und dem edlen Wohltäter und Spender zum ehrenden Gedenken Im Jahre 1894 ließ das Patronatsamt in Sychrov den baufällig gewor¬ denen Kirchturm bis auf das Mauerwerk abtragen und durch ein neues 59

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