Chronik der Stadt Reichenau

Niederschrift: „Wenn auch der evangelische Pfarrer aus Reichenau verwiesen war, blieben die Leute doch dem Glauben treu und manche verließen lieber Heimat und Eigentum, als Zwangskatholiken zu werden, so die Familien Krause, Maschke aus Niederdorf (Georgs=Hanns), Ullrich (Trepp¬ Sess), Müller und Hübner (Kasper Franz). Den Hübner ereilte jedoch aus seiner Flucht ein herbes Schicksal. Er nahm auf einem mit zwei Kühen bespannten Leiterwagen unter Heu verborgen sein Hausgerät und die Bet¬ ten mit. Unterhalb Kratzau traf er auf eine wallensteinische Wachabtei¬ ung, welche ihm das Heu für ihre Pferde abnahm und darunter den ver¬ steckten Hausrat fanden, wodurch er als Flüchtling verraten wurde. Kasper Franz erhielt Stockprügel und wurde als Soldat ins Heer gepreßt. Seine Frau und Kinder kamen nach einiger Zeit als Zwangskatholiken nach Rei¬ henau zurück, ohne von ihrem Manne je wieder etwas zu hören“ Zum Wiederkatholischmachen der Lutheraner wandten die wallensteini¬ schen Soldaten auf Befehl ihres Obersten von Pappenheim recht grau¬ same Mittel an. Die fest am evangelischen Glauben hängenden Bewohner wurden mitten in der Nacht in ihren Häusern von den Soldaten überfallen und mißhandelt, indem die Männer gefesselt in eine Ecke der Stube gewor¬ fen, die Frau in einer anderen Stubenechefestgebunden, die Kinder und Säuglinge in einem festen Raume eingesperrt wurden, bis die Eltern schwu¬ ren, wieder andächtige Katholiken zu werden. Historisch wird nachgewiesen, daß der oberste Kriegsherr Wallenstein einen vernünftigen Vorgang zur Wiederkatholischmachung der Lutheraner erstrebte, doch seine untergeordneten Offiziere, besonders Pappenheim, sich nicht an die Befehle hielten. Manche strenggläubige Lutheraner flohen beim Nahen der Soldaten mitten in der Nacht, nur notdürftig bekleidet, Hab und Gut im Stiche lassend, über die Grenzen um des evangelischen Glaubens wegen. Reichenau war nach der Ausweisung der evangelischen Pfarrer im Jahre 1624 wieder durch 62 Jahre ohne Seelsorger und die wieder katholisch Ge¬ wordenen waren nach der Kirchengeschichte bis zum Jahre 1682 der Pfarrei in Böhm.=Aicha und nach Besetzung der Pfarrstelle in Liebenau diesem Seel¬ sorger zugeteilt. Reichenau erhielt erst nach Behebung des durch die zerrütteten Zeitver¬ hältnisse bedingten Priestermangels im Jahre 1686 nach einem Zeitraume von 266 Jahren wieder einen katholischen Pfarrer. Aus den bisherigen Aufschreibungen ist ersichtlich, daß Reichenau wohl niemals nach Nabsel eingepfarrt war Es folgen nun der Reihe nach die Pfarrer seit der Wiedereinführung der katholischen Seelsorge in Reichenau: 1. Johann Friedrich Schossig bezog im Jahre 1686 als erster katho¬ lischer Pfarrer das durch 62 Jahre verwaist stehende Pfarrhaus, welches von den evangelischen Pastoren erbaut wurde, da sich in der Reichenauer katholischen Kirchenchronik keine Angabe über den Bau eines Pfarrhauses vorfindet. Pfarrer Schossig hatte anfänglich nur eine kleine Schar gläubiger Katholiken in der alten Holzkirche unter seiner Obhut. Derselbe war ein geborener Rumburger und wahrer Priester im Sinne des Wortes und wußte sich durch seine Besonnenheit und Nachsicht auch den noch lutherischen Glaubensanhängern gegenüber in kurzer Zeit die Liebe und Anhänglichkeit zu gewinnen, sodaß sich die Zahl seiner Kirchkinder ständig vermehrte und das durch die Last seiner Jahrhunderte zu klein und baufällig gewordene Kirchlein die Gläubigen nicht mehr zu fassen vermochte und eine große Zahl Andächtiger vor der Kirche dem Gottesdienste zuhörte. Wilhelm Preißler: „Chronik der Stadt Reichenau“. 4 49

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