Chronik der Stadt Reichenau

Hussitenscharen geflüchtet sein soll, nachdem er nur kurze Zeit seines Amtes in Reichenau gewaltet hatte. Die Klosterherren von Münchengrätz veräußerten in trüber Vorahnung der kommenden schrecklichen Ereignisse noch rechtzeitig 1423 ihre Besitzungen, unter anderem die Herrschaft Swijan um den Betrag von 500 Schock böhm Groschen an die Grafen von Wartenberg unter der Bedingung, daß nur ein Abt von Münchengrätz dieselbe wieder einlösen könne. Schon ein Jahr spä¬ ter (1424) wurde das Kloster von den hussitischen Horobiten erstürmt und in Schutt und Asche gelegt. Die Klosterbrüder waren noch rechtzeitig geflüchtet und hatten jedenfalls ihre Schäfchen ins Trockene gebracht. Fürchterliche Kämpfe, dem Glaubensfanatismus der Hussiten entsprun¬ gen, habsüchtige Gewaltakte der Mächtigen, die ihre Untertanen mit Folter und Schwert aus dem einen in den anderen Glauben, gleichviel welcher Art, trieben, durchwogten lange Jahrzehnte die böhmischen und deutschen Länder und tragen ihre Merkmale bis in die heutige Zeit herein Reichenau wurde während der Hussitenkriege weniger in Mitleidenschaft gezogen, da, wie Schwarzecker berichtet, der Grundherr Hynek von Warten¬ berg scheinbar selbst Anhänger der Hussiten war und seine Besitzungen vor Plünderung und arger Verwüstung durchziehender Heerhaufen verschont blieben Am 17. März 1420 rief Kaiser Siegmund auf dem Reichstage zu Breslau durch die vom Papste Martin dem V. erlassene Kreuzbulle die gesamte Chri¬ stenheit zum Kampfe und schonungsloser Vernichtung der Hussiten auf, doch blieb dieser Aufruf wegen der Zwietracht der deutschen Fürsten und Bischöfe untereinander ohne Erfolg Für Reichenau folgt nun eine lange Zeit ohne schriftliche Aufzeichnun¬ gen über die kirchlichen Verhältnisse. Seit der Flucht des letzten Pfarrers inden sich keine Nachrichten über das Schicksal unseres Heimatortes, nur Schwarzecker schreibt, daß nach mündlicher überlieferung öfters Durchmärsche der Hussitenscharen durch Reichenau erfolgten und die Bewohner bei ihrem Herannahen mit ihrem Vieh in die Liskaschlucht oder in das Mankeloch ge¬ flüchtet seien, da das Vieh vor den Hussiten nicht sicher war. Diese an geschichtlichen und kriegerischen Ereignissen so reiche, aber an schriftlichen Urkunden über Reichenau in dieser Epoche so arme Zeit wird nur durch geringfügige Nachrichten der überlebenden, welche erst später nie dergeschrieben wurden, zum Teil wettgemacht und dem Volke erhalten. Nur o viel ist sicher, daß die alte ehrwürdige Holzkirche all die schwere Zeit über¬ standen hat. Wenn auch in geschichtlichen Aufzeichnungen über Reichenau ein fast 200jähriger Stillstand eingetreten war, bedeutet dies keineswegs einen Still¬ stand der weltlichen Ereignisse. Die zu Anfang des 15. Jahrhunderts ent¬ brannten Hussitenkriege warfen noch ihre Schatten über das Land Böhmen und die römische Kirche, als rund 200 Jahre später ein neuer und noch ge¬ waltigerer Religionskrieg ganz Mitteleuropa erschütterte. Am 31. Oktober 1517 wurden von dem Augustinermönche Dr. Martin Luther an das Kirchentor in Wittenberge seine 95 neuen Glaubensthesen angeschlagen, in denen wie von Johann Hus die Verabreichung des hl. Abendmahles in zwei Gestalten, Brot und Wein, die hl. Schrift in deutscher übersetzung und die Gleichheit aller Menschen vor Gott verkündet wurden. Wie ein Lichtstrahl in der Finsternis erschien dem durch Rechtlosigkeit und Ausbeutung durch die Machthaber zermürbten deutschen Volke die Glück und Freiheit verheißende Verkündigung. Mit heller Begeisterung für den 46

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