Chronik der Stadt Reichenau

Wie immer bei geschichtlichen Ereignissen die sensationslüsterne Fama ihr Unwesen treibt, so geschah es in Reichenau auch bei der Befreiung vom Herrschaftsjoche. Von einem Witzbolde war das Gerücht verbreitet worden, daß die Herrschaftsbesitzer für die letzten verflossenen 100 Jahre die Robot¬ leistung in barem Gelde auszahlen müßten. Eine Schar Leichtgläubiger be¬ rechnete die von sich und ihren Vorfahren geleisteten Robottage und setzten die Löhne nach ihrem eigenen Gutdünken in die Rechnung, wodurch recht an¬ sehnliche Beträge von tausenden fl. heraus kamen. Als guter Ratgeber und arger Schreier betätigte sich der schon bekannte Joukl Naz, welcher noch die Hoffnung auf den Besitz der Planewaldung hegte und nun auch noch auf die tausende fl. Robotgeld wartete. Mit einer Schar gleichgesinnter Schreier zog er als Anführer zum Vorsteher, überreichte ihm die Listen und wollte auch gleich das Geld ausgezahlt haben. Um die Radaumacher wieder los zu wer¬ den, versprach ihnen der Vorsteher Josef Peukert, die Listen einzuschicken und ihnen nach Erhalt das Geld auszuzahlen. Die Schar durchzog hieraus den Ort und die Wirtshäuser mit dem Rufe: „Jetzt werden wir den Fürsten pielen“. Die Nationalgarde war leider am 10. Oktober 1851 wieder aufgelöst wor¬ den, sodaß der Hauptmann Seidel keine Macht mehr über die Radauhelden besaß und dieselben nicht mehr einsperren konnte. Jonkel=Naz mußte sich mit vielen anderen den neugeschaffenen Verhält¬ nissen fügen und, anstatt das erhoffte Robotgeld einzustecken, die Ablösungs¬ gebühr für sein Haus noch aus der eigenen Tasche bezahlen In den Jahren 1867 bis 1872 wurden die Vorarbeiten zur Neuanlage des Katasters und der Grundbücher durchgeführt. Nach der Verordnung vom Jahre 1869 wurde das alte widersinnige Gesetz vom 20. Oktober 1790 nach 80jähriger Gültigkeit außer Kraft gesetzt nach welchem die zu einem Bauerngute gehörenden Grundstücke nicht zerteilt werden durften. Der Bauer hatte nicht das Recht, über sein Eigentum frei zu verfügen. Die Wirtschaft überging in der Regel auf den ältesten Sohn und die übrigen Geschwister gingen bei der Erbteilung nach dem Tode des Bauern meist leer oder mit geringem Erbteile aus. Dieser Umstand war die Ursache zur Verarmung der früher hochangesehenen Bauernsöhne, welche sich dann als Handwerker oder Tagarbeiter ihr Brot verdienen mußten. Eine Ausnahme von diesem Gesetze bildete nur der Gemeindegrund oder die sogenannte Aue, welche sich in Reichenau von der Anhöhe rechts der Mohelka bis an den früheren Lauf der Liska erstreckte. Diese Au war in früherer Zeit zumeist von den Häusern und Häuschen der ärmeren Bevölke¬ rung besiedelt, welche den Baugrund per 50 Klaftern zu 6 böhm. Groschen, oder 100 Klaftern zu 15 böhm. Groschen erhielten. Für Reichenau begann nach den Revolutionsjahren eine Zeit des Auf¬ blühens. Der schwache Kaiser Ferdinand dankte ab und mit dem jungen Kaiser Franz Josef I. zog ein ganz neuer Geist in die Regierung, Han¬ del und Wandel blühten auf und die frühere Not der armen Bevölkerung hörte allmählich auf, jeder Arbeitswillige fand je nach seiner Fähigkeit genügend Beschäftigung und Brot Die neuzeitigen Gemeindevorsteher waren Vollstrecker des Volkswillens und hatten zu ihrer Amtsführung die Gemeindevertretung zur Beratung, während früher die Herrschaftsrichter nach eigener Willkür schalteten. über die alten Richter der Vorzeit sind in Reichenau leider nur wenig Nachrichten erhalten geblieben und diese beschränken sich meist nur auf Un¬ terschriften alter Dokumente und Schriftstücke. 36

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