Chronik der Stadt Reichenau

es der am 31. Dezember 1851 publizierten verbesserten Reichsverfassung, sie zerstob wie Spreu im Winde. Der Kampf tobte unentwegt weiter, blutige Opfer forderte der Ruf nach Recht und Freiheit bei den Barrikadenstürmen in Wien und anderen Haupt¬ städten. Der heute noch im Liede besungene Robert Blum und viele seiner Getreuen wurden standrechtlich erschossen. Hans Kudlich und der ungarische Führer Ludwig Kossuth retteten ihr Leben, indem ihnen die Freunde zur Flucht verhalfen. Hans Kudlich floh nach Amerika, wogegen Ludwig Kossutl dasselbe Ziel über die Türkei erreichte Die neuen Gesetze, Erlässe und Publikationen kamen in überstürzt kur Zeiträumen heraus und befriedigten die aufgeregte Volksmasse nicht. zen Durch das am 17. März 1849 publizierte provisorische Gemeindegesetz vurden nach dem im Jahre 1843 vollzogenen Grundvermessung die Ortschaf¬ ten vom Herrschaftsbesitz abgelöst und zu selbständigen Gemeinden vereint Die früher von dem Grundherrn eingesetzten Scholzen, Lehens= und Orts¬ richter wurden nun durch die von den Gemeinden selbst gewählten Bürger¬ meister oder Vorsteher ersetzt. Reichenau hatte im Jahre 1849 aufgehört der Herrschaft Svijan unter¬ tänig zu sein und war nun eine für sich selbst bestimmende und sorgende Gemeinde. Der letzte vorzeitige grundherrliche Richter Anton Schöffel (Schöffel¬ tounel) war aber bereits im Jahre 1846 seines würdigen und selbstherrlichen Amtes enthoben und starb hochbetagt im Jahre 1884 Die ersten freien Gemeindewahlen wurden im Jahre 1850 ausgeschrie¬ ben und waren die Wähler je nach ihrer Steuerleistung in drei Wahlkörper geteilt. In Reichenau wurde der im Jahre 1846 von der Herrschaft ernannte Richter Josef Peukert Nr. 48 wieder als Vorsteher gewählt Der bisher gepflogene Brauch, den Ortschaften ergebene Kreaturen der Herrschaft als Richter aufzuzwingen, welche das Amt oft in der unfähigsten Weise ausübten, dafür aber mit besonderen Privilegien, wie Bier= und Brannt¬ weinschank ausgestattet waren, hatte seine Daseinsberechtigung verloren. Noch heute stehen viele Zeugen dieser alten Richterherrlichkeit als Lehngüter mit Schankbetrieb oder Kretscham in der weiteren Umgebung, in welchen das Richteramt meist erblich war und in einer Familie oft durch Jahrhunderte verblieb Die Gewalt der neuen Bürgermeister und Vorsteher erstreckte sich nicht mehr auf körperliche Züchtigung, wie das früher in Anwendung gebrachte: „In den Bock spannen, auf dem hölzernen Esel reiten, zu Stockhieben auf die Bank schnallen und das an den Prangerstellen“. Vergehen gegen die neuen Gesetze wurden von dieser Zeit an von den zuständigen Bezirks= oder Kreisgerichten verhandelt und abgeurteilt. Im Jahre 1850 wurden die Bezirkshauptmannschaften, Gerichte und Gendarmeriestationen errichtet. Diese Neueinrichtung mag der damaligen Bevölkerung als große Umwandlung und Erleichterung erschienen sein. Der tundenweite Weg zu Fuß und bei jeder Witterung nach Jungbunzlau oder Swijan wegen Kaufverträgen, Erbschaften, Streitfällen und anderen Rechts¬ sachen wurde nun durch den nur eine Stunde entfernten Weg nach Gablonz abgelöst. Am 9. Juni 1850 wurde das k. k. Bezirksgericht in Gablonz nach einem eierlichen Hochamte eröffnet und konnte seine Amtstätigkeit entfalten. Der Leiter der gleichzeitig errichteten Bezirkshauptmannschaft führte den Titel Bezirksvorsteher und erst im Jahre 1868 wurde der Titel in Bezirkshaupt¬ mann umgewandelt. 34

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2