Chronik der Stadt Reichenau

Die in jener Zeit von den Grundherrschaften am kleinen Volke verübte Erpressung durch Abgaben und Robot, sowie die Entsittlichung der höheren Stände übergriff auch auf die Klöster, sodaß König Wenzel zu Ende des 14. Jahrhunderts Sittenprediger ins Land schickte, um dieser Entartung ent¬ gegen zu wirken und dem bedrückten Volke in der schweren Zeit religiösen Trost zu bringen. Durch diese Prediger wurde jedoch zumeist das Gegenteil von dem erstrebten Erfolge erzielt, da sich die Machthaber nicht bekehren ließen und manche Prediger das Volk zum Widerstande gegen seine Be¬ drücker aufwiegelten und so die bestehenden Verhältnisse noch verschlim¬ merten. Zu Anfang des 15. Jahrhunderts erhob der Prager Universitätsprofes¬ or Johann Hus von Hussinetz seine Stimme in Wort und Schrift gegen die Entsittlichung der Klöster und brachte in neuer Glaubensverfassung das hei¬ lige Abendmahl (Kommunion) in beider Gestalt, Hostie und Wein, zur Ein¬ führung. Ein gewaltiger Sturm der Entrüstung erregte die Kirchenämter und Geistlichkeit über die Enthüllung und die neue hussitische Glaubenslehre. Im Jahre 1412 sprach der Papst über Hus den Kirchenbann aus. Seine neue Lehre hatte jedoch schon viele Anhänger gefunden, selbst unter den höheren böhmischen Ständen. Johann Hus wurde vor das Kirchenkonzil nach Konstanz in der Schweiz gerufen, um seine Irrlehre zu widerrufen. Mit einem von Kaiser Siegmund ausgestellten Geleitsbriefe über freie und sichere Hin= und Rückreise begab sich Johann Hus im Vertrauen auf die vom Kaiser gewährleistete Sicherheit seiner Person nach Konstanz. Da er vor den kirchlichen Würdenträgern des Konzils auf seinem Standpunkte ver¬ harrte und seine gegen die Geistlichkeit erhobenen Vorwürfe sowie seine neue Glaubenslehre nicht widerrief, wurde er dort in sicheren Gewahrsam gebracht und zum Feuertode verurteilt. Der Kaiser, in dessen Macht es lag, seinem Versprechen auf unbehinderte Rückreise Geltung zu verschaffen, wurde über Einfluß des Papstes, daß man einem Ketzer nicht Wort halten brauche, wortbrüchig und überließ Hus sei¬ nem Schicksale, welcher am 6. Juli 1415 in Konstanz verbrannt wurde Der hussitische Glaube hatte jedoch im tschechischen Adel, sowie auch in der tschechischen Priesterschaft schon zu feste Wurzeln gefaßt, als daß der durch die römische Kirche verschuldete Tod seines Begründers für dieselbe ohne schwere Folgen bleiben konnte. Es kam zu den grausamen und berüchtigten Hussitenkriegen, welche für die römische Kirche auf Jahrzehnte verhängnisvoll wurden und ganz Böh¬ men, einen großen Teil Deutschlands sowie auch unsere Gegend in Mitlei¬ denschaft zogen Auf den Heereszügen der Hussiten wurden alle Klöster und Kirchen, welche nicht den Hussitenglauben annahmen, dem Erdboden gleichgemacht, die Priester und das Volk erschlagen. 15. Jahrhunderts als Nachfolger Nach Reichenau war zu Anfang des des Pfarrers Martin der Pleban Phillip gekommen, unter dessen Zeit sich die vorher geschilderte Husepisode abspielte. Phillip, der jedenfalls Tscheche war, übertrat selbst zum hussitischen Glauben und hatte auch, wie Schwarz¬ ecker berichtet, die Reichenauer Pfarrkinder zum übertritte zu bewegen ver¬ sucht. Diese blieben jedoch als urwüchsige Deutsche dem katholischen Glauben treu. Pleban Phillip verzichtete am 7. Oktober 1418 auf das Amt als katho¬ lischer Priester und schloß sich den Hussiten an. An seine Stelle kam wieder ein Pfarrer Johannes, welcher aber durch die ausbrechende Unsicherheit und die bis in unsere Gegend vordringenden 45

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